Manuel Pereira zählt zu den bekanntesten Journalisten Portugals. Der 70-Jährige lebt seit 1979 in Madrid, wo er hauptsächlich als Korrespondent für die große portugiesische Sportzeitung A Bola sowie als Dozent für Journalismus im Einsatz ist. Kaum ein Reporter kennt Jose Mourinho so gut wie er. 2012 schrieb Pereira in enger Zusammenarbeit mit Mourinhos Berater Jorge Mendes die Biographie "Mourinho - El Unico" (auf Deutsch: "Mourinho - Der Einzigartige").
Im Interview mit SPOX und Goal spricht der Mourinho-Experte über die Entlassung des "Special One" bei Manchester United, dessen gestörtes Verhältnis zu Paul Pogba und die Zukunftspläne des 55-Jährigen. Neben einer Rückkehr zu Real Madrid sei auch ein Engagement in der Bundesliga für Mourinho denkbar, so Pereira.
Herr Pereira, was lief schief zwischen Jose Mourinho und Manchester United?
Manuel Pereira: Ich bin mir sicher, nicht einmal Mourinho selbst hat eine klare Antwort auf diese Frage. Es gab von Anfang an Schwierigkeiten zwischen ihm und den Verantwortlichen. Er wünschte sich Spieler, die er nie bekam. Das frustrierte ihn, weil er nicht der Meinung war, mit dieser Mannschaft um alle Titel mitspielen zu können. Mit den Spielern verstand er sich zu Beginn aber. Das zeigte auch der Erfolg in der Europa League. Spätestens mit Beginn dieser Saison verlor er aber mehr und mehr die Unterstützung der Kabine, bis er nicht mehr tragbar war. Wie groß seine Probleme mit der Mannschaft am Ende waren, wird deutlich, wenn man sich ansieht, wie sie jetzt unter seinem Nachfolger spielt.
Wie kam es zu dem Bruch in der United-Kabine? Bei Real Madrid und dem FC Chelsea zerstritt sich Mourinho ebenfalls mit wichtigen Spielern.
Pereira: Korrekt. Die Geschichte hat sich wiederholt. Mourinho ist nun einmal ein Trainer für kürzere Perioden. Er ist nie länger als zwei, drei Jahre bei einem Klub, hat erst Erfolg und geht schließlich doch im Streit, weil die Chemie intern einfach nicht mehr stimmt. Das ist eben Mourinho. Ein sehr ambitionierter und fordernder Trainer, für manche Spieler nach einer gewissen Zeit aber zu fordernd. Sie lassen irgendwann locker und ruhen sich aus. Das war auch in Manchester der Fall - und für mich schon vor der Saison absehbar.
Trennung von Rui Faria entscheidend: "Er war sein Spiegel"
Warum?
Pereira: Weil Rui Faria, sein Co-Trainer, ging. Er war so etwas wie Mourinhos rechte Hand, Mourinhos Spiegel. Ein Fußball-Fachmann, der Mourinhos Arbeitsweise besser als jeder andere verstand. Die Trennung von ihm, aber auch die einmal mehr nicht zustande gekommenen Transfers waren letztlich maßgeblich entscheidend für Mourinhos Scheitern.
Der Klub soll Mourinho eine Abfindung in Höhe von 25 Millionen Euro gezahlt haben.
Pereira: Es ist immer noch preiswerter, einen Trainer zu entlassen anstatt eine ganze Mannschaft. Den Verantwortlichen blieb keine andere Wahl mehr. Der Druck war riesig. Ein Klub wie Manchester United kann sich nicht mit dem sechsten oder siebten Platz zufriedengeben. Auch wenn Mannschaften wie Liverpool oder City stärker sind: Einen Champions-League-Platz sollte man mit diesem Kader schon belegen. Obwohl Mourinho nicht jeden Spieler bekam, den er wollte, wurde sehr viel Geld ohne angemessenen Ertrag ausgegeben. Da brachte Mourinho auch nicht, dass sich sein Team im Dezember für das Champions-League-Achtelfinale qualifizierte.
Sie kennen Mourinho, seinen Berater und Personen aus seinem Umfeld persönlich. Wie geht er mit dieser Entlassung um?
Pereira: Die Erfahrung in Manchester ist eine der bittersten, die er in seiner Laufbahn als Trainer gemacht hat. Ich habe keinen direkten Kontakt zu ihm, aber ich bin mir sicher, dass er enttäuscht und sogar ein Stück weit schockiert über das ist, was in den vergangenen Monaten passiert ist.
"Mourinho wird nicht aufhören, Mourinho zu sein"
Hinterfragt sich Mourinho eigentlich auch selbst? In Interviews und auf Pressekonferenz wirkt er selbstgefällig und arrogant, sucht die Schuld gerne bei anderen.
Pereira: Das ist seine Strategie in der Öffentlichkeit und auch ein Teil seines Images. Sie können versichert sein: Jose Mourinho wird nicht aufhören, Jose Mourinho zu sein. Er wäre nur einer von vielen Trainern, wenn er sich auf Knopfdruck anders verhalten würde. Er ist "the Special One", weil er sich speziell verhält. Er hat dieses Image geschaffen und wird daran festhalten. Das heißt aber nicht, dass er sich nicht hinterfragt. Er ist ein intelligenter Mensch und spricht mit seinen Nahestehenden über alles. Gerade nach dieser Erfahrung in Manchester wird er sich jetzt häufiger die Frage stellen: "Warum ist mir das passiert?"
Wirklich?
Pereira: Logisch. Mourinho ist nicht beratungsresistent. Er weiß, dass bei United einiges schiefgelaufen ist und wird nach Lösungen suchen, um ein derartiges Versagen in Zukunft zu vermeiden. Er ordnet dem Erfolg alles unter. Wenn er dafür seine Methoden hinter den Kulissen ändern muss, wird er das tun. Er kann sich umstellen. In der Öffentlichkeit wird er aber der Mourinho bleiben, den alle kennen.
Mourinho gilt als Kontrollfreak. Stimmt es eigentlich, dass er seine Spieler bei United und wieder observiert hat?
Pereira: Er ist mit Sicherheit niemand, der das Privatleben seiner Spieler kontrolliert. Das ist auch nicht sein Recht. Wenn es um den Fußball geht, hat er aber gerne die volle Kontrolle. Mourinho wird schnell misstrauisch gegenüber Spielern, die im Training und in den Spielen nicht ihr Maximum abrufen. Das kann ein, zwei oder drei Mal passieren, aber nicht regelmäßig. Er will nicht, dass sie herumalbern, sondern sich diszipliniert verhalten und Fußball spielen. Dafür werden sie ja auch bezahlt.
Hatte er deshalb ein gestörtes Verhältnis zu dem eher extrovertierten Paul Pogba?
Pereira: Wahrscheinlich. Wenn ein Spieler 100 Prozent gibt, hat Mourinho kein Problem mit ihm. Dann gibt es auch nichts zu kontrollieren. Wenn Mourinho aber das Gefühl hat, dass das nicht der Fall ist und der Spieler glaubt, weniger machen zu müssen, wird es schwierig. Die meisten Klubs glauben heute an die Professionalität ihrer Spieler, dass sie auf sich und ihre Ernährung achten und mitten in der Saison keinen Alkohol trinken oder auf Partys gehen. Das Beispiel Ousmane Dembele zeigt aber gut, dass es immer noch vereinzelte Spieler gibt, die sich damit schwertun. Bei Real Madrid musste früher zum Beispiel jeder Spieler um Mitternacht für einen Betreuer erreichbar sein. Solche Regeln sind heutzutage unvorstellbar. Umso wichtiger ist es für einen Trainer, jemanden zu haben, der ihn auf dem Platz vertritt.
Probleme mit Pogba: "Kein Trainer unter den Spielern"
Sie meinen einen Leader.
Pereira: Exakt. Eine Respektperson, die die Ideen des Trainers an den Rest der Mannschaft vermittelt. Einen Trainer unter den Spielern sozusagen. Den hatte Mourinho vor seiner Zeit in Manchester eigentlich immer. Zum Beispiel Xabi Alonso bei Real Madrid, Frank Lampard beim FC Chelsea oder Javier Zanetti bei Inter Mailand. Es ist immer schwierig, allein eine Gruppe von 25 Männern zu führen und zu koordinieren, gerade wenn man wie Mourinho häufiger mit seiner anspruchsvollen Art aneckt. Das können nur wenige Trainer. Ich erinnere mich noch, als Diego Simeone in seinen ersten Jahren bei Atletico Madrid fast immer Tiago aufstellte. Tiago war kein Fußballer von einem anderen Planeten, aber ein unglaublich charakterstarker Spieler, ein guter Kommunikator, der Simeones Ideen und Denkweise verinnerlichte und weitergab. Später übernahm Gabi diese Rolle, heute ist es Diego Godin. Bei Manchester sehe ich beim besten Willen keinen solchen Leader mehr. Es gibt keinen Paul Scholes, Ryan Giggs oder Rio Ferdinand mehr. Mit solchen Führungsspielern im Team hätte Mourinho es einfacher gehabt.
Wie lauten Mourinhos Pläne für die nächsten Monate? In Portugal kursieren Gerüchte, wonach sich Benfica Lissabon mit ihm beschäftige.
Pereira: Er wird nicht direkt einen Verein übernehmen. Das Wahrscheinlichste ist, dass er eine Pause bis zum Sommer einlegt, um die nötige Kraft für eine neue Herausforderung zu sammeln. Er muss sich ja nicht beeilen, sondern hat alle Zeit der Welt.
Nicht wenige behaupten, Mourinho werde keinen Topklub mehr finden.
Pereira: Das glaube ich nicht. Er ist ein sehr ambitionierter Mensch und wird nicht in der Versenkung verschwinden. Er hat noch ein langes Leben als Trainer vor sich mit vielen Herausforderungen, die ihn reizen. Er hat bisher nur in Portugal, England, Italien und Spanien trainiert. Die Bundesliga fehlt ihm zum Beispiel noch. Wenn ihn morgen Karl-Heinz Rummenigge anruft und ihm anbietet, den FC Bayern zu trainieren, würde Mourinho garantiert zusagen. Auch PSG wäre sicherlich eine reizvolle Aufgabe für ihn.
Pereira: Mourinho-Rückkehr zu Real im Sommer möglich
Aktuell sieht es aber nicht danach aus, als würde bei einem dieser Klubs in naher Zukunft der Posten des Trainers frei werden.
Pereira: Das stimmt. Für den Fall, dass er im Sommer keinen Klub findet, kann ich mir vorstellen, dass er die portugiesische Nationalmannschaft übernimmt. Das würde weniger Stress für ihn bedeuten. Er könnte sich dadurch wieder mehr seinem Privatleben widmen, das in Manchester sehr gelitten hat. Er hatte dort kein richtiges Zuhause, sondern verbrachte die meisten Nächte im Hotel oder flog extra nach London, um bei seiner Familie zu sein. Bis zum Sommer kann aber noch viel passieren. Vor allem bei Real Madrid.
Halten Sie eine Rückkehr von Mourinho zu Real für möglich?
Pereira: Ohne jeden Zweifel. Solange Florentino Perez Reals Präsident ist, besteht diese Option. Perez mag und schätzt Mourinho sehr, er hält ihn für den idealen Trainer und hätte ihn 2013 auch niemals ziehen lassen, wenn Mourinho nicht darauf bestanden hätte. Mourinho hatte auch nie Probleme mit Perez oder den Verantwortlichen. Sie sind nicht die besten Freunde der Welt, aber verstehen sich sehr gut. Die Tür für eine Rückkehr zu Real ist offen. Der Moment muss nur stimmen.
Und wenn dieser Moment bereits gekommen ist? Santiago Solari sitzt nach einem schwachen Start ins neue Jahr nicht gerade fest im Sattel.
Pereira: Da Solari im Dezember aber die Klub-Weltmeisterschaft gewonnen hat, gehe ich nicht von einer sofortigen Entlassung aus. Aber vielleicht ja im Sommer, wer weiß. Ich bin mir sicher, dass sich nach dieser Saison viel bei Real Madrid tun wird. Solari wird Mourinhos Atem in den nächsten Monaten jedenfalls spüren.
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