Zu weich? Zu nett? Zu harmoniebedürftig? Trainer Armin Veh überrascht beim Hamburger SV mit deutlichen Ansagen und einem autoritären Führungsstil. Immerhin hat er am eigenen Leib erfahren, wie schnell man sein Talent endgültig vergeuden kann. Die Spieler danken ihm die klare Linie.
"In dieser Saison bin ich wirklich an meine Grenzen gekommen", sagte Bernd Hoffmann vor gut drei Monaten. Und man sah es ihm auch an: Der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV hatte die Nase gestrichen voll.
Auch Bruno Labbadia hatte es nicht geschafft, den hochbegabten Kader zu einer angemessenen Leistung zu überreden, also musste Hoffmann schon wieder einen neuen Trainer suchen - den siebten in sieben Jahren.
Und während er sich zwei Jahre zuvor noch 177 Tage lang durch endlose Dossiers geackert hatte, um den Richtigen zu finden, musste man nun fast befürchten, er würde sich diesmal an sein Gefühl halten: die pure Wut im Bauch.
Mit deutlichen Worten kündigte er den großen Charaktertest an und versprach eine starke Hand auf der Bank, die es der Mannschaft endgültig austreiben würde, in der entscheidenden Phase der Saison wahlweise die Nerven oder die Lust zu verlieren.
Und so erwartete Hamburg vor der Präsentation nicht weniger als eine Mischung aus Huub Stevens, Felix Magath und Chuck Norris - einen Trainer direkt aus der Hölle. Doch dann betrat Armin Veh das Podium, frisch vom Herrenausstatter, und lächelte sehr freundlich.
Vehs Argumente
Der 49-Jährige war zwar schon 2008 ein ernsthafter Kandidat in Hamburg, trotzdem war die Wahl zu diesem Zeitpunkt eher überraschend. Zu weich, zu harmoniebedürftig, zu unentschlossen in Krisensituationen: Das öffentliches Bild passte so gar nicht zum trotzig angekündigten Neunanfang - nach seinem Scheitern in Wolfsburg zumal.
Doch vielleicht überzeugte Veh in den Gesprächen mit dem HSV ja durch die Berichte aus Stuttgart, wo er 2006 unter ähnlichen Voraussetzungen die Arbeit begann. Auch dort übernahm er eine Mannschaft, die dem Vorgänger Giovanni Trapattoni außer Kontrolle geraten war, auch dort konnte er sich in einer Saison ohne internationalen Wettbewerb voll auf die Liga konzentrieren - und dort wurde er schließlich deutscher Meister.
Oder er erklärte Hoffmann, wie er damals Serdar Tasci und Sami Khedira zu den Profis holte und den Nachwuchskräften damit den Weg in die Nationalmannschaft ebnete. In Hamburg hat seit über 20 Jahren kein Eigengewächs mehr den großen Durchbruch geschafft. Die bemerkenswert schlechte Quote beim Übergang von der U 23 zu den Profis ist mithin eines von Hoffmanns großen Themen.
Vehs bitteres Karriereende
Oder aber Veh erzählte von seiner Zeit als Spieler. Wie er in Kaiserslautern unglücklich umknickte und sich einen komplizierten Beinbruch zuzog: "Das war der Moment, an dem meine Karriere vorbei war. Als mein Fuß praktisch neben mir lag, gingen mir unzählige Gedanken durch den Kopf."
Erst danach, sagt Veh heute, habe er auch angefangen zu begreifen, dass er sein Talent vergeudet hat. In Augsburg hatte er parallel mit Bernd Schuster seinen Weg begonnen, wenig später in Gladbach zusammen mit Lothar Matthäus gespielt.
"Fußballerisch konnte mir keiner das Wasser reichen, mir ist immer alles sehr leicht gefallen", erinnert sich der Mittelfeldspieler von damals: "Aber genau darum habe ich es vielleicht auch verpasst, noch mehr zu machen. Ich hätte ganz einfach mehr trainieren müssen." Immerhin habe ihn diese bittere Erfahrung zu seinem Leitsatz als Trainer gebracht: "Mentalität schlägt Talent."
Mit der Geschichte seiner Läuterung jedenfalls rannte Veh bei Bernd Hoffmann sicher offene Türen ein, immerhin muss der nun schon seit Jahren mit ansehen, wie sich in Hamburg das Talent regelmäßig selbst schlägt. "Dass die Mannschaft in der vergangenen Saison in der Bundesliga unter ihren Möglichkeiten geblieben ist, weiß wohl jeder", sagt auch Veh im Gespräch mit SPOX. Allerdings: "Die Vergangenheit zählt für mich nicht mehr."
Mit väterlicher Strenge arbeitet er stattdessen an der näheren Zukunft des HSV: Distanziert und fordernd, aber auch erfrischend direkt, manchmal fast schonungslos in seiner Kritik. Vehs Linie ist authentisch und unkompliziert, sein Auftreten viel autoritärer als sein Ruf.
Anders als sein wort- und gestenreicher Vorgänger spricht er auf dem Trainingsplatz zum Beispiel fast kein Wort. Während in der Regel Co-Trainer Reiner Geyer die Übungen ankündigt und die Spieler zu druckvollem Kurzpassspiel ermahnt, steht Veh als Supervisor an der Linie, die Arme wie ein General hinter dem Rücken verschränkt und die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen.
Leistungsprinzip und klare Worte
Wenn er sich dann allerdings äußert, macht er das sehr unmissverständlich. Auch und gerade zu den Themen Charakter und Mentalität: "Ich bin kein Hampelmann und lasse mir von niemandem auf der Nase herumtanzen. Respekt ist für mich unabdingbar - und da gibt es auch keinen Unterschied zwischen erfahrenen und jungen Spielern: Ich verteile keine Wunschzettel, jeder muss sich in den Dienst der Mannschaft stellen, sonst ist man ganz schnell draußen."
Wer dagegen Kurs hält und vor allem "Leistung anbietet", bekommt eine faire Chance, selbst wenn es in Hamburg schon die die zweite oder dritte ist. So spielt der in der Vergangenheit bisweilen etwas schlecht gelaunte Paolo Guerrero in Vehs neuem 4-2-3-1 bis auf Weiteres die zentrale Rolle; Guy Demel, dem vor wenigen Wochen noch ein Vereinswechsel nahegelegt wurde, hat in der internen Abwehr-Hierarchie nicht nur Streichkandidat David Rozehnal, sondern im Augenblick wohl auch Neuzugang Dennis Diekmeier überholt und plötzlich sogar gute Chancen auf den Stammplatz rechts in der Viererkette.
"Ich bewerte nur das, was ich sehe", sagt Veh, jeder fängt wieder bei Null an: "Und ich konnte bislang an keinem Tag erkennen, dass ich es hier mit schwierigen Spielern zu tun habe. Wir haben eine sehr gute Vorbereitung absolviert. Der wahre Charakter zeigt sich zwar erst in Drucksituationen, aber ich hatte noch mit keiner Mannschaft Schwierigkeiten."
Veh wie Ferguson?
Die Spieler jedenfalls danken ihm bislang die Mischung aus klarer Führung und aufrichtigem Ton. Vehs souveräne Beobachterrolle verglich Superstar Ruud van Nistelrooy bereits mit ManUtd-Trainer Alex Ferguson. "Da muss ich Ruud wohl danken", nimmt Veh die Komplimente lachend entgegen, "er meint es offenbar sehr gut mit mir."
Tatsächlich hat es Veh geschafft, die Untergangsstimmung, die Bernd Hoffmann vor drei Monaten noch an seine Grenzen brachte, innerhalb von wenigen Wochen in einen zarten Optimismus zu verwandeln. Doch auch die laut Veh überzeugende Vorbereitung wird der Mannschaft nur dann die verlorene Sicherheit zurückgeben, wenn im durchaus kniffligen Auftaktprogramm (u.a. Schalke, Bremen, Wolfsburg, St. Pauli) die Resultate stimmen.
Und immerhin hat auch Hoffmann seine Lehren aus den Unwägbarkeiten gezogen, zumal Vehs Vertrag auch beim HSV nur über ein Jahr läuft: Die Rede von der Kontinuität blieb diesmal aus: "Veh ist klar und souverän. Aber wir beide wissen genau, dass am Ende die Ergebnisse zählen. Da müssen wir uns nicht gegenseitig immer vor dem Schlafengehen die Treue schwören."