Thomas Helmer erlebte das Elfmeterschießen 1996 gegen England hautnah mit. Im Gespräch mit SPOX und Goal erinnert er sich an die Dramatik.
England gegen Deutschland, Achtelfinale der EM 2021: Am Dienstagabend steht im berüchtigten Wembley-Stadion ein Duell mit einer ganz besonderen Fußball-Historie auf dem Programm. Thomas Helmer erlebte eine der legendärsten Partien zwischen den beiden Nationalmannschaften hautnah mit.
Im Gespräch mit SPOX und Goal erinnert sich der langjährige DFB-Verteidiger, der im Halbfinale der EM 1996, ebenfalls in Wembley, 120 Minuten lang gegen die Three Lions mitmischte, an das dramatische Aufeinandertreffen, das im Elfmeterschießen ein glückliches Ende für Deutschland fand.
Thomas Helmer über ...
... die Atmosphäre im Wembley-Stadion am 26. Juni 1996: Ich hatte zuvor noch nie in Wembley gespielt, das Halbfinale gegen England war mein erstes Wembley-Erlebnis. Das war etwas ganz Besonderes. Die Stimmung war wahnsinnig, englische und deutsche Fans haben gemeinsam "Football's coming home" gesungen. Dann hat dieses Spiel noch diese unglaubliche Dramatik geboten. Paul Gascoigne, der in der Verlängerung knapp vorbeirutschte, Stefan Kuntz, dessen Tor in der Verlängerung nicht gegeben wurde - und dann natürlich das entscheidende Elfmeterschießen.
... ihn als potenziellen Elfmeterschützen: Heute kann ich natürlich behaupten, ich hätte geschossen (lacht). Nein, ernsthaft: Ich habe zwar weder in der Bundesliga noch im Nationalteam jemals einen Elfmeter schießen dürfen, aber ich hätte als gestandener Spieler, der ich zum damaligen Zeitpunkt war, wahrscheinlich geschossen - wenn es hart auf hart gekommen wäre. Aber ich bin froh, dass wir letztlich fünf Spieler zusammenbekommen haben.
... das Elfmeterschießen generell: Aus meiner Sicht war es damals ein Problem, auf fünf Spieler zu kommen, zunächst hatten wir erst vier Schützen beisammen. Ich habe mit Berti Vogts diskutiert, ob Thomas Strunz schießen soll oder nicht. Er war kurz zuvor erst eingewechselt worden. Ich habe gesagt, dass er immer super Elfmeter geschossen hat. Dann ist er letztlich angetreten und hat getroffen. Aber die fünf Spieler reichten nicht aus, wir brauchten einen sechsten, weil sowohl wir als auch die Engländer die ersten fünf Elfmeter verwandelt hatten. Andreas Möller hat sich dann bereit erklärt, den sechsten zu schießen.
Helmer: "Brutal, wie gut die Engländer geschossen haben"
... die Dramatik beim Elfmeterschießen: Ich habe die Elfmeter nicht gesehen, weil ich mit dem Rücken zum Tor stand. Das konnte ich mir nicht angucken. Ich habe stattdessen immer Co-Trainer Erich Rutemöller angeschaut. Wenn er gejubelt hat, habe ich mitgejubelt. Das siegbringende Tor habe ich also erst später gesehen. Da habe ich auch erst mitbekommen, dass Andreas Köpke bis zum sechsten Elfer fast immer in der falschen Ecke war. Es war brutal, wie gut die Engländer bis dahin geschossen haben.
... die Emotionen nach Möllers entscheidendem Elfmeter: Es ist immer schwierig, solche Momente zu fassen. Man sieht alle jubeln, alle rennen aufeinander zu. Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht mehr rennen, blieb einfach dort stehen, wo ich stand. Ich würde sagen, man ist in gewisser Weise unzurechnungsfähig, so kurz danach. Erst später, wenn man sich das Spiel noch einmal anschaut, realisiert man das Ganze einigermaßen.
gettyHelmer: "Zunächst war nicht ans Feiern zu denken"
... die Feier im Anschluss ans Spiel: In der Kabine sind erstmal alle zusammengesackt, weil wir komplett fertig waren, viele waren angeschlagen. Da war zunächst nicht ans Feiern zu denken, die Umkleide war ohnehin viel zu klein. Im Prinzip ging direkt nach dem Spiel die Vorbereitung fürs Endspiel los. Damals war das sogenannte "ausmassieren" sehr beliebt, das von den Physiotherapeuten übernommen wurde - und die ganze Nacht dauerte.
... das Duell England gegen Deutschland am Dienstag: Ich bin recht optimistisch, weil wir in Wembley bisher immer ganz gut ausgesehen haben. Der Druck auf England dürfte riesengroß sein, gerade vor heimischer Kulisse. Die Mannschaft hat bisher nicht vollumfänglich überzeugen können, das DFB-Team zugegebenermaßen auch nicht. Die Historie spricht aber ein bisschen für uns. Wenn es ins Elfmeterschießen geht, bin ich noch optimistischer. (lacht)