Friedhelm Funkel im Interview: "Druck ist komplett aus meinem Leben verschwunden"

Jonas Rütten
18. Oktober 201815:22
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Friedhelm Funkel hat sämtliche Rekordmarken als Trainer aufgestellt und geizt nicht mit Kritik an den neuen "Gepflogenheiten" im modernen Fußball. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der Trainer von Fortuna Düsseldorf über den respektlosen Umgang mit Trainern und geht diesbezüglich besonders mit den Spielern des FC Bayern und Journalisten hart ins Gericht.

Außerdem erklärt der 64-Jährige, warum er trotz der Schnelllebigkeit des Profigeschäfts immer noch Freude an seinem Beruf hat, warum er überhaupt keinen Druck mehr verspürt und niemals Trainer im Ausland war.

SPOX/Goal: Herr Funkel, was ist der Kern des Fußballs?

Friedhelm Funkel (lacht): Der Kern des Fußballs ist, gewinnen zu wollen. Ganz einfach. Man will sich sportlich mit anderen messen, dazu gehört aber natürlich auch Fairplay und der respektvolle Umgang miteinander. Das sind für mich die Kernpunkte des Fußballs.

SPOX/Goal: Vor ein paar Wochen haben Sie gesagt, man müsse mehr zum Kern des Fußballs zurückkommen. Da meinten Sie aber nicht unbedingt das Fairplay.

Funkel: Die Frage hieß damals glaube ich, ob der Fußball wieder zu alten Tugenden zurückkehren müsse. Das heißt, dass man wieder mehr auf die Menschen zugeht, mehr auf die Fans zugeht, sich einfach wieder mehr auf das Kerngeschäft des Fußballs konzentriert.

SPOX/Goal: Was bedeutet das für Sie?

Funkel: Den Fußball wieder in den Mittelpunkt zu stellen, anstelle von irgendwelchen Parolen oder Marketinggeschichten. Das habe ich damit gemeint.

SPOX/Goal: Nach der WM standen jene Parolen und Marketinggeschichten des DFB, sowie die mangelnde Fannähe der Mannschaft im Zentrum der Kritik. Nach dem öffentlichen Training in Berlin vor 5000 Zuschauern war die Rede von einem eingelösten Versprechen. Wie sehen Sie die Entwicklung in den vergangenen Wochen bezüglich der Nationalmannschaft?

Funkel: Die geht nur ganz langsam voran. Die Tatsache, dass die Nationalspieler jetzt wieder näher an die Fans rangehen und den Wünschen nach Autogrammen oder Fotos nachkommen, müsste noch viel mehr mit Überzeugung kommen. Man muss einfach wissen, was für einen Stellenwert die Nationalmannschaft in Deutschland hat. Die Deutschen lieben ihre Nationalmannschaft, sie wollen ihre Nationalmannschaft beim Training erleben, warten freundlich vor dem Hotel, wenn die Spieler ankommen und fragen nach Autogrammen. Da kann man nicht einfach wort- und grußlos vorbeigehen. Das mag seit der WM ein kleines bisschen besser geworden sein, aber da ist noch großes Verbesserungspotenzial vorhanden.

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Funkel übt Medienkritik: "Journaille treibt Trainer immer mehr in die Ecke"

SPOX/Goal: Verlangen Sie das von Ihren Spielern bei Fortuna Düsseldorf?

Funkel: Bei mir ist das selbstverständlich, dass ich stehen bleibe, wenn irgendjemand ein Foto von mir will, oder ich ihm mit einem Autogramm eine Freude machen kann. So viel Zeit muss immer sein, ich kenne das nicht anders. Das erwarte ich auch von meinen Jungs. Auch da muss ich ab und zu mal nachhaken und sie zurechtweisen, was aber sicherlich der heutigen Zeit geschuldet ist. Anders kann ich mir das nicht erklären.

SPOX/Goal: Wenn wir über die heutige Zeit sprechen, ist diese für Trainer bekanntermaßen nicht leicht. Gefühlt ist man als Bundesliga-Trainer gestern der Held und heute der Depp, der vom Hof gejagt wird.

Funkel: Diese Schnelllebigkeit ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Trainern. Besonders das, was im Vorfeld mit den Trainern veranstaltet wird. Daran hat die Journaille die Hauptschuld, weil sie die Trainer immer mehr in die Ecke treibt. Durch eine respektlose Berichterstattung über einen Trainer, der vielleicht gerade mal zwei Spiele verloren hat. Das muss man sich mal vorstellen: Da verliert man zwei Spiele und schon ist man ein schlechter Trainer und wird in einer Art und Weise von den Medien als Sündenbock dargestellt, die früher nicht so war. Früher sind Journalisten respektvoller mit der Situation und auch mit den Menschen umgegangen.

SPOX/Goal: Ist das, was in München beim FC Bayern gerade mit Niko Kovac passiert, ein Beleg für den Verlust dieses Respekts?

Funkel: In dem Fall finde ich es respektlos von Spielern zu behaupten, man habe keine Spielidee und kein gutes Offensivspiel oder es würden falsche Räume angelaufen. Die Superstars sollen sich an die eigene Nase fassen und schauen, was sie falsch machen. Drei Wochen vorher war noch alles in Ordnung mit dem, was der Trainer gesagt hat. Und jetzt ist alles falsch? Wenn man sieht, wie die Spieler bei den Gegentoren gegen Borussia Mönchengladbach am Gegenspieler vorbeilaufen, dann frage ich mich, was der Trainer dafür kann. Nämlich überhaupt nichts. Wenn diese Mannschaft nicht selbstständig ein gutes Offensivspiel auf den Platz bringen kann, dann ist das ein Offenbarungseid.

SPOX/Goal: Als Offenbarungseid gilt für viele auch die Entlassung von Tayfun Korkut beim VfB Stuttgart. Sportdirektor Michael Reschke hatte dem Trainer nach der Niederlage gegen Hannover noch öffentlich den Rücken gestärkt, nur um ihn wenige Stunden später zu beurlauben.

Funkel: Das ist natürlich nicht richtig gewesen. Da muss ich andere Formulierungen finden, wenn ich doch weiß, dass ich abends mit dem Vorstand darüber diskutiere. Da hat sich der Micha (Michael Reschke, Anm. d. Red.) unglücklich ausgedrückt und ich glaube, dass er das auch mittlerweile bereut. In der ein oder anderen Situation kann man mal ein bisschen flunkern, aber so krass? Das ist nicht in Ordnung.

SPOX/Goal: Punktemäßig ist Ihre Situation die gleiche, wie die des VfB unter Korkut. In Düsseldorf kommt aber niemand auf die Idee, dass ihr Stuhl wackeln würde.

Funkel: Weil wir über grundlegend andere Voraussetzungen sprechen. Sie müssen immer auch von den Zielsetzungen ausgehen. Bei uns wäre es eine Sensation, wenn wir in der Bundesliga bleiben. Wir machen unsere Sache bisher sehr, sehr gut, auch wenn wir drei oder vier Punkte zu wenig haben, die wir aufgrund unserer Leistung verdient gehabt hätten. Aber diese Leistung wird honoriert - und sie muss auch honoriert werden. Der VfB Stuttgart hat aber die Mannschaft für 40 Millionen Euro verstärkt und eine ganz andere Zielsetzung. Dass da Unruhe aufkommt, ist verständlich, auch wenn erst fünf oder sechs Spieltage vorbei sind.

SPOX/Goal: Womit wir wieder beim Thema Schnelllebigkeit wären.

Funkel: Es wird dir nun mal nirgendwo mehr Zeit gelassen. In dieser Situation denkt keiner mehr darüber nach, dass Tayfun Korkut dem VfB Stuttgart im letzten Jahr den Arsch gerettet hat. Da hat man doch gesehen, dass er ein guter Trainer ist. Er ist an der übertriebenen Erwartungshaltung gescheitert, die mit diesen 40 Millionen Euro gekommen ist. Wir haben in Düsseldorf gerade einmal zwei Millionen Euro investiert.

SPOX/Goal: Sie sagten, ein Klassenerhalt der Fortuna wäre eine Sensation. Mit Ihnen als Trainer verbinden viele Düsseldorfer die Hoffnung, dass diese Sensation eintritt. Verspüren Sie trotz der gedämpften Erwartungshaltung nicht doch ein wenig Druck?

Funkel: Ich verspüre schon lange keinen Druck mehr. Druck ist komplett aus meinem Leben verschwunden. Ich mache meinen Job noch, weil ich Spaß daran habe und mich daran freue, was wir in den letzten zwei Jahren mit dem Bundesliga-Aufstieg geschafft haben. Was wir hier als Verein, gemeinsam mit dem Trainerteam und den Spielern aufgebaut haben, ist sensationell.

SPOX/Goal: Was haben Sie Ihrer Mannschaft vor Beginn des Abenteuers Bundesliga gesagt?

Funkel: Dass wir überhaupt keinen Druck verspüren. Jeder sagt sowieso, dass die Fortuna Abstiegskandidat Nummer eins ist und überhaupt nicht drin bleiben kann. Aber dass wir trotz allem mithalten können, haben wir gezeigt. Jetzt müssen wir gucken, dass wir das ein oder andere Spiel mal gewinnen.

Funkel über die sozialen Medien: "Was soll ich damit? Das ist Humbug!"

SPOX/Goal: Am Freitag haben Sie die nächste Chance darauf. Dann geht es gegen Eintracht Frankfurt (20.30 Uhr im LIVETICKER). "Ausgerechnet", möchte man in Ihrem Fall fast sagen.

Funkel: Natürlich ist Frankfurt immer noch etwas Besonderes für mich. Dort war ich fünf Jahre lang erfolgreich und am Freitag nochmal als Trainer zurückzukehren, in dieses super Stadion mit diesen tollen Fans, das ist schon etwas Besonderes.

SPOX/Goal: Verraten Sie uns, wie Sie trotz der Schnelllebigkeit und allen Entbehrungen des Trainer-Daseins immer noch so eine Freude an Ihrem Job haben und so gut abschalten können.

Funkel: Vielleicht kann ich das besser als andere, weil ich älter bin und nicht mehr alles so ernst nehme, was geschrieben und gesagt wird. Das stört mich überhaupt nicht mehr. Soziale Netzwerke kenne ich nicht. Was soll ich damit? Das ist Humbug. Da wird maßlos übertrieben, du wirst in der Anonymität beschimpft und bedroht. Das interessiert mich alles gar nicht.

SPOX/Goal: Der Verzicht auf die sozialen Medien ist eine Sache. Sie haben aber auch mal gesagt, dass man öfter in die Oper gehen solle.

Funkel: Ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich mal gesagt habe, aber nein, ich bin kein Opernfreund. Ich höre querbeet deutsche Musik, ansonsten bin ich gar kein großer Musikfan. Ich gehe lieber mit Freunden aus, gehe gerne ins Kino oder spiele Tennis. Dinge, die ich auch nach den Spielen tue. Vor zwei Wochen haben wir 0:2 gegen Schalke verloren, soll ich deswegen schlechte Laune haben?

SPOX/Goal: Sagen Sie es uns.

Funkel: Wir haben in besagtem Spiel Dinge, die wir uns vorgenommen haben, gut umgesetzt. Das ist zunächst mal das, was ein Trainer sehen will. Das Ergebnis ist natürlich nicht unwichtig, aber manchmal kann man mit Niederlagen auch gut umgehen.

SPOX/Goal: Für Sie steht fest, dass Düsseldorf Ihre letzte Trainerstation sein wird. Eine von vielen in der Bundesliga. Mehr als 700 Mal standen Sie bei Profispielen in Deutschland an der Seitenlinie. Stationen im Ausland sucht man in Ihrem Lebenslauf hingegen vergeblich. Haben Sie niemals Fernweh gehabt?

Funkel: Nein, weil ich immer Möglichkeiten gehabt habe, in Deutschland zu arbeiten. Es ist ein wunderbares Land, in dem man sehr, sehr gut leben und im Fußball arbeiten kann. Mich hat nie irgendwas anderes gereizt.

Friedhelm Funkel: Stationen als Trainer

VereinAmtsantrittAmtsaustrittFunktionSpielePunkte/Spiel
Fortuna Düsseldorf14.03.2016-Trainer1291,53
1860 München07.09.201306.04.2014Trainer241,21
Alemannia Aachen19.09.201101.04.2012Trainer200,85
VfL Bochum01.07.201014.09.2011Trainer451,58
Hertha BSC03.10.200930.06.2010Trainer330,94
Eintracht Frankfurt01.07.200430.06.2009Trainer1941,34
1. FC Köln14.02.200230.10.2003Trainer751,56
Hansa Rostock19.09.200001.12.2001Trainer461,13
MSV Duisburg13.05.199624.03.2000Trainer1481,30
Bayer 05 Uerdingen03.06.199113.05.1996Trainer1861,20
Bayer 05 Uerdingen01.12.199003.06.1991Co-Trainer--
VfR Neuss01.07.198930.06.1990Trainer--