Zwischen all den austauschbaren Profifußballern dieser Zeit ist Dennis Erdmann ein Unikat: Er polarisiert und sagt, was er denkt. Mit 18 Jahren spielte er noch in der zehnten Liga, anschließend beim FC Schalke 04 II, bei den rivalisierenden Ost-Klubs Dynamo Dresden, Hansa Rostock sowie dem 1. FC Magdeburg - und seit dieser Saison bei 1860 München.
SPOX und Goal trafen Erdmann beim Italiener am 1860-Trainingsgelände zum Interview. Der 28-jährige Defensivallrounder erzählt von seiner Mutter, die einen Schiedsrichter mit einem Regenschirm attackierte, von seinem legendären Foul an Marco Reus und seinen Plänen, eine eigene Partei zu gründen. Außerdem spricht Erdmann über den Papst, Medientraining, Bierchen, Tier-Dokus, Pyro und den Karneval.
Herr Erdmann, sind Sie religiös?
Dennis Erdmann: Ja, warum?
Sie haben mal gesagt: "Zur Not foule ich den Papst." Wie würden Sie ihm das danach erklären?
Erdmann: Ich spreche mit keinem Gegenspieler, nachdem ich ihn umgegrätscht habe. Deswegen würde auch der Papst nichts von mir hören.
Der Papst-Spruch ist eine Ihrer vielen markigen Aussagen. Überlegen Sie sich solche Sprüche vorher?
Erdmann: Nein, das kommt spontan. Meine Eltern haben mich zu einem meinungsstarken Typen erzogen. Ich sage immer, was ich denke.
Sie gelten in Deutschland als Bad Boy. Hat dieses Image seine Berechtigung?
Erdmann: Trotz der in Deutschland gelebten Meinungsfreiheit kommt eine deutliche Aussage nicht immer gut an. Ich werde häufig als der wahrgenommen, der etwas gesagt oder gemacht hat. Das finde ich einerseits ganz schlimm, andererseits ist es mir aber auch egal. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich sagen soll.
Viele Vereine versuchen, die Aussagen ihrer Spieler zu steuern. Wurde Ihnen von einem Ihrer Vereine mal ein Medientraining empfohlen?
Erdmann: Medientraining? Nein, das hat noch niemand von mir gefordert. Ich würde mich dazu auch nicht zwingen lassen.
Viele Interviews mit Fußballern strotzen heutzutage nur so vor Floskeln.
Erdmann: Im heutigen Fußball und insbesondere in den Nachwuchsleistungszentren ist vieles anders als früher, weicher als vor vielen Jahren. Das hat auch Auswirkungen auf die Spieler und deren Außendarstellung. Für meinen Sohn würde ich das anders wollen.
Was stört Sie an den Nachwuchsleistungszentren konkret?
Erdmann: Im Fußball geht es nicht nur um den Fuß und den Ball, sondern vor allem um Mentalität, Leidenschaft, Kampf und Wille. Diese Grundlagen gehen in den Nachwuchsleistungszentren verloren. Alle deutschen Nachwuchsspieler können ganz toll passen und dribbeln, aber sie haben keine Mentalität.
Was schlagen Sie als Alternative vor?
Erdmann: Man sollte den Fußball dort lernen, wo er herkommt: auf den Ascheplätzen der Kreisligavereine. Da geht es nicht um Ruhm oder Geld, sondern um Spaß. In den Nachwuchsleistungszentren sagen die Kinder dagegen: 'Ich spiele nicht auf Asche, sondern nur auf Rasen - und der ist übrigens zu hoch und muss noch ein bisschen geschnitten werden.'
gettyNach einem DFB-Pokalspiel 2015 mit Dynamo Dresden gegen Borussia Dortmund standen Sie deutschlandweit im medialen Fokus. Marco Reus musste nach einem Foul von Ihnen verletzt ausgewechselt werden. Sie sagten daraufhin: "Er ist mir gegen das Knie gelaufen." Hat Sie das öffentliche Echo darauf überrascht?
Erdmann: Ja, das war schon krass. Aber wie man mittlerweile weiß, hat Reus keine bleibenden Schäden davongetragen. Ich werde ihn das nächste Mal also härter anpacken. (lacht)
Hatten Sie danach Kontakt mit Reus?
Erdmann: Über seinen Berater habe ich mir seine Nummer organisiert und ihm zwei, drei Tage später bei WhatsApp geschrieben. Er hat darauf aber nicht reagiert.
In 224 Pflichtspielen haben Sie 88 Gelbe Karten gesehen. Gehen Schiedsrichter mit Ihnen anders um als mit anderen Spielern?
Erdmann: Das betrifft nicht nur mich, sondern auch andere vermeintlich härtere Spieler. Was vor 25 Jahren im Fußball nicht mal ein Foul war, wird heutzutage mit einer Gelben Karte geahndet.
Sie sind 28 Jahre alt. Woher wissen Sie, wie es vor 25 Jahren war?
Erdmann: Ich weiß das von meinem Vater, der hat mir alles erzählt. Früher durftest du dem Gegner schön auf die Hölzchen hauen, hast dich danach entweder entschuldigt oder auch nicht und dann war alles gut. Heute braucht man einem Gegner nur auf den Fuß steigen und schon sieht man Gelb. Am Ende sehen am besten auch noch der Torwarttrainer und der Physiotherapeut Gelbe Karten.
Woran liegt das? Fehlt Schiedsrichtern die natürliche Autorität?
Erdmann: Viele Schiedsrichter treten respektvoll auf und strahlen somit eine natürliche Autorität aus. Wenn jemand diese Ausstrahlung nicht mitbringt, wird es schwer auf dem Platz zu stehen und ein Spiel unter 22 Männern zu leiten.
Wie ist das bei anderen Fußballern? Hatten Sie schon mal einen Gegenspieler, von dessen Ausstrahlung Sie beeindruckt waren?
Erdmann: Nein, ich habe noch nie gegen mich selbst gespielt.
Die Karrierestationen von Dennis Erdmann im Profi-Fußball
Zeitraum | Verein | Pflichtspiele | Gelbe Karten | Platzverweise |
2012 bis 2014 | FC Schalke 04 II | 55 | 18 | 2 |
2014 bis 2015 | Dynamo Dresden | 28 | 14 | 1 |
2015 bis 2017 | Hansa Rostock | 73 | 31 | 1 |
2017 bis 2019 | 1. FC Magdeburg | 61 | 21 | 1 |
seit 2019 | 1860 München | 7 | 4 | - |
Bis zu Ihrem 18. Lebensjahr haben Sie in der zehnten Liga bei Blau-Weiß Kerpen in der Nähe von Köln gespielt. Was vermissen Sie daran?
Erdmann: Es war schön, mit meinen Freunden zusammen zu spielen und nach dem Training ein paar Bierchen mit ihnen zu trinken. Das fehlt mir.
Waren Sie mit Ihren neuen 1860-Kollegen schon mal ein Bier trinken?
Erdmann: Bisher hat mich leider noch keiner gefragt. Ich wäre der erste, der so ein Angebot annehmen würde.
Darf man das als Profifußballer?
Erdmann: Ich will ein ganz normales Leben führen wie jeder andere Arbeiter auch. Da gehört es dazu, ab und an ein Bierchen zu trinken. Wenn ich das nicht mehr darf, höre ich mit dem Profifußball auf.
Über die Stationen SC Brühl und Bergisch Gladbach 09 sind Sie mit 21 Jahren in der Reserve des FC Schalke 04 gelandet. Was war dort anders als bei den kleineren Vereinen, für die Sie zuvor gespielt haben?
Erdmann: Ich habe viel, viel Geld gesehen.
Haben Sie sich deshalb anders verhalten?
Erdmann: Nein, ich habe mich genauso verhalten wie früher in der Kreisliga. Ich habe meine Schuhe selbst geputzt und meine Schienbeinschoner selbst eingepackt. Meiner Meinung nach gehört es als Fußballer zu den Basics, dass man seine eigenen Dinge in Ordnung hält und sich nicht alles abnehmen lässt. Man sollte seinen Kopf einschalten, anstatt seine Zeit zu verschwenden und nur Love Island oder Bachelorette zu schauen.
Schauen Sie denn auch fern?
Erdmann: Ja, viele Tier-Dokumentationen.
Und was ist Ihr Lieblingstier?
Erdmann: Das Erdmännchen.
Nur wegen des Namens?
Erdmann: Nein, weil es angriffslustig ist und einen Beschützerinstinkt hat.
Nach Ihrem Abschied von Schalke II spielten Sie nacheinander bei den rivalisierenden Ost-Klubs Dynamo Dresden, Hansa Rostock und beim 1. FC Magdeburg.
Erdmann: Das ist einzigartig und darauf bin ich stolz. Vor mir gab es keinen Fußballer, der für die drei Klubs gespielt hat.
gettyWurden Sie nach den jeweiligen Wechseln angefeindet?
Erdmann: Heute hören Sie in Dresden, Rostock und Magdeburg wahrscheinlich nur positive Sachen über mich, am Anfang war das anders. Natürlich wurde ich angefeindet, das gehört dazu. Ich bin aber nicht so weich, als dass mir das etwas ausmachen würde. Ansonsten hätte ich mich schon längst irgendwo ertränkt.
Wie geht Ihre Familie damit um?
Erdmann: Meine Mutter verfolgt sehr genau, was über mich geschrieben und gesagt wird, und macht sich dann entsprechend Sorgen. Wenn sie mich darauf anspricht, sage ich ihr aber immer nur: 'Mama, du kannst dir gar nicht vorstellen wie scheißegal mir das alles ist.' Sie versucht trotzdem, mich immer zu beschützen, wenn ich unfair behandelt werde.
Haben Sie ein Beispiel?
Erdmann: Im Profifußball geht es gesittet zu, da musste sie noch nicht eingreifen. Das war in der Kreisliga anders. Da ist meine Mutter mal mit dem Regenschirm auf einen Schiedsrichter losgegangen, weil er so scheiße gepfiffen hat. Vor der Frau muss man sich in jedem Stadion Deutschlands in Acht nehmen.
Als Sie noch in Magdeburg gespielt haben, haben Sie auf Instagram ein Foto einer Pyro-Show der Fans gepostet. Taugt Ihnen das?
Erdmann: Ich verstehe, dass Pyrotechnik eine Anziehungskraft auf die Leute hat. Es sieht ja auch gut aus. Aber wenn damit Unbeteiligte gefährdet werden, hört der Spaß auf.
Finden Sie, dass Fans in Deutschland schikaniert werden?
Erdmann: Man muss Fans Fans sein lassen. Ich habe schon bei verschiedenen Ost-Derbys erlebt, dass Fans von der Polizei eingekesselt wurden und deswegen gar nicht oder zu spät ins Stadion gekommen sind. Das finde ich falsch. Aber die Fans müssen auch einen Schritt entgegenkommen: Wenn sie sich unbedingt schlagen wollen, sollen sie das machen - aber irgendwo außerhalb des Stadions, wo keine Kinder dabei sind.
Seit diesem Sommer spielen Sie bei 1860. Was hat den Ausschlag für den Wechsel gegeben?
Erdmann: Ich spiele nur für Traditionsvereine und nicht für aufgeputschte Retortenvereine mit 200 Fans. Deswegen war 1860 interessant für mich. Die Gespräche mit Trainer Daniel Bierofka liefen auch hervorragend, also habe ich unterschrieben.
Gibt es einen Klub auf der Welt, der Sie so sehr reizt, dass Sie gratis für ihn spielen würden?
Erdmann: Für den 1. FC Köln würde ich definitiv gratis spielen - oder vielleicht für einen Kasten Bier. Ich bin Kölner und liebe den Effzeh. Meine Eltern sind schon zum Effzeh gegangenen, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Wenn ich da nicht Fan geworden wäre, hätte es Ärger gegeben.
Köln, Effzeh - dann sicher auch Karneval?
Erdmann: Natürlich! Was für die Leute hier in München die Wiesn ist, ist für mich der Karneval. Am liebsten will ich jedes Jahr dorthin. Leider ist es mit den Trainingsplänen aber nicht immer zu vereinbaren.
Wie sieht denn Ihr perfektes Karnevals-Wochenende aus?
Erdmann: Donnerstag Abschlusstraining, Freitagabend Spiel und wegen des Sieges gibt der Trainer zwei Tage frei. Samstag und Sonntag - ach, auch schon Freitag nach dem Spiel - auf die Pirsch. Am Montag dann wieder Training. Der Umzug am Rosenmontag ist sowieso nur der Ausklang, darauf habe ich keinen Bock.
Weiberfastnacht am Donnerstag wird ausgelassen?
Erdmann: Ja, dafür bin ich zu professionell. Erst die Arbeit, dann der Spaß. Erst die Gegner verputzen, dann die Bierchen verputzen.
gettyZu Ihrer Zeit in Rostock haben Sie gemeinsam mit dem Label "Hauptbild Makellos" eine Modekollektion herausgebracht. War das eine einmalige Aktion oder können Sie sich weitere Tätigkeiten in dieser Branche vorstellen?
Erdmann: Das war eine einmalige Aktion. Es hat zwar Spaß gemacht, war mir aber letztlich zu stressig. Für die Zeit nach der Karriere habe ich andere Pläne.
Und zwar?
Erdmann: Ich will noch fünf Jahre Fußball spielen, dann gehe ich in die Politik. Ich will eine Partei gründen und mit ihr meinen ganz eigenen Weg gehen.
Für was soll diese Partei stehen?
Erdmann: Das finale Konzept muss ich mir noch ausdenken. Meine Partei wird aber auf jeden Fall für Sauberkeit und Ordnung stehen.