FC Bayern München - Erkenntnisse zur Pokalblamage bei Holstein Kiel: Flicks Defensivkritik verpufft - keine Pause für Lewandowski

Philipp Schmidt
14. Januar 202108:57
Sollte gegen Kiel geschont werden, musste aber dann doch ran: Robert Lewandowski.getty
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Der FC Bayern hat zum ersten Mal seit der Saison 2000/01 nicht das Pokal-Achtelfinale erreicht. Die sensationelle Niederlage in Kiel war jedoch bei weitem kein Zufallsprodukt, sondern eine Konsequenz der vergangenen Wochen. Denn die Gegner der Münchner haben längst Antworten auf das bayrische Spiel gefunden. Die Erkenntnisse.

1. Hansi Flicks Defensivkritik verpufft

Es ist mittlerweile die alte Leier beim FCB: Die defensive Absicherung und das hohe Verteidigen. Bereits vor dem Spiel stellte Trainer Hansi Flick, angesprochen auf die Entstehung des 1:2-Anschlusstreffers gegen Borussia Mönchengladbach am vergangenen Wochenende, klar, dass es keine Frage des Systems, sondern der Ausführung sei: "Wenn kein Druck auf dem Ball ist, muss man die Tiefe absichern. Das war nicht der Fall. Niklas muss da mitgehen, das weiß er auch. Das darf nicht passieren."

Ungewohnt deutliche Worte in Richtung eines einzelnen Spielers sind eigentlich untypisch für Flick, der sich gewöhnlich schützend vor seine Mannschaft stellt. Noch weniger dürfte es dem Triple-Coach gefallen haben, dass seine Worte offenbar in der Kabine überhaupt keinen Widerhall fanden. Bereitete das Abwehrverhalten in Kiel das gesamte Spiel über Sorgen, gibt es wohl keine Szene, die exemplarischer für das Bayern-Dilemma stehen könnte als das 1:1 durch Bartels.

Ein vermeintlich harmloser langer Ball von Kiel-Rechtsverteidiger Jannik Dehm flog vorbei an Freund und Feind hinter die letzte Linie der Bayern, Süle stand komplett falsch und wurde zudem von seinen Nebenmännern Lucas Hernandez und Bouna Sarr im Stich gelassen. Diese rückten viel zu wenig ein, Süle sah sich drei Gegenspielern gegenüber und ließ zudem jegliche Handlungsschnelligkeit vermissen.

Bayern-Fehler wiederholen sich: "Haben wir angesprochen"

"Das ist das gleiche Muster. Wir haben die Dinge angesprochen, wir müssen in so einer Situation das Zentrum dicht machen und die Tiefe sichern. Das haben wir nicht gemacht", sagte Flick nach dem Aus. "Wieder einmal", könnte man ergänzen. "Wir müssen die Dinge trainieren, eine bessere Kompaktheit haben und wieder in die Spur kommen."

Abgesehen von der Personalie Süle, dem schlechtesten Münchner an diesem Pokalabend (SPOX-Note 4,5), wirft dies die Frage auf, ob sich der FC Bayern mit seiner taktischen Ausrichtung einen Gefallen tut. Einerseits sorgt das straffe Programm in Corona-Zeiten für einen hohen Kräfteverschleiß in Kombination mit einer aufwendigen Spielphilosophie, andererseits verhindern Rotationen sowie Einsätze auf verschiedenen Positionen (wie im Falle von Süle) die notwendige Eingespieltheit.

So merkte auch ARD-Experte Bastian Schweinsteiger in der Halbzeitpause an, dass man sich "schon mal die Frage stellen" müsse, "ob das die richtige taktische Variante ist, immer so hoch zu stehen. Das ist ja nicht zum ersten Mal der Fall, dass jemand allein auf Manuel Neuer zuläuft". Ähnlich sah es Thomas Müller: "Darüber sprechen wir schon seit einiger Zeit, über diese Art der Gegentore."

Stets verwies Flick (zurecht) darauf, dass die Lösung dieses Problems nicht nur auf die Leistung von Spielern wie des wieder einmal schwachen Sarr oder des defensiv wackligen Alphonso Davies zurückzuführen ist, sondern im Teamverbund gelöst werden muss. Doch steht hierfür das passende Spielermaterial zur Verfügung?

Spieler wie Leroy Sane oder der eingewechselte Douglas Costa sind nicht dafür bekannt, die Außenverteidiger in der Rückwärtsbewegung tatkräftig zu unterstützen - sei es aufgrund fehlender Laufbereitschaft oder fehlender taktischer Fähigkeiten, wie Robin Dutt jüngst im Falle von Sane im "kicker meets DAZN"-Podcast anmerkte.

Doch auch Serge Gnabry hat diesbezüglich Luft nach oben, wie Flick mit seinem Ruf "Serge, mein Gott", andeutete, der in der zweiten Halbzeit bestens über die Stadionmikrofone zu vernehmen war. Wieder einmal war er mit der Rückwärtsbewegung seines Mittelfeldspielers nicht einverstanden. "Wir haben nicht nur einen Plan A", entgegnete Flick zwar Kritikern - es erscheint derzeit aber anders.

2. Robert Lewandowski: Pause noch nicht einmal gegen Kiel

Nur einmal wechselte Flick bei der 2:3-Niederlage bei Borussia Mönchengladbach und brachte nach gut einer Stunde Kingsley Coman für den blassen Douglas Costa. Zwar wollte er es im Anschluss nicht zugeben, aber das Zeichen war klar: Bei einem Rückstand bei einem gefährlichen Gegner fehlt das Vertrauen in die zweite Reihe um Jamal Musiala, Eric Maxim Choupo-Moting oder Corentin Tolisso.

Fünf Tage später waren die Vorzeichen anders, wann sollte sich schließlich eine bessere Chance für Robert Lewandowski, David Alaba oder auch den angeschlagen fehlenden Coman ergeben, den Akku aufzuladen als im DFB-Pokal gegen einen Zweitligisten? Wollte Flick einen Einsatz Lewandowskis eigentlich vermeiden ("Wir haben sehr viele Spiele, deshalb ist es wichtig, ihm eine Pause zu geben"), kam er nach 74 Minuten doch aufs Feld.

Der Spielverlauf hatte einige Konsequenzen, die den Verantwortlichen ganz und gar nicht gefallen dürften. Neben dem historischen Ausscheiden liegt dies vor allem an der Einsatzzeit der Münchner Leistungsträger: Thomas Müller 120 Minuten, Joshua Kimmich 120 Minuten, Robert Lewandowski immerhin noch 46 Minuten. Schonung? Von wegen!

Und es geht eng getaktet weiter: Nach einem Spiel gegen den formstarken SC Freiburg am Sonntag gastiert der FC Bayern am kommenden Mittwoch beim FC Augsburg, Anfang Februar wartet zwischen zwei Bundesligaspielen die Klub-WM in Katar.

Sollte gegen Kiel geschont werden, musste aber dann doch ran: Robert Lewandowski.getty

3. (Auch) Kiel findet einfache Antworten auf das Bayern-Spiel

Allzu negativ bewertete Thomas Müller den Auftritt seiner Mannschaft nicht - und das überraschte durchaus. Zwar sprach er lobend von einem "Underdog, der alles in die Waagschale geworfen hat", stellte aber auch klar: "Wir hatten in der ersten Halbzeit gute Tormöglichkeiten. Es war also keine Pokalsensation, die sich von Anfang an abgezeichnet hat." Danach sei das Spiel zwar "fahrig geworden, trotzdem sah es danach aus, dass wir das Spiel gewinnen würden". Zudem beklagte er fehlendes Spielglück.

Mit "fahrig" ist der Auftritt des Titelverteidigers noch sehr schmeichelhaft beschrieben, war doch mit zunehmender Spieldauer erkennbar, dass die Kieler den Respekt vor dem scheinbar übermächtigen Champions-League-Sieger ablegten und sich auf ihre eigenen Stärken besannen, anstatt ihr Spiel auf den Gegner auszurichten. "Mit dem 1:1 sind wir auch mit dem Ball selbstbewusster geworden", sagte Kiels Fin Bartels. "Es wurde angesprochen, dass bei den Bayern immer wieder Räume entstehen. Wir sind nicht nur hinterhergelaufen."

In der ersten Halbzeit musste Kiel noch leiden, dann aber offenbarte sich, was sich in den vergangenen Wochen bereits andeutete. Die Spielanlage der Bayern ist, auch für einen guten Zweitligisten, nicht nur einfach zu entschlüsseln, sondern kann sogar auf dem Rasen entsprechend gekontert werden. Dies bestätigte Werner: "Wir sind in die Situationen gekommen, die wir uns vorgestellt hatten. Das war der Schlüssel, um im Spiel Fuß zu fassen."

Gegen Mainz reichte dem FC Bayern noch ein dominanter Offensivauftritt in Halbzeit zwei, um die Defizite zu kaschieren. Gegen Gladbach und nun Kiel wurden die Unzulänglichkeiten nach dem immer gleichen Muster schließlich bestraft.