Der "FC PlayFair! Verein für Integrität im Profifußball e.V." ist aus Wut über die Wiedereinführung von Montagsspielen entstanden. Seitdem setzt sich der Verein für den Erhalt der Fankultur ein und wollte diese sogar zum UNESCO-Kulturerbe erklären lassen.
Claus Vogt (Gründer und Vorstandsvorsitzender) und Christian Prechtl (Stellvertretender Vorsitzender) erklären im SPOX-Interview, warum die Fankultur ein schützenswertes Gut ist, warum sie einen schweren Stand in der Gesellschaft hat, wie erste Gespräche mit der DFL verliefen und was der DFB besser machen könnte, um die Fan-Freundlichkeit des deutschen Fußballs wieder zu erhöhen.
SPOX: Herr Prechtl, Herr Vogt, haben Sie die Relegationsspiele geguckt?
Christian Prechtl: Ich habe sie heimlich angeguckt.
Claus Vogt: Christian ist raus! (lacht) Ich habe sie nicht angeguckt. Alleine aus Prinzip.
SPOX: Weil die Spiele nur im Pay-TV liefen?
Vogt: Genau.
FC PlayFair!SPOX: Das Thema TV-Gelder und Umsatzsteigerung ist ein großes Thema in der Fan-Debatte, die Sie mit angestoßen haben.
Prechtl: Geld ist immer gut, aber wenn es nur noch darum geht, ist das sehr kritisch zu sehen. Für mehr TV-Erlöse müssen Gegenleistungen erbracht werden.
SPOX: Welche Gegenleistungen?
Prechtl: Wenn es dadurch Montagsspiele gibt und überlegt wird, das DFB-Pokalfinale in Shanghai auszutragen, ist das überhaupt nicht Fan-freundlich. Wir sind alle Unternehmer. Profitoptimierung ist nichts Schlechtes. Was der Fußball aber dafür gibt, widerspricht jeglichen Fan-Interessen.
"Fußball-Fankultur" als UNESCO-Kulturerbe? "Ein geiler PR-Stunt"
SPOX: Sie kämpfen mit Ihrem Verein "FC PlayFair!" für die Bedürfnisse der Fans, für Integrität im Profifußball. Wie kam es dazu?
Prechtl: Der "FC PlayFair! Verein für Integrität im Profifußball e.V." (Twitter, Facebook, Instagram) wurde aus Wut gegen Montagsspiele gegründet. Das war der Auslöser. Das Thema lag auf der Straße, wir haben es aufbereitet, der Rest war ein Selbstläufer.
SPOX: Ein derartiger Selbstläufer, dass Sie sogar einen Antrag beim Land Nordrhein-Westfalen einreichten, der UNESCO die "Fußball-Fankultur" als immaterielles Kulturerbe zu empfehlen.
Prechtl: Wir müssen immer überlegen, wie wir uns Gehör verschaffen können. Das UNESCO-Thema ist Claus beim Joggen eingefallen. Wir dachten, das könnte ein geiler PR-Stunt sein. So begann alles. Dann informierten wir uns über die Voraussetzungen und Formalitäten.
SPOX: Und?
Prechtl: Es stellte sich heraus, dass der Antrag extrem umfangreich ist, sodass wir uns wochenlang reinknieten. So wurde aus einem PR-Stunt eine Herzensangelegenheit. Meines Wissens kam nach unserem Antrag erstmals die Frage auf: Wem gehört eigentlich der Fußball?
SPOX: Wem gehört der Fußball?
Prechtl: Der Fußball gehört, zumindest zu einem großen Teil, den Fans. Das sagte auch Oliver Bierhoff.
SPOX: Ihr Antrag wurde dennoch abgelehnt.
Prechtl: Wir waren natürlich sehr enttäuscht. Wenn wir den Antrag durchbekommen hätten, wäre die Bedeutung des Fans symbolisch gleich um drei Stufen gestiegen. Vor allem in Zeiten, in denen der Fan von der Entwicklung immer mehr abgehängt wird.
SPOX: Sie werden es jedoch weiterhin versuchen.
Prechtl: Auf jeden Fall. Wir wurden auf die Warteschleife gesetzt.
Reiner Calmund, Cem Özdemir und Co. unterstützen den FC PlayFair!
SPOX: Ein anderer Antrag mit Fußball-Bezug schaffte es ins Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes: die Bolzplatzkultur.
Vogt: Ich bin richtig enttäuscht, dass uns ausgerechnet ein Projekt der DFB-Stiftung Deutsches Fußballmuseum mit Mesut Özil als Schirmherr quasi in letzter Minute rechts überholte und ausbremste. Wir gingen nicht mit den Özils dieser Welt hausieren - wohlwissend, dass wir auch prominente Unterstützer haben. Sei es ein Andreas Rettig, ein Reiner Calmund oder ein Cem Özdemir. Uns ging es aber um die Inhalte. Aber wir sind Fußball-Fans, wir können auch mal verlieren und geben nicht auf.
Prechtl: Es ist für die zuständige Behörde, in der jetzt nicht in erster Linie Fußball-Fans sitzen, sondern Handwerker oder Geisteswissenschaftler, natürlich auch einfacher, die "Bolzplatzkultur" an die UNESCO weiterzuleiten.
SPOX: Wieso?
Prechtl: Das scheint harmloser. Die Probleme mit der Gewalt im Fußball gaben schließlich den entscheidenden Ausschlag.
SPOX: Hat die Fankultur ein Image-Problem?
Vogt:Beim Abstiegsspiel der Hamburger schossen manche Leute weit übers Ziel hinaus. Aber über 50.000 Fans verhielten sich top. Ähnlich war das bei unserem Antrag auch. Die 97 Prozent Positivität, die die Fankultur mit sich bringt, fiel mehr oder weniger unter den Tisch. Das ist schon bedauerlich. Die Fans hätten diese Anerkennung auf jeden Fall verdient.
FC PlayFair! hält "die Fankultur in Deutschland hoch"
SPOX: Gerade vor dem sozialen Hintergrund erscheint die Fankultur wie gemacht für die Aufnahme ins Register. Sogar die "Anlage und Pflege von Flechthecken" hat es zum Kulturerbe geschafft.
Prechtl: Die Flechthecken hatte ich schon wieder ganz vergessen. (lacht) Es ist uns natürlich bewusst, dass das ein kompliziertes Thema ist. Das fängt beim Zünden von Pyrotechnik schon an.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Prechtl: Sind wir selbst dafür oder dagegen? Ist es okay, solange die Brennkörper im Block bleiben? Die Probleme sind ja sehr vielschichtig, genau wie unsere Gesellschaft oder eben die Fankultur. Wir sprechen uns nicht für Gesetzesverstöße aus, das ist ganz klar. Aber für uns ist es wichtig, die vielen positiven Aspekte der Fankultur herauszustellen.
SPOX: Ist die Fußball-Fankultur ein schützenswertes Gut?
Prechtl: Lassen Sie uns einen Blick auf die Premier League werfen. Beim FC Arsenal kostet die billigste Dauerkarte 1000 Pfund. Die Leute auf den Tribünen sind erwiesenermaßen Event-Touristen aus aller Welt, die sich das leisten können. Wenn wir in Deutschland so weitermachen, marschieren wir schnurstracks auf dasselbe Ergebnis zu. Aus unserer Sicht ist es jetzt an der Zeit, dem Einhalt zu bieten.
Vogt: Wir wollten diese Diskussion auch entfachen. Momentan überlassen wir den Fußball den Verbänden und Vereinen. Für uns ist die Fankultur ein schützenswertes Gut. Ich war vor einigen Wochen in Hamburg. Wenn man sieht, dass englische Fans für ein Spiel nach Hamburg fliegen und dort teilweise sogar übernachten, weil es insgesamt billiger ist als ein Ticket für ein Premier-League-Spiel, geht die Kultur auf der Insel sicherlich ein Stück weit verloren. Das wollen wir nicht und halten die Fankultur in Deutschland hoch.
SPOX: Ralf Rangnick sagte vor wenigen Wochen im kicker, man müsse 50+1 modifizieren oder noch höhere TV-Verträge abschließen, um mit Ligen wie der Premier League sportlich Schritt halten zu können.
Vogt: Für uns ist 50+1 nicht zu diskutieren. Das ist ein Gut, dass wir uns in Deutschland erhalten müssen. In Sachen TV-Gelder kann ich Herrn Rangnick eigentlich zustimmen. Ich würde mir auch wünschen, dass noch mehr Gelder in den Fußball fließen.
SPOX: Aber?
Vogt: Wir kritisieren die einseitige Verteilung dieser Einnahmen. Wir würden es gutheißen, wenn durch eine angepasste Verteilung der sportliche Wettbewerb angefacht werden würde. Einbuße der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sehe ich nicht. Wenn dem so wäre, würden die Champions-League-Sieger jedes Jahr aus England kommen.
SPOX: Laut Ihrer Situationsanalyse zum Profifußball in Zusammenarbeit mit dem kicker ist die erfolgsorientierte Verteilung der TV-Erlöse das zweitgrößte Problem, mit dem der deutsche Fußball aktuell zu kämpfen hat. Es ist nur eine von vielen Thesen, die die rund 18.000 Studienteilnehmer bewegt.
Prechtl: Wir wollten wissen, wo den Fans der Schuh drückt.
Verteilung der Medienerlöse für die Spielzeit 2017/18
In den Verteilerschlüssel der DFL fließen Faktoren wie eine gewichtete Fünf-Jahres-Wertung oder sportliche Nachhaltigkeit (20-Jahreswertung ohne Gewichtung) ein.
Rang | Team | Prämie |
1 | Bayern München | 58,55 Mio. Euro |
2 | Borussia Dortmund | 57,30 Mio. Euro |
3 | Bor. Mönchengladbach | 55,55 Mio. Euro |
4 | Bayer 04 Leverkusen | 55,30 Mio. Euro |
5 | FC Schalke 04 | 54,05 Mio. Euro |
6 | TSG 1899 Hoffenheim | 51,50 Mio. Euro |
7 | VfL Wolfsburg | 50,53 Mio. Euro |
8 | Hertha BSC Berlin | 48,66 Mio. Euro |
9 | 1.FC Köln | 45,79 Mio. Euro |
10 | FSV Mainz 05 | 42,95 Mio. Euro |
11 | FC Augsburg | 42,20 Mio. Euro |
12 | Werder Bremen | 40,89 Mio. Euro |
13 | Eintracht Frankfurt | 37,86 Mio. Euro |
14 | SC Freiburg | 35,85 Mio. Euro |
15 | Hamburger SV | 34,15 Mio. Euro |
16 | Hannover 96 (Aufsteiger) | 31,34 Mio. Euro |
17 | VfB Stuttgart (Aufsteiger) | 29,95 Mio. Euro |
18 | RB Leipzig | 25,96 Mio. Euro |
Vogt und Prechtl über finanzielle Regeln und Profitoptimierung
Vogt: Die Fans merken sehr wohl, dass sie ausgepresst werden wie eine Zitrone. Das ist endlich. Eine Profitoptimierung ist okay. Aber eine kurzfristige Gewinnmaximierung anzustreben, bei der der Fußball ausgequetscht wird - dabei bleiben langfristig der Fußball und die Fans auf der Strecke.
SPOX: Sieben von zehn Befragten sprachen sich für eine Gehaltsobergrenze aus.
Prechtl: Der Profi-Fußball braucht klare finanzielle Regeln. Eine Gehaltsobergrenze ist nur eine Möglichkeit, die wir nicht unbedingt gutheißen müssen. Es gibt ja auch andere Überlegungen.
SPOX: Zum Beispiel?
Prechtl: Ablösesummen müssen beispielsweise nicht unbedingt begrenzt werden. Aber man könnte beschließen, dass ab einer gewissen Summe ein Prozentsatz davon in einen Topf gezahlt werden muss, der dann wiederum einer förderungswürdigen Institution zugutekommt.
SPOX: Wie zuversichtlich sind Sie, dass einige dieser Lösungsvorschläge auch umgesetzt werden?
Vogt: Wir hatten schon Gespräche mit der DFL-Geschäftsführung. Wir waren zum Teil überrascht, dass unsere Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen. Es gibt viele Möglichkeiten, Fan-Bedürfnisse im Profi-Fußball zu verankern, zum Beispiel durch Lizenz-Auflagen. Die DFL verschließt sich nicht vor solchen Überlegungen.
SPOX: Bisher ist dennoch kaum etwas passiert.
Gespräche mit DFL und DFB sollen Veränderungen herbeiführen
Vogt: Grundsätzlich wird den weichen Faktoren, wie Fan-Zufriedenheit oder Stadion-Auslastung, in der Jahresbilanz eine geringere Gewichtung beigemessen als beispielsweise dem Umsatz. Aber wir haben ein paar wichtige Punkte diskutiert und werden diese Gespräche demnächst weiter vertiefen.
Prechtl: Wir verstehen natürlich auch die Sichtweise der DFL. Wir sind ja keine Kampftruppe aus Revoluzzern, die den Speer vor sich halten. Wir wollen Diskussionen anregen. Uns geht es nicht um Kritik, sondern um Lösungsvorschläge. Wir wollen keine Besserwisser sein.
SPOX: Sondern?
Prechtl: Bessermacher. Wir wollen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv einbringen.
SPOX: Denken Sie, dass es für einschlägige Veränderungen die Entscheidungskraft einer höheren Institution wie der UEFA oder FIFA bräuchte?
Prechtl: Warum kann denn der DFB nicht selbstbewusster auftreten? Es muss ja nicht immer nur das umgesetzt werden, was von den Gremien der UEFA oder FIFA durchgewunken wird. Man kann doch als größter nationaler Sportverband der Welt mal etwas durchziehen, ohne dabei auf die anderen Verbände zu schauen.
SPOX: Sie haben neben Ihrer Situationsanalyse eine Umfrage zu den Anstoßzeiten in der Bundesliga durchgeführt, jetzt der UNESCO-Antrag. Was kann man in Zukunft noch vom "FC PlayFair! " erwarten?
Vogt: Wir haben im Zuge der Gespräche mit der DFL auch eine fachlich fundierte Bachelorarbeit geschrieben, wie man einen Fanvertreter in einem Profiverein integrieren kann. Wir wollen in Zukunft die Vernetzung unter den Fans verbessern. Es gibt Überlegungen zu einer Kommunikationsplattform von Fans für Fans. Dann haben wir noch zwei wundervolle Projekte, die ich noch nicht verraten möchte. Wir haben noch gar nicht richtig begonnen.
Die Entwicklung der Fankultur - eine Frage des Generationsaustauschs
SPOX: Wie schwer ist es, die Fan-Gemeinde trotz der internen Divergenz angemessen zu repräsentieren?
Vogt: Wir haben nicht den Anspruch, eine Führerschaft zu übernehmen. Wir haben die gleichen Interessen und welcher Tropfen dann fruchtet, ist egal.
SPOX: Glauben Sie, dass diese Interessen auch in zehn oder zwanzig Jahren noch dieselben sind? Die Kinder von heute wachsen schließlich mit all der Kommerzialisierung auf.
Prechtl: Wir sind als Väter dazu aufgerufen, unsere Kinder da frühzeitig zu prägen. (lacht)
Vogt: Seit Generationen wird Fußball von Vater zu Sohn oder Mutter zu Tochter weitergegeben.
Prechtl: Aber das Thema ist sehr komplex. Ich glaube, immer mehr Leute sind nicht mehr die klassischen Stadiongänger.
SPOX: Sondern?
Prechtl: Das sind schon Fans von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo - aber das sind Fans auf der Playstation. Die finden über eSports eine Beziehung zum Fußball, die wir gar nicht kennen. Insgesamt glaube ich, dass die Leute auch in zwanzig Jahren noch ins Stadion gehen. Es ist Platz für beides und der Fußball löst in uns allen so viel Faszination und Emotion aus.