Emiliano Sala ist ein klassischer Spätstarter. Seine Geschichte ist die eines einst belächelten Stürmers, gegen den heute niemand mehr spielen möchte.
Sorrento Calcio ist kein Klub, der dafür bekannt ist, ein Ausgangspunkt großer Fußballerkarrieren zu sein. Sicher, Ciro Immobile spielte einige Zeit für den heutigen Fünftligisten und Maurizio Sarri arbeitete in der 17.000-Einwohner-Stadt Nähe Neapel einst als Trainer. Aber ansonsten gibt es wenig Berührungspunkte zwischen dem kampanischen Klub, der nie in der Serie A spielte, und dem glitzernden Profigeschäft der Top-5-Ligen in Europa. Indirekt allerdings sorgte Sorrento vor sechseinhalb Jahren dafür, dass heute in Frankreich ein Stürmer sein Unwesen treibt, der national einzig noch von PSG-Superstar Kylian Mbappe übertroffen wird.
Die Rede ist von Emiliano Sala, einem 1,87 Meter großen Brecher, der auf dem Rasen ein wenig ungelenk wirkt und der daher bei den Fans meist einen eher schweren Stand hatte, als die filigranen Techniker mit ihren geschmeidigen Bewegungen.
Emiliano Sala wechselte 2010 zu Girondins Bordeaux
Das war schon in der Jugend so. Sala wuchs im argentinischen San Francisco nahe Cordoba auf und lernte das Kicken in der Akademie von Club Escuela Proyecto Crecer. Er war groß und er war stark, in der Luft kaum zu bezwingen und er erzielte viele Tore. Eine Mischung, die ausreichte, um das Interesse aus Europa zu wecken. Der Angreifer mit den italienischen Wurzeln ergriff die Chance und wechselte im Alter von 20 Jahren 2010 zu Girondins Bordeaux.
Der Traditionsklub aus der Universitätsstadt nahe der Garonne war damals in Frankreich eine deutlich größere Nummer als heute und hatte ein Jahr zuvor unter Trainer Laurent Blanc die Meisterschaft gewonnen. Für Sala war der Schritt aus der argentinischen Provinz in eine der besten Ligen Europas zu groß und er schaffte es nicht in den Kader der ersten Mannschaft. Bordeaux wollte ihn nicht abschreiben, konnte aber auch keine kurzfristige Perspektive in der Profimannschaft bieten.
Also ging Salas Berater Nicolas Higuain, der Bruder von Albiceleste-Star Gonzalo Higuain, in Italiens 3. Liga, die damals noch Lega Pro hieß, Klinken putzen. Unter anderem eben bei Sorrento Calcio. Wie schon etliche andere Vereine lehnte auch Sorrento mit dem Hinweis, Sala sei "als Fußballer zu schwach" ab.
Sala war frustriert, aber nicht entmutigt. Im Gegenteil, die Ablehnung stachelte ihn an. Getrieben von der Vorstellung, es allen zu zeigen, heuerte er auf Leihbasis beim französischen Drittligisten Union Orleans an. Der Plan, dort Spielpraxis zu sammeln und Selbstvertrauen zu tanken, ging auf. Sala erkämpfte sich einen Stammplatz, kam auf 37 Einsätze und netzte 19-mal.
Emiliano Sala: Aufschwung in Nantes unter Vahid Halilhodzic
Bordeaux verlieh ihn anschließend erneut, diesmal in die Ligue 2 zu Chamois Niortais, wo er 18 Saisontreffer erzielte und mit einem Lauf von zwölf Toren in den letzten zwölf Begegnungen der Spielzeit aufhorchen ließ. Anschließend bekam Sala ein halbes Jahr lang seine Chance bei Girondins, nutzte diese jedoch nicht. Im Januar 2015 wurde er an Aufsteiger Caen verliehen, dort sammelte er acht Scorerpunkte in 13 Partien.
In Bordeaux glaubten sie nicht mehr an Salas Durchbruch und der Entschluss, den Angreifer endgültig zu verkaufen, war gefallen. Ligarivale FC Nantes hatte indes etwas in Sala erkannt und für eine Million Euro Ablöse samt eines Fünfjahresvertrags kam der Transfer zur Spielzeit 2015/16 zustande. Der Debütsaison mit sechs Toren folgten zwei Spielzeiten mit jeweils zwölf Ligatreffern.
Im vergangenen Sommer klopfte der FC Watford an und bot 16,5 Millionen Euro für den Rechtsfuß. Nantes lehnte ab, obwohl der neue Trainer Oscar Cardoso nicht so recht wusste, wie er Sala am besten einsetzen sollte. Anfang Oktober wurde Cardoso nach nur einem Sieg aus den ersten acht Saisonspielen entlassen und es kam Nantes-Legende Vahid Halilhodzic. Dieser war einst mit Nantes französischer Meister und zweimal Torschützenkönig der Ligue 1 geworden. Im ersten Spiel unter dem Bosnier schnürte Sala beim 4:0 gegen Toulouse einen Dreierpack.
"Wir sprechen die gleiche Sprache", sagt Sala über seinen Coach: "Er war selbst ein toller Stürmer mit beeindruckenden Statistiken. Er hat mir wertvolle Tipps gegeben." Halilhodzic lässt einen Fußball spielen, der perfekt zu Sala passt. Der Argentinier gibt in der Mitte den nimmermüden Prellbock, der Bälle hält, Gegenspieler bindet und mit dem Rücken zum Tor ackert. Bei aller Physis ist Sala dennoch bemerkenswert schnell im Antritt, wendig und seinen Kontrahenten im Strafraum somit oft einen Schritt voraus.
gettyTorjägerliste der Ligue 1: Kylian Mbappe führt for Emiliano Sala
Gefüttert wird Sala von den brandgefährlichen Flügelflitzern Anthony Limbombe und Gabriel Boschilia. Nantes' frühes Pressing, bei dem er in der Regel als erster die Abwehrspieler attackiert, kommt ihm ebenfalls zugute. Mittlerweile steht Sala bei zwölf Saisontreffern in 16 Partien. Das bedeutet hinter Kylian Mbappe (13) Rang zwei in der Torjägerliste der Ligue 1.
"Meine Freunde finden, es sei schwer zu glauben, dass ich in der Liste neben Mbappe stehe", gestand Sala vor wenigen Wochen in der L'Equipe.
Dabei sollten gerade seine Freunde wissen, dass Sala mit seinem ungemeinen Fleiß auch im Alter von 28 Jahren seinen Zenit noch nicht erreicht hat. Ein Beispiel: Salas erklärtes Ziel war es vor der Saison, die Genauigkeit im Abschluss zu verbessern. "Die Präzision war ein wesentlicher Faktor dafür, dass ich mich gesteigert habe. Ich habe dazu besondere Übungen gemacht und Videos angeschaut." Das Resultat ließ sich im November bestaunen, als eine Statistik besagte, dass er für seine ersten elf Saisontreffer nur 14 Torschüsse benötigt hatte.
Nur das mit der Eleganz hat noch nicht so recht geklappt. Sala ist ein nimmermüder Arbeiter, der sich in jeden Zweikampf wirft und als abschlussstarker Stoßstürmer fungiert. Dass es technisch beschlagenere Spieler gibt und er deswegen von gegnerischen Fans gerne verspottet wird, stört ihn wenig. "Ich bin ein ehrlicher Typ: Das interessiert mich überhaupt nicht", sagt er. "Ich habe meinen eigenen Stil, so bin ich halt. Ich werde mich mit 27 Jahren nicht mehr groß ändern. Ich bin schließlich Argentinier."
Die Torjägerliste der Ligue 1: Mbappe vor Sala
Rang | Spieler | Team | Tore |
1 | Kylian Mbappe | PSG | 13 |
2 | Emiliano Sala | Nantes | 12 |
3 | Nicolas Pepe | Lille | 12 |
4 | Neymar | PSG | 11 |
4 | Florian Thauvin | Marseille | 11 |
Argentinische Torschützen: Nur Lionel Messi ist erfolgreicher als Emiliano Sala
Seine Einstellung veranschaulicht er so: "Ich habe vor einigen Tagen einen Satz gelesen: 'Menschen können lügen, Zahlen nicht'. Egal, wie mich die Fußball-Welt sieht: Ich bin einfach ein Spieler, der alles gibt. Es macht mich glücklich, wenn ich auf dem Platz stehe, alles geben kann, vielleicht ein Tor schieße und sehe, dass meine Freunde oder meine Familie auf der Tribüne zufrieden sind."
Gäbe es nicht einen gewissen Lionel Messi, wäre Sala aktuell der erfolgreichste argentinische Torschütze in Europas Top-Ligen. Vor Paulo Dybala, Gonzalo Higuain, Sergio Agüero oder Mauro Icardi. Wer hätte das vor wenigen Jahren gedacht? Die Verantwortlichen Sorrentino Calcios gewiss nicht.