Frank Wormuth assistierte Joachim Löw einst bei Fenerbahce Istanbul und arbeitete später jahrelang mit ihm beim DFB zusammen. Im Interview mit SPOX und Goal berichtet der 60-Jährige von gemeinsamen Erlebnissen und erklärt, wie der scheidende Bundestrainer tickt.
Wormuth erzählt vom Umgang mit der türkischen Mentalität, von Löws Turnier-Tunnel und dessen Verdiensten um den deutschen Fußball. Seit 2018 trainiert Wormuth den niederländischen Erstligisten Heracles Almelo, bei der EM ist er in Scouting-Mission auch für den DFB tätig.
Herr Wormuth, Sie waren in der Saison 1998/99 Co-Trainer von Joachim Löw bei Fenerbahce Istanbul. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an die gemeinsame Zeit zurückdenken?
Frank Wormuth: Erst vor ein paar Tagen hat mir Jogi aus dem Nichts ein Foto von uns beiden - damals noch jung und hübsch - an einem Tisch mit zwei Türken geschickt. Da kamen bei mir sofort alle Erinnerungen hoch. Am einprägsamsten war für mich die Mentalität der Türken. Ich hatte damals das Gefühl, dass sie im Fußballgeschäft nur schwarz und weiß und nichts dazwischen kennen. Zum Glück haben sie aber auch sehr schnell wieder vergessen: Wenn man den Abend nach einer Niederlage sprichwörtlich überlebte, hatte man es überstanden. (lacht) Schon am nächsten Tag sahen sie einen wieder positiv.
Ist es Löw schwergefallen, mit dieser Mentalität klarzukommen?
Wormuth: Nein, er ist damit überragend umgegangen. Es hat mich beeindruckt, mit welcher Ruhe er all den Trubel über sich ergehen ließ. Die Zeit in der Türkei hat ihm dabei geholfen, in seiner weiteren Karriere mit Negativerlebnissen umzugehen.
Wie kam Löw mit seiner besonnenen Art in der Türkei an?
Wormuth: Warum auch immer haben ihn die Türken geliebt. Bildlich gesprochen: Wenn sie Steine geschmissen hätten, dann hätten sie immer an ihm vorbeigeschmissen und auf andere gezielt.
Aber nicht auf Sie?
Wormuth: Nein, ich stand immer direkt hinter ihm. Jogi wäre mein Schutzschild gewesen. (lacht) Als Co-Trainer hielt ich mich im Hintergrund und war den ganzen Emotionen nicht so ausgeliefert wie er. Überspitzt gesagt: Die meisten im und um den Klub herum wussten nicht einmal, wer ich bin. Diesbezüglich habe ich eine nette Anekdote parat.
Erzählen Sie!
Wormuth: Ein paar Wochen nach unserem Dienstantritt bei Fenerbahce haben wir in der UEFA-Cup-Qualifikation gegen IFK Göteborg gespielt. Weil wir aufgrund von Verletzungsproblemen beim Abschlusstraining nicht genügend Spieler für zwei volle Mannschaften hatten und ich mit meinen damals 37 Jahren noch relativ fit war, habe ich als Innenverteidiger ausgeholfen. Unser Präsident hat zufällig zugeschaut und angeblich gesagt: "Wer ist dieser Innenverteidiger? Ist das ein Neuzugang? Der kann ja richtig gut kicken." Dann hat man ihn aufgeklärt, dass ich der Co-Trainer bin.
Konnten Sie sich im Laufe der Saison noch einen Namen machen?
Wormuth: Offenbar, denn ein paar Jahre nach meinem Abschied habe ich einen Anruf von einem Fenerbahce-Funktionär bekommen. Er meinte, dass die aktuelle Mannschaft keine Kondition hätte, damals unter mir aber immer alle Spieler fit gewesen wären. Er war fälschlicherweise davon überzeugt, dass ich als Konditionstrainer gearbeitet hätte und wollte mich unbedingt zurück. Da habe ich aber natürlich abgesagt.
imago imagesDFB: Frank Wormuth über Scouting-Berichte für Joachim Löw
Könnten Sie sich vorstellen, dass Löw nach seinem Abschied vom DFB in die Türkei zurückkehrt?
Wormuth: Bei ihm kann ich mir alles vorstellen, auch eine Rückkehr in die Türkei. Ich habe aber noch kein Gefühl, was er machen wird - und er selbst glaube ich auch nicht. Seine Zukunft ist für ihn aktuell ohnehin kein Thema, weil er voll auf die EM fokussiert ist. Ein paar Tage vor dem Turnierstart habe ich ihm in einer Nachricht viel Glück gewünscht. Nach seiner Antwort wusste ich, dass er schon im Tunnel ist. Sobald Jogi im Turnier-Tunnel ist, bekommt man anders als sonst nur ganz kurze Antworten. Ab diesem Zeitpunkt lasse ich ihn in Ruhe, außer ich beobachte ein Spiel für ihn und muss mit ihm kommunizieren.
Haben Sie das bei dieser EM schon gemacht?
Wormuth: Ja, ich war für den DFB zum Beispiel beim Spiel zwischen den Niederlanden und der Ukraine in Amsterdam. Wegen meiner Tätigkeit bei Heracles bin ich schon auf einige niederländische Nationalspieler getroffen und kann sie entsprechend einschätzen. Beim DFB kennen sie die niederländische Nationalmannschaft selbstverständlich auch in- und auswendig. Es beruhigt aber Jogis Gewissen, wenn bei Turnieren zur Sicherheit trotzdem zu jedem Spiel jemanden hingeschickt wird. Meistens geht es bei solchen Scouting-Einsätzen nicht darum, Neuigkeiten zu liefern, sondern bereits Bekanntes zu bestätigen. Entsprechend kurz und knapp war mein Bericht auch. Das ist nicht zu vergleichen mit meiner Arbeit, die ich damals bei Fenerbahce gemacht habe. Vor einem UEFA-Cup-Spiel gegen den AC Parma habe ich Jogi mal zehn Seiten geschickt. Interessiert hat ihn aber nur die Hälfte der letzten Seite.
Was stand da drinnen?
Wormuth: Was all die Informationen für unsere Mannschaft bedeuten. Ihm geht es in erster Linie nicht allein um die Stärken und Schwächen der anderen Mannschaft, sondern vor allem darum, was das für Auswirkungen auf die eigene hat.
Wie läuft die Gegner-Vorbereitung beim DFB aktuell konkret ab?
Wormuth: Um bei dem Beispiel zu bleiben: Sollte Deutschland im Laufe des Turniers auf die Niederlande treffen, bekommt Jogis Trainerteam abgesehen von meinen Eindrücken rund 100 Seiten von den Videoanalysten der Sporthochschule Köln hingeknallt. Die Video-Scouts Stephan Nopp und Christopher Clemens machen mit ihrem Team 20 Seiten daraus, dann komprimiert es Co-Trainer Marcus Sorg noch mal um zehn Seiten und davon erzählt Jogi seiner Mannschaft die Hälfte. Das ist jetzt etwas überspitzt dargestellt, soll aber verdeutlichen wie die Informationen über Gegner auf dem Weg zur Mannschaft gefiltert werden.
Wie interagiert Löw mit seinem Trainerteam?
Wormuth: Er ist ein Typ, der seine Kollegen erst mal kommen lässt und sich ihre Meinungen anhört. Das war früher bei Fenerbahce so und ist es aktuell beim DFB immer noch. Der Unterschied ist nur, dass er heute viel mehr Spezialisten um sich herum hat. Dadurch ist er noch mehr gefragt als Filter zwischen den Spezialisten und der Mannschaft. Abgesehen von der Arbeit ist Jogi bei beruflichen Reisen ein Einzelgänger, der Zeit für sich braucht. Als wir zusammengearbeitet haben, ist er gerne joggen gegangen, wenn ich geschlafen habe. (lacht)
Wie haben Sie ihn bei Fenerbahce vor wichtigen Spielen erlebt?
Wormuth: Positiv angespannt. Mit mir könnte man eine Viertelstunde vor einem Spiel noch problemlos ein Interview führen oder irgendwelche Späße machen. Ich bin zu dem Zeitpunkt völlig locker, weil ich das Gefühl habe, dass meine Mannschaft vorbereitet ist und ich bis zum Anpfiff nichts mehr machen kann. Bei Jogi wäre das zumindest damals bei Fenerbahce undenkbar gewesen.
Auch wegen dieser Anspannung zieht sich Löw nach Turnieren stets gänzlich aus der Öffentlichkeit zurück.
Wormuth: Ich verstehe es absolut, dass er nach sechs bis acht Wochen im Tunnel sagt: Jetzt bin ich platt, jetzt ist Schluss und jetzt will ich keine Fragen mehr beantworten. Das muss man respektieren. Auch wenn er ein Mann der Öffentlichkeit ist, darf die Öffentlichkeit nicht immer an ihm zehren.
imago imagesFrank Wormuth über Joachim Löws Rücktritt und Verdienste
Diese EM wird sein letztes Turnier sein. Waren Sie überrascht, als er im März seinen Rücktritt angekündigt hat?
Wormuth: Ich wusste schon etwas länger, dass er diese Entscheidung getroffen hat. Ich persönlich habe eigentlich schon früher mit seinem Rücktritt gerechnet. Im Spaß sage ich Jogi schon seit Jahren: Es wird langsam Zeit zu gehen. Die Medien und die Öffentlichkeit brauchen mal ein neues Gesicht, neue Sprüche. Die wollen nicht immer das gleiche hören. (lacht) Umso mehr Hut ab, dass die Fußballgesellschaft ihn immer noch annimmt.
Wie beurteilen Sie seine bisherige Amtszeit?
Wormuth: Bei seinen ersten fünf Turnieren hat er es immer ins Halbfinale geschafft. Das ist absoluter Erfolg. Wahrscheinlich werden die Kritiker nach seinem Tod merken, was er für den deutschen Fußball getan hat. Das sage ich nicht als sein Freund, das ist meine ehrliche Meinung. Jogi hat den deutschen Fußball verändert wie kein Zweiter. Normalerweise orientiert sich die Nationalmannschaft am Klubfußball des jeweiligen Landes. In Deutschland hatte ich vor allem während Löws ersten Jahren als Bundestrainer aber das Gefühl, dass Entwicklungen von der Nationalmannschaft ausgingen.
Beerbt wird Löw nach der EM von seinem ehemaligen Assistenten Hansi Flick.
Wormuth: Er hat bewiesen, dass man auch in Deutschland den American Dream leben kann. Nach seiner Funktionärs-Zeit bei Hoffenheim, wo keiner so genau wusste, was er tat, war er eigentlich weg vom Fenster. Dann wurde er Co-Trainer beim FC Bayern, führte eine verunsicherte Mannschaft zum Triple und ist jetzt auf einmal Bundestrainer. So schön kann das Leben sein!
Was zeichnet Flick aus?
Wormuth: Er ist ein unfassbar bodenständiger Mensch und schafft mit seiner Art eine positive Atmosphäre. Im obersten Bereich geht es nicht nur um Fachwissen, sondern vor allem auch um einen authentischen Umgang mit den Spielern. Wenn sich Spieler wohl fühlen, bringen sie Leistung. Dafür zu sorgen, ist Hansi prädestiniert.
Frank Wormuth: Seine Trainer-Stationen im Profibereich
Zeitraum | Arbeitgeber |
1998 bis 1999 | Fenerbahce (Co-Trainer von Joachim Löw) |
1999 bis 2001 | SC Pfullendorf (Regionalliga) |
2001 bis 2002 | FV Ravensburg (Landesliga) |
2002 bis 2003 | SSV Reutlingen (2. Bundesliga) |
2004 | Union Berlin (Regionalliga) |
2005 bis 2006 | VfR Aalen (Regionalliga) |
2008 bis 2018 | DFB (Trainer-Ausbilder) |
2010 bis 2016 | DFB (U20-Nationaltrainer) |
seit 2018 | Heracles Almelo (Eredivisie) |