DAZN-Experte Per Mertesacker im Interview: "Ich habe Journalismus als rotes Tuch gesehen"

Jochen Tittmar
16. April 201916:26
Per Mertesacker ist seit dieser Saison DAZN-Experte.dazn
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Seit Beginn der laufenden Champions-League-Saison ist Per Mertesacker Experte bei DAZN. Im Interview vor den Rückspielen im Viertelfinale spricht der Weltmeister von 2014 über sein erstes Mal vor der Kamera und seinen neuen Blick auf den Journalismus.

Zudem spricht Mertesacker, aktuell Leiter der Fußballakademie vom FC Arsenal, über die Reise des FC Liverpool unter Jürgen Klopp, ManUniteds große Lösung und den vermeintlichen Ausverkauf bei Ajax Amsterdam.

Herr Mertesacker, seit Sommer sind Sie nun Experte bei DAZN - eine Aufgabe, die Sie zuvor noch nie innehatten. Haben Sie die Entscheidung schon bereut?

Per Mertesacker: Nicht wirklich. (lacht) Ich freue mich immer wieder, den Weg in die einzelnen Stadien auf mich zu nehmen und nach und nach dieses Gefühl aufzubauen, wieder vor der Kamera zu stehen. Das war zwar während meiner Spielerkarriere permanent der Fall, aber nun hat sich die Perspektive verändert. Mich freut es einfach, in dieser neuen Funktion immer noch am Fußball teilhaben zu können.

Wie groß ist denn die Umstellung auf diese neue Perspektive?

Mertesacker: Es ist eine echte Herausforderung, weil man ja ähnlich wie auf dem Feld auf den Punkt abliefern muss. In mir kommen dann auch dieselben Gefühle auf wie Anspannung und Nervosität. Es wird aber mit jedem Male besser und routinierter - so zumindest mein Eindruck. (lacht) Das war letztlich ein Projekt, bei dem ich nicht genau wusste, wie ich es wahrnehme oder ob es zu mir passt. Ich freue mich jetzt aber, dass ich meine klare Meinung kundtun kann und dies mit meiner mir eigenen Art, ohne mich großartig verstellen zu müssen. Ich kann ich sein - das war mir am Wichtigsten.

Sie haben früher einmal in Ihrer Zeit als Spieler von einer Hassliebe zu Reportern gesprochen. Wie sehen Sie das mittlerweile?

Mertesacker: Ich musste mir vorab schon genau überlegen, ob ich künftig Journalismus betreiben möchte. Ich habe damit ja gar nichts zu tun gehabt und ihn eher kritisiert oder als ein rotes Tuch gesehen. Jetzt kann ich der ganzen Sache aktiv meinen eigenen Stempel aufdrücken und das, was man früher vielleicht kritisiert hat, anders anpacken und bewerten. Ich habe mich bewusst darauf eingelassen und versuche jetzt, auch kritikfähig zu sein. Zumal mir gerade diese Mischung gefällt: Ich kommentiere das Spiel mit, kann punktuell aber immer wieder aus eigener Erfahrung sprechen und mich in die Situation der Spieler und in ihre Gefühlswelt hineinversetzen.

Sie haben für Ihre Einsätze gute Kritiken bekommen. Waren Sie darüber erleichtert?

Mertesacker: Ich war froh, als wir speziell das erste Mal hinter uns gebracht haben und das allgemeine Feedback dann auch gut war. Das gebe ich gerne zu. Ich bin aber weiter nur Rookie in diesem Business und daher kritik- wie lernfähig, solange es konstruktiv bleibt. Natürlich interessieren mich die Rückmeldungen von DAZN am meisten. Das betrifft im Grunde auch immer die gesamte Produktion und nicht nur mich, denn hinter all dem, was man letztlich auf dem Bildschirm sieht, steckt so dermaßen viel. Und mir ist es als Teil des Teams wichtig, dass da alles läuft und eine grundsätzliche Zufriedenheit herrscht.

Kommen wir zu Ihrem Einsatzgebiet: Der Champions League. Der FC Liverpool steht nach dem 2:0 gegen Porto mit einem Bein im Halbfinale, auch in der Liga kämpft man weiter um die Meisterschaft. Sind die Reds unter Jürgen Klopp in diesem Jahr titelreif?

Mertesacker: Liverpool hat mit Klopp nun eine gewisse Reise hinter sich. Und die Erfahrungswerte dieser Reise schreien nach einem solchen Erfolg. Man spielt in der Premier League wieder eine fantastische Saison und hält mit ManCity mit - dem besten Team auf der Insel. Ich setze sehr auf Liverpool in der Champions League, weil sie es in K.o.-Spielen immer wieder schaffen, die Intensität ihrer Spielweise einzubringen. Ich bin auch von Klopps Fähigkeiten als Motivator überzeugt. Er wird die Mannschaft zu diesen Spielen punktuell immer noch hungriger machen können. In der Liga glaube ich eher an City, weil ich dort das intensive Spiel der Reds auf Strecke problematisch sehe, um dort bis zum Schluss um die Krone mitzukämpfen.

City hat bei Tottenham jedoch 0:1 verloren und in den Medien kam sofort die Frage auf: Kann Pep Guardiola, gerade auch nach den Erfahrungen beim FC Bayern, keine Champions League?

Mertesacker: Natürlich kann Pep Champions League und City wird sich auch durchsetzen.

Weil?

Mertesacker: Wenn City unter Pep im zweiten Spiel zu Hause spielt und das Gefühl hat, etwas gutmachen zu müssen, dann ist die Mannschaft immer am besten und bringt eine Top-Leistung. Zudem hatten die Spurs in der Vergangenheit in Manchester häufig große Probleme und haben teils heftige Niederlagen kassiert. Das sehe ich jetzt zwar nicht, aber ihnen wird wohl Harry Kane fehlen. City hat das klare Ziel vor Augen, die Königsklasse zu gewinnen - und da wird ihnen Tottenham letztlich kein Bein stellen können. Ich glaube vielmehr an ein Finale zwischen ManCity und Barcelona.

Barca gewann mit 1:0 bei Manchester United, doch nach dem 0:2 zu Hause gegen PSG im Achtelfinale hat sich die Ausgangslage für die Red Devils jetzt ja quasi verbessert.

Mertesacker: Guter Punkt. (lacht) Nein, Barca ist viel zu stark und zu ballsicher, damit es da wieder zu einer ähnlichen Überraschung kommt. Ich weiß das ja aus eigener Erfahrung: Man fährt dorthin und hat ein mulmiges Gefühl, weil man nicht weiß, wie oft man überhaupt an die Kugel kommt. United wird sehr tief verteidigen und sich gnadenlos aufs Konterspiel beschränken, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass das reichen wird.

Die Saison bei United glich einem Auf und Ab. Erst unter Ole Gunnar Solksjaer läuft es wieder. Wie sehen Sie die Entwicklung bei United?

Mertesacker: Ich halte Solksjaer für eine große Lösung für United. Er passt mit seinem Charakter zum Verein, er stammt aus einer Erfolgsära des Klubs und mit ihm identifizieren sich die Fans. Ich finde, sie sind erstmals nach längerer Zeit auf einem ganz guten Weg und konnten unter Solksjaer wieder eine positive Grundstimmung erzeugen. Man steht im Viertelfinale, hat in der Liga noch die Chance auf die Top Vier und kann sich erneut für die Champions League qualifizieren. Damit hatte man im Laufe der Saison nicht immer rechnen können.

Man konnte auch nicht damit rechnen, dass Ajax Amsterdam bei Real Madrid mit 4:1 gewinnt und bis ins Viertelfinale vorstößt. Gegen Juventus erreichte man zu Hause ein 1:1. Glauben Sie an ein erneutes Ajax-Wunder?

Mertesacker: Ich traue Ajax durchaus eine weitere Überraschung zu, denke aber, dass am Ende der Ronaldo-Faktor den Ausschlag gibt - auch wenn es knapp wird. Juventus war jedenfalls nicht zu abgezockt für Ajax. Gerade Amsterdams spielerische Ruhe kann für Juve sehr gefährlich werden. Ajax hat definitiv auch auswärts eine Chance und die Turiner werden das ganz genau wissen, das Beispiel Real wird ihnen eine Warnung sein. Ich denke, dass Juve relativ tief verteidigen wird. Ajax hat im Hinspiel etwas die Geduld im letzten Drittel vermissen lassen. Das müssen sie diesmal deutlich besser hinkriegen.

Können Sie nachvollziehen, dass Ajax für viele neutrale Zuschauer zum Everybody's Darling geworden ist, weil sie tollen Fußball spielen und die Phalanx der Teams aufbrechen, die für gewöhnlich die Endphase der Königsklasse erreichen?

Mertesacker: Natürlich. Das ist doch das Schöne am Fußball: Man weiß vor der Saison nie, wer sich zum Überraschungsteam aufschwingt und wenn es dann eine Mannschaft mit vielen jungen und entwicklungsfähigen Spielern ist, die auch noch auswärts den Titelverteidiger hinauswirft, ist das einfach klasse. Da wird man automatisch Fan. Ajax hat sich dadurch wieder viel Respekt und Renommee erarbeitet.

Frenkie de Jong wird sich nach der Saison dem FC Barcelona anschließen. Der Amsterdamer Kader besteht noch aus weiteren begehrten Talenten. Wird Ajax nach diesem Jahr aufgekauft?

Mertesacker: Das wird in jedem Fall passieren, weil es auch zur DNA von Ajax passt: junge Spieler auszubilden und sie teuer zu verkaufen. Es ruft natürlich viele Klubs auf den Plan, wenn man mit einem solch jungen Team derart die Königsklasse aufwirbelt. Ajax wird es definitiv schwer haben, diesen Kader einigermaßen zusammen zu halten. Es wird aber sicherlich in dem einen oder anderen individuellen Fall die Frage sein, ob ein Weggang nicht zu früh käme.

Zum Abschluss noch eine Einschätzung zum FC Arsenal, Ihrem Klub. Das 2:0 im Europa-League-Viertelfinalhinspiel gegen Neapel war eine Ansage. Hat das Team aber auch das Zeug für den ganz großen Wurf in diesem Jahr?

Mertesacker: Auf jeden Fall. Die Mannschaft ist in der Liga im Kampf um die Top Vier mittendrin, hat die Europa League gut angenommen und ist durch diese Erfahrungen gewachsen. Das Hinspiel war toll, doch in Neapel - die Stadt, die Fans, die spezielle Atmosphäre - kann es auch schnell in die andere Richtung gehen. Wir sind froh, kein Gegentor kassiert zu haben. Die Chancen auf das Halbfinale stehen dennoch gut - und da haben wir ja nach dem Aus im Vorjahr auch noch etwas gutzumachen.