Frankreich hätte beinahe für die erste Überraschung der WM 2018 gesorgt. Gegen Australien sprach vieles für ein Unentschieden zum Auftakt. Paul Pogba erzwang schließlich den Siegtreffer. Grund zur Sorge gibt es beim Mitfavoriten trotz schwachem Auftakt noch nicht.
Wenig Ideen, dafür viele Schnörkel hatte das Spiel der Franzosen. Viele unnötige Schnörkel, die nicht zum gewünschten Ziel führten. Das Talent des Titelanwärters war auch gegen Australien allgegenwärtig. Effizienz sieht jedoch anders aus. Lediglich sechs Schüsse aufs Tor von Mat Ryan gab Frankreich ab, vier davon allein in den ersten acht Minuten. Danach? Lahmes Ballgeschiebe.
Torhüter Hugo Lloris mahnte nach dem 2:1-Sieg gegen die Socceroos: "Wir sind weit weg von Perfektion. Wir müssen unser Level anheben."
Das Niveau war deutlich schlechter, doch schnell wurden Gedanken an das verlorene EM-Finale 2016 wach. "Wir waren nicht gefährlich, nicht cool genug. In den entscheidenden Momenten hat uns etwas gefehlt", resümierte Deschamps 2016. Ein ähnliches Bild bot sich am Samstag in Kazan.
Frankreich trotz schwacher Leistung zufrieden
Große Panik brach im französischen Lager trotzdem nicht aus - irgendwie passend zur Lethargie des Spiels. "Auch wenn vieles noch nicht gestimmt hat, sind wir zufrieden", sagte etwa Samuel Umtiti. Die Equipe Tricolore zog das Positive aus der ersten Bewährungsprobe. Die Erleichterung, die erste Hürde genommen zu haben, überwog.
Für Antoine Griezmann war der schmeichelhafte Arbeitssieg ein erfolgreiches Herantasten an diese WM: "Es ist jetzt wichtig, weiter an unserem System zu arbeiten, Automatismen zu finden und uns an die Atmosphäre und den Druck zu gewöhnen."
Australiens Enttäuschung über den verpassten Punkt sprach Bände: Frankreich war einer kleinen Blamage entkommen. "Mit so einem blöden Glückstor zu verlieren ist sehr enttäuschend. Wir hätten den Punkt verdient", sagte Coach Bert van Marwijk.
Frankreichs Trainer Didier Deschamps: "Wir können mehr, viel mehr"
Frankreich wirkte planlos gegen zweikampfstarke und aggressive Australier. Eine Spielweise, wie sie die Franzosen nicht mögen. "Australien hat uns das Leben schwer gemacht. Uns haben die Rhythmuswechsel gefehlt, die richtige Einschätzung in den einzelnen Situationen. Wir haben keine großen Fehler gemacht, aber es fehlte uns an Tempo und Tiefe", monierte Trainer Didier Deschamps.
Mit dieser Form geht Frankreichs Reise bei der WM in Russland nicht weit, möchte man meinen. Deschamps kündigte an: "Wir können mehr - viel mehr!" Mit "mehr" meint der 49-Jährige wohl das Offensivspektakel, das sich die Welt im Vorfeld der WM von den Franzosen erwartet hatte.
Gegen eine mitspielende, agierende statt reagierende Mannschaft kommen die Stärken der Equipe erst richtig zum Tragen: Schnelligkeit, Dynamik, Zielstrebigkeit. Qualitäten, die Frankreich zum Auftakt gänzlich vermissen ließ. Die Mannschaft trat ordentlich auf die Euphoriebremse im eigenen Land.
Frankreichs Fazit nach Spiel eins: Passt. Weiter
Möglicherweise aufkommende Kritik erstickte Deschamps jedoch bereits im Keim: "Es ist nicht meine Aufgabe, hier Euphorie zu verbreiten. Wir haben unsere Aufgabe erledigt. Nicht mehr und nicht weniger." Man könnte Frankreichs Auftaktspiel in zwei Worten zusammenfassen: Passt. Weiter.
Es scheint, als warte Frankreich nur auf die großen Teams, um richtig loslegen zu können. Warten auf die Mannschaften, gegen die die Franzosen in den vergangenen großen Turnieren ausschieden. Die Nationen, gegen die die weiterentwickelte EM-Mannschaft nun bereit zu sein scheint, auch wenn es der erste Auftritt womöglich nicht vermuten lässt.
Zwar sollten sich Deschamps und Co. nicht an Vergangenes klammern, dennoch machen die Freundschaftsspiele gegen Italien (3:1), Deutschland (2:2), England (3:2) oder die Niederlande (4:0) Mut. In diesen Spielen hieß es: viele Ideen, viele Schnörkel. Schnörkel, die aufgrund der kollektiven Dynamik zu Toren führten.
Gegen Mannschaften wie die USA, die sich auf das Zerstören des französischen Spiels beschränkten, tat sich die Deschamps-Elf dagegen schwer - wie gegen Australien. Teams, die dem Gegenüber ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen, setzen sich gegen Frankreich jedoch dem Risiko aus, dass Mbappe, Griezmann und Co. im Umschaltspiel den Turbo zünden. Dann wird es für jede Abwehrreihe schwer, diese Offensive zu stoppen. Viel hängt also von der Spielanlage ab, ob die Equipe zur Entfaltung kommt - vom Auftakt gegen die Aussies sollte man daher nicht auf die aktuelle Stärke Frankreichs schließen.
In der Gruppenphase muss sich Frankreich wohl auch gegen Peru und Dänemark die Punkte erkämpfen. Danach hat das Warten ein Ende. Danach beginnt das Turnier von Frankreichs spektakulärer Offensive.
Frankreichs Gruppenspiele bei der WM 2018
Datum | Spielort | Gegner |
16. Juni | Kazan | Australien |
21. Juni | Jekaterinburg | Peru |
26. Juni | Moskau | Dänemark |