München - Bayern-Fans verfluchten ihre Lieblinge, schlugen wahlweise Mobiliar zu Kleinholz oder Kneipen-Kumpels zu Brei, verbrannten ihre Trikots um sich letztlich doch wieder neu zu verlieben.
Bayern-Hasser feierten die größte Partie seit Barcelona 1999, lachten 119 Minuten lang über allerhand Stümpereien der Münchner, füllten bereits Mitgliederanträge des FC Getafe aus, um letztlich doch wieder alles und jeden zu verfluchen.Die Highlights des Spiels im Video!
Und die ganz neutralen ergötzten sich einfach an einem Stück Fußball-Geschichte. Verwenden wir doch einfach die Worte des fantastischen Bruce Darnell: "Sexy, sexy, Baby, Drama, D-R-A-M-A!"
Ein Drama auch für viele SPOX-User - hier nochmal die Kommentare der letzten Nacht!
"In zehn Jahren wird nicht mehr über das Champions-League-Finale 1999 gesprochen, sondern über dieses Spiel in Getafe", orakelte Oliver Kahn. Hinter ihm hing ein Poster mit der Aufschrift "Los milagros existen" - Wunder geschehen.
Spielerische Linie fehlt
Aber warum eigentlich? Oder eher: Wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Fest steht, dass der FC Bayern das UEFA-Cup-Halbfinale nur mit einem überdurchschnittlichem Maß Glück erreicht hat. Das musste sich selbst Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge eingestehen, der eine tiefe Abneigung gegen die Mär vom Bayern-Dusel hegt.
Der FC Bayern spielte am Donnerstagabend guten Fußball - für fünf Minuten. Dann flog Getafes Ruben de la Red vom Platz - berechtigt oder unberechtigt sei dahingestellt - und mit ihm Bayerns Konzept.
Eine spielerische Linie war in der Folge nie mehr zu erkennen. Bastian Schweinsteiger hielt sich vermehrt im Zentrum auf, stand dort Ze Roberto und Mark van Bommel meist im Weg, anstatt dem an diesem Abend total überforderten Christian Lell auf der rechten Seite aus der Bredouille zu helfen.
Dadurch verlagerten sich die schleppend und ideenlos vorgetragenen Angriffe auf die linke Seite, wo Franck Ribery in der ersten Halbzeit jeden Zweikampf verlor und der eifrige aber erschreckend uninspirierte Philipp Lahm Alibipässe bis zum Exzess spielte.
Keine Struktur, schwache Standards
Miroslav Klose und Luca Toni weigerten sich beharrlich, ihren Kettenhunden Manuel Tega und David Belenguer zu entkommen. Ein Beweis der Harmlosigkeit gefällig? Zwischen Franck Riberys Pfostentrommler und seinem Tor zum 1:1 lagen 83 Minuten, in denen Getafe-Schlussmann Roberto "Pato" Abbondanzieri nur einen einzigen Schuss (!) parieren musste.
Durchdachte, strukturierte Aktionen im Spiel nach vorne fielen komplett aus, Flanken und Standards wurden nach Schema F ohne jegliche Variation ausgeführt. In seiner Verzweiflung chippte van Bommel den Ball in Hälfte zwei nonstop wie ein Golfspieler planlos in den Sechzehner.
Getafe führte die Bayern auch in Unterzahl teilweise spielerisch vor und war dem hohen Gast aus München auch in Sachen Leidenschaft und Willen weit voraus.
Lange Zeit wurde man das Gefühl nicht los, dass der eine oder andere Bayern-Spieler nicht verstanden hatte, wo und warum er gerade in welchem Wettbewerb seiner Profession nachgeht.
Jose Ernesto Sosa ließ sich selbst in der Endphase beim Stand von 1:0 für Getafe beim Ausführen von Ecken und Freistößen nicht von seiner fahrigen Einstellung abbringen.
Unverwüstlicher Glaube
Erst als es eigentlich schon zu spät war, wachten die Bayern endlich auf und drehten die Partie dank ihres unverwüstlichen Glaubens, einer Qualität, die sie von allen anderen deutschen und vielen europäischen Vereinsmannschaften unterscheidet.
"Manche sagen, Bayern ist erst geschlagen, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Das stimmt so nicht. Sie sind erst geschlagen, wenn sie im Bus sitzen und über die Grenze gefahren sind", sagte Real Madrids Raul einmal.
Doch Glück und Never-give-up-Mentalität sind nicht unerschöpflich. Und sich ständig auf die Heilsbringer Toni und Ribery zu verlassen, wäre fahrlässig.
Kahn selbstkritisch
Um das angestrebte Triple zu erreichen, bedarf es weit mehr. Ein klares Konzept ist bei Bayern kaum zu erkennen. Für die Bundesliga wird es aus Qualitätsmängeln der Konkurrenz reichen. Überzeugt haben die Münchner aber auch auf nationalem Terrain zu selten.
Und international "haben wir eigentlich nichts verloren, so wie wir gespielt haben", stellte Kahn klar. Manager Uli Hoeneß forderte nach dem Getafe-Spiel erneut, man müsse endlich aufhören, bei Siegen des FC Bayern alles in Frage zu stellen.
Das hat niemand vor, doch es muss erlaubt sein, die im Getafe-Spiel offensichtlich gewordenen Defizite einer Mannschaft, die im nächsten Jahr um den Champions-League-Titel spielen will, aufzuzeigen. Bei allem Respekt vor Glaube, Moral und Glück.