Im Sommer musste der VfB Stuttgart erstmals seit 41 Jahren wieder den Gang in die 2. Liga antreten. Eine bittere Pille für den waschechten Schwaben und Kapitän Christian Gentner. Im Interview mit SPOX spricht er über die schmerzhafte Sommerpause, Gespräche mit Teamkollegen und den Druck, aufsteigen zu müssen.
SPOX: Herr Gentner, Sie haben sich vor einiger Zeit selbst als Zweitliga-Laie bezeichnet. Wie fühlt man sich als Anfänger?
Christian Gentner: Ich hatte in meiner bisherigen Profi-Karriere das Privileg und auch das Glück, dass ich immer in der Bundesliga gespielt habe. Deshalb konnte ich vor der Saison nicht richtig einschätzen, wie gut ich mich in der Liga und mit der neuen Ausgangsposition zurechtfinden würde. Umso schöner ist es, dass es jetzt ganz gut angelaufen ist.
SPOX: Was läuft anders in der 2. Liga?
Gentner: Die Mannschaften spielen gegen uns mit deutlich weniger Risiko. Sie wollen die Bälle im gefährlichen Bereich nicht verlieren, da sie zum Teil großen Respekt vor uns haben. Dadurch ist das Spiel des Öfteren auf einem niedrigeren Level und das Niveau sinkt im Vergleich zur Bundesliga. Was die Fans jedoch veranstalten, ist gewaltig. Von der ganzen Kulisse und der Atmosphäre her hat das nicht viel mit 2. Liga zu tun. Wir haben regelmäßig 50.000 bis 60.000 Zuschauer in der Mercedes-Benz Arena und spielen sogar oft vor ausverkauftem Haus.
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SPOX: In den letzten drei Runden hatte der VfB höchstens neun Siege. Diese Marke hat die Mannschaft inzwischen schon übertroffen. Ist es nicht schön, regelmäßig mal wieder zu gewinnen?
Gentner: Einerseits natürlich schon. Es ist schön, dass wir nicht wie in den letzten Jahren im Abstiegskampf stecken. Das löst auch bei den Fans wieder eine ganz andere Lust aus. Die Chance auf einen Heimsieg sind ganz einfach höher. Das tut dem Umfeld, den Fans und uns Spielern gut - auch wenn es eine Liga weiter unten ist. Allerdings muss ich auch klar sagen, dass wir uns möglichst bald wieder in der Bundesliga mit den Besten messen wollen.
SPOX: In Ihren Worten schwingt immer noch ein wenig Wehmut mit. Ist der Schmerz des Abstiegs denn inzwischen verdaut?
Gentner: Es ist nicht entscheidend, ob der Abstieg verdaut ist oder ob man hin und wieder noch an die Bundesliga denkt. Wichtiger ist, dass wir als Mannschaft die 2. Liga mit all den Ecken und Kanten angenommen haben. Das spiegelt sich in vielen Dingen wider. Beispielsweise in der Art, wie Fußball gespielt wird. Oder auch in der Rolle, die wir als Favorit annehmen mussten. Man muss der Liga Respekt entgegenbringen.
SPOX: Haben Sie noch im Kopf, was Ihnen beim Abpfiff am 34. Spieltag durch den Kopf geschossen ist?
Gentner: Das war schon ein Moment, in dem ich es richtig realisiert habe: Wir müssen nach so vielen Jahren wieder in die Zweitklassigkeit. Die Woche davor mit der Niederlage gegen Mainz war ebenfalls sehr emotional. An dieses Heimspiel hatten wir uns geklammert und viele haben gehofft, dass wir da den Bock noch mal umstoßen können. Das ist uns nicht gelungen, deshalb war der Abstieg da schon ziemlich nahe.
SPOX: Inwiefern fühlen Sie sich als Kapitän und waschechter Schwabe besonders verantwortlich für den Abstieg?
Gentner: Alle Personen mit einer entsprechenden Funktion im Verein sollten sich da verantwortlich fühlen. Da kann sich niemand herausreden.
SPOX: Wie haben Sie die Sommerpause verbracht?
Gentner: Ich war sehr wenig in Stuttgart. Ich wollte nicht zu Hause und in der Nähe des Vereinsgeländes sein. Weniger, weil ich keine Lust auf Gespräche beim Bäcker hatte. Damit habe ich keine Probleme. Ich wollte einfach komplett abschalten und auch nicht lesen, was die Zeitungen schreiben. Ich war deshalb längere Zeit mit meiner Familie im Urlaub. Dennoch beschäftigt dich das Thema Abstieg in dieser Phase natürlich täglich. Man kann das nie den kompletten Tag ausblenden. Aber die 2. Liga ging ja früher los, deshalb war die Pause insgesamt gar nicht allzu lange.
SPOX: Mussten Sie sich in dieser Zeit vor Augen führen, dass es eben wichtigere Dinge gibt als Fußball?
Gentner: Das versuchst du, klar. Aber das sieht du als Fußballer in solchen Situationen nicht zwingend so. Wir haben eine Verantwortung für die ganze Region und alle Menschen, die sich mit dem Verein identifizieren und die lange Geschichte des Klubs leben. Wenn dieses Aushängeschild plötzlich zweitklassig ist, ist das schwer zu verkraften.
SPOX: War von Anfang an klar, dass Sie den Verein in die 2. Liga begleiten?
Gentner: Es war keine Entscheidung, die ich über Nacht gefällt habe. Ich habe mich mit meiner Familie und zahlreichen Leuten ausgetauscht, die mir wichtig sind. Von dort habe ich mir Ratschläge eingeholt und im Anschluss beschlossen, dass ich meinen Teil zum Aufstieg beitragen will.
SPOX: Es wurde berichtet, dass Sie andere Spieler vom Verbleib überzeugen wollten. Was waren Ihre Argumente?
Gentner: Im Verein herrschte grundsätzlich eine große Unsicherheit. Viele wussten nicht, wie der Kader in der nächsten Saison aussieht und wie es weitergeht. Natürlich haben wir Spieler uns da auch untereinander ausgetauscht. Das waren freundschaftliche Gespräche, in denen wir auch über die Zukunft einzelner gesprochen haben. Ich war überzeugt, dass der Verein die Möglichkeiten hat, einen starken Kader zusammenzustellen. Das habe ich den Jungs gesagt. Ich wollte aber niemanden überreden. Denn jeder hat nur eine Karriere und muss selber wissen, was am besten ist.
SPOX: Präsident weg, Sportvorstand weg, Trainer weg - der VfB war nach dem Abstieg komplett kopflos. Hatten Sie ein ungutes Gefühl, dass Männer aus der Wirtschaft die Zukunft des Vereins planen?
Gentner: Die Phase nach der Saison war sicherlich schwierig. Durch die zahlreichen Abgänge ist ein Vakuum entstanden. Da bis zum Saisonstart wenig Zeit war, mussten recht schnell Entscheidungen getroffen werden. Höchste Priorität hatte deshalb die Verpflichtung eines Trainers.
SPOX: Sollte nicht zunächst ein Sportdirektor geholt werden?
Gentner: Der Verein war in einer schwierigen Situation und hatte wenig Zeit zu handeln. Am Ende hat es nicht wie gewünscht funktioniert. Vielleicht war die Reihenfolge nicht optimal. Aber am Ende ist man bekanntlich immer schlauer.
SPOX: Hat denn Aufsichtsratchef Martin Schäfer im Sommer nicht bei Ihnen angeklopft und nach Ihrer Meinung gefragt?
Gentner: Wir tauschen uns regelmäßig aus.
SPOX: Kam der Rücktritt von Jos Luhukay auch für die Spieler aus heiterem Himmel oder zeichnete sich das bereits ab?
Gentner: Das war für uns schon überraschend. Wir hatten keinen optimalen Start in die Saison, aber es sah dennoch nicht nach einem Trainerwechsel aus. Abseits des Platzes hat es eben nicht gepasst. Deshalb war es im Nachhinein auch der einzig logische Schritt. Das ist allerdings alles Schnee von gestern. Ich bin davon überzeugt, dass jetzt in eine Richtung gedacht und gehandelt wird.
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SPOX: Sie sprechen den Umbruch an. Auf den eher altmodisch wirkenden Luhukay kam mit Hannes Wolf ein erfrischender Trainer. Was hat sich in der täglichen Arbeit verändert?
Gentner: Obwohl ich inzwischen schon viele Trainer erlebt habe, vergleiche ich einzelne ungern miteinander. Denn jeder hat seinen eigenen Stil. Hannes Wolf ist ein junger Coach, der in seiner Art sehr motivierend ist. Er geht häufig ins Detail. Das tut dem Team sehr gut.
SPOX: Wie sieht das aus?
Gentner: Er legt großen Wert auf ein sehr sauberes Passspiel. Die Fortschritte merken wir bereits. Wir machen zudem sehr viele detaillierte Videoanalysen von unserem Training, dem Gegner und von anderen Mannschaften. Die angesprochenen Themen werden dann im nächsten Training umgesetzt.
SPOX: Der VfB befindet sich medial in einer schweren Situation. Fast alle rechnen mit einem Durchmarsch. Kämpft Stuttgart überhaupt noch gegen den Gegner oder nur gegen sich selbst?
Gentner: Der Gegner sollte und muss immer das größte Problem sein. Das ist aber auch jedem einzelnen von uns klar. Wir haben schon einige Male festgestellt, dass wir auch in der 2. Liga gegen sehr gute Mannschaften spielen müssen. Viele wollen nach oben, wir gehören zu dieser Gruppe. Wir sind momentan nicht so weit, dass wir uns da absetzen oder abheben können. Es wird bis zum Ende der Saison eine enge Geschichte.
SPOX: Ist es nicht nervig, immer auf diesen Favoritenstatus angesprochen zu werden? Das nimmt ja schon Züge wie beim FC Bayern an.
Gentner: Ich weiß nicht, wo die Leute, die den VfB schon jetzt in die Bundesliga reden, die Überzeugung hernehmen. Wir waren letzte Woche noch Tabellenzweiter und nur wenige Punkte vom Dritten entfernt. Es gibt viele andere Mannschaften mit hoher Qualität, die auch das Ziel haben, oben mitzuspielen. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Bis Weihnachten haben wir ein schweres Programm vor der Brust. Erst nach der Vorrunde können wir ein Zwischenfazit ziehen.
SPOX: Die 2. Liga ist für den VfB auch die Möglichkeit, sportlich eine solide Basis zu schaffen. Könnte dieses Ziel mit dem Aufstieg kollidieren?
Gentner: Das primäre Ziel ist es, in die Bundesliga aufzusteigen. Daran muss wirklich alles gesetzt werden. Sollte das klappen, hätte der Verein in der kommenden Sommerpause immer noch die Möglichkeit, auf verschiedenen Positionen nachzurüsten. Wenn wir es schaffen, Stabilität ins Team zu bekommen und gleichzeitig Spieler mit großer Perspektive einzubauen, dann wäre das der Optimalfall.
SPOX: Was würde passieren, wenn der VfB in der 2. Liga bleibt?
Gentner: Das wäre sicherlich schlecht für den Verein. Über diese Szenarien denke ich allerdings nicht wirklich nach. Jetzt haben wir die große Chance und die müssen wir nutzen.