Friedhelm Funkel ist seit März 2016 Trainer bei Fortuna Düsseldorf. Im Interview spricht der 62-Jährige über Veränderungen der Trainertätigkeit im Laufe seiner Karriere, die Schere zwischen der ersten und zweiten Liga, Ambitionen mit der Fortuna und seine eigene Zukunft.
SPOX: Herr Funkel, nach Ihrer Entlassung bei 1860 München waren Sie beinahe zwei Jahre ohne Job. So lange waren Sie zuvor in Ihrer Karriere noch nie vereinslos gewesen. Hatten Sie damit gerechnet, noch einmal auf die Trainerbank zurückzukehren?
Friedhelm Funkel: Damit gerechnet habe ich schon, weil immer wieder Angebote gekommen sind, vorrangig aus dem Ausland. Ich wollte das aber nicht machen. Die Möglichkeit, dass ich noch einmal einsteige, war sehr gering, da ich nicht noch einmal umziehen wollte. Ich wohne 20 Kilometer von Düsseldorf entfernt in Krefeld. Das engt den Kreis der Vereine, die mich als Trainer verpflichten könnten, sehr ein. Ich hatte mit dem Trainerberuf noch nicht abgeschlossen, aber in meinem Hinterkopf war immer der Gedanke: Wenn nichts mehr kommt, ist es das eben. Bei der Anfrage der Fortuna war ich aber schnell wieder heiß, den Job zu machen.
SPOX: Haben Sie die freie Zeit dafür nutzen können, etwas Abstand zu gewinnen und Ihre Akkus aufzuladen?
Funkel: Ja, natürlich habe ich das gemerkt. Ich bin auch nach meiner Zeit bei 1860 in den letzten Spielen der Saison nicht mehr ins Stadion gegangen. Ich wollte abschalten. Ich habe viel Urlaub und Reisen gemacht, wozu ich vorher nie die Zeit hatte. Mit Beginn der folgenden Saison habe ich die ersten drei Ligen aber wieder beobachtet. Vielleicht nicht ganz so intensiv wie früher, aber natürlich bin ich noch ins Stadion gegangen, zu Trainerlehrgängen oder Fortbildungen. Ich wollte gewappnet sein.
SPOX: Sie sprechen Lehrgänge und Fortbildungen an. In den 26 Jahren Ihrer Trainerkarriere hat es viele Veränderungen gegeben. Wie unterscheidet sich die heutige Arbeit als Trainer von der in früheren Jahren?
Funkel: Da gibt es so viele Unterschiede. Ich fange mal damit an, dass der Trainerstab zu meiner Anfangszeit aus zwei Mann bestand: dem Cheftrainer und dem Co-Trainer. Der gesamte Stab hat sich gewaltig geändert. Manche Vereine haben acht bis zwölf Leute an der Seite. Hier ist es so, wie ich es optimal finde: Du hast mit Peter Hermann einen Trainer an deiner Seite, du hast einen Torwarttrainer, einen Fitnesstrainer, einen Videoanalysten - in dieser überschaubaren Gruppe kann man sehr intensiv zusammenarbeiten. Klar kann man darüber nachdenken, einen zweiten Fitnesstrainer oder einen Rehatrainer dazu zu nehmen, aber ich halte es nicht für nötig. Darüber hinaus hat sich die Trainingslehre entwickelt. In der Vorbereitung wird nicht mehr so viel gelaufen, sondern viel mehr mit dem Ball trainiert. Die Spieler sind selbstbewusster geworden und kommen durch die Nachwuchsleistungszentren viel besser vorbereitet in den Lizenzbereich. Auch der Umgang mit den Medien ist ein anderer als früher. Eigentlich lässt sich der Beruf kaum noch vergleichen.
spoxSPOX: Bleiben wir beim größeren Trainerstab: Hat sich dadurch der Arbeitsaufwand für einen Cheftrainer erhöht, weil er mehr koordinieren muss, oder ist es weniger geworden?
Funkel: In der täglichen Arbeit ist es weniger geworden, weil man sich mit seinem Trainerteam abspricht und viel delegieren kann. In den Trainingseinheiten kann man sich darauf konzentrieren, die Beobachterrolle einzunehmen, weil man genau weiß, die Kollegen sind richtig gut. Dadurch sehe ich deutlich mehr und kann Einzelgespräche führen. Dafür ist die Arbeit außerhalb des Trainingsbetriebs anders geworden. Die Pressekonferenzen sind ausführlicher. Du hast mehr Sponsorentermine, wirst viel mehr in Anspruch genommen. Aber das kannst du in Ruhe wahrnehmen, weil das Andere gut aufgeteilt ist.
SPOX: Bei Ihren letzten Trainerstationen haben Sie stets mit anderen Trainerteams zusammen gearbeitet und hatten nicht wie einige Kollegen einen festen Co-Trainer, den Sie immer mitgebracht haben. Erkundigen Sie sich vor Antritt eines Jobs über Ihre neuen Kollegen?
Funkel: Ich muss mich gar nicht erkundigen, weil ich alle kenne. Peter Hermann kenne ich seit 40 Jahren. Für mich war völlig klar, dass Peter über jeden Zweifel erhaben ist. Er wäre auch ein erstklassiger Trainer, aber er mag eben nicht diese Medienarbeit. Deswegen bleibt er im zweiten Glied. Aber er ist kein Co-Trainer ist. Er ist Trainer. Er steht an meiner Seite - nicht unter mir oder hinter mir, sondern mit mir zusammen. Auch die anderen Trainer, mit denen ich gearbeitet habe, kannte ich vorher. Für mich war es ein großes Glück, dass ich immer so gute Leute an meiner Seite hatte.
SPOX: Also ist es für Sie ein Argument, wenn Sie einen Job abwägen, mit wem Sie künftig zusammen arbeiten werden?
Funkel: Das ist ein wichtiges Argument. Dem Mann, mit dem du arbeitest, musst du zu 100 Prozent vertrauen können und zwar nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. Da hatte ich bislang keinen einzigen, der hinter meinem Rücken gegen mich gearbeitet hätte oder ähnliches.
SPOX: Bei Ihrer Station in Bochum haben Sie 2011 nur knapp in der Relegation gegen Borussia Mönchengladbach den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga verpasst. Seitdem hängt der VfL in der zweiten Liga fest. Ähnlich ging es zuletzt auch anderen Traditionsvereinen wie Kaiserslautern oder St. Pauli. Worin bestehen Ihrer Meinung nach die großen Schwierigkeiten, wenn ein solcher Klub den Aufstieg nicht sofort schafft?
Funkel: Ich glaube, dass der Anspruch im Umfeld den Verantwortlichen sehr viel Druck gibt. Die finanzielle Situation wird mit jedem Jahr angespannter. Wenn man dann dazu unglückliche Personalentscheidung trifft, wird es noch einmal schwieriger. Das war möglicherweise bei den Vereinen, die Sie genannt haben, in der Vergangenheit der Fall. Beim VfL Bochum ist es mit Sicherheit der Fall gewesen, denn das habe ich noch näher verfolgt. Im vergangenen Jahr waren sie auf einem guten Weg, mussten dann aber wieder viele Leistungsträger abgeben. Einen Stürmer, der über 20 Tore geschossen hat, kannst du nicht ersetzen. Stürmer wie Terodde wachsen nicht auf Bäumen. Deswegen ist es beim VfL in diesem Jahr etwas holpriger, als sie es sich selbst gewünscht haben.
SPOX: Aber ist das nicht das natürliche Los eines Zweitligaklubs, dass Leistungsträger gehen?
Funkel: Fakt ist: Wenn ein Spieler aus einer Zweitligamannschaft herausragt, kommen die Bundesligavereine und es ist kaum möglich, ihn zu halten. Deshalb ist es so schwierig, sich langfristig zu einem Aufstiegskandidaten zu entwickeln. Wenn man eine gute Mannschaft zusammen hat und eine Siegesserie startet, muss man möglichst direkt die Gunst der Stunde nutzen, um aufzusteigen.
SPOX: Eine Erschwernis ist sicherlich die Relegation. Seit Wiedereinführung hat sich der Bundesligist in sechs der acht Begegnungen durchgesetzt. Zuletzt gab es sogar vier Bundesligisten-Erfolge hintereinander. Muss dieser Modus auf den Prüfstand?
Funkel: Ich würde die Relegation sofort wieder abschaffen. Vor allem wurde sie eingeführt, als die zweite Liga zwei Wochen vor der Bundesliga anfing. Dadurch hatten wir seinerzeit in Bochum nach der verlorenen Relegation nur zwei Wochen Urlaub. Das war ein riesiger Nachteil. Ich habe es damals schon nicht verstanden. Warum gibt man dem Drittletzten der Bundesliga die Chance drinzubleiben und nimmt dem Dritten der zweiten Liga den direkten Aufstieg? Das ist aus meiner Sicht nicht gerecht. Drei Aufsteiger, drei Absteiger - fertig, aus. Aber da sind wir wieder beim Kommerz, beim Fernsehen, beim Geld.
SPOX: Finanziell geht die Schere zwischen der ersten und der zweiten Liga in den letzten Jahren immer weiter auseinander. Ist diese Entwicklung überhaupt zu stoppen?
Funkel: Nein, ist sie nicht. Die Entwicklung geht ja schon innerhalb der Bundesliga immer weiter auseinander. Die Vereine, die jahrelang in der Champions League spielen, sind von den anderen Vereinen so weit entfernt, dass man das gar nicht mehr ausgleichen kann. Die Zweitligavereine haben null Chance, in diese Sphären zu kommen. Trotzdem hat ein Aufsteiger immer die Möglichkeit, in der Bundesliga zu verbleiben, mal länger, mal nur ein oder zwei Jahre. Aber in dieser Zeit kann man die ganze Infrastruktur so gut auf die Beine stellen, dass man davon profitiert. Das hat Paderborn gemacht, das macht auch Darmstadt jetzt. Sie bauen neue Trainingsplätze, ein neues Trainingsgelände. Das muss man machen, wenn man die Chance hat. Darmstadt ist jetzt ein zweites Jahr oben, Ingolstadt auch. Mainz hat sich etabliert, Augsburg hat sich etabliert. Das hat den beiden niemand zugetraut. Das zeigt: Es ist nach wie vor machbar, sich als Zweitligist heranzuarbeiten. Da spielt auch eine Rolle, dass die beiden Vereine immer lange mit ihren Trainern gearbeitet haben.
SPOX: Sie brechen eine Lanze für Kontinuität auf der Trainerbank. Aktuell spielen in der Spitzengruppe der zweiten Liga die beiden Vereine mit den dienstältesten Trainern, Eintracht Braunschweig mit Torsten Lieberknecht und der 1. FC Heidenheim mit Frank Schmidt. Ist das für Sie eine Genugtuung?
Funkel: Ja, das finde ich toll. Ich habe es damals in Uerdingen selbst erlebt, dass Fans und Verantwortliche eines Vereins nach einem Abstieg am Trainer festhalten. Das ist auch in Braunschweig der Fall gewesen. Sie sind überzeugt von Torsten Lieberknecht, haben bis 2020 verlängert. Ich kann mich noch an das letzte Bundesligaspiel von Braunschweig erinnern. Da sind sie abgestiegen und die Fans haben die Mannschaft und den Trainer gefeiert. Sie hatten eben realistische Ziele und wussten, dass sie auch wieder absteigen können. Mittlerweile haben sie sich wieder so stabilisiert, dass der Aufstieg wieder möglich ist.
SPOX: Welche Vorteile hat es für die Arbeit als Trainer, wenn man über Jahre hinweg kontinuierlich arbeiten kann?
Funkel: Das ist enorm. Wichtig ist, dass die Mannschaft nicht das Gefühl hat, Trainer, Sportvorstand und Aufsichtsrat sind nicht einer Meinung. Wenn der hundertprozentige Rückhalt im Verein da ist und jeder das Gefühl hat, der Trainer sitzt auch nach fünf Niederlagen fest im Sattel, hat er eine ganz andere Autorität. Und in der Regel wird das auch belohnt.
SPOX: Kommen wir zur aktuellen Situationen bei der Fortuna: Wie schätzen Sie den Saisonstart ein?
Funkel: Er ist befriedigend. Es waren ein paar Punkte mehr möglich, deshalb nenne ich ihn nicht gut. Auf der anderen Seite hätten wir diesen Start vor der Saison sicherlich unterschrieben. Wir haben in keinem Ligaspiel bislang brutal enttäuscht - selbst im Heimspiel gegen bärenstarke Dresdner nicht, da die Mannschaft trotz des Spielverlaufs nie aufgesteckt hat. Als Trainer fällt es leichter, ein Spiel zu verlieren, wenn man das Gefühl hat, die Mannschaft hat alles gegeben. Da sind wir bei Statistiken: In vielen Spielen sind wir mehr gelaufen, haben mehr Zweikämpfe gewonnen, mehr Torschüsse, aber das ist eben nicht entscheidend.
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SPOX: Haben diese Statistiken nicht dennoch einen Einfluss auf die Nachbetrachtung? Fuchst es einen mehr, wenn man denkt, es wäre mehr drin gewesen?
Funkel: Natürlich fuchst es einen dann mehr. Aber man ist trotzdem nicht unzufrieden mit seiner Mannschaft. Ich habe meinen Mannschaften immer gesagt, dass ich sie nicht nur nach dem Ergebnis beurteile. Manchmal kann man ein super Spiel machen und trotzdem verlieren.
SPOX: Während Ihrer Station bei 1860 München haben Sie gesagt, dass Sie unbedingt noch einmal in die Bundesliga aufsteigen möchten. Wie sehen Ihre Ambitionen bei der Fortuna aus?
Funkel: Zuallererst wollen wir uns stabilisieren. Es ist drei Jahre tabellarisch nur nach unten gegangen. Diesen Trend wollen wir stoppen. Da sind wir auf einem vielversprechenden Weg. Nicht mehr und nicht weniger. Dann muss man schauen, was in der nächsten Saison möglich ist. Ob ich dann überhaupt noch hier bin oder ob die Verantwortlichen jemand anderes verpflichten wollen, weiß ich nicht, aber das sehe ich sehr gelassen. Natürlich wäre es ein Traum, mit der Fortuna mittelfristig noch einmal in die Bundesliga aufzusteigen, aber ob das realisierbar ist, werden die nächsten Monate zeigen.
SPOX: Ihr eigener Vertrag läuft bis Ende der Saison. Sie haben schon einmal öffentlich über ein Karriereende nachgedacht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Fortuna Ihr letzter Verein ist?
Funkel: Im Moment bin ich unglaublich motiviert zu arbeiten, weil ich mein Privatleben und mein Berufsleben optimal miteinander verbinden kann. Das ist in unserem Job Luxus. Ich bin so oft umgezogen und musste meine Lebensgefährtin oder früher meine Familie zu Hause lassen. Das möchte ich nicht mehr. Man muss realistisch sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch einmal bei einem neuen Verein anfange, den ich von Krefeld aus erreichen kann, nicht sehr groß ist. Deswegen ist es durchaus möglich, dass Fortuna meine letzte Trainerstation ist.
SPOX: Aber ausschließen wollen Sie nichts?
Funkel: Nein, das nicht, aber es liegt nahe. Wenn dann natürlich Borussia Dortmund kommt, mache ich es vielleicht noch einmal. (lacht)
Friedhelm Funkel im Steckbrief