Parasite, Squid Game, Hellbound, All of Us Are Dead - wer regelmäßig Netflix und Co. nutzt, kommt an den Produktionen eines Landes derzeit nicht vorbei: Südkorea. Egal, ob Musik, Mode, Serien oder Filme, die Popkultur des ostasiatischen Landes boomt und ist rund um den Globus längst auf Siegeszug. Der Hype hat mit dem Wort "Hallyu" sogar eine eigene Bezeichnung. Übersetzt bedeutet der Begriff so viel wie "koreanische Welle" - die mehr und mehr auch in der Bundesliga ankommt.
Mit Dong-gyeong Lee (Schalke), Dong-jun Lee (Hertha) und Ji-han Lee (Freiburg II), sowie Hyun-ju Lee, den sich überraschenderweise die Bayern für ihre Regionalligamannschaft sicherten, wechselten in der Winterpause gleich vier Spieler aus Südkorea nach Deutschland. 23 Transfers aus dem 52 Millionen-Einwohner-Staat in die 1. oder 2. Bundesliga gab es bislang insgesamt, davon alleine sieben seit 2018.
Hinzu kommen unzählige Wechsel in unterklassige Ligen (selbst Unterhaching schlug schon zu) oder in die Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs. Was steckt also hinter dem Korea-Boom in der Bundesliga?
Einer, der die Entwicklung maßgeblich mit angestoßen hat, ist Thies Bliemeister. Der Hamburger, heute Spielerberater bei der Agentur ICM Stellar, vereinbarte 2008 mit dem südkoreanischen Fußballverband (KFA) ein Austauschprogramm im Nachwuchsbereich. Sechs Talente wagen damals im Teenager-Alter den Sprung nach Deutschland. Drei gehen nach Nürnberg, drei nach Hamburg. Darunter auch: Heung-Min Son.
Der Stürmer schlägt nach seiner Ausbildung beim HSV voll ein, wechselt 2013 für 12,5 Mio. Euro erst nach Leverkusen, zwei Jahre später für 30 Mio. Euro schließlich in die Premier League zu Tottenham. Heute ist Son der DER Fußball-Star in Südkorea. Und nicht nur für Bliemeister der Türöffner. Sons Entwicklung in Hamburg gilt in Südkorea noch heute als Musterbeispiel dafür, dass sich ein Wechsel nach Deutschland so richtig lohnen kann.
Schalke schnappt sich Lee: "Unglaublicher Torabschluss"
"Das Projekt rund um Son war aus meiner Sicht das beste überhaupt. Die Spieler konnten in jungen Jahren im Ausland viel lernen, sich vor allem taktisch entwickeln", sagt Bliemeister rückblickend zu SPOX und GOAL und nimmt damit gleichzeitig schon einen Teil der Analyse vorweg. Dass sich immer mehr deutsche Vereine für südkoreanische Spieler interessieren, liege vor allem an ihrer Technik und Lernwilligkeit. Korea-Experte Bliemeister: "Das fällt den Scouts natürlich auf. Taktisch gibt es oft Defizite. Aber weil die Jungs so schnell lernen, holen sie das schnell nach."
Darauf setzt jetzt auch Schalke. Der Pott-Klub schlug im Winter bei Ulsan Hyundai zu, verpflichtete mit Dong-gyeong Lee den ersten südkoreanischen Spieler der Vereinsgeschichte. Der 24-Jährige Mittelfeldspieler ist bis Sommer ausgeliehen, soll den Konkurrenzkampf in der Offensive verschärfen und Schalke zum Aufstieg verhelfen. Überzeugt er, kann ihn der Absteiger per Kaufoption fest verpflichten.
"Er hat einen unglaublichen Torabschluss, ist technisch wahnsinnig gut ausgebildet, dazu brutal spielintelligent", glaubt Bliemeister an seinen Klienten. "Meines Erachtens hätte er schon früher nach Europa wechseln müssen, da waren wir aber noch nicht seine Berater."
Südkoreaner in die Bundesliga? "Wurde anfangs ausgelacht"
Südkoreaner in die Bundesliga zu vermitteln war für Martin Rath anfangs nicht leicht. "Als ich mit den ersten Spielern in Deutschland unterwegs war, wurde ich eher ausgelacht: 'Was, ein Koreaner?!' Südkorea hatten viele einfach nicht auf dem Zettel", sagt der Berater schmunzelnd zu SPOX und GOAL.
Während Pionier Bliemeister 2008 den Grundstein für den Südkorea-Booms legte, spezialisierte sich Rath mit seiner Agentur Apertura Sports ab 2010 genau auf diese Nische. "Das haben wir bewusst so gemacht. In der Gründungsphase machte es für uns wenig Sinn, in den Wettbewerb zu etablierten Agenturen in Deutschland zu treten", erklärt der Jurist. "Asien und insbesondere China war unser Zielmarkt, später hat sich unser Netzwerk und Fokus dann auf Korea verstärkt."
Rath eröffnet ein Büro vor Ort, intensiviert mit einem Partner vor Ort das Scouting. Mit schnellem Erfolg. 2011 transferiert er Ja-cheol Koo für 2 Mio. Euro zum VfL Wolfsburg. Für seine Beraterfirma der Startschuss einer nachhaltigen Entwicklung.
gettySüdkoreaner in die Bundesliga: Das ist der Schlüssel zum Erfolg
23 Spieler aus Südkorea hat Apertura aktuell im Portfolio - mehr als jede andere Agentur in Deutschland. Die Deals um Dong-jun Lee (Hertha), Hyun-ju Lee (Bayern II) und Ji-han Lee (Freiburg II) fädelte alle Rath ein.
"Der koreanische Fußball hat sich in den letzten zehn Jahren unglaublich entwickelt", sagt Rath und hebt wie Bliemeister vor allem die gute Technik seiner Klienten hervor: "Ich kenne kaum einen Spieler, der nicht beidfüßig ist."
Doch woran liegt das? Rath sieht vor allem eine strukturelle Ursache: "Die Kinder spielen jeden Tag Fußball, werden aber taktisch nicht so geschult wie in Deutschland. Deshalb kriegen sie viele Qualitäten nicht abtrainiert. Statt den sicheren Pass zu spielen, finden Sie noch viele Typen, die ins Eins-gegen-Eins gehen."
Eine individualisierte Ausbildung im Jugendbereich also als Schlüssel zum Erfolg - mit dem Fokus eher auf Technik statt auf Taktik?
"Bis vor fünf Jahren gab es keine Jugendmannschaften"
Genau das monierte vor einigen Jahren Mehmet Scholl, mit einer in der Wortwahl fast schon legendären Kritik an Trainern wie Domenico Tedesco oder Hannes Wolf, die als Spieler selbst nie Profis waren. Scholl sagte damals: "Die Kinder dürfen sich nicht mehr im Dribbling probieren. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen."
Rath schmunzelnd: "Er hat nicht ganz unrecht. In Deutschland sah man Südkorea vor ein paar Jahren als rückständig an. Mittlerweile sieht man aber, dass uns eine gewisse Individualität in der Ausbildung vielleicht auch ganz gut tut."
Spannend: Im südkoreanischen Profifußball selbst hatte Talentförderung lange Zeit nicht unbedingt die ganz große Priorität. "Bis vor fünf Jahren gab es keine Jugendmannschaften in den Profivereinen. Die waren angegliedert an das Schulsystem. Das hat sich jetzt geändert, so dass es zwei Ausbildungssysteme parallel gibt", erklärt Rath.
Doch nach wie vor entscheiden sich viele Talente - oft auf Wunsch der Eltern - für den Ausbildungsweg an der heimischen Schule. Mit der Folge, dass sie nach dem Abschluss frei für einen Wechsel nach Europa sind. Raths Spieler Ji-han Lee wechselte beispielsweise von der Boin High School in die zweite Mannschaft zum SC Freiburg.
Südkorea: Schwierige Startbedingungen in der K-League
Dass südkoreanische Talente für ausländische Vereine verhältnismäßig einfach zu bekommen sind, liegt auch den schwierigen Startbedingungen in der koreanischen K-League. Rath: "Alter und Erfahrung zählt dort mehr als Talent. Das ist natürlich ein Nachteil für junge Spieler."
Die Liga versucht seit 2021 mit einer Regeländerung entgegenzusteuern und damit quasi die Talentförderung zu fördern. Setzt ein Verein einen U22-Spieler in der Startelf ein und wird ein weiterer eingewechselt, sind statt drei künftig fünf Auswechslungen erlaubt. Ein klarer Wettbewerbsvorteil.
Umgekehrt macht gerade die Aussicht auf viel Spielpraxis Europa und im speziellen Deutschland für koreanische Talente so interessant. Eng damit verbunden ist das europäische Arbeitsrecht. Südkorea zählt wie Japan, Australien, Kanada und die USA zu den sogenannten assoziierten Ländern.
Durch entsprechende internationale Vereinbarungen dürfen Nachwuchsspieler aus den genannten Staaten auch in unterklassigen Ligen spielen - wie es mit Hyun-ju Lee bei Bayern II in der Regionalliga geplant ist. Rath: "Das ist für junge Koreaner natürlich ein riesen Vorteil. Ein 18-Jähriger aus dem Kongo könnte das nicht. Vielen kommen auch deshalb nach Deutschland, weil sie in den letzten Jahren gesehen haben, wie gut das funktioniert."
Deshalb passen Südkoreaner gut in die Bundesliga
Hinzu kommt die Spielweise: Während es in England sehr körperlich zugeht und in Italien eher Wert auf Taktik gelegt wird, passen viele Südkoreaner mit ihren Stärken gut in die Bundesliga.
Technik, Mentalität, Aussicht auf viel Spielpraxis. All diese Dinge bringen jedoch nichts, wenn sich Neuzugänge in ungewohnter Umgebung schwer mit der Akklimatisierung tun. Nicht so bei Südkoreanern in Deutschland. "Da gibt's wirklich null Probleme", berichtet Rath. "Sie kommen aus einer Kultur und einem Wirtschaftssystem, das sehr ähnlich zu unserem ist. Pünktlichkeit und Fleiß werden groß geschrieben. Und selbst das Essen ist ähnlich. Viele unserer Spieler lieben beispielsweise eine Schweinshaxe."
Und sollte es dann doch mal Heimweh geben, reicht ja ein Knopf auf der Fernbedienung. Die koreanische Welle lässt grüßen.