Takashi Usami ist vieles. Er ist Bayerns erster Japaner und ein Top-Talent - aber eben auch ein Experiment. Erinnerungen an Thomas Müller kommen auf.
In Japan erzählen sich die Menschen die Legende eines Knaben. Er war keine zehn Jahre alt, aber im Streben nach Perfektion suchte er rastlos nach neuen Herausforderungen.
Partien mit seiner Jugendmannschaft gegen Gleichaltrige mussten ihn gelangweilt haben, so überlegen war er ihnen. Und auch das Training gestaltete sich für ihn ähnlich mühelos, selbst wenn sich drei, vier Mitspieler anstrengten, ihm den Ball abzunehmen.
Daher bat Takashi Usami seine Teamkollegen um einen Gefallen: Um sein Dribbling zu verbessern, wollte er es gleich mit seiner gesamten Mannschaft aufnehmen.
Der nächste Schritt
Usami bekam also den Ball und los ging die wilde Hatz. Acht, neun, zehn Spieler, sie alle stürzten sich auf ihn - doch sie alle liefen ins Leere. Niemand konnte dieses Wunderkind stoppen, der so behänd mit dem Ball umzugehen verstand, dass jedem Beobachter klar wurde, dass sein Weg in den Profi-Fußball führen muss.
Mit 17 bekam er seinen ersten Profi-Einsatz in der asiatischen Champions League, mit 18 wurde er als bester Nachwuchsspieler der J-League ausgezeichnet - und mit 19 folgt nun der Schritt, auf den er lange gewartet hatte: der Wechsel von Gamba Osaka zum FC Bayern.
Interesse schon im Winter
Usami wurde vom deutschen Rekordmeister zunächst für ein Jahr ausgeliehen, als Gebühr sind 300.000 Euro im Gespräch. Bei Gefallen steht den Bayern dank einer Vertragsklausel offenbar eine Kaufoption über 1,5 Millionen Euro zu.
"Es ist ein großer Schritt, Japan zu verlassen, aber ich muss diese große Chance ergreifen", sagt Usami, der beim Spiel gegen Vissel Kobe am 13. Juli seinen Ausstand in Osaka geben wird.
Bereits im Winter bemühte sich München um Usami und lud ihn zu einem Probetraining ein, doch da dieser kurz zuvor mit Osaka um fünf Jahre verlängert hatte, verweigerte ihm der Verein die Reise nach Deutschland.
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Heynckes lobt
Zwischenzeitlich traten weitere Interessenten auf wie etwa Schalke und Leverkusen aus der Bundesliga oder Palermo und Cesena aus Italien. Außerdem gingen Anfragen aus England, Spanien, Russland und Portugal (Sporting Lissabon) ein.
Am intensivsten jedoch warb der FC Bayern, woran selbst der Trainerwechsel nichts änderte. Ex-Coach Louis van Gaal hatte bereits vor einigen Monaten erklärt, dass Usami ein Spielmacher mit Potenzial sei. Zur gleichen Einschätzung kommt sein Nachfolger Jupp Heynckes: "Usami ist sehr talentiert, sehr beweglich und fußballerisch sehr gut. Er ist ein guter Junge."
Perfekter Partner für Gomez?
Was Usami zugute kommen dürfte: seine Vielseitigkeit. Vom Mittelstürmer abgesehen gefällt es ihm auf jeder Offensivposition, sei es in einem 4-2-3-1 auf den Flügeln oder als Zehner.
Als wertvoll könnte er sich erweisen, sollten die Bayern auf einen Zweier-Sturm umstellen und er an der Seite eines kräftigen Angreifers wie etwa Mario Gomez auflaufen.
Denn anders als Dortmunds Spielmacher Shinji Kagawa versteht sich Usami mehr als Zwischenwesen aus Stürmer und offensiver Mittelfeldspieler. "In der J-League fiel auf, dass es bei ihm keinen Qualitätsunterschied gab, egal ob er ganz vorne, hinter der Spitze oder auf den Außen aufgestellt wurde", sagt der japanische Fußball-Journalist Toshiki Suzuki.
Der Vergleich mit Müller
Usamis herausragende Fähigkeit ist neben dem beidfüssigen Dribbling die für sein Alter ungewöhnliche Nervenstärke vor dem Tor. Er schießt nicht besonders fest, aber immer mit Bedacht und Präzision - und erinnert nicht nur deswegen an den ähnlich schlacksigen Thomas Müller, seinem zukünftigen Teamkollegen.
Beide erahnen Spielsituationen voraus, bewegen sich klug im Raum und stoßen möglichst oft in den Strafraum, um zum Abschluss zu kommen.
Anders als Müller ist Usami jedoch befähigt, Gegenspieler kraft seiner Explosivität und eleganten Ballbehandlung auf engstem Raum auszutanzen. Dafür könnten ihm noch die Tempohärte und vor allem die Robustheit fehlen, um seinen Bewacher in einem Laufduell zu überrennen. "Er ist als Spielertyp mehr Lionel Messi als Cristiano Ronaldo", sagt Suzuki.
Japan-Experten Engels und Neitzel: Das ist besonders an Takashi Usami
Parallelen mit Kagawa
Woran es Usami jedoch am meisten mangelt, ist die Beständigkeit. Bei aller Begabung gelang es ihm in der J-League noch nicht, konstant Woche für Woche zufriedenstellende Leistungen zu zeigen, weswegen er in Osaka immer wieder vorzeitig zwischen der 60. und 70. Minute herausgenommen wurde. Entsprechend ordentlich, aber nicht überragend lesen sich seine Statistiken.
Vergangene Saison, als er zum besten Nachwuchsspieler gewählt wurde, gelangen ihm in 26 Spielen 10 Scorer-Punkte (7 Tore, 3 Vorlagen). Dieses Jahr sind es in 11 Spielen 5 Score-Punkte (2 Tore, 3 Vorlagen).
"Gewisse Parallelen zwischen Usami und Kagawa sind nicht von der Hand zu weisen, aber Usami muss erst einmal beweisen, das er tatsächlich so ein Ausnahmespieler ist. Bei Cerezo Osaka lief alles über Kagawa, bei Gamba jedoch ist die Konkurrenzsituation im Sturm und Mittelfeld ungleich größer, weswegen Usami auch immer wieder auf der Bank saß oder früh ausgewechselt wurde. Den Druck, den Kagawa schon in Japan Woche für Woche gespürt hat, kennt Usami noch nicht", warnt Japan-Experte Karsten Neitzel.
Erst einmal ein Experiment
So talentiert Usami sein mag: Er ist ein Experiment. Ein Experiment, weil er kein Deutsch oder Englisch spricht, aus einer international zweitklassigen Liga kommt, aber gleichzeitig über ein für Japaner ungewöhnlich großes Selbstbewusstsein verfügt.
Suzuki: "Einige in der Heimat befürchten, dass sein ganzes Wesen eine Spur zu arrogant rüberkommen könnte - zumindest nach japanischen Maßstäben."
Trotz der Zweifel sollten sich ausreichend Einsatzchancen ergeben. Auf den Flügeln, Usamis geplantes Betätigungsfeld, sind Arjen Robben und Franck Ribery nicht zu verdrängen, dafür aber auch verletzungsanfällig.
"Ich bekomme meine Spiele"
Als Backups stehen nach dem Weggang von Hamit Altintop Müller, Toni Kroos und Danijel Pranjic bereit, die jedoch für die offensive oder defensive Mittelfeld-Zentrale angedacht sind, so dass Usami womöglich nur mit dem wahrscheinlich zurückkehrenden David Alaba um die Rolle des ersten Stellvertreters für Robben und Ribery konkurrieren muss.
"Ich glaube daran, dass ich meine Spiele bekommen werde", sagt Usami.
Und wenn nicht, kann er sich zumindest über die zweite Mannschaft anbieten. Ein Mitwirken eines Nicht-EU-Ausländers bei einem Reserveteam ist zwar verboten, doch Japaner gehören ähnlich wie US-Amerikaner oder Schweizer zu den Ausnahmen, die dank eines Abkommens ihrer Länder mit Deutschland und der EU das Recht zur freien Arbeitsplatzwahl haben und entsprechend spielberechtigt sind.
Usami selbst jedoch mag nicht an die Notlösung Regionalliga denken: "Ich will für einen großen Klub spielen und ich will Deutschland meine Dribblings zeigen. Und ich will irgendwann zum Weltfußballer des Jahres gewählt werden - und dafür bieten mir die Bayern die perfekte Bühne, um mich zu präsentieren."
Der Kader des FC Bayern