Mit seinen kryptischen Aussagen nach der 0:1-Niederlage gegen den FC Bayern München hat BVB-Trainer Lucien Favre eine erneute Diskussion um seine Zukunft bei Borussia Dortmund angestoßen. Soll der Schweizer auch in der kommenden Saison Coach bei den Westfalen bleiben? Das Pro und Contra.
PRO: Einen Klopp-Clon gibt es nicht
Von Martin Volkmar
Nach dem 0:1 gegen den FC Bayern steht Lucien Favre erneut in der Kritik. Für seine zögerliche taktische Ausrichtung in dem Alles-oder-Nichts-Spiel und auch für seine merkwürdigen Aussagen nach der Partie, die sofort als Rücktrittsankündigung gedeutet wurden.
Dabei geht es um grundsätzlicheres als die Niederlage gegen den Rekordmeister: Das fehlende Feuer beim Chefcoach, die unerklärlich blutarmen Auftritte in der Hinrunde und seine oft unsouveräne Flucht in nichtssagende Floskeln. Zusammengefasst münden die Vorwürfe in der Aussage, Favre sei kein Meistertrainer.
Klopps dunkler Schatten über jedem Nachfolger
Das gilt allerdings in der Bundesliga seit 2009 für alle Übungsleiter, die nicht den FC Bayern betreut haben oder Jürgen Klopp hießen. Der einstige Erfolgscoach schwebt nach wie vor wie ein dunkler Schatten über all seinen Nachfolgern beim BVB. Obwohl es am Ende unter Klopp auch nicht mehr lief und die Mannschaft 2017 sogar in akuter Abstiegsnot war, was in der verklärten Rückschau gerne vergessen wird.
Seitdem suchen die Schwarz-Gelben vergeblich einen Klopp-Clon - doch den gibt es nicht. Auch deshalb musste ein fachlich herausragender Mann wie Thomas Tuchel trotz Pokalsiegs gehen. Am ehesten hätte Julian Nagelsmann dem Klopp-Profil des taktisch und medial versierten Emotionstrainers entsprochen, aber auf die vermeintliche Wunschlösung wollten die ungeduldigen BVB-Bosse 2018 im Gegensatz zu RB Leipzig nicht ein Jahr warten - obwohl der damalige Übergangscoach Peter Stöger sicher noch eine weitere Saison als Platzhalter hätte fungieren können. Stattdessen fiel die Wahl damals auf Favre - mit all seinen Stärken, aber auch Schwächen.
Doch seit dem unnötigen Scheitern im letztjährigen Titelrennen trotz teilweise neun Punkten Vorsprung auf die schwächelnden Bayern sind die Zweifel am Schweizer erheblich, und die Kritik kommt keineswegs nur von außen. Da Klopp und Nagelsmann aber nicht zu haben sind und an der Eignung von Niko Kovac auf diesem Niveau Zweifel bestehen, bleibt Favre im Amt.
Es gibt viele Argumente für Favre
Dabei müssten sich die Verantwortlichen gerade jetzt voll hinter den 62-Jährigen stellen statt mal öffentlich, mal hinter vorgehaltener Hand über ihn zu lamentieren. Und das Beste aus dem machen, was man hat: Einen erfahrenen Realisten mit herausragender fachlicher Expertise, der über eine klare Philosophie verfügt und eine Mannschaft besser machen kann.
Das hat Favre nicht nur bei seinen beiden vorherigen Stationen bewiesen, als er Gladbach und Nizza mit attraktivem Fußball in die Champions League führte. Auch in Dortmund kann sich seine Bilanz sehen lassen: Mit einem Schnitt von 2,15 Punkten pro Bundesligaspiel ist er der erfolgreichste BVB-Trainer aller Zeiten, vor Tuchel (2,09) sowie weit vor Klopp (1,91) und einer weiteren Vereinsikone, Ottmar Hitzfeld (1,85).
Der war auch als zurückhaltender Fachmann bekannt, trotzdem durfte er vier Jahre in relativer Ruhe bis zur ersten Meisterschaft mit dem BVB arbeiten. Insofern sollte man auch Favre Zeit geben und auf den sichtbaren Verbesserungen der Rückrunde in der Offensive wie in der Defensive aufbauen. Auch oder gerade aus Mangel an sinnvollen Alternativen.
Lucien Favre: Seine bisherige Bilanz beim BVB
Spiele | Siege | Remis | Niederlagen |
62 | 40 | 13 | 9 |
16 | 8 | 2 | 6 |
6 | 4 | 0 | 2 |
CONTRA: Darum sollte sich der BVB von Favre trennen
Von Jochen Tittmar
Wenn Lucien Favre als Trainer des BVB in den letzten sechs Saisonspielen noch neun Punkte holt, dann könnte es für die erneute Qualifikation zur Champions League, aber womöglich nicht zum angestrebten Vizemeistertitel reichen. Sammelt der Schweizer mehr als diese neun Zähler, dann überholt er aber in jedem Fall Thomas Tuchel als erfolgreichsten Coach der Dortmunder Bundesligageschichte. Dessen Punkteschnitt nach 68 Partien liegt bei 2,09.
Ja, es ist ganz gewiss skurril, dass es sowohl um Tuchel, als auch um Favre trotz dieser starken Ausbeute Diskussionen gab und gibt. Es ist auch skurril, dass es beiden Trainern mit dieser hohen Anzahl an Punkten in vier Spielzeiten nicht vergönnt war, den Meistertitel nach Dortmund zu holen.
Tuchel kämpfte einst mit seiner Bilanz gegen die Guardiola-Bayern an und summierte letztlich dennoch satte 28 Punkte Rückstand in zwei Saisons auf. Bei Favre wird das knapper, das ist nach zwei Zählern Abstand im Vorjahr bereits jetzt absehbar.
So günstig standen die Chancen selten, den FCB zu bezwingen
Dortmund war allerdings unter ihm im Vorjahr neun Punkte vorne - was sowohl sein Verdienst ist, aber auch in seinen Verantwortungsbereich fällt, wenn dieser Vorsprung dann wieder hergegeben wird. Mit Blick auf Favres bisherige Zeit beim BVB muss in erster Linie festgehalten werden: So günstig standen die Chancen in den vorherigen Jahren selten, den großen Rivalen aus München zu bezwingen.
Unter Niko Kovac wackelten die Bayern zwischenzeitlich gehörig. Bis zu dessen Entlassung in der laufenden Saison wurden nur fünf von zehn Bundesligapartien gewonnen - beim BVB stand jedoch dieselbe Anzahl an Siegen zu Buche. Einen schwächelnden FCB genau dann aber unter Druck zu setzen und zu enteilen, das ist die Vorgabe der Dortmunder Vereinsführung. Und daran muss sich ein BVB-Trainer schlichtweg messen lassen.
Ein Trainer, dessen Mannschaft dazu in den beiden letzten Jahren mit Spielern für knapp 240 Millionen Euro verstärkt wurde. Echte Leistungsträger wurden nicht abgegeben. Die Wankelmütigkeit konnte Favre seiner Truppe allerdings nicht austreiben. Auch wenn der Blick auf die genannten Zahlen positiv ist, so enttäuschte der BVB vor allem in wichtigen, entscheidenden Spielen immer wieder.
Darum sollte sich der BVB von Favre trennen
Das hatte auch mit Favres tendenziell eher vorsichtigen Herangehensweise zu tun. Die Umstellung auf eine Dreierkette nach einer Vielzahl defensiver Unzulänglichkeiten soll nicht die initiale Idee des Schweizers gewesen sein. Es verwunderte auch, dass Dortmund beinahe die gesamte Hinrunde ohne echten Stürmer auflief.
So fehlten dem BVB gerade in teils entscheidenden Partien gegen Top-Teams bisweilen Mut, Überzeugung und vor allem Durchschlagskraft. Zu oft präsentierte man sich so zaghaft, wie es Favres Naturell als Coach entspricht. Nach dem Motto: Besser nicht verlieren.
Dass dieser Eindruck entstand und Kritik an Favre nicht nur medial, sondern auch im Dortmunder Umfeld aufkam und auch kaum abebbte, hat nicht nur mit solchen sich wiederholenden Leistungen zu tun. Der 62-Jährige ist seit jeher kein guter Verkäufer. Er schafft es auch angesichts der weiterhin bestehenden Sprachbarriere nicht, seine Gedanken zu erläutern beziehungsweise bevorzugt es viel lieber, so undurchsichtig und unkonkret wie möglich zu bleiben.
Insofern steht Favre als Trainer und Charakter konträr zur im Markenkern des BVB verankerten sowie vielfach propagierten Emotionalität. Wenn Dortmund national wie auf europäischem Parkett den nächsten Schritt machen möchte, bedarf es eines Trainers, dem die hohen Ansprüche des Klubs nicht widerstreben - und der der zweifelsfrei hochkarätig besetzten Mannschaft eine deutlich ausgeprägtere Siegermentalität einimpfen kann.