Cristiano Ronaldos Wechsel zu Manchester United aus drei Blickwinkeln: Von Fußball-Romantik keine Spur

Philipp Schmidt
28. August 202113:26
Cristiano Ronaldo kehrt zu Manchester United zurück.getty
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Nach einem äußerst turbulenten Freitag mit mehreren Wendungen steht der neue und alte Arbeitgeber von Cristiano Ronaldo fest: Es ist tatsächlich Manchester United. Wie ist der Schritt für CR7 selbst zu bewerten? Welchen sportlichen Einfluss kann er auf der Insel noch haben? Und war die Zeit bei Juve eine einzige Enttäuschung?

SPOX und Goal beleuchten den Transfer aus drei verschiedenen Perspektiven.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von CR7

"Welcome Home". Es brauchte nur zwei Worte, um am Freitagnachmittag in Form eines Tweets eine Lawine in der Fußballwelt loszutreten. Und darüber hinaus. Golf-Superstar und United-Fan Rory McIlroy verriet am Rande eines Turniers in den USA, vor Freude geweint zu haben - wegen CR7.

United gab also die Rückkehr des verlorenen Sohnes bekannt, die künftigen Teamkollegen können die bevorstehende Ankunft des Messias - vorbehaltlich medizinischer Untersuchungen, Visa und letzter Vertragsdetails - kaum erwarten.

Juan Mata berichtete von Nachrichten von Leuten, die sich seit Jahren nicht mehr bei ihm gemeldet hatten. Jadon Sancho kündigte "beängstigende Stunden" für die kommenden Gegner an und Raphael Varane freute sich über eine Wiedervereinigung mit seinem ehemaligen Real-Mitspieler. Und United-Legende Rio Ferdinand nickte einfach nur.

War es genau diese Wertschätzung, die Ronaldo in den vergangenen Monaten in Turin gefehlt hat (siehe auch Punkt 3), wo sein Vertrag eigentlich noch ein Jahr gültig war? Bereits beim Saisonauftakt gegen Udine, als CR7 erst nach einer Stunde eingewechselt wurde, zeigte sich, dass hinter den Kulissen wohl bereits Bewegung herrscht - auch wenn Trainer Massimiliano Allegri die Reservistenrolle seines Superstars mit physischem Nachholbedarf begründete.

Wenige Tage später war das Tischtuch dann endgültig zerschnitten, am Donnerstag informierte Ronaldo die Bosse über seinen endgültigen Wechselwunsch. Diese erwiderten, dass ein Transfer keinesfalls ablösefrei erfolgen dürfe, CR7-Berater Jorge Mendes konnte zu diesem Zeitpunkt laut der Gazzetta dello Sport kein konkretes Angebot eines anderen Klubs nennen. Ein Zeichen dafür, dass der Heilsbringer-Status des Portugiesen der Vergangenheit angehört (Kommentar).

Ronaldo zu United: Über Umwege zurück zur alten Liebe

Doch trotz einer für heutige Verhältnisse geradezu mickrigen Ablöseforderung - United zahlt nach Informationen von SPOX und Goal 15 Millionen Euro plus bis zu acht Millionen Euro an Bonuszahlungen für den 36-Jährigen - standen die Bewerber keineswegs Schlange. Ex-Klub Real hat mit Kylian Mbappe andere Prioritäten, der Blick richtete sich folglich nach England, genauer gesagt nach Manchester.

Aller Fußball-Romantik zum Trotz war die Entscheidung für United letztlich deutlich weniger romantisch, als es sich eingefleischte Fans der Red Devils wünschen würden. Berater Mendes bot seinen Klienten nach Informationen von SPOX und Goalbereits im Sommer bei Rivale City an. Ronaldo war trotz früherer Bekenntnisse, niemals für die Skyblues aufzulaufen, zu einem Wechsel bereit.

Diese richteten ihr Augenmerk allerdings auf Spurs-Star Harry Kane. Erst als sich dessen Verpflichtung nicht realisieren ließ, musste CR7 als Plan B herhalten. Am Freitag dann zogen sich die Cityzens gänzlich aus dem Poker zurück, der Weg zu United war frei - dorthin, wo er zwischen 2003 und 2009 zum globalen Mega-Star aufstieg und Real Madrid dazu veranlasste, 94 Millionen Euro in die Industriestadt im Nordwesten Englands zu überweisen.

Von einer emotionalen Bauchentscheidung kann also keine Rede sein, auch wenn Ex-United-Coach Sir Alex Ferguson beim Wechsel wohl eine entscheidende Rolle spielte. Aber das dürfte den heißblütigen Fans der Red Devils spätestens nach der ersten Gala von Ronaldo egal sein.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von Manchester United

Während die sozialen Medien explodierten, blieb die Presseabteilung von United ganz sachlich: "Erfreut" sei man, dass die Rückkehr von Ronaldo realisiert werden konnte, ist auf der Vereinshomepage zu lesen. Jeder im Klub freue sich, Cristiano wieder in Manchester begrüßen zu können. Dabei ist der Wechsel so viel mehr.

Selbst jene, die im ewigen Disput Messi vs. Ronaldo die Seite des kleinen Argentiniers einnehmen, dürften anerkennen, dass CR7 auch im fortgeschrittenen Alter noch zu den besten Spielern der Welt zählt. Arbeitsmoral, Gewinnermentalität, spielerische Klasse, Erfahrung und auch eine entsprechende körperliche Verfassung bringt er weiterhin mit, um Uniteds Qualität zu erhöhen - ganz zu schweigen von der Euphorie, die allein der Name im Umfeld auslösen dürfte.

Der Hunger nach Erfolg ist immens, die letzte englische Meisterschaft liegt bereits acht Jahre zurück. Nach dem Champions-League-Sieg 2008 gewann Ronaldo noch vier weitere Male mit Real die Königsklasse, aus Sicht von United kamen bis heute lediglich der FA-Cup 2016 sowie die Europa League 2017 als (halbwegs) bedeutsame Titel hinzu. Auch der tabellarische Aufschwung in der Premier League (Platz drei und zwei in den vergangenen beiden Saisons) kann darüber nicht hinwegtrösten.

Währenddessen gewann der aufmüpfige Stadtrivale gleich dreimal die Meisterschaft und verpasste den großen Wurf in der Champions League mehrfach nur knapp. United hingegen scheiterte 2020/21 in der Gruppenphase und nahm ein Jahr zuvor gar nicht erst am Wettbewerb teil. Zuvor reichte es für das Viertel- bzw. Achtelfinale. Zu wenig für die Ansprüche der Besitzer, der erfolgsverwöhnten Fans und Trainer Ole-Gunnar Solskjaer.

Der ehemalige Stürmer spielte am Ende seiner aktiven Laufbahn sogar noch mit Ronaldo zusammen und machte bereits vor der Bekanntgabe des Wechsels deutlich, was er von einer Zusammenarbeit halten würde: "Er weiß, was wir über ihn denken. Wenn er Juventus verlässt, weiß er, dass wir hier sind. Cristiano ist eine Legende dieses Vereins, der größte Spieler aller Zeiten, wenn Sie mich fragen."

CR7: Immer noch Fanliebling im Old Trafford

118-mal traf besagte Legende in bisher 292 Spielen für United, hinzu kamen 69 Vorlagen, unzählige Momente für die Ewigkeit und viel Liebe unter den Anhängern. Als er 2013 erstmals mit den Madrilenen ins Old Trafford zurückkehrte, wurde er frenetisch empfangen, an dieser Einstellung zum fünfmaligen Weltfußballer dürfte sich über die Jahre nur wenig geändert haben.

Doch wie passt Ronaldo überhaupt ins taktische Konstrukt der Red Devils? Während eine passende Rolle im laufintensiven System von City mit den schier endlosen Ballbesitzphasen und vielfältigen Defensivaufgaben unter Pep Guardiola nur schwerlich vorstellbar gewesen wäre, ist dies in Uniteds Konterfußball um einiges besser denkbar.

Die Aussage ist klar: Schneller Erfolg soll mit aller Macht her, da wird auch in Kauf genommen, dass Einsatzzeiten von Eigengewächsen wie Mason Greenwood oder Marcus Rashford (und auch Edinson Cavani, der zudem seine Nummer sieben verlieren könnte) möglicherweise zurückgehen. Doch reicht die Qualität um die Topspieler Varane, Sancho, Pogba oder Fernandes wirklich aus, um auf nationaler und internationaler Ebene höchsten Ansprüchen zu genügen?

Ein erster Schritt zum Schließen der Lücke ist gemacht, im direkten Duell mit City dürfte man sich zumindest vorerst als Sieger fühlen: Während den Skyblues "nur" die Verpflichtung von Jack Grealish gelang und sie bei Messi und Kane leer ausgingen, spielt ein weiteres Prestige-Objekt nun auf der roten Seite der Stadt. Balsam für die geschundene Fanszene.

Was dem Renommee der Liga auch nicht schaden dürfte: Eine Ballung der ganz großen Namen bei einigen wenigen Klubs wurde verhindert. Kane weiter bei den Spurs, Lukaku zu Chelsea, Grealish zu City und nun eben Ronaldo zu United: Die TV-Anstalten können sich auf hervorragende Einschaltquoten freuen.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von Juventus Turin

Es hätte alles so schön werden sollen: 117 Millionen Euro überwies die Alte Dame 2018 nach Madrid und hoffte, mit CR7 das finale Stück auf dem Weg zum Triumph in der Königsklasse gefunden zu haben. Drei Jahre (und drei Ausscheiden im Achtel- und Viertelfinale) später lässt sich konstatieren: Dieses Bestreben ist krachend gescheitert. Dass sich Inter in der letzten Saison die nationale Meisterschaft sicherte, setzt dem Misserfolg die Krone auf.

"Ich habe mein Herz und meine Seele für Juventus gegeben und werde die Stadt Turin immer lieben, bis zu meinen letzten Tagen", richtete sich Ronaldo auf Instagram an die Juve-Fans und erklärte, dass man trotz allem gemeinsam Großes erreicht habe. "Ich werde immer einer von euch sein. Ihr seid nun ein Teil meiner Geschichte, genau wie ich mich als ein Teil der euren fühle. Italien, Juve, Turin, Tiffosi bianconeri - ihr werdet immer in meinem Herzen sein."

Diese dramatische Botschaft nahmen ihm nicht alle ab. Dass sich CR7 bei "Tiffosi" einen Rechtschreibfehler erlaubte und sich zuvor bereits mit "Grazzie" bei den Anhängern bedankte, veranlasste beIn Sports-Journalist Tancredi Palmeri gar zur Frage, ob er sich keinen Übersetzer für zehn Euro leisten könne. Die Tageszeitung Il Messaggero merkte spöttisch an: "Cristiano Ronaldo und die Italiener, nicht wirklich eine Geschichte der großen Liebe."

Trainer Allegri, dem Ronaldo erklärte, nicht in Turin bleiben zu wollen, nahm seinen Ex-Spieler dennoch in Schutz: "Ich bin nicht enttäuscht. Großartige Spieler kommen und gehen. Er hat drei Jahre alles für den Verein gegeben, jetzt geht er - und das Leben geht weiter." CR7 habe sich bereits am Montag von der Mannschaft verabschiedet, am Freitag verließ er das Trainingsgelände bereits nach 40 Minuten wieder - ein letztes Mal.

134 Pflichtspiele bestritt er für Juve, traf 101-mal und bereitete 22 Treffer vor. Von einer (zumindest statistisch) völlig erfolglosen Ära kann also keine Rede sein. Mit 29 Toren wurde er in der abgelaufenen Saison Torschützenkönig, im Anschluss wies er bei der EM nach, dass er auf seine alten Tage nichts verlernt hat. Doch eine perfekte Symbiose war es nie.

Cristiano Ronaldo: "Er behindert Juventus' Angriffsspiel"

"Ronaldo behindert Juventus' Angriffsspiel. Ohne ihn sind sie in der Lage, als Kollektiv exzellente Dinge zu vollbringen", schoss der ehemalige Juve-Präsident Giovanni Cobolli Gigli jüngst bei SerieANews gegen CR7. Es sei für ihn und den Klub am besten, wenn er sich schnellstmöglich einen neuen Arbeitgeber suche. So ist es nun gekommen: Ronaldo startet an vertrauter Wirkungsstätte einen neuen Anlauf, Juve ging in puncto Ablösesumme zumindest nicht gänzlich leer aus und kann den Topverdiener von der Gehaltsliste streichen.

Bereits vor der offiziellen Bekanntgabe schossen die Gerüchte um mögliche Nachfolgekandidaten durch die Decke. Sky Italia brachte mit Mauro Icardi, Moise Kean, Sassuolos Gianluca Scamacca und Gabriel Jesus gleich vier Kandidaten ins Spiel. Nach Informationen von SPOX und Goal steht eine Rückkehr von Kean zur Alten Dame unmittelbar bevor. Kean soll bereits am Samstag in Turin ankommen, am Sonntag soll nach dem Medizincheck eine zweijährige Leihe mit einer Kaufpflicht über 20 Millionen Euro finalisiert werden. Der 21-Jährige stammt aus der Juve-Jugend und wechselte 2019 für 27,5 Millionen Euro zu Everton.

An den Berichten der Marca, wonach die Turiner eine Verpflichtung von Real-Sorgenkind Eden Hazard in Erwägung ziehen, ist nach Infos von SPOX und Goalnichts dran. Zwar ist abgesehen von Vinicius Jr. und Karim Benzema jeder Offensivspieler zu haben, bisher hat es jedoch keine Kontaktaufnahme seitens Juventus gegeben.

Vor Kean wurde mit Youngster Kaio Jorge bereits ein Mittelstürmer unter Vertrag genommen, dieser fehlt allerdings vorerst aufgrund einer Muskelverletzung und muss seine Tauglichkeit sowieso erst unter Beweis stellen. Abgesehen von Alvaro Morata fehlt es ansonsten an Spielern im Kader, welche die Rolle in vorderster Front ausfüllen können.

Hinsichtlich der Partie gegen Empoli am Samstag erklärte Allegri, dass er auch Federico Chiesa als Stürmer erachte und Morata "gut" sei, die Last müsse sich nun allerdings auf mehrere Schultern verteilen. "Es gibt keine Ausreden, diese sind für Verlierer und diejenigen, die schwach sind." Klar ist aber dennoch: Das Erbe von Ronaldo ist groß, auch wenn das Kapitel in Turin nicht so vonstatten ging, wie es sich alle Beteiligten erhofft hatten.

Cristiano Ronaldo: Statistiken für United, Real und Juventus

KlubSpieleToreVorlagenGelbe KartenMinuten
Juventus Turin134101221311.508
Real Madrid4384501325437.833
Manchester United292118693822.342