Eintracht Frankfurt, Thesen zum Einzug ins Europa-League-Finale: Knauff ist das beste BVB-Leihgeschäft seit langem

Tim Ursinus
06. Mai 202211:15
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Eintracht Frankfurt ist nach zwei Siegen gegen West Ham United verdient ins Endspiel der Europa League eingezogen. Nach den Halbfinalspielen ist klar: Ansgar Knauff ist das beste BVB-Leihgeschäft seit langem, Kevin Trapp hat einen höheren Stellenwert verdient - und die SGE ist noch besser als das Team von 2019. Drei Thesen zum Finaleinzug der Hessen.

1. Knauff ist das beste BVB-Leihgeschäft seit langem

Es lief die 26. Minute, als Ansgar Knauff auf der rechten Seite durchbrach und beim 1:0-Sieg der Eintracht den einzigen Treffer des Tages mit einer maßgeschneiderten Flanke auf Rafael Borre vorbereitete. Der 20-Jährige nutzte die Überzahl mit seinem unnachahmlichen Antritt nur wenige Minuten nach dem Platzverweis von Aaron Cresswell mehrfach gut aus, sein erster Geniestreich sollte gleich das Weiterkommen garantieren.

Es war nicht der erste starke Auftritt von Knauff im Eintracht-Trikot in dieser Saison. Beim Viertelfinal-Hinspiel gegen den FC Barcelona (1:1) - per traumhaftem Dropkick - und in London (2:1) hatte er allerdings jeweils als Torschütze für die Führung gesorgt. Im Rückspiel gegen West Ham steuerte er dann seinen ersten Assist im laufenden Wettbewerb bei. Spätestens jetzt lässt sich sagen: Das Leihgeschäft mit Borussia Dortmund hat sich mehr als gelohnt - und zwar für alle Beteiligten.

Knauff, der in Dortmund in der Hinrunde kaum zum Zug gekommen war und deshalb persönlich um eine Leihe gebeten hatte, ist das mit Abstand beste Leihgeschäft der jüngeren Vereinsgeschichte des BVB. In den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich ein temporärer Abgang der Borussia fast immer zur Einbahnstraße. Die Spieler kamen kaum mehr zurück, geschweige denn dass sie sich durchsetzten. Nur zwei können von sich behaupten, dass sie wieder zurückgefunden haben: Marius Wolf und mit Abstrichen Felix Passlack. Ersterer ist einer der wenigen Gewinner der laufenden BVB-Saison, letzterer ist maximal noch Ergänzungsspieler.

Knauff hingegen hat Potenzial für die BVB-Stammelf.

Knauff ist vom BVB an Frankfurt ausgeliehen.getty

Das Konzept ist beim BVB seit der Beinahe-Insolvenz eigentlich nur einmal voll aufgegangen: 2007 bei der Leihe von Nuri Sahin zu Feyenoord Rotterdam. Der damals 18-Jährige setzte sich schnell durch und kehrte ein Jahr später als deutlich reiferer Spieler zurück. Unter Jürgen Klopp kämpfte er sich in die Mannschaft und prägte diese über Jahre hinweg. Ein ähnlicher Werdegang ist auch bei Knauff denkbar. Die Anlagen bringt der Außenbahnspieler sichtlich mit - und bei der Eintracht wird ihm die nötige Zeit sowie das Vertrauen gegeben, sodass er sich weiterentwickeln kann.

Deshalb ist der BVB auch gut beraten, die Leihe nicht vorzeitig zu beenden und ihn wie geplant bis zum Sommer 2023 in Frankfurt bleiben zu lassen, um den von Trainer Marco Rose erhofften "absoluten Mehrwehrt" der Leihe zu maximieren.

Ebenfalls klar ist, dass die Eintracht Knauff in jedem Fall schmerzlich vermissen wird, sollte es wie zu erwarten nicht zu einer festen Verpflichtung - es gibt keine Kaufoption - kommen. Schließlich haben die Hessen nun endlich ihre lang ersehnte Lösung für die rechte Seite gefunden, nachdem die Projekte mit Erik Durm, Timothy Chandler oder Danny da Costa in der Vergangenheit auf lange Sicht gescheitert waren.

2. Kevin Trapp sollte als Nummer zwei zur WM fahren

Kevin Trapp spielt wohl die stärkste Saison seiner Karriere. Spätestens seit dem 2:1-Sieg der Eintracht beim FC Bayern, als er den Sieg mit mehreren Glanzparaden möglich gemacht hatte, läuft der 31-Jährige auf Hochtouren. Seine starken Leistungen wie unter anderem gegen den FC Barcelona im Viertelfinale haben maßgeblichen Anteil am Finaleinzug seines Teams.

Für Keeper-Legende Uli Stein ist Trapp derzeit sogar "besser als Manuel Neuer, weil er einfach einen Lauf hat", wie der ehemalige Frankfurter über den "Besten der Bundesliga" gegenüber der Bild schwärmte. Trapp hat bei vier Spielen mehr zwar fast doppelt so viele Gegentore als Neuer kassiert, vereitelt dafür aber auch Woche um Woche Hochkaräter.

Zudem hat der 31-Jährige sein Spiel mit dem Ball verbessert und seine Fehleranfälligkeit merklich in den Griff bekommen. Schon in den vergangenen Spielzeiten nach seiner Rückkehr aus Paris präsentierte er sich als meist sicherer Rückhalt, passend zur anstehenden WM im Winter in Katar ist der Knoten nun aber endgültig geplatzt.

Trapp wird zum ersten Mal in seiner Karriere unter anderen Vorzeichen zu einem großen Wettbewerb auf nationaler Ebene fahren. 2018 und 2021 hatte es jeweils langwierige Diskussionen gegeben, ob er überhaupt als dritter Torhüter nominiert werden sollte. In wenigen Monaten muss sich Bundestrainer Hansi Flick aber eigentlich fragen, ob Trapp nicht als Nummer zwei nach Katar reisen sollte.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kapitän Neuer das Turnier noch einmal als klare Nummer eins bestreiten wird. Als erster Ersatz ist im Normalfall Marc-Andre ter Stegen vorgesehen, in der aktuellen Form braucht sich Trapp vor dem Barca-Torhüter aber keineswegs zu verstecken. Schließlich hatte er das direkte Duell auch schon im Viertelfinale der Europa League für sich entschieden.

Und wer weiß, vielleicht klappt es in Katar ja sogar mit dem ersten Turniereinsatz für Deutschland.

3. Eintracht Frankfurt ist noch besser als 2019

Es ist die zweite lange Reise der Eintracht durch Europa binnen drei Jahren. 2019 hatte die SGE ebenfalls einen langen Run in der Europa League, erst im Halbfinale war gegen den späteren Sieger FC Chelsea auf höchst dramatische Weise - im Elfmeterschießen - Schluss. Nach dem Sieg über West Ham United sind die herzzerreißenden Bilder eines weinenden Martin Hinteregger endgültig vergessen. Gleiches gilt auch für die viel zitierte Büffelherde, bestehend aus Luka Jovic, Ante Rebic und Sebastien Haller.

Die heutige Mannschaft ist, was die technischen Fähigkeiten angeht, zwar - besonders offensiv - nicht auf dem Niveau der damaligen, ist aber trotzdem die bessere. Und das nicht, weil sie als Sieger aus den Halbfinals hervorgegangen ist. Trainer Oliver Glasner hat es geschafft, in kürzester Zeit eine eingeschworene Truppe zu formen, die die eigenen Schwächen mit aufopferungsvollen Leistungen und dem nötigen Gespür für die entscheidenden Momente kompensiert.

Das beste Beispiel liefert Borre. Vom Siegtorschützen gegen West Ham United hatte man sich in Frankfurt deutlich mehr erhofft, nachdem ihn die SGE im Sommer ablösefrei von River Plate geholt hatte. Lediglich zehnmal netzte der Kolumbianer in 43 Pflichtspielen. Nach den Abgängen von Jovic, der angeblich wieder zurück in die Bundesliga will, und Andre Silva hat Frankfurt noch nicht die Ideallösung für die Position des Mittelstürmers gefunden. Die Elf von Glasner weiß das aber zu umschiffen.

Anders als 2019 sorgen nicht nur drei Spieler für Torgefahr, sondern das nahezu komplette Team. In der Europa League gibt es neben Borre gleich vier Spieler, die mindestens zweimal trafen. Top-Torjäger ist Daichi Kamada, auch "Mister Europa League" genannt, mit fünf Treffern. Ein Beweis dafür, dass in dieser Saison deutlich mehr Offensivpower aus der zweiten Frankfurter Offensivreihe kommt. Wie auch beispielsweise von Jesper Lindström, der in der Bundesliga mit fünf Toren zweitbester Goalgetter hinter Borre ist.

Die Eintracht ist nochmal mindestens einen Schritt weiter als vor drei Jahren. Mit den Glasgow Rangers wartet zwar der deutsche Angstgegner im Endspiel (vor RB Leipzig scheiterte schon der BVB an den Schotten), unter diesen Voraussetzungen dürfen aber nur die Worte von Präsident Peter Fischer zählen: "Wir gewinnen das Ding."

Europa League: Das Halbfinale im Überblick

DatumUhrzeitHeimErgebnisAuswärtsRunde
Donnerstag, 28. April 202221 UhrRB Leipzig1:0Glasgow RangersHinspiel
Donnerstag, 28. April 202221 UhrWest Ham United1:2Eintracht FrankfurtHinspiel
Donnerstag, 5. Mai 202221 UhrGlasgow Rangers3:1RB LeipzigRückspiel
Donnerstag, 5. Mai 202221 UhrEintracht Frankfurt1:0West Ham UnitedRückspiel