Anthony Modeste war beim 1:0 des BVB bei Hertha BSC der Matchwinner. Der neue Angreifer verkörpert keinen modernen Ansatz des Fußballs, aber es reicht für Siege wie diese. Salih Özcan tut dem BVB gut und für Hertha könnte es ohne Stürmer schwierig werden im Kampf um den Klassenerhalt. Die Thesen zum Spiel.
1) Dank Anthony Modeste spielt der BVB pragmatisch
Nach der tragischen Diagnose von Sebastien Haller musste der BVB zu Saisonbeginn schnell handeln und einen fähigen Stürmer finden, der den Ansprüchen von Borussia Dortmund einigermaßen gerecht wird, aber gleichzeitig auch akzeptiert, dass er der Vertreter von Haller werden dürfte, wenn der Ivorer in absehbarer Zeit hoffentlich wieder zurückkommt.
Die Lösung für den BVB hieß nicht Edinson Cavani, Luis Suarez oder Andrea Belotti - sondern Anthony Modeste. Der 34 Jahre alte Stürmer liebäugelte mit einem letzten Top-Vertrag, Dortmund mit einem Kaliber wie Modeste. Doch nach zwei Einsätzen wurde die Verpflichtung des Ex-Kölners bereits kritisch hinterfragt, weil er gegen den SC Freiburg und Werder Bremen quasi keinen Einfluss auf das Spiel hatte.
Beim Gastspiel bei Hertha BSC sah es nun aber anders aus: Er markierte nicht nur seinen ersten Treffer für den BVB, sondern hatte noch zwei weitere sehr gute Möglichkeiten und war deutlich präsenter als bisher.
Dass es überhaupt dazu kam, lag an der veränderten Vorgehensweise des BVB, die in solchen Spielen den Erfolg bringen kann. Dortmund veränderte seinen Plan, zu Torchancen zu kommen: weg vom Passspiel, hin zu den Flanken.
Der Beleg: In Berlin schlugen die BVB-Profis die meisten Flanken in dieser Saison. Gegen Leverkusen waren es sechs, in Freiburg (Modestes Debüt) zwölf, gegen Werder Bremen wieder nur sechs und in Berlin ganze 16. Passend dazu: Es war auch das Spiel mit den meisten Torschüssen (21).
"Wenn der Stürmer viele Bälle bekommt, ist es einfach", sagte ein sichtlich erleichterter Modeste nach dem Spiel. So wie eben beim 1. FC Köln. Dort hatte Trainer Steffen Baumgart zuletzt noch über Modestes schwierigen Start gesprochen und wohl auch einen kleinen Seitenhieb gewagt: "Das, was Tony im letzten Jahr ausgezeichnet hat, war die Mannschaft in seinem Hintergrund. Wir sehen es ja gerade, wenn eine Mannschaft eben nicht so agiert, dann schießt du vielleicht auch nicht so viele Tore wie vorher. So deutlich muss man es sagen."
Modeste reagierte darauf eher gefasst: "Viele Spieler haben gelesen, was mein Ex-Trainer gesagt hat: Wenn die Mannschaft nicht für einen Stürmer spielt, wird es schwierig. Heute haben sie mir mehr Futter gegeben."
Richtig: Anfangs spielte der BVB noch seinen gewohnten Stiefel, merkte aber schnell, dass die Hertha auf Konter lauerte und die Räume nicht aufmachte. Terzic ließ seine Außen konsequent an der Linie kleben, wodurch es zu vielen Flankenversuchen kam.
Das mag nicht schön ein, aber pragmatisch, weil Dortmund so seine gefährlichste Waffe am aussichtsreichsten einsetzen kann. So gesehen ist Modeste Dortmunds Pragmatismus.
Fraglich ist, wie oft man dieses Spiel durchziehen kann und ob man sich nicht anderer Stärken beraubt, wenn man vermehrt über Flanken das Glück sucht. Es ist auf jeden Fall ein Prozess, wie auch Terzic findet: "Wir hatten in den letzten Jahren nie diesen einen Zielspieler in der Box. Das ist neu für uns. Es wird etwas dauern, die Waffe noch häufiger einzusetzen."
2) Salih Özcan tut dem BVB gut
Beim durchaus spannenden Transfersommer des BVB kam der Name von Salih Özcan etwas zu kurz, dabei kam der türkische Nationalspieler durchaus mit dem Versprechen, eines der größeren Probleme von Borussia Dortmund zu lösen. Der Ex-Kölner erlitt allerdings in seiner ersten Trainingswoche beim BVB eine hartnäckige Fußprellung und fiel lange aus - länger als gedacht.
Zwar ist Özcan seit geraumer Zeit wieder im Training, doch bisher blieb er ohne Einsatz. Als sich Mahmoud Dahoud gegen Werder Bremen die Schulter auskugelte, brachte Terzic Emre Can statt Özcan und erntete dafür auch Kritik, zumal Can kein gutes Spiel machte und unter anderem das 2:3 mitverschuldete. Nach Dahouds Ausfall feierte Özcan in Berlin nun sein BVB-Debüt und lieferte eine Top-Leistung ab.
Dabei wusste er nicht nur mit der maßgeschneiderten Hereingabe auf Modestes Kopf zu überzeugen. Vor allem sein Spiel gegen den Ball zeugte von großer Klasse. "Er hat ein herausragendes Spiel gemacht", sagte Trainer Edin Terzic: "Wie er sich durchgebissen, wie viele Bälle er erobert hat, ist genauso wichtig wie die Flanke zum Tor."
Ein solcher Spielertyp hat dem BVB all die Jahre gefehlt: Eine Ballgewinn-Maschine, die nicht unruhig wird, wenn sie nicht dauernd an jeder offensiven Ball-Stafette mitwirkt, sondern sich zunächst um die defensiven Aufgaben kümmert und das auch ganz okay so findet. Özcan hatte nach Nico Schlotterbeck und Mats Hummels die meisten Ballaktionen aller BVB-Spieler und war entsprechend schon sehr gut ins Spiel eingebunden.
Die Hereinnahme Özcans schien sich auch positiv auf Jude Bellingham auszuwirken, der deutlich mehr Abschluss-Präsenz als sonst hatte. Der Engländer traute sich zahlreiche Ausflüge nach vorne zu und war mit fünf Torschüssen angriffslustigster Dortmunder auf dem Platz. Über die Abschlüsse des 19-Jährigen müsste man an anderer Stelle mal sprechen.
3) Hertha BSC: Mit diesem Sturm wird der Klassenerhalt schwierig
Die Young Boys Bern aus der Schweiz haben im Transfersommer die Berliner Hauptstadt mit zwei Stürmern beliefert: Der eine hört auf den großartigen Namen Jordan Siebatcheu und wechselte für sechs Millionen Euro zu Union Berlin, der andere heißt Wilfried Kanga und wechselte für vier Millionen Euro zu Hertha BSC. Während Sibatcheu schon bei zwei Toren und drei Torvorlagen in vier Bundesliga-Spielen steht, zählt man bei Kanga in vier Spielen bisher nur einzelne Möglichkeiten.
Gegen Union am 1. Spieltag gab es einen guten Volleyschuss, gegen Eintracht Frankfurt am 2. Spieltag schoss er aus nächster Nähe und in aussichtsreicher Position weit über das Tor. Bei Borussia Mönchengladbach waren es dann zwei Fallrückzieher ohne Erfolg. Gegen den BVB hatte Kanga nun überhaupt keinen Abschluss und beendete die Partie mit 16 Ballkontakten in 90 Minuten.
Die Frage ist nun, ob Kanga Opfer des Hertha-Spiels ist oder die Hertha Opfer der Kanga-Probleme. Klar ist, dass der 24 Jahre alte Franzose noch nie eine Tormaschine war - seine Vita weist eine einzige Saison mit mehr als zehn Toren aus - und doch ist dieser geringe Einfluss des Stürmers zu viel des Guten und wohl im Spiel der Hertha begründet.
Dabei war der Ansatz der Berliner gar nicht so falsch. Es war gut erkennbar, wie man aus einer guten Struktur heraus die schnellen Außen Dodi Lukebakio und Chidera Ejuke ins Laufen bringen wollte. Vor allem in der ersten Halbzeit ergaben sich durchaus ein paar vielversprechende Offensivaktionen, doch entstanden daraus zu viele Ballverluste, die Dortmund gute Kontergelegenheiten eröffneten.
Die Krux ist und bleibt, dass Hertha keine Gefahr im gegnerischen Strafraum ausstrahlt. Vedad Ibisevic war wohl der letzte Torgarant der Hertha in den letzten Jahren. Danach kamen Davie Selke, Krysztof Piatek, Matheus Cunha, Jhon Cordoba, Stevan Jovetic und Ishak Belfodil, die mitunter viel Geld kosteten, das Hertha-Spiel aber höchstens in Ansätzen prägten.
Auch Kanga macht auf Anhieb nicht den Eindruck, als könnte er den Trend grundsätzlich verändern. Dabei boten sich gegen den BVB durchaus Chancen und auch Räume, aber ohne Abschlüsse fallen nun mal keine Tore. Drei Euro fürs Phrasenschwein und wieder mal null Punkte für die Hertha, die noch keines ihrer fünf Pflichtspiele gewinnen konnte - und wohl wieder vor einer schwierigen Saison stehen dürfte.