Triple-Sieger mit Manchester City! Ilkay Gündogan hat sich die Krönung seiner Karriere als Mensch und als Fußballer absolut verdient. Eine Würdigung.
Während Ilkay Gündogan am Samstagabend mit dem Gewinn der Champions League und der Vervollständigung des Triples seine Karriere krönte, wurde in Gelsenkirchen und Manchester auf seine Kosten gespeist und getrunken. Anlässlich des großen Spiels spendierte Gündogan seinem Kindheitsklub SV Gelsenkirchen-Hessler 06 sowie einer Pflegeeinrichtung in seiner Wahlheimat Manchester die kulinarische Verpflegung zum Fußball-Schauen.
Dazu gab es emotionale Briefe. "An der Kanzlerstraße habe ich mich in den Fußball verliebt", schrieb Gündogan in Bezug auf seine erste Spielstätte in Gelsenkirchen. Den pflegebedürftigen Menschen in Manchester ließ er ausrichten: "Ich will euch sagen, dass ihr eine echte Inspiration für mich seid." Die Kosten dieser Aktionen spielen bei seinen Millionen-Einnahmen für Gündogan natürlich keine Rolle - aber darum geht es nicht.
Trotz seiner Weltkarriere hat er nicht vergessen, wo er herkommt. Und auch nicht, dass andere weniger privilegiert sind als er. Womit er sich von vielen Berufskollegen abhebt. Seine Engagements wirken von Herzen, seine Worte glaubhaft. Gündogan rief auch schon zum Klimaschutz auf, unterstützte im Zuge der Corona-Pandemie Manchesters Gastronomie, spendete an die Opfer von Hochwassern in Deutschland und Waldbränden oder Erdbeben in der Heimat seiner Vorfahren Türkei.
Ausgerechnet in Istanbul krönte der 32-Jährige nun seine Karriere: Triplesieger mit Manchester City! "Es ist sehr speziell - im Heimatland meiner Eltern und dann noch als Kapitän", sagte Gündogan: "Ein Märchen." Wie er diese Worte sprach, wirkte er so normal wie ein Kicker des SV Gelsenkirchen-Hessler 06. Trotz seiner Prominenz hat sich Gündogan bodenständige Umgangsformen bewahrt. Extravaganzen oder Arroganzanfälle sind ihm fremd. Kaum jemandem ist dieser Erfolg mehr zu gönnen als ihm - als Mensch wie als Fußballer.
Gündogan bei Manchester City: Titelsammler und Kapitän
Seitdem sich Gündogan an der Kanzlerstraße in den Fußball verliebt hat, musste er viele Rückschläge verkraften. Vor allem die Anfangszeit seiner Karriere war geprägt von schweren Verletzungen, so verpasste er etwa den WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft 2014. Seine ersten beiden Champions-League-Finals 2013 mit Borussia Dortmund und 2021 mit Manchester City verlor er jeweils unglücklich.
2016 wechselte Gündogan als erster Neuzugang des damals neuen Trainers Pep Guardiola vom BVB nach Manchester. Lediglich 27 Millionen Euro kostete er, aus Citys diesjähriger Final-Startelf war nur Manuel Akanji billiger. Trotz der verhältnismäßig niedrigen Ablöse, des fehlenden Star-Faktors und der daher mangelnden Lobby entwickelte sich Gündogan über die Jahre zu Guardiolas Schlüsselspieler.
Er glänzt im zentralen Mittelfeld mit seinen technischen Fähigkeiten, seinen klugen Pässen und seiner Torgefahr, vor allem aber mit seiner Spielintelligenz. Gündogan spielt nicht nur Fußball, er denkt ihn auch. Eine Fähigkeit, die Guardiola ganz besonders gerne mag.
So wie ihn sein Trainer schätzt, schätzen ihn auch seine Mitspieler. Vor der Saison wählten sie Gündogan zu Fernandinhos Nachfolger als Kapitän. Mit der Binde am Arm führte er die Mannschaft zum ersten Triple der Klubgeschichte. Das FA-Cup-Finale gegen den Stadtrivalen Manchester United entschied Gündogan mit einem Doppelpack. In der vergangenen Saison hatte er seiner Mannschaft mit zwei späten Toren im Fernduell mit Verfolger FC Liverpool den Meistertitel gerettet. Meist spielt Gündogan dann am besten, wenn es am wichtigsten ist. Insgesamt steht er mittlerweile bei 14 Trophäen mit City.
imago imagesIlkay Gündogan: Die große Kontroverse seiner Karriere
Womöglich war Gündogan in der jüngeren Vergangenheit der unterschätzteste Fußballer Deutschlands. Nur selten erfuhr er hierzulande die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die er eigentlich verdient. Ein Phänomen, unter dem teilweise auch Champions-League-Abosieger Toni Kroos von Real Madrid leidet. Aus dem Land - aus dem Fokus. Anders als Gündogan erlebte Kroos aber immerhin schon erfolgreiche Zeiten mit der Nationalmannschaft, beim WM-Titel 2014 war er Stammspieler.
Gündogan dagegen kam bei der EM 2012 nicht zum Einsatz, verpasste die Turniere 2014 und 2016 verletzt - und war erst pünktlich zur seit 2018 anhaltenden Dürreperiode wirklich mit dabei. Vor der WM in Russland sorgte er gemeinsam mit Mesut Özil für einen nationalen Aufschrei, weil er im türkischen Wahlkampf gemeinsam mit dem bis heute autoritär regierenden Machthaber Recep Tayyip Erdogan posierte. Die einzige große Kontroverse seiner Karriere.
Gündogan ließ sich von jemandem instrumentalisieren, der Meinungsfreiheit und die Rechte von Minderheiten torpediert. Das verwunderte sehr, wirkt er doch ansonsten reflektiert, intelligent, weltoffen. Anders als bei Özil sorgte das Foto bei Gündogan aber nicht zum Bruch mit der Nationalmannschaft - auch dank seiner souveräneren Reaktion. Während sein Kollege zunächst lange schwieg und sich dann mit einer Social-Media-Abrechnung meldete, versuchte Gündogan seine Beweggründe immerhin sofort zu erklären. Nach eigener Auskunft wollte er "kein politisches Statement setzen".
Ilkay Gündogan sollte in der Nationalmannschaft gesetzt sein
In der öffentlichen Wahrnehmung ging es als das Foto von Özil und Erdogan in die Geschichte ein - oder war da noch jemand drauf? Gündogan wurde in der Nationalmannschaft seitdem zwar wichtiger, entwickelte sich bisher jedoch nicht zum unumstrittenen Stammspieler. Teilweise musste er in ungewohnten Rollen aushelfen, durfte nicht auf seiner City-Pardeposition spielen. Zurückzuführen ist das vor allem auf Deutschlands ärgerliche Talente-Verteilung.
Während Außenverteidiger und Mittelstürmer chronisch fehlen, gibt es ein Überangebot an zentralen Mittelfeldspielern: Neben Gündogan noch Kroos, Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Jamal Musiala und so weiter und so fort. Mit Blick auf die Heim-EM im kommenden Jahr sollte Gündogan in der Nationalmannschaft aber trotz der gewaltigen Konkurrenz gesetzt sein. Er ist der Kapitän der besten Mannschaft der Welt, kein Rivale spielt aktuell konstant überzeugender als er.
Womöglich rückt Gündogan auch bald wieder ins nationale Blickfeld. Weil ihm City aufgrund von ungeschriebenen Klubregeln keine langfristige Verlängerung seines auslaufenden Vertrags anbieten will, dürfte er im Sommer ablösefrei wechseln. Als potenzielles Ziel gilt neben dem FC Barcelona auch sein Ex-Klub Borussia Dortmund.