BVB-Thesen zum 4:2 über Union Berlin: Borussia Dortmund ist den falschen Zwilling los

Jonas Rütten
20. September 202108:09
Thomas Meunier zeigt beim BVB endlich, was in ihm steckt.getty
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Thomas Meunier hat seinen steilen Formanstieg auch beim 4:2-Sieg über Union Berlin bestätigt. Außerdem offenbarte das Spiel der Schwarzgelben am Sonntag einen heimlichen BVB-Gewinner der vergangenen Wochen und die Tatsache, dass Erling Haaland keine Schwächen mehr hat. Vier Thesen zum Spiel.

Wenn man Marco Reus nach dem Dortmunder Sieg über Union Berlin so reden hörte, konnte man annehmen, der BVB habe gerade im Meisterschaftskampf abermals und wie schon so oft in den vergangenen Jahren Federn gelassen.

"Auf Dauer kannst du das nicht durchhalten. Wir dürfen die Tore nicht so einfach herschenken, das bricht uns irgendwann das Genick, weil wir die Körner dafür irgendwann nicht mehr haben werden. Wir müssen viel cleverer sein, viel erwachsener spielen und vor allem bei Standards besser verteidigen. Das ist schon unerklärlich. Wir müssen und werden uns darüber unterhalten", echauffierte sich Reus.

Ein mahnender Finger in eine nach wie vor nicht geschlossene BVB-Wunde: Wieder hatten die Dortmunder trotz dominanter und teils berauschender Spielweise dem unterlegenen Gegner die Tür zum Spiel aufgemacht und mussten trotz zwischenzeitlicher 3:0-Führung zumindest kurz zittern. Und wieder war es ein Standardgegentor, das sich der BVB einfing. Am Ende war es eines ohne Folgen. Der BVB gewann sein drittes Ligaspiel in Folge und bleibt dem FC Bayern somit in der Tabelle dicht auf den Fersen.

Geht es nach Mats Hummels, fehlt den Dortmundern aber noch etwas, um dem Abo-Meister endlich wieder gefährlich werden zu können: "Wenn man den einen großen Unterschied von Bayern München zu uns sehen will, dann ist es die Tatsache, dass bei Bayern elf Spieler über 90 Minuten scharf sind und auf Erfolg spielen - durchgehend", stellte Hummels fest.

Vier weitere Thesen zum BVB-Sieg über Union Berlin:

Legte den Finger in eine nach wie vor offene BVB-Wunde: Kapitän Marco Reus.getty

BVB: Der echte Meunier ist in Dortmund angekommen

Es war wahrlich keine berauschende Debüt-Saison, die Thomas Meunier beim BVB hingelegt hat. Im Gegenteil. Es war eine von Verletzungen, eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten durchseuchte Spielzeit, die der belgische Nationalspieler 2020/21 spielte, gekrönt vom Verlust seines Stammplatzes sowohl in Dortmund ab dem 18. Spieltag als auch bei Roberto Martinez und seinen Roten Teufeln zu Beginn der Europameisterschaft.

Der einst als Transfercoup beim BVB willkommen geheißene Meunier (kam ablösefrei von PSG), erntete schon bald reichlich Kritik aufgrund seiner Aussetzer in der Defensive und seiner unpräzisen Hereingaben von der rechten Seite, die alles trafen, nur nicht den Kopf, Fuß oder ein anderes Körperteil eines Mitspielers. Ein Tor und eine Torvorlage, so lautete das nüchterne Fazit der offensiven Produktivität des Rechtsverteidigers.

Vorgänger Achraf Hakimi verzeichnete hingegen in seiner zweiten BVB-Spielzeit 19 Torbeteiligungen. Nun war klar, dass Meunier Hakimi besonders als Offensivkraft nicht eins zu eins wird ersetzen können. Spötter frotzelten aber dennoch, PSG habe nur den unbegabten Zwillingsbruder von Meunier nach Dortmund geschickt, der Echte müsse noch irgendwo in den Katakomben des Prinzenparks weilen.

"Das war nicht der Thomas Meunier, den ich kenne - und das haben die Leute ebenfalls gesehen. Sie hatten daher jedes Recht, nicht glücklich mit meinen unterschiedlichen Leistungen zu sein", sagte Meunier im Mai im Interview mit SPOX und Goal.

BVB-Profi Meunier schwimmt sich bei EM frei

Doch dann kam die EM, die für den Perfektionisten Meunier - als solchen bezeichnete ihn Nationaltrainer Martinez - zumindest eine erste Wende zum Guten bedeuten sollte. Weil sich Timothy Castagne von Leicester City im Auftaktspiel gegen Russland nach nur 27 Minuten eine Gesichtsfraktur zuzog, musste Meunier mangels Alternativen ran - und besonders kritische Beobachter aus Nordrhein-Westfalen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Da war er plötzlich, der echte Meunier. Das 2:0 erzielte er selbst per Abstauber, das 3:0 bereitete er nach tollem Solo-Lauf und Schnittstellenpass vor. Im Achtelfinale gegen Portugal folgte der Assist zum Siegtor, zwischenzeitlich wurde es gar magisch, als er nach Doppelpass per Außenrist den Winkel nur knapp verfehlte.

Meunier nutzte die EM, um sich freizuschwimmen, kehrte mit frisch getanktem Selbstvertrauen nach Dortmund zurück - und musste direkt den nächsten Rückschlag einstecken: Corona-Infektion. Zwei Wochen Quarantäne. Kein Mannschaftstraining. Die ganze Vorbereitung wieder zunichte.

Doch Meunier ist ein Kämpfer und Arbeiter. Sofern er Social-Media-Postings bei Twitter oder Instagram absetzt, verwendet er immer den #TÔTOUTARD, was übersetzt "früher oder später", bedeutet. "Wenn du für das, was du möchtest, arbeitest, wirst du es auch bekommen", sagt er über sein Lebensmotto.

Rose lobt Meunier: "Macht richtig Spaß"

Und seitdem er von seiner Corona-Infektion Ende August zurückkehrte bekamen die BVB-Fans nicht etwa den falschen Zwilling, sondern den echten Meunier zu sehen. Offensiv stark verbessert, defensiv stabiler, wenngleich - wie beim Anschlusstreffer von Union durch Andreas Voglsammer - noch längst nicht fehlerfrei.

Aber: Seine Flanken kommen mittlerweile nicht nur bei Mitspielern an, sondern sie sind eine echte Waffe. In den vergangenen drei Spielen bereitete Meunier drei Treffer mustergültig vor. Außerdem war Meunier gegen Besiktas und Union jeweils einer der zwei besten Balleroberer in Reihen der Dortmunder.

Der Trend stimmt beim Belgier. Das bemerkte auch Marco Rose, der die "butterweiche Flanke" des Belgiers zum 2:0 gar mit einem Hand-Küsschen honorierte: "Thomas macht momentan richtig Spaß, weil er richtig in Form und ins Rollen kommt."

Dass es so kommen würde, hatte er selbst bereits angekündigt. "Es geht jetzt nochmal von vorne los, als hätte ich gerade erst in Dortmund unterschrieben", sagte er vor der EM. Gut möglich also, dass sich Meunier noch einmal ein neues Motto überlegen müsste, hält sein starker Spätstart in Dortmund weiter an. Statt "früher oder später" täte es auch "mieux vaut tard que jamais" - "besser spät als nie".

BVB-Profi Marius Wolf: Heimlicher Rose-Gewinner

Bis kurz vor und sogar noch kurz nach Transferschluss galt Marius Wolf als ein sicherer Verkaufskandidat beim BVB. Als einer, den man besser früher als später von der Gehaltsliste bekommen wollte. Zu mau war die sportliche Perspektive, die viele dem 26-Jährigen im prunkvoll besetzten Dortmunder Mittelfeld einräumten, zu groß die Konkurrenz. Die Aussicht auf Spielzeit? Kaum vorhanden.

Doch aktuell ist die Situation von Wolf in Dortmund eine gänzlich andere. Er ist fester Bestandteil der Rotation von Marco Rose, kam zuletzt immer wieder auf Spielzeit, während Spieler wie Felix Passlack oder Reinier nur auf der Bank saßen. Das liegt zunächst auch am prall gefüllten schwarzgelben Lazarett: In Giovanni Reyna, Emre Can und Nico Schulz fehlen drei mehr oder weniger etablierte Spieler noch länger, gegen Union konnte Julian Brandt nicht mitwirken.

Es sind zwar nur kurze Einsätze von maximal 21 Minuten (wie gegen Besiktas), aber das ist immer noch mehr als die Rolle, die man Wolf eigentlich zu Beginn der Saison zugeschrieben hatte. Die wenigen Minuten nutzte der Pokalsieger von 2018 außerdem, um zumindest kleine, aber gute Eindrücke zu hinterlassen. Gegen Union verhinderte Grischa Prömel sein erstes Saisontor kurz vor Schluss, gegen Besiktas lieferte er zwei starke Vorlagen für Haaland und Ansgar Knauff.

Erhält überraschend viel Spielzeit beim BVB: Marius Wolf, der schon auf dem Abstellgleis stand.getty

Wolf: In Nürnberg weggeschickt, in Frankfurt Pokalsieger

Es ist Wolf, der seit seinem Wechsel von Eintracht Frankfurt zum BVB 2018 bereits zweimal verliehen wurde, anzumerken, dass er geblieben ist, um sich durchzubeißen und nicht als Dauerstatist auf dem Spielberichtsbogen zu stehen. Es ist ein Kampf, den er gewohnt ist.

Einst schickten sie ihn mit 16 Jahren aus dem Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg weg, bei Hannover durfte er fast ausschließlich in der Reserve ran. Erst in Frankfurt klappte es mit dem Durchbruch. Auch, weil er in Kevin-Prince Boateng einen selbst auserkorenen "Bruder" an seiner Seite hatte. "Schau mich an, ich habe es in deinem Alter verzockt", soll er Wolf gesagt haben.

Hummels-Rückkehr für den BVB elementar

Nach Spielschluss scherzte Mats Hummels noch über seine lädierten Knie. Einen dicken Eisbeutel hatte er sich um das linke geschnürt und sagte: "Normalerweise brauche ich das auf beiden nach jedem Training."

Hummels und das Knie. Das war spätestens seit seiner Rückkehr von der EM beim BVB ein Dauerthema. Eine Entzündung der Patellasehne machte dem BVB-Abwehrchef so sehr zu schaffen, dass er den Saisonauftakt verpasste und auch danach noch keine Option für die Startelf war.

Neun Gegentore kassierte der BVB in der Liga ohne Hummels in der Startelf und wirkte defensiv einmal mehr sehr anfällig. Zwar kassierten die Dortmunder auch bei der Startelf-Rückkehr von Hummels gegen Besiktas ein und gegen Union gar zwei Gegentore, allerdings wirkte das Abwehrkonstrukt abgesehen von der chronischen Schwäche bei Standards besonders gegen die Eisernen wesentlich stabiler.

"Bis zum 3:0 bin ich sehr zufrieden", merkte Hummels selbst an: "Wir haben das gegen einen sehr unangenehmen Gegner sehr gut gemacht und ihn komplett vom Tor weggehalten. Das Abseitstor nach 40 Sekunden war bis zum Elfmeter die einzige Chance."

Hummels mit starker Leistung gegen Union

Tatsache: Über 60 bis 70 Minuten ließen die Schwarzgelben nahezu nichts zu, was auch an Hummels lag. 75 Prozent gewonnene Zweikämpfe, 80 Prozent gewonnene Kopfballduelle, 91 Prozent Passquote, dazu leitete er mit einer starken Grätsche gegen Taiwo Awoniyi das 2:0 ein und bereitete das 4:2 mit einem starken Ball auf Haaland vor.

Das zeigt: Der 32-Jährige ist nach wie vor und trotz der ordentlichen Eindrücke, die Marin Pongracic hinterließ, unersetzbar und elementar für den BVB - zumal Hummels sogar eine Lösung parat hat, um "das Muster" der Dortmunder, selbst hohe Führungen noch verspielen zu können, zu durchbrechen.

"Wir müssen den Gegner dann mit dem Ball tot spielen, wir müssen die Räume besser besetzen", sagte Hummels: "Wir machen das Spiel zu klein, verlieren die Bälle zu leicht. So bringen wir einen Gegner wieder ins Spiel, der eigentlich gar nicht mehr wollte. Nach dem 3:0 hatte Union akzeptiert, dass sie heute verlieren und wir bringen sie wieder rein, weil wir unseriös und nicht erfolgsorientiert spielen." Das könnte sich mit einem dauerhaft fitten Hummels womöglich wieder ändern.

BVB-Stürmer Haaland: Steigerung von absurd ohne Schwächen

DAZN-Experte Sandro Wagner suchte in der 82. Minute verzweifelt nach einer Steigerung für Weltklasse. Denn dieser Ausdruck sei für Erling Haaland schlichtweg "untertrieben". Soeben hatte der Norweger per traumhaftem Heber gegen Union für die Entscheidung gesorgt und das Westfalenstadion einmal mehr in Ekstase versetzt.

Es war sein 68. BVB-Tor im 67. Pflichtspiel - eine absurde Torquote. Und so war es folgerichtig, dass schon in der Nachspielzeit lautstarke "Erling Haaland"-Sprechchöre durch die Arena waberten. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Haaland in der Nachspielzeit auch noch das nächste Kunststück gelungen wäre und seine Hacken-Direktabnahme im Zlatan-Ibrahimovic-Style den Weg ins Tor gefunden hätte. Es wäre eine Steigerung von "absurd" nötig gewesen, um das zu beschreiben, wobei es "absurd" schon ganz gut trifft.

Selbst die Dinge, bei denen Haaland einst "ganz, ganz schwach" war, kann er mittlerweile vortrefflich. So beschrieb Hummels Haalands Kopfballspiel bei dessen Ankunft in Dortmund.

Hummels mit Lobeshymne auf Haaland

"Edin (Terzic, Anm. d. Red.), Erling und ich haben ganz oft bei Flanken trainiert, trainiert und trainiert und jetzt sieht man, was er dafür bekommt", sagte Hummels nach der Partie, in der Haaland nur eine Woche nach seinem Kopfballtor gegen Leverkusen erneut per Kopf traf. Es waren die Karriere-Kopfballtore sieben und acht des Norwegers.

"Er kriegt einfach nochmal bestimmt zehn Saisontore mehr dadurch, dass er sein Kopfballspiel so verbessert hat", sagte Hummels. Wo das mit dem erst 21 Jahre jungen Ausnahmestürmer noch hinführen soll? "Er wird über die nächsten 15 Jahre durchgehend einer der drei besten Stürmer der Welt sein."

Oder um es mit den ironischen Worten von Rose auszudrücken: "Herzlichen Glückwunsch an alle Gegner, die da noch auf uns zukommen."

BVB-Spielplan in den kommenden Wochen

TerminBegegnung
SA, 25.09., 18.30 UhrGladbach - BVB
DI, 28.09., 21.00 UhrBVB - Sporting Lissabon
SA, 2.10., 15.30 UhrBVB - FC Augsburg
SA, 16.10., 15.30 UhrBVB - 1. FSV Mainz 05