"Stanislawski ist ein kaputter Typ"

Thomas Jahns
06. August 201010:21
Michel Mazingu-Dinzey (r.) und Holger Stanislawski schafften 1996 mit St. Pauli den KlassenerhaltImago
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Ob als Nationalspieler für den Kongo, Zweitligaprofi unter Werner Lorant oder als Legionär in der zweiten norwegischen Liga: Ex-Profi Michel Mazingu-Dinzey hat in seinem Fußballerleben schon viel erlebt. Heimisch geworden ist der 37-Jährige in Hamburg, wo er der großen Liebe seiner turbulenten Profikarriere wieder ganz nah sein kann: dem FC St. Pauli.

Im SPOX-Interview spricht der Deutschkongolese über alte Zeiten beim Kiezklub, Pauli-Coach Holger Stanislawski, Paradigmenwechsel am Millerntor und gibt Prognosen für die kommende Bundesligasaison ab.

SPOX: Glückwunsch, Herr Dinzey. Sie sind vor kurzem in die Jahrhundertelf des FC St. Pauli gewählt worden.

Dinzey: Das ist natürlich eine sehr große Ehre für mich. Das zeigt einfach, dass ich dort Spuren hinterlassen habe.

SPOX: Erinnern sie sich gern an ihre Zeit als Profi zurück?

Dinzey: Ja, das sind große Erinnerungen. Der Klassenerhalt 1996 unter Uli Maslo war für den Verein sehr wichtig. Meine zweite Phase bei St. Pauli war sogar noch bedeutender. Mit der Pokalsaison 2006 unter Andreas Bergmann haben wir den Verein saniert und ein Jahr später sogar den Aufstieg in die Bundesliga geschafft.

SPOX: Holger Stanislawski war damals ihr Mannschaftskamerad. Wie hat er auf sie gewirkt?

Dinzey: Ein kaputter Typ. Stani war genau so drauf, wie er gespielt hat. Er hat sich immer voll reingehauen. Im positiven Sinne natürlich. Er war immer ansprechbar und ist auch als Trainer sehr kameradschaftlich geblieben - bis zu einem gewissen Grad. Ihm gelingt die richtige Mischung zwischen Vorgesetzem und Freund. Eine absolute Vertrauensperson.

SPOX: Er gilt als Trainer der Extreme. Besteht da Abnutzungsgefahr?

Dinzey: Möglich ist alles. Aber ich gehe nicht davon aus. Der gesamte Trainerstab denkt sich immer wieder neue Sachen aus, um den Jungs alles gut zu verklickern. Stani ist auch nicht jede Saison mit dem gleichen Trainingskonzept gestartet. Die Veränderung ist immer wieder zu spüren in der Truppe.

SPOX: Veränderung ist nicht bloß im Team, sondern im Gesamtkonstrukt St. Pauli zu spüren. Wie hat sich der Klub im letzten Jahrzehnt entwickelt?

Dinzey: Absolut positiv. Zu meiner Zeit stand noch das alte Millerntor. Man merkt inzwischen, wie wichtig die Veränderung ist. Wir hoffen alle, dass es so weiter geht. Klar, es wird auch Phasen geben, wo alles wieder etwas bröckelt, aber mittlerweile sind erfahrene Leute am Werk. Die sorgen dafür, dass es solche Rückfälle wie nach meiner ersten Bundesligazeit von 1996 nicht mehr gibt. Da ist der Verein in sich zusammengebrochen.

SPOX: Der Klub hat an Stabilität gewonnen.

Dinzey: Auf jeden Fall. Früher wurden nach jedem Aufstieg ohne ersichtliches Konzept Unsummen für Spieler ausgegeben. Oftmals Ausländer, bei denen man nicht wusste, was die für eine Vita haben. Das ist jetzt eben anders. Alle sind sich einig, dass gut gearbeitet wird. Das muss die Truppe dann natürlich in der Saison beweisen.

SPOX: Business Seats, VIP-Karten und Web-TV - St. Pauli vermarktet sich inzwischen hochprofessionell. Läuft der Klub damit Gefahr, innerhalb seiner besonderen Fanszene an Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Dinzey: Gruppen wie die Ultras St. Pauli wehren sich schon extrem dagegen. Business Seats sind eben einfach untypisch für St. Pauli. Wir haben in Hamburg ja noch einen anderen Verein bei dem so was gang und gäbe ist. Es wird da sicherlich noch viel drüber gesprochen werden, weil man sich dem anderen Verein inzwischen in vielen Punkten ähnelt - und da will man einfach nicht hin. Es müssen Kompromisse gefunden werden, mit denen der Verein und die Fans leben können.

SPOX: Für St. Pauli eine Gratwanderung zwischen dem Erhalt eigener Identität und wirtschaftlichen Notwendigkeiten?

Dinzey: Absolut! Besonders jetzt in der ersten Liga. Aber rein wirtschaftlich gesehen musst du einfach auch Veränderungen reinbringen. Da kannst du eben nicht in so einem maroden Stadion weiterspielen. Corny Littmann hat dafür gesorgt, dass es hier endlich mal vorwärts geht.

SPOX: Eine Entwicklung, die nicht jedem zu passen scheint.

Dinzey: Es ist doch immer so: Wenn man Erfolg hat, dann kommen eben die ganzen Trittbrettfahrer aus ihren Löchern gekrochen und bezeichnen sich als diejenigen, die auch ihren Teil dazu beigetragen haben. Das stößt natürlich gerade in der alteingesessenen Fanszene ganz übel auf.

Hier geht es weiter zu Teil zwei: Dinzey über St. Paulis Neuzugänge

SPOX: Sinnbildlich für die Spaltung der Pauli-Fans war die Blockadeaktion der Ultras beim Rostock-Spiel in der vergangenen Saison.

Dinzey: Da sind nach wie vor Gespräche nötig, um die verschiedenen Lager wieder unter einen Hut zu bringen. Letztendlich sind es doch alles Fans des FC St. Pauli. Aber auch die Verarbeitung von solchen kritischen Situationen ist eine Stärke dieses Vereins.

SPOX: Besteht die Gefahr, dass sich St. Pauli mittelfristig zu einem normalen Bundesligaklub entwickelt?

Dinzey: Das war der Verein noch nie und das wird er auch nie werden. Gerade deswegen lieben ja so viele Menschen St. Pauli. Weil es eben nicht so läuft, wie bei jedem anderen Verein.

SPOX: Auf dem Transfermakt bleibt St. Pauli trotz alledem nur ein Klub unter vielen. Wie bewerten Sie die Neuzugänge der Mannschaft?

Dinzey: Es muss immer mal Veränderungen geben. Wir müssen in unserem Maße konkurrenzfähig bleiben. Wir können hier keine teuren Leute ranholen, es sei denn sie kommen mit Konzessionen, weil sie Bock auf St. Pauli haben - so wie Gerald Asamoah. Gerade mit ihm oder Carlos Zambrano sind Leute gekommen, die mehr Bundesligaerfahrung haben als zum Beispiel ein Fabian Boll oder Deniz Naki. Es war wichtig, solche Jungs rein zu bekommen. Von ihrer Erfahrung kann jeder im Kollektiv profitieren.

SPOX: Kann ein Typ wie Gerald Asamoah die ganze Mannschaft mitreißen?

Dinzey: Jeder kann das. Egal ob mit 300 Bundesligaspielen oder 24 Zweitligaspielen auf dem Buckel. Jeder wird vom anderen genug rausziehen. Die Führungsspieler wie Gerald werden da natürlich besonders in die Pflicht genommen.

2005: Michel Mazingu bei St. PauliGetty

SPOX: Passen die Neuen auch menschlich zum Klub?

Dinzey: Klar, sonst hätte der Verein sich nicht um sie bemüht. Es war schon immer wichtig bei St. Pauli, dass die Truppe harmoniert. Genau diese Harmonie wird es am Ende auch auf dem Platz zu sehen geben.

SPOX: Wird St. Pauli mit einer ähnlich offensiven Grundausrichtung wie in der vergangenen Zweitligasaison auch im Oberhaus bestehen können?

Dinzey: Wenn du dich in der Bundesliga hinten versteckst, brauchst du gar nicht erst antreten. Du musst es genau so durchziehen wie im Vorjahr. Spielerisch waren wir letztes Jahr die stärkste Mannschaft. Wenn wir das annähernd wieder so hinkriegen, sind wir mit dem Spielstil sehr gut beraten. Natürlich alles aus einer gesicherten Abwehr heraus. Jungs wie Volz oder Zambrano wissen, wie sie sich wann im Spiel zu verhalten haben.

SPOX: Es sind viele junge Spieler an Bord. Kann das zum Nachteil werden?

Dinzey: Überhaupt nicht. Unbekümmertheit ist sehr wichtig. Moritz Volz bringt viel Erfahrung aus England mit und auch Zambrano konnte bei Schalke viel mitnehmen. Sie werden der Abwehr Stabilität bringen.

SPOX: Was trauen Sie St. Pauli in der Bundesliga zu?

Dinzey: Einen einstelligen Tabellenplatz. Da bin ich mir sicher.

Mazingu-Dinzey: "Ich würde mich wieder outen"

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