Davy Klaassen von Werder Bremen im Interview: "Werder passt zu meiner Ajax-Prägung"

Ole Frerks
13. September 201913:04
Davy Klaassen kam 2018 vom FC Everton zu Werder Bremen.imago images
Werbung

Davy Klaassen möchte mit Werder Bremen in dieser Saison mal wieder das internationale Geschäft erreichen. SPOX und GOAL sprachen mit dem Niederländer über seine Prägung durch Ajax Amsterdam, Idol Dennis Bergkamp und den "Karriere-Knick" beim FC Everton.

Klaassen erklärte dabei außerdem, warum Europa die richtige Zielsetzung für Werder ist und in welcher Disziplin Florian Kohfeldt neben dem Fußball noch "besessen" ist.

Herr Klaassen, wissen Sie noch, was Sie am Abend des 8. Mai gemacht haben?

Davy Klaassen: Keine Ahnung. Da müssen Sie mir auf die Sprünge helfen.

An dem Abend fand das Rückspiel zwischen Ajax Amsterdam und Tottenham in der Champions League statt.

Klaassen: Achso! Da saß ich natürlich vorm Fernseher und habe Ajax angefeuert. Ich fiebere immer mit der Mannschaft mit, mit vielen Spielern der letzten Saison habe ich ja auch noch zusammengespielt, da passiert das automatisch. Ich werde immer ein Fan von Ajax sein.

Sie hatten bis 2017 beispielsweise noch mit Matthijs de Ligt oder Frenkie de Jong zusammengespielt, bevor Sie selbst die Mannschaft verließen. Wie war es für Sie, aus der Ferne diese magische Saison mitzuverfolgen?

Klaassen: Das hat schon wirklich Spaß gemacht. Als es gegen Real Madrid ging, hat Ihnen eigentlich schon keiner das Weiterkommen zugetraut. Aber dann schlugen sie im Viertelfinale auch noch Juve und gegen die Spurs waren sie auch nah dran, auch wenn es leider nicht ganz gereicht hat. Aber das war natürlich für jeden Ajax-Fan eine großartige Saison. Das hatte niemand so kommen sehen.

Davy Klaassen über Ajax: "Die Philosophie ist die größte Stärke"

Mit vielen jungen Spielern und Eigengewächsen hat Ajax dabei mal wieder die Klasse der eigenen Jugendarbeit unter Beweis gestellt. Sie haben diese legendäre Schule ja auch durchlaufen - können Sie beschreiben, warum Ajax immer wieder so erfolgreich junge Spieler hervorbringen kann?

Klaassen: Für mich persönlich war es einfach ein sehr angenehmes und gutes Umfeld, um mich zu entwickeln, als ich dort mit elf Jahren hinkam. Das entscheidende Merkmal der Ajax-Schule ist die Tatsache, dass im ganzen Verein von Jung bis Alt und von Trainer zu Trainer die Philosophie die gleiche ist. Im Herrenbereich wird natürlich schneller gespielt als bei den Jugendlichen, aber man bekommt von klein auf diesen spielerischen Ansatz, diese Idee vermittelt, wie das Ajax-Spiel auszusehen hat. Und dadurch kann man intern auch leichter aufsteigen und sich etwas leichter für die erste Mannschaft qualifizieren als bei anderen Vereinen, die nicht diesen allumfassenden Ansatz verfolgen.

Könnte ein Verein mit den nötigen finanziellen Mitteln ein ähnliches Modell etablieren?

Klaassen: Ich glaube nicht. Die Philosophie ist meiner Meinung nach die größte Stärke von Ajax. Das ist ein riesiger Vorteil, weil der Ruf über die Jahre entwickelt wurde und viele junge Spieler genau deshalb zum Verein kommen wollen. Sie wissen, was sie dort lernen oder bekommen. Das bleibt auch so, weil die Trainer dort nur dann funktionieren, wenn sie diese Idee verfolgen. Deshalb bleibt Amsterdam immer attraktiv, selbst wenn die erste Mannschaft mal eine Weile nicht so erfolgreich spielt.

Für Sie ging es bei Ajax sehr geradlinig nach oben. 2011 das A-Debüt in der Champions League, 2013 wurden Sie zum Stammspieler, 2014 übernahmen Sie die Nr. 10 von Siem de Jong, eine legendäre Nummer bei Ajax. Sind Sie mit der Wahl einem bestimmten Idol gefolgt?

Klaassen: Mehreren. Als ich jung war, waren Jari Litmanen und Dennis Bergkamp meine Lieblingsspieler. Deswegen wollte ich die Nummer, als sie frei wurde.

Dennis Bergkamp (r.) fungierte bei Ajax als Co-Trainer von Frank de Boer.getty

Davy Klaassen schwärmt von Dennis Bergkamp

Erstmals damit bei den Profis aufzulaufen war wahrscheinlich eine große Ehre.

Klaassen: Ja, natürlich. Und Bergkamp war dann bei Ajax sogar für mehrere Jahre mein Trainer. Das war etwas ganz Besonderes.

Wie muss man sich Bergkamp im Training vorstellen?

Klaassen: Das war schon unglaublich. Er hat nie bei Trainingsspielen mitgemacht, aber bei einigen Einheiten hat er dann ab und zu mal einen Pass gespielt, den Ball gestoppt, geschossen und wir dachten nur: "Wow"! (lacht) Dieses Ballgefühl bleibt für immer. Für mich ist Bergkamp einer der größten Spieler, die es je gegeben hat.

In Ihren letzten beiden Ajax-Saisons waren Sie Kapitän der Mannschaft, das letzte Pflichtspiel für Ajax war das verlorene Europa-League-Finale 2017 gegen Manchester United. Warum sind Sie damals weggegangen von Ihrem Lieblingsverein?

Klaassen: Ich hatte nie eine genaue Vorstellung, wie meine Karriere verlaufen soll. Bei mir war es so, dass ich in den Jahren zuvor einfach das Gefühl hatte, dass ich noch etwas mit Ajax erreichen und bleiben wollte, aber in der Saison änderte es sich dann. Es gab Spiele, in denen ich dachte: "Ach, vielleicht ist es auch mal gut, wenn heute jemand anderes das Tor macht". Das kannte ich so nicht und dadurch habe ich gemerkt, dass ich mal etwas anderes brauchte.

Hatte die Eredivisie für Sie ein wenig den Reiz verloren?

Klaassen: So hart will ich das nicht sagen, aber es war schon so, dass ich eine neue Herausforderung gesucht habe. Für mich war dann der Wechsel zu Everton ein logischer Schritt.

Die Karriere-Stationen von Davy Klaassen

VereinVonBisPflichtspieleToreAssists
Ajax Amsterdam201120171805538
FC Everton2017201816 1
Werder Bremen2018heute4287

Es war offensichtlich ein schwieriges Jahr bei Everton. Sie kamen damals für 27 Millionen Euro Ablöse, wurden dann aber in der Premier League bloß siebenmal eingesetzt und mussten zeitweise sogar zur U23. Wie sehen Sie den Wechsel heute?

Klaassen: Es hatte schon auch etwas Positives. Ich wäre sonst wahrscheinlich heute nicht hier. Und wie gesagt: Ich hatte nicht diesen klaren Plan, weil ich mir meinen großen Traum da schon erfüllt hatte - ich hatte ja bei Ajax gespielt. Und dann wollte ich mich eben woanders ausprobieren, sehen, ob ich mich da auch so durchsetzen kann.

Warum hat es bei Everton nicht geklappt?

Klaassen: Eigentlich ist von Anfang an alles schiefgelaufen. Es kam viel zusammen ... [Everton tauschte in der Saison 17/18 dreimal den Trainer, d. Red.] Es hat irgendwie einfach nicht gepasst. Ich hatte trotzdem ein schönes Jahr dort, habe nette Leute kennengelernt, aber sportlich war das natürlich kein glückliches Jahr.

Davy Klaassen kam beim FC Everton nie wie erhofft zum Zug.getty

Davy Klaassen: Marco Silva gab mir keine Chance

War Ihnen schnell klar, dass Sie nur eine Saison dortbleiben würden?

Klaassen: Nein, ich hatte eigentlich Hoffnung. In der Sommerpause kam damals ein neuer Trainer [Marco Silva, d. Red.] und ich dachte, dass ich vielleicht eine Chance bekomme, aber schon nach wenigen Tagen wurde mir klar gesagt: "Wir haben zu viele Spieler und ich vertraue anderen." Das war aber eigentlich gut so. Ich wusste dann zumindest, woran ich war, und konnte mir den nächsten Schritt überlegen.

Wann haben Sie vom Interesse Werders erfahren?

Klaassen: Das war ziemlich bald nach diesem Gespräch erstmals ein Thema. Aber ich habe mir dann zweieinhalb Wochen genommen, in denen ich wirklich ein bisschen nachdenken musste, wie es jetzt weitergeht und was ich tun soll. Das ging gar nicht in erster Linie um Werder, sondern um mich. Ich habe ein bisschen gezweifelt und wusste nicht, was ich machen soll. Ich habe einfach nur weiter trainiert und auch noch Testspiele absolviert, dabei aber viel nachgedacht. Und dann habe ich mich irgendwann mit Florian Kohfeldt getroffen - und dann war ich mir auch ziemlich sicher.

Das klingt, als habe Ihr Selbstvertrauen unter dieser Saison ziemlich gelitten.

Klaassen: Hinterher lässt sich so etwas immer leicht mit ja oder nein beantworten. In diesem Fall ist das nicht einfach. Ich hatte eigentlich immer Selbstvertrauen, ich dachte mir immer: So wird es nicht bleiben, das wird auch wieder besser. So ist es dann ja auch gekommen. Mir fehlte eher die Richtung als das Selbstvertrauen.

Wie hat Kohfeldt Sie überzeugt?

Klaassen: Ich dachte mir nach der Everton-Saison, dass ich eine Mannschaft brauche, in die ich spielerisch reinpasse, die Fußball so ähnlich denkt und versteht wie ich. Das war bei Everton nämlich nicht so. Und deswegen war mir der Stil sehr wichtig. Ich habe mir einige Spiele aus der vorigen Saison von Werder angesehen, am Tag, bevor ich mich mit ihm getroffen habe. Da dachte ich mir schon, dass das ganz gut passt, vom Ansatz und von der Denkweise her. Und am nächsten Tag hat er das bestätigt und mir auch nochmal ganz klar gesagt, dass und warum er mich gerne holen will. Das war der wichtigste Grund: Werder passt zu meiner Ajax-Prägung.

Die Ablöse war damals zwar deutlich geringer als ein Jahr zu vor bei Everton, trotzdem wurden Sie mit 13,5 Millionen gleich zum Rekordtransfer von Werder. Was für einen Bezug hat man als Spieler zu solchen Beträgen?

Klaassen: Für den Spieler selbst bedeutet das gar nicht so viel. Man merkt natürlich, dass darüber gesprochen wird, dass die Medien und Fans sich dafür interessieren ... es entsteht wohl auch etwas mehr Druck als bei jemandem, der vielleicht für drei Millionen wechselt, die Erwartungen sind ein bisschen anders. Aber am Ende sind es einfach Summen, die für meinen Alltag nichts bedeuten.

Davy Klaassen: "Werder war der richtige Schritt"

Im Sommer gab es bereits wieder mehrere Gerüchte, dass einige Teams Sie haben wollten, unter anderem wurde Lazio Rom genannt. Sind Sie da ins Grübeln geraten, zumal Werder eben nicht die Europa League erreicht hat?

Klaassen: Nein. Werder war für mich der richtige Schritt, ich habe hier den Spaß am Spiel wiedergefunden. Und jetzt bin ich hier in einer Situation, in der ich mich sehr wohl und auch Zuhause fühle. Was für mich ganz wichtig ist: Werder hat mich nach einem schlechten Jahr geholt und mir das Vertrauen gegeben. Dann direkt nach einer Saison wieder zu gehen, hätte sich nicht gut angefühlt. Das mache ich nicht. Deswegen habe ich das für mich ausgeschlossen, egal was auch gekommen wäre.

Wäre es auf der europäischen Bühne nicht leichter, sich wieder für die Nationalmannschaft zu empfehlen? Sie haben 2017 zuletzt für die Niederlande gespielt ...

Klaassen: Natürlich würde ich gerne wieder für die Nationalmannschaft spielen. Aber ich weiß nicht, ob das anderswo leichter wäre. Ich meine: Was muss ich machen? Ich kann mich nur darauf konzentrieren, so gut zu spielen wie möglich, und dann hoffe ich, dass es reicht. So sehe ich das. Ich kann davon nicht alles abhängig machen.

Was macht die Stadt Bremen für Sie aus?

Klaassen: Es ist alles ziemlich relaxt hier. Und man merkt, dass eigentlich die ganze Stadt aus Werder-Fans besteht - das hat mich am Anfang am meisten begeistert. In Holland ist das etwas anders, da bist du Ajax- oder Feyenoord-Fan oder was auch immer, hier ist das eigentlich keine Frage. (lacht) Mir gefällt auch ganz gut, dass man hier nicht weit weg von Amsterdam ist.

Klaassen über Bremen: "Hier herrscht etwas mehr Distanz"

Sie fahren laut Ihrem Instagram-Profil gern mal mit dem Rad durch die Stadt. Werden Sie da häufig angesprochen?

Klaassen: Nein, das finde ich auch ganz gut. Man wird hier oft erkannt und die Leute sagen dann je nach dem letzten Ergebnis "gutes Spiel" oder "Kopf hoch", aber sie würden nicht versuchen dich anzuhalten, um ein Foto zu machen. In Holland sind die Leute sehr direkt, teilweise wird man richtig zu Fotos aufgefordert. Hier herrscht etwas mehr Distanz und Respekt.

Kohfeldt hat sich über die letzten Jahre den Ruf als eine Art Shooting-Star in der deutschen Trainerszene erarbeitet. Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit ihm beschreiben?

Klaassen: Florian ist sehr gut in seinem Job. Er ist besessen von Fußball - immer beschäftigt mit Taktik, mit neuen Ideen, und er ist unheimlich ehrgeizig. Wir als Mannschaft arbeiten alle sehr gerne mit ihm zusammen. Er interessiert sich für die Personen selbst und hat ein offenes Ohr für jedes Thema. Aber wenn es ums Gewinnen geht, ist er wie besessen. Das gilt natürlich auch für Tischtennis!

Er hat mal gesagt, dass Sie nach ihm der zweitbeste Spieler bei Werder sind ...

Klaassen: Ja, das stimmt wohl. Mittlerweile bin ich ganz gut. Ich habe ihn auch schon ein paarmal geschlagen, auch wenn er sich daran wohl ungern erinnert. (lacht)

getty

Europa: "Was soll sonst der Anspruch sein?"

Werder hat erneut die Zielsetzung Europa formuliert, wie schon in der vergangenen Saison, nachdem zuvor mehrere Jahre lang gegen den Abstieg gekämpft wurde. Ist das aktuell ein sinnvoller Anspruch?

Klaassen: Ja. Was soll sonst der Anspruch sein? Zwischen Europa und Abstiegskampf gibt es nichts, was man als richtiges Ziel ausgeben kann. Und wir haben letzte Saison ja gezeigt, dass es möglich gewesen wäre. Wir hätten die Qualifikation eigentlich schaffen müssen, wir haben leider viele Punkte gegen schwächere Mannschaften liegen lassen. Aber das zeigt ja, dass es der richtige Anspruch ist.

In den beiden ersten Spielen in dieser Saison schien sich das mit zwei eher unglücklichen Niederlagen direkt zu wiederholen. Was fehlt in solchen Spielen wie gegen Hoffenheim und vor allem Düsseldorf?

Klaassen: Ja, das ist manchmal bizarr. Unser Spiel gegen Augsburg war wahrscheinlich das schlechteste in der bisherigen Saison, aber das einzige, das wir gewonnen haben. Das lässt sich manchmal nicht wirklich erklären, woran es liegt. Spielerisch ist natürlich auch noch nicht alles perfekt, aber daran arbeiten wir Tag für Tag. Für mich sind das ärgerliche Niederlagen, aus denen man aber lernen kann.

Die Ergebnisse von Werder Bremen in der laufenden Saison

WettbewerbDatumHeimAuswärtsErgebnis
DFB-Pokal10.08Atlas DelmenhorstWerder Bremen1:6
Bundesliga17.08Werder BremenFortuna Düsseldorf1:3
Bundesliga24.08TSG HoffenheimWerder Bremen3:2
Bundesliga01.09Werder BremenFC Augsburg3:2

Inwieweit hat sich der offensive Ansatz durch den Abgang von Fixpunkt Max Kruse verändert?

Klaassen: Unser System ist eigentlich ähnlich, aber die Position wird von verschiedenen Spielern eingenommen. Yuya [Osako, d. Red.] kann dort spielen, Jojo [Eggestein, d. Red.] ebenfalls. Es verteilt sich auf mehr Schultern und je nach Spiel wird vielleicht auch die Rolle etwas anders interpretiert, aber das ist meiner Meinung nach etwas Gutes.

Neben Kruse gab es zuletzt auch bei Maxi Eggestein recht lange Gerüchte um einen Wechsel, bis er seinen Vertrag dann verlängert hat. Haben Sie ihm dazu geraten, vielleicht auch mit der Everton-Erfahrung im Hinterkopf?

Klaassen: Ich habe ihm natürlich gesagt, dass er bleiben soll. Aber eher scherzhaft. Ich habe ihm gesagt: "Bleib mal hier, hier ist besser." Das war aber alles nicht so ernst, es war ja seine Entscheidung. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass er wirklich wegwollte oder dass es kurz davor war, dass er sich dafür entschieden hätte. Ich habe mir nie große Sorgen gemacht. Er weiß auch, was er hier hat, dass er sich hier gut weiterentwickeln kann.