Die Glasgow Rangers touren nach Insolvenzverfahren und Zwangsabstieg mit einer Millionen-Truppe durch die Niederungen des schottischen Profifußballs. Immerhin: Weltrekorde können die Gers auch in der vierten Liga fabrizieren. Das Ende des schottischen Fußballs oder nehmen die Rangers nur Anlauf, um in eine neue Ära zu starten?
Der dritte Spieltag der neuen Saison beginnt für die Glasgow Rangers mit einer besonderen Reise. Erstmals in ihrer 140-jährigen Vereinsgeschichte findet eines ihrer Ligaspiele auf englischem Boden statt. Soweit eigentlich kein Problem.
Berwick-upon-Tweed ist immerhin nur rund fünf Kilometer von der schottischen Grenze entfernt. Aber dennoch hat man nach der Ankunft das Gefühl, der Busfahrer sei irgendwo falsch abgebogen. Denn mit englischen Fußballstadien, wie man sie aus London, Manchester oder Liverpool kennt, hat das wenig zu tun.
Die Sportanlage der Berwick Rangers liegt genau zwischen einer kleinen Wohnsiedlung und dem riesigen Gelände eines Getreide-Konzerns. Eine Pferderennbahn trennt die immerhin rund 4.000 Zuschauer im Shielfield Park vom Spielfeldrand. Der Übertragungswagen von "SkySports" steht zwischen Traktoren und Getreidesilos, die Fans parken auf der Wiese vor der Sportanlage. Rot-weißes Absperrband weist ihnen den Weg.
Millionen-Truppe in Amateur-Liga
Was klingt wie der Albtraum eines Spielers der Glasgow Rangers, ist für den schottischen Rekordmeister seit dieser Saison traurige Realität. Nach überstandenem Insolvenzverfahren und dem Neubeginn in der vierten schottischen Liga (Third Division) gehören solche Auswärtsreisen für den Rekord-Klub zum Tagesgeschäft.
Gewöhnungsbedürftig ist die Situation aber nicht nur für die Rangers, sondern auch für die anderen Teams in der Liga. Denn diese sehen sich nun mit einer Mannschaft konfrontiert, die die Verhältnisse im Wettbewerb vollkommen auf den Kopf stellt.
13,2 Millionen Euro ist der aktuelle Kader der Rangers laut "transfermarkt.de" wert. Die ganze Third Division bringt es zusammen gerade mal auf rund 20 Millionen. Immerhin zwölf Spieler aus der letzten Saison sind den Rangers erhalten geblieben. Darunter auch echte Hochkaräter wie Linksverteidiger Lee Wallace. Der Schotte war zuletzt unangefochtener Stammspieler in der schottischen Premier League und bringt es auf immerhin 13 Länderspiele.
Mit seinen 2,5 Millionen Euro ist allein er mehr wert als die kompletten Kader der Liga-Konkurrenz aus Berwick City, Elgin City, Annan Athletic, Queens Park und East Stirling zusammen. Auch Kapitän Lee McCulloch (34), seit fünf Jahren im Klub, blieb dem schottischen Vizemeister treu.
Bereits im Juni, also vor dem Gang in die vierte Liga, schwor er dem Klub seine Treue: "Seit ich in Motherwell geboren wurde, war es mein Traum, für diesen Klub zu spielen. Das Trikot der Rangers zu tragen ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Es läuft derzeit nicht gut für uns, aber es wäre zu einfach, jetzt zu gehen."
Stotterstart in Third Division
Auch wenn vor der Saison auf dem Papier also alles auf einen Durchmarsch der Rangers und zweistellige Schlappen für die Konkurrenz hindeutete, verlief der Saisonstart für den ehemaligen schottischen Branchenprimus alles andere als zufriedenstellend.
Zuhause gab es zwar drei hohe Siege (5:1, 5:1, 4:1), in der Fremde kamen die "Gers" jedoch drei Mal nicht über ein Unentschieden hinaus. Am vergangenen Wochenende setzte es dann beim bisherigen Tabellenletzten Stirling Albion sogar die erste Niederlage (0:1).
"Jedes Auswärtsspiel wird wie ein Pokalspiel. Das ist das, was uns bevor steht. Die Mannschaften werden heiß darauf sein. Das müssen unsere Spieler endlich realisieren", kündigte Trainer Ally McCoist schon nach den ersten Spielen an.
Schuldenberg zwingt Betreiberfirma in die Insolvenz
Bereits im Februar mussten die Rangers die Insolvenz ihrer Betreibergesellschaft anmelden. Auf rund 170 Millionen Euro soll sich der Schuldenberg belaufen haben.
Weil sich die Gläubiger nicht auf eine annehmbare Lösung einigen konnten, wurde die Betreiberfirma "Rangers Football Club plc" aufgelöst und alle Rechte und Besitztümer des Vereins an ein Investorenkonsortium von Charles Green (Sevco Scotland) übertragen.
Sowohl Vereinsführung als auch Insolvenzverwalter betonten dabei immer wieder, dass der Verein an sich, sein Wappen, seine Trikots, seine Erfolge und seine Geschichte durch den Wechsel der Betreibergesellschaft nicht betroffen seien.
Nach Beantragung einer Profilizenz durch Sevco Scotland stimmten die Klubs der Scottish Premier League Anfang Juli mit einer breiten Mehrheit für einen Ausschluss der Rangers aus der ersten Liga. Gemäß der Statuten der Scottish Football League wurde der Verein daraufhin in die Third Division, die unterste Profiliga in Schottland, eingegliedert.
Die teuren Neunziger Jahre
Doch wie konnte es überhaupt passieren, dass ein Klub wie die Glasgow Rangers derart tief sinkt? Ein Klub, der 54 Mal die Meisterschaft gewonnen hat, so oft wie kein anderer Verein der Welt. Ein Klub, bei dem große Spieler aus ganz Europa wie Paul Gascoigne (England), Gennaro Gattuso (Italien) oder Brian Laudrup (Dänemark) unter Vertrag standen.
Der finanzielle Kollaps der Rangers hatte sich bereits über mehrere Jahre abgezeichnet und geht auf das Ende der 90er-Jahre zurück, als die Gers versuchten, ihrem nationalen Konkurrenten Celtic Glasgow zu enteilen und nebenbei auch noch die Champions League zu gewinnen.
Allein während der gemeinsamen Amtszeit von Manager David Murray und Trainer Dick Advocaat gaben die Schotten über 100 Millionen Euro für Transfers aus. Die Spielergehälter sind dabei noch nicht berücksichtigt.
"Für jeden Fünfer von Celtic geben wir einen Zehner aus"
Murray sagte damals im Bezug auf Rivale Celtic: "Für jeden Fünfer, den die ausgeben, geben wir einen Zehner aus." Der große Wurf auf internationaler Ebene gelang den Rangers allerdings nie. Mit den Einnahmen aus dem schottischen Ligaalltag allein ließen sich Gascoigne und Co. nicht bezahlen.
Aus der gleichen Epoche hing dem Klub zudem ein Steuerverfahren am Hals. Jahrelang befanden sich die Rangers in einem Rechtsstreit mit der 2005 gegründeten Steuer- und Zollbehörde "HMRC" (Her Majesty's Ravenue and Costums), die bis zu 90 Millionen Euro an Steuernachzahlungen eingefordert haben soll.
Der schottische Rekordmeister wurde beschuldigt, zehn Jahre lang zu geringe Steuern bei der Entlohnung von Angestellten entrichtet und zudem Spieler über ein fragwürdiges Fondsmodell bezahlt zu haben - ohne dabei Steuern abzuführen.
Seite 2: Weitere finanzielle Sorgen und hoffnungsvolle Talente
Angesichts dieser Vorwürfe also eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, die Rangers zum Neustart in der vierten Liga zu zwingen. Leicht dürfte den Vertretern der Scottish Football League die Entscheidung dennoch nicht gefallen sein. Dazu sind ihre Konsequenzen für den gesamten Fußball in Schottland zu weitreichend.
David Longmuir, Vorsitzender der schottischen Fußball Liga (SFL), steht trotzdem voll und ganz hinter der Entscheidung: "Die heutige Entscheidung war eine der schwersten für alle Beteiligten, aber sie wurde im Interesse der sportlichen Fairness getroffen. Diese bildet das Fundament des schottischen Fußballs", sagte er nach der Abstimmung.
"Diese Entscheidung wahrt die sportliche Integrität des schottischen Fußballs, wie sie die Fans im ganzen Land gefordert haben", so Klubeigner Charles Greeen. "Aber sie wird auch große Auswirkungen auf den gesamten schottischen Fußball haben. Welche das genau sind, wird sich mit der Zeit heraus stellen."
TV-Sender schwören Liga die Treue
Was jetzt schon fest steht: Vor allem finanziell wird das schottische Oberhaus in Zukunft größere Abstriche machen müssen. Lange ging sogar die Angst davor um, der TV-Sender "Sky" könnte seine Übertragungen einstellen und die bestehenden Verträge aufgrund einer Ausstiegsklausel kündigen.
Immerhin, dieses Katastrophenszenario konnte verhindert werden. Ende Juli verlängerten "Sky" und Zweitrechteverwerter "ESPN" ihre Verträge um weitere fünf Jahre. Sogar fünf Spiele der Rangers aus der vierten Liga sollen pro Jahr live gezeigt werden.
"Wir unterstützen den schottischen Fußball seit über 20 Jahren und wollten immer, dass dieses Engagement bestehen bleibt", erklärte "SkySports"-Geschäftsführer Barney Francis. 100 Millionen Euro war "Sky" vor dem Absturz der Rangers angeblich bereit, in den nächsten fünf Jahren zu bezahlen. Davon dürfte man jetzt allerdings ein gutes Stück weit entfernt sein.
Liga droht "schleichender Tod"
Und auch wenn für die finanzielle Grundsicherung gesorgt ist, hat die Liga mit dem Rangers-Aus deutlich an Attraktivität verloren. Das gilt sowohl für Sponsoren als auch für die Fans. Denn das Aufeinandertreffen der beiden Glasgow-Klubs im Old Firm und deren spannenden und gut zu vermarktenden Titelkampf wird vorerst nicht mehr stattfinden.
Auch international gibt es mit Celtic Glasgow jetzt nur noch einen Klub, der in den europäischen Klubwettbewerben ernsthaft mithalten und Punkte für die Fünfjahreswertung sammeln kann.
Mittelfristig kann Schottland seinen 15. Platz im Ranking wohl nicht halten und wird einen der beiden Qualifikationsplätze für die Champions League einbüßen. "Im schlimmsten Fall droht der langsame und schleichende Tod des schottischen Fußballs", mutmaßt Verbandschef Stewart Regan.
GettyWeltrekord im ersten Heimspiel
Die Rangers selbst stehen finanziell ebenfalls nach wie vor unter Druck. Denn trotz Insolvenz und Zwangsabstieg wurden keinerlei Mitarbeiter entlassen. Auch Trainer Ally McCoist lässt sich der neue Rangers-Boss Charles Green einiges kosten. Mit rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr verdient er genauso viel, wie sein Vorgänger Walter Smith in der Scottish Premier League.
Um diese Last stemmen zu können, benötigen die "Gers" zumindest bei ihren Heimspielen einen Zuschauerschnitt von 30.000 Fans. Zumindest bisher liegen die Rangers dabei auf Kurs. Zum ersten Heimspiel der neuen Saison gegen East Stirlingshire kamen unglaubliche 49.118 Zuschauer in den Ibrox Park von Glasgow. Damit stellte der Klub sogar einen neuen Weltrekord auf. Noch nie kamen so viele Menschen in ein Stadion, um ein Fußballspiel in der vierten Liga zu sehen.
Startet der Nachwuchs in eine neue Ära?
Der lange Weg zurück in die Premier League ist gleichzeitig auch eine große Chance. Eine Chance, vor allem für die jungen Spieler im Kader, die vor der Saison aus den Jugendmannschaften zu den Profis gestoßen sind.
Die beiden schottischen U-19-Nationalspieler Lewis MacLeod (18) und Barrie McKay (17), die in allen bisherigen sechs Ligaspielen zum Einsatz kamen, beispielsweise. Oder der beidfüßig starke Mittelfeldspieler Robbie Crawford (19). Alle drei besitzen langfristige Verträge bis Juni 2017 bei den Rangers und könnten sich, wie der Klub selbst, langsam an das Niveau der ersten Liga heran tasten.
"Alle sprechen immer von der großen Zeit, als Manchester United Spieler wie Giggs, Neville, Butt oder Beckham hervor gebracht hat. Ich will nicht sagen, dass sie so gut sind wie die. Aber wir haben tolle Jungs, die durch die besonderen Umstände die Möglichkeit bekommen, in der ersten Mannschaft zu spielen. Gerade jetzt ist der beste Moment in der Vereinsgeschichte, um ein Nachwuchsspieler zu sein", verdeutlicht Kapitän McCulloch.
Giggs und Co. prägten bei den Red Devils bekanntlich eine ganze Ära. Gelingt dies auch MacLeod, McKay und Crawford, finden die Spiele der Glasgow Rangers auf englischem Boden in einigen Jahren wieder in der Europa Champions League statt und nicht auf dem Sportplatz der Berwick Rangers.
Die Glasgow Rangers in der Übersicht