Jogi Löw im Interview: Umbruch? "Andere Top-Nationen haben dafür länger gebraucht"

Martin Volkmar
24. Januar 202011:05
Joachim Löw ist seit 2006 Bundestrainer.imago images
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In diesem Jahr stehen für den DFB mit der Europameisterschaft und den Olympischen Sommerspielen gleich zwei wichtige Turniere an. Welche Ziele die deutsche Nationalmannschaft bei der EURO 2020 hat und ob Thomas Müller ein Mann für Olympia wäre, verrät Bundestainer Joachim Löw im Interview.

Am Rande des DFL-Neujahrsempfangs in Offenbach sprach der 59-Jährige zudem mit SPOX undGoal über den Titelkampf in der Bundesliga, Hansi Flick als Cheftrainer beim FC Bayern München und den Wechsel von Alexander Nübel vom FC Schalke 04 zum deutschen Rekordmeister.

Herr Löw, mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die Rückrunde?

Joachim Löw: Wir haben die schöne Situation, dass es an der Tabellenspitze sehr, sehr spannend ist, was zuletzt ja meist nicht der Fall war. Ich habe das Gefühl, dass Mannschaften wie Leipzig, Gladbach oder Dortmund mehr auf Augenhöhe mit Bayern agieren als in den vergangenen Jahren. Im Hinblick auf die EM erhoffe ich mir natürlich, dass die Nationalspieler in Form und ohne Verletzungen bleiben. Leroy Sané und Niklas Süle geben wir nach ihren Knieverletzungen alle Zeit der Welt und freuen uns, dass sie Fortschritte machen.

Wer ist Ihr Favorit auf die Meisterschaft?

Löw: Leipzig ist so gut wie nie, weil sie jetzt nicht nur im Umschaltspiel, sondern auch bei Ballbesitz gute Lösungen haben. Sie können auch gegen tiefstehende Gegner die Spiele entscheiden. Von daher sind sie ein Mit-Favorit auf die Meisterschaft, sofern sie ihre Konstanz auch mit der Doppelbelastung in der Champions League bis zum Ende halten können. Ansonsten gehören Bayern und Dortmund natürlich zu den ersten Titel-Anwärtern, weil sie weil sie nach wie vor große Qualität und extrem viel Erfahrung im Umgang mit solchen Herausforderungen haben.

Der FC Bayern hat Ihrem langjährigen Assistenten Hansi Flick das Vertrauen zumindest bis Saisonende ausgesprochen. Waren Sie überrascht, dass er den Schritt zum von allen akzeptierten Chefcoach beim Rekordmeister so schnell bewältigt hat?

Löw: Wir haben häufig Kontakt, allein wegen der vielen Nationalspieler bei Bayern. Aber auch, weil wir uns seit vielen Jahren sehr gut kennen. Wir haben beim DFB ja acht Jahre ganz eng zusammengearbeitet. Dass der Hansi das kann, steht außer Frage. Er hat die fachliche Kompetenz und auch ein sehr gutes Gespür, Spieler mitzunehmen und zu motivieren. Die Mannschaft hat auf dem Platz Taten sprechen lassen und viele Spieler haben sich auch klar geäußert, dass sie in einem guten Flow sowie von Hansis Arbeit und Stil sehr angetan sind. Das spricht für sich.

Jogi Löw: "Zu den Topfavoriten gehören wir nicht"

DFL-Boss Christian Seifert hat beim Neujahrsempfang gefordert, dass dauerhaft mehr als eine deutsche Mannschaft ins Viertelfinale der Champions League und Europa League kommen muss. Schließen Sie sich dem an - oder hilft Ihnen ein frühes Ausscheiden sogar, damit die Nationalspieler vor der EM nicht so stark belastet werden?

Löw: Ich wünsche jedem unserer Spieler und jedem deutschen Klub, dass er international so weit wie möglich kommt. Für die Nationalmannschaft ist es gut, wenn die Spieler davon profitieren, dass sie gegen internationale Topgegner Erfahrung sammeln. Genau dieses Niveau erwartet uns auch bei der EM und wenn man das kennt und sich da durchgesetzt hat, ist das natürlich für die Entwicklung der Spieler und für ihr Selbstbewusstsein ein großer Vorteil. Natürlich sollte es immer Anspruch des deutschen Fußballs sein - auf Ebene der Nationalmannschaften genauso wie bei den Klubs - in den internationalen Wettbewerben so weit wie möglich zu kommen. Zuletzt hat Frankfurt international ja für Euphorie gesorgt, das war schon beeindruckend. Diese Saison habe ich das Gefühl, dass unter anderem Leipzig, Dortmund und natürlich Bayern in der Champions League weiterkommen können. Und das finde ich gut, weil alle davon profitieren würden.

Freuen Sie sich schon auf die EM-Endrunde oder ist es noch weit weg, weil gerade die WM 2018 gezeigt hat, dass erst die Form der Mannschaft im Mai entscheidend ist?

Löw: Die Vorfreude auf ein Turnier ist bei mir immer da, wenn die Auslosung vorbei ist und man die Gegner kennt. Wir haben eine qualitativ sehr gute Gruppe und so etwas macht mir Spaß, weil man sich schon in der Vorrunde auf allerhöchstem Niveau misst und jede Partie wie ein K.o.-Spiel ist. Aber alles andere ist für mich noch relativ weit weg, weil ich schon viel erlebt habe. Nach 14 Jahren als Bundestrainer kenne ich alle Unwägbarkeiten und weiß, dass man immer auf alles gefasst sein muss.

Welches Ziel haben Sie sich gesetzt?

Löw: Natürlich wollen wir bei der EM möglichst weit kommen, aber für eine Prognose ist es einfach zu früh. Was man aber schon jetzt sagen kann: Innerhalb von nur einem Jahr den Umbruch so hinzubekommen, wie wir es geschafft haben, bewerte ich schon positiv. Viele andere Nationen wie Frankreich, England oder die Niederlande haben das so nicht geschafft und haben nach einem Generationswechsel zwei oder vier Jahre oder länger gebraucht, bis sie wieder eine konkurrenzfähige Mannschaft hatten. Wir haben die EM-Qualifikation als Gruppensieger abgeschlossen, obwohl wir viele Herausforderungen hatten, deshalb macht mir unsere junge Mannschaft Hoffnung. Zu den absoluten Favoriten gehören wir in der aktuellen Konstellation nicht unbedingt, aber ein Turnier hat bekanntlich immer seine Eigendynamik.

Jogi Löw: Heimspiele nicht unbedingt ein Vorteil

Welche Rolle spielt der Heimvorteil?

Löw: Wir alle freuen uns, dass wir in München vor eigenem Publikum spielen. Das werden Festtage für die Fans in Deutschland und ist ein Vorteil, was die Stimmung betrifft, aber nicht unbedingt bei den Gegnern. Denn Frankreich und Portugal sind typische Kontermannschaften, sie leben vom Gegenpressing. Wenn wir dominant agieren, freut sich Frankreich insgeheim darüber, weil der Gegner das Spiel macht und die Franzosen selbst nicht so viel tun müssen. Deshalb hätten sie es vor eigenem Publikum manchmal vielleicht sogar etwas schwerer.

Joachim Löw im Steckbrief

Geboren3. Februar 1960 in Schönau im Schwarzwald
Größe1,82 Meter
SpielerpositionStürmer
TrainerstationenFC Winterthur, FC Frauenfeld, VfB Stuttgart, Fenerbahce, Karlsruher SC, Adanaspor, FC Tirol Innsbruck, Austria Wien, Deutschland

Thomas Müller haben Sie im vergangenen Jahr aus dem Nationalteam verabschiedet, nun wird er als Kandidat für die deutsche Olympiamannschaft gehandelt. Würden Sie das begrüßen?

Löw: Das ist allein die Entscheidung von Stefan Kuntz. Wir haben vor Weihnachten bei einem Workshop zusammengesessen und viele Namen diskutiert. Stefan hat da viele spannende Ideen, aber er muss genauso wenig wie ich heute schon Entscheidungen treffen. Die A-Mannschaft und die EURO haben immer Priorität, und wir sind uns auch einig, dass es keinen Sinn macht, wenn ein Spieler beide Turniere absolvieren würde.

Der Wechsel von Alexander Nübel zum FC Bayern in der Winterpause hat angeblich für Unmut bei Manuel Neuer gesorgt, weil vorher nicht mit ihm darüber gesprochen worden sein soll. Wie sehen Sie den Transfer?

Löw: Manuel ist Kapitän bei Bayern und der Nationalmannschaft. Das ist erst mal ein Statement an sich. Er ist ein Weltklasse-Torhüter. Ob der Schritt für Alexander Nübel zum jetzigen Zeitpunkt der richtige ist, kann man heute noch nicht beurteilen, sondern vielleicht erst in ein paar Jahren. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es immer für einen jungen Spieler besser ist, zu spielen, als zwei, drei Jahre auf der Bank zu sitzen.