Harry Kane, Dennis Bergkamp, Johan Cruyff, Ryan Giggs, Gareth Bale: Die Karriere von St. Paulis James Lawrence ist geprägt von Zusammentreffen mit großen Fußball-Legenden. Im Interview mit SPOX und Goal erzählt der 28-jährige walisische Nationalspieler, wie es dazu gekommen ist.
Lawrence, der die EM aufgrund einer Muskelverletzung verpasst, berichtet vom Humor seines Nationalmannschaftskollegen Bale, von Torschussübungen mit seinem ehemaligen Jugendtrainer Bergkamp, von seinem ersten Treffen mit Cruyff im Rollstuhl und seinen vergeblichen Versuchen, sich an seinen Ex-Mitspieler Kane zu erinnern.
Herr Lawrence, Sie hatten im Laufe Ihrer bisherigen Karriere mit einigen Fußball-Legenden zu tun. Vor welchem Treffen waren Sie am nervösesten?
Lawrence: Meine ersten Treffen mit Bergkamp und Cruyff kamen komplett unerwartet. Deshalb konnte ich mich darauf gar nicht vorbereiten und somit auch nicht nervös sein. Am aufgeregtesten war ich wahrscheinlich vor dem Treffen mit Giggs bei meiner ersten Nominierung für die walisische Nationalmannschaft. Bis zu meiner Ankunft am Teamhotel hatte ich nicht mit ihm gesprochen, dann haben wir uns rund 15 Minuten lang unterhalten. Die Nervosität war unbegründet. Er war sehr locker und das Gespräch super nett.
Im Vorfeld der Nominierung gab es keinen direkten Kontakt mit ihm?
Lawrence: Nein, er hat meinen damaligen Klub RSC Anderlecht über meine Nominierung informiert und die Verantwortlichen haben es an mich weitergegeben. Zuvor war ich hauptsächlich mit Giggs' Co-Trainer Albert Stuivenberg in Kontakt, der mich auch vor Ort in Belgien gescoutet hat.
Gibt es einen Nationalmannschaftskollegen, der sich Ihnen bei der Integration in die Mannschaft besonders geholfen hat?
Lawrence: Mein Zimmerpartner Daniel James von Manchester United. Er war damals zwar auch relativ neu dabei, kannte aber schon ein paar Kollegen. Am Anfang hat er mir sehr geholfen und mich allen vorgestellt. Die Integration fiel mir aber nicht schwer, weil ich mich sofort willkommen fühlte. Kurz nach meinem ersten Einsatz habe ich eine nette Nachricht von Chris Gunter bekommen, einem der erfahrensten Spieler der Mannschaft. Das war ein Zeichen für mich, dass ich als Teil der Gruppe akzeptiert wurde.
Sie debütierten im Herbst 2018, rund ein Jahr später gelang dank eines 2:0-Sieges gegen Ungarn die Qualifikation für die Europameisterschaft. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung?
Lawrence: Das war der schönste Moment meiner bisherigen Nationalmannschaftskarriere. Ich weiß noch, wie Giggs nach dem Spiel in die Kabine kam und sagte, wie stolz er auf uns ist. Es war auch cool, dass wir die Qualifikation bei einem Heimspiel in Cardiff geschafft haben. Leider musste ich noch am Abend des Spiels nach Deutschland zurückreisen. Somit habe ich die große Party verpasst, die laut einiger Kollegen ziemlich lustig gewesen sein soll.
twitter.com/FOXSoccerStichwort "ziemlich lustig": Nach diesem Spiel ließ sich Gareth Bale mit der ganzen Mannschaft hinter dem schon jetzt legendären Banner "Wales. Golf. Madrid. In That Order" fotografieren. Wie kam es dazu?
Lawrence: Irgendjemand von uns hat das Banner bei einem Fan auf der Tribüne gesehen, es dann auf den Platz geholt und plötzlich standen wir alle dahinter. Das war keine geplante Aktion, das ist komplett spontan passiert. Wir alle und auch Gareth fanden den Slogan extrem lustig. Manche Leute in Spanien haben das offenbar anders empfunden, aber es war ein Witz. Man sollte sowas nicht zu ernst nehmen.
Es scheint, als hätte Bale durchaus Humor.
Lawrence: Absolut! Gareth ist ein extrem entspannter Typ mit einem überragenden Humor. Er liebt es, herumzublödeln, Witze zu machen und zu lachen. Ich bin froh, ihn als Kollegen zu haben.
Bale ist bekanntlich ein großer Golf-Fan. Wie präsent ist diese Leidenschaft bei ihm?
Lawrence: Golf ist eines seiner Lieblingshobbies, aber das trifft auf die Hälfte der walisischen Nationalspieler zu. Wenn wir in Cardiff zusammenkommen, gehen wir immer zusammen auf den gleichen Golfplatz. Dann spielen fast alle mit, sogar die Untalentierten. Ich selbst bin aber so dermaßen schlecht, dass ich es bisher lieber gelassen habe. Gegen Gareth hätte ich im Golf keine Chance.
gettyMit einem anderen mittlerweile passionierten Golfer haben Sie im Alter von neun Jahren in der Jugend des FC Arsenal zusammengespielt: Harry Kane. Können Sie sich an ihn erinnern?
Lawrence: Als er berühmter wurde und ich herausgefunden habe, dass er zeitgleich mit mir bei Arsenal gespielt hat, habe ich versucht, mich an ihn zu erinnern. Aber leider kamen dabei keine konkreten Erinnerungen heraus. In dem Alter kennst du die Nachnamen deiner Mitspieler nicht und in London treiben sich verdammt viele Harrys herum. Dass ich mit ihm sicher zusammengespielt habe, weiß ich wegen eines Fotos von uns beiden bei einem Sommer-Turnier.
Nach zwei Jahren bei Arsenal spielten Sie von 2003 bis 2008 in der Jugend der Queens Park Rangers, ehe Sie mit 15 zum damaligen niederländischen Zweitligisten HFC Haarlem wechselten. Wie kam es dazu?
Lawrence: Meine Mutter hatte einen Job in Amsterdam angenommen und um davor ein Gefühl für die Stadt und die Leute zu bekommen, war ich mit meinen Eltern und meinem älteren Bruder während der Sommerferien für einen Monat dort. Der Plan war eigentlich, dass meine Mutter anschließend allein übersiedelt und mein Bruder und ich mit meinem Vater in England bleiben und die Schule abschließen.
Und dann?
Lawrence: Ich wollte während der vier Wochen im Sommer keine Fußball-Pause machen und fit bleiben. Also hat mein Vater alle Klubs in der Gegend angeschrieben und gefragt, ob ich zeitweise mittrainieren könnte. Haarlem hat sich schließlich bereiterklärt, mich für die Zeit aufzunehmen. Mir hat es bei dem Klub sehr gut gefallen und nach den vier Wochen haben sie mich gefragt, ob ich nicht permanent bleiben will. Ich habe das Angebot angenommen, bin mit meiner Mutter nach Amsterdam übersiedelt und dort auf eine internationale Schule gegangen. Mein Bruder und mein Vater blieben in England.
War das eine schwierige Zeit für die Familie?
Lawrence: Eigentlich war es eine super Zeit, aus der wir alle das beste gemacht haben. Meiner Mutter und mir hat es in Amsterdam gut gefallen und letztlich hat auch mein Vater viel Zeit bei uns verbracht. Mein Bruder war dadurch auf einen Schlag einer der beliebtesten Typen seiner Schule, weil er fast jedes Wochenende ein leeres Haus zur Verfügung hatte. Man kann sich vorstellen, was da passiert ist. (lacht)
Nach nur einem Jahr sind Sie zu Ajax Amsterdam weitergezogen.
Lawrence: Was ich während meiner ersten Wochen bei Haarlem gar nicht wusste war, dass Haarlem damals eine Kooperation mit Ajax hatte. Es gab permanenten Kontakt und einen regen Spieleraustausch zwischen den beiden Klubs und so hat mich Ajax ab meiner Ankunft in den Sommerferien beobachtet. Nach einem Jahr wollten sie mich verpflichten und ich habe zugestimmt. Von meiner damaligen Mannschaft bei Haarlem wurden sechs oder sieben Spieler später Profis, unter anderem der heutige Nationalspieler Quincy Promes und Timo Letschert, der in der vergangenen Saison beim HSV gespielt hat.
Bei Ajax bekamen Sie einen prominenten Jugendtrainer: Dennis Bergkamp. Können Sie sich an Ihr erstes Treffen mit ihm erinnern?
Lawrence: Bergkamp hat damals seinen Trainerschein gemacht und im Zuge dessen musste er Jugendmannschaften auf einzelne Spiele vorbereiten und dann coachen. Zufälligerweise fiel eines dieser Spiele auf mein allererstes Freundschaftsspiel für Ajax, nur wusste ich davor nichts davon. Ich saß also in der Kabine und auf einmal kam Bergkamp hereinspaziert. Man muss wissen: Ich bin seit jeher Arsenal-Fan und Bergkamp war eines meiner ersten großen Idole. Er ging herum und begrüßte alle Jungs einzeln, die meisten schienen ihn schon von vorherigen Spielen zu kennen. Als er schließlich vor mir stand, war ich komplett überwältigt. Das war eine unglaubliche Erfahrung für mich. Noch besser wurde es, als er später der Co-Trainer meiner Mannschaft wurde.
Haben Sie ihm davon erzählt, dass er Ihr großes Idol war?
Lawrence: Nein, natürlich nicht. Ich wollte cool rüberkommen und nicht wie ein Fan.
Hat er im Training manchmal mitgespielt?
Lawrence: Bei Rondos und Torschussübungen hat er meistens mitgemacht und uns gezeigt, wie es geht. Unsere Keeper haben Torschussübungen mit ihm gehasst, weil er jeden Ball in den Winkel gejagt hat und sie keine Chance hatten.
Während Ihrer Zeit bei Ajax arbeiteten Sie ehrenamtlich für die Johan Cruyff Foundation. Wie kam es dazu und was haben Sie da genau gemacht?
Lawrence: Bei meiner Schule gab es die Vorgabe, dass alle Schüler irgendeine Form von ehrenamtlicher Arbeit verrichten müssen. Ich wollte unbedingt etwas mit Sport-Bezug machen, insofern war die Johan Cruyff Foundation eine perfekte Wahl für mich. Ziel der Stiftung ist es, Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, Sport zu treiben und zu spielen. Ich habe hauptsächlich bei der Organisation von Events mitgeholfen: Erst alles aufbauen, dann mit den Kindern spielen und dafür sorgen, dass sie Spaß haben, und nachher wieder alles aufräumen. Für mich war das eine sehr gute Lebenserfahrung.
Wie präsent war Cruyff selbst?
Lawrence: Er war sehr involviert und bei allen Events selbst vor Ort. Nicht nur für eine halbe Stunde oder so, sondern vom Anfang bis zum Ende. Ihm war es wichtig, dass alle eine gute Zeit haben. Er hat sich auch immer wieder mit uns Helfern unterhalten. Ich hatte das Gefühl, dass er unsere Arbeit sehr schätzt. Hin und wieder habe ich auch mit ihm unter vier Augen gesprochen. An das erste Mal kann ich mich noch genau erinnern.
Erzählen Sie!
Lawrence: Als wir nach einem Event alles zusammengeräumt haben, standen ein paar Rollstühle herum. Ich habe mich in einen reingesetzt und versucht, den Ball im Sitzen hochzuhalten. Auf einmal kam Cruyff vorbei und meinte, dass er das beeindruckend findet - aber dass es zu leicht für mich aussieht. Er wollte, dass ich den Rollstuhl kippe und es auf zwei statt vier Rädern probiere, um mich noch mehr herauszufordern.
Und?
Lawrence: Naja, fünfmal oder so habe ich es geschafft.
Cruyff scheint eine sehr prägende Figur in Ihrem Leben gewesen zu sein: Sie haben nicht nur für die Johan Cruyff Foundation gearbeitet, sondern auch am Johan Cruyff Institute studiert.
Lawrence: Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich mein Gehirn weiterhin fordern und habe deshalb nach einer entsprechenden Möglichkeit gesucht, die sich mit meinem Traum vom Profifußball vereinbaren lässt. So bin ich auf das Johan Cruyff Institute gestoßen, an dem man als Profisportler dank einer speziellen Regelung ohne vorherigen Bachelor direkt einen Master in Sport-Management absolvieren kann. Jeden Tag gab es die gleichen Vorlesungen am Vormittag und am Nachmittag. Es ließ sich also alles flexibel rund um die Spiel- und Trainingszeiten organisieren.
Hat Cruyff selbst Vorlesungen gehalten?
Lawrence: Nein, leider nicht. Seine Expertise beschränkt sich eher auf die fußballerische Praxis, beim Studium ging es dagegen hauptsächlich um wirtschaftliche Dinge und Prozesse in Klubs oder Verbänden. Cruyff hat die Hochschule gegründet, um mitdenkende Sportler zu fördern. Das war ihm sehr wichtig. Bei meinem Abschluss war er vor Ort, hat mir mein Zeugnis überreicht und gratuliert.
imago imagesHaben Sie noch Kontakt mit Leuten von Ajax, der Johan Cruyff Foundation oder dem Johan Cruyff Institute?
Lawrence: Mein Vater ist Architekt. Er war am Entwurf und Bau der Schule für den Nachwuchs bei Ajax beteiligt. Als Teil meines Abschlusses beim Johan Cruyff Institute habe ich einen entsprechenden Plan für diese Zusammenarbeit erstellt, der jetzt tatsächlich umgesetzt wird. Das finde ich richtig cool. Insofern habe ich zumindest noch indirekt Kontakt. Außerdem bin ich gut mit Ruben Jongkind befreundet, der während meiner Zeit bei Ajax im Nachwuchsbereich gearbeitet hat und sich mittlerweile um Montessori-Sport kümmert. Er analysiert meine Spiele mit mir, gibt mir fußballerische Tipps und ist bei Problemen einer meiner ersten Ansprechpartner. Ruben hatte ein enges Verhältnis zu Cruyff und versucht nun, seine Prinzipien weiterzutragen.
Nach Ihrer Zeit in der Jugend von Ajax spielten Sie in den Niederlanden noch für die zweiten Mannschaften von Sparta Rotterdam und RKC Waalwijk, ehe Sie zum slowakischen Erstligisten AS Trencin wechselten. Wie kam es dazu?
Lawrence: Der Besitzer von Trencin, Tschen La Ling, spielte als Aktiver bei Ajax mit Cruyff zusammen und wollte dessen Philosophie auf seinen Klub übertragen: 4-3-3-System, flache Pässe von hinten heraus, junge Talente, die komplette Palette. Für die Umsetzung verpflichtete er einige Spieler aus den Niederlanden, abgesehen von mir auch noch Gino van Kessel, Mitchell Schet und Ryan Koolwijk. Dazu kamen ein paar afrikanische Talente und slowakische Routiniers. Das war eine ziemlich zusammengewürfelte Gruppe, aber es hat funktioniert und wir haben zweimal das Double gewonnen.
Anschließend standen Sie für eine Saison beim RSC Anderlecht unter Vertrag und wechselten dann zunächst per Leihe und schließlich fest zum FC St. Pauli. Was wussten Sie davor über den Klub?
Lawrence: Nicht viel, aber als sich die Möglichkeit zum Wechsel ergab, habe ich direkt mit der Recherche angefangen. Unter anderem habe ich mir bei YouTube ein paar Fan-Videos aus dem Stadion angeschaut. Alles hörte sich unfassbar positiv an. Als ich das erste Mal bei Hells Bells ins Stadion am Millerntor einlief, wusste ich zwar, was mich erwartet, war aber trotzdem komplett überwältigt und habe am ganzen Körper gezittert. Es war unfassbar cool, das zu sehen und zu fühlen.
James Lawrence: Seine Karrierestationen
Zeitraum | Klub | Land |
2001 bis 2003 | FC Arsenal (Jugend) | England |
2003 bis 2008 | Queens Park Rangers (Jugend) | England |
2008 bis 2009 | HFC Haarlem (Jugend) | Niederlande |
2009 bis 2011 | Ajax Amsterdam (Jugend) | Niederlande |
2011 bis 2012 | Sparta Rotterdam (Reserve) | Niederlande |
2012 bis 2014 | RKC Waalwijk (Reserve) | Niederlande |
2014 bis 2018 | AS Trencin | Slowakei |
2018 bis 2019 | RSC Anderlecht | Belgien |
seit 2019 | FC St. Pauli | Deutschland |