Jose Mourinho will Real Madrid eine Identität verleihen. Der Verein liefert sich dem neuen Startrainer aus. Das Projekt riecht nach Erfolg, doch es lauern eine Menge Gefahren.
SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen zum Mourinho-Transfer.
Warum geht Mourinho zu Real Madrid?
Mourinho holte in den letzten acht Jahren 17 (!) Titel mit drei verschiedenen Vereinen in drei verschiedenen Ländern. Italien war zuletzt nicht mehr gut genug, da kam das Flirtangebot aus Madrid gerade recht. Spanien fehlt Jose Mourinho ohnehin noch in seiner Sammlung.
An Real Madrid fasziniert Mourinho die "einzigartige Geschichte", die "Frustration der letzten Jahre" und die "hohen Erwartungen".
"Ich weiß nicht, ob ich dafür geboren wurde, Real Madrid zu trainieren. Aber ich bin geboren worden, um die größten Vereine zu trainieren", sagt Mourinho. Er glaubt, mit Real seinem Wunsch, als erster Trainer mit drei verschiedenen Vereinen die Champions League zu gewinnen, am nächsten zu kommen.
Wer sind Mourinhos Bezugspersonen?
Am Tag seiner Vorstellung traf sich Mourinho mit Raul. "Er hat trainiert und dann haben wir zusammen gefrühstückt. Ich werde nicht erzählen, über was wir gesprochen haben. Gespräche zwischen Spieler und Trainer gehen die Öffentlichkeit nichts an", so Mourinho.
Fan-Idol Raul gehört zu Mourinhos wichtigsten Bezugspersonen, auch wenn er dem Stürmer keine Garantie geben kann, regelmäßig zu spielen. Mourinho will den Verein "erstmal kennenlernen". Da könne er Rauls Wissen und Erfahrungsschatz nutzen.
Neben Raul gehören Iker Casillas und seine Landsleute Pepe und Cristiano Ronaldo zu Mourinhos Vertrauten. "Ich hatte bei Porto mit Vitor Baia den damals besten Torhüter Europas. Mit Petr Cech und Julio Cesar war es genauso. Ich hoffe, dass ich diese Serie mit Casillas fortsetzen kann. Ich kenne ihn nicht persönlich, weiß aber, dass er ein herausragender Torhüter ist."
Mourinho lobt Ronaldo als "unglaublichen Spieler", der aber noch dazulernen muss. "Es wird nicht schwer werden, auch Ronaldo davon zu überzeugen, dass der einzelne Spieler oder der Trainer nicht wichtig sind. Es geht nur um den Verein."
Passt Mourinhos Philosophie zu Real Madrid?
Ordnung ist das halbe Leben. Mourinho vertritt die Meinung, dass eine Mannschaft mit einer perfekten Organisation und funktionierendem Positionsspiel etwaige fußballerische Mängel kaschieren kann. Er überlässt dem Gegner gerne die Initiative und setzt stattdessen auf aggressives Spiel gegen den Ball. Die daraus resultierenden Fehler des Gegners sollen mit schnellem Umschaltvermögen genutzt werden.
Seine Mannschaften waren körperlich stets auf Topniveau, wenngleich Mourinho vorgibt, darauf nicht explizit Wert zu legen: "Wenn ich sehe, wie Spieler in der Vorbereitung Strände entlang laufen oder Berge hochkraxeln, lache ich mich tot. Das sind archaische Methoden. Ich weiß nicht, wo Physis anfängt und wo Psychologie aufhört. Ich sehe Fußball als großes Ganzes."
Das Studieren des Gegners ist ein wesentliches Teil im Mourinho-Puzzle. "Fußball ist wie Krieg: du musst deinen Feind beobachten und wissen, wie er angreift und verteidigt. Umso besser kannst du seine Schwächen erkennen und deine Erfolgschancen erhöhen", sagte Mourinho einmal.
Die Fußballphilosophie von Real Madrid lässt die Teilnahme an diesem Krieg nicht zu. Aktion steht über Reaktion, Offensive wird verehrt, Defensive verteufelt. Jupp Heynckes und Fabio Capello holten mit Real große Titel und wurden trotzdem gefeuert, weil die Mannschaft chronisch unspektakulär spielte.
Mourinho wird in erster Linie an seinen Erfolgen gemessen werden, doch nackte Ergebnisse reichen in Madrid nicht aus. Spektakel gehört im Bernabeu zum Inventar.
Mourinho will Real Madrid eine Identität verleihen. Dafür habe er bei vier Jahren Vertrag ausreichend Zeit. Seinen Stil werde er aber nicht ändern, geschweige denn anpassen. "Ich werde der gleiche Mourinho bleiben - mit all meinen Qualitäten und Fehlern."
Mourinho ist intelligent genug, um zu wissen, dass er mit 1:0-Fußball in Madrid keine Freunde gewinnen kann. Andererseits lässt sich der Coach ungern verbiegen und womöglich sogar diktieren, wie er seine Arbeit zu erledigen hat. In Mourinhos Team hat jeder seine Stimme. Jeder wird gehört, damit teilt Mourinho die Verantwortung auf. Am Ende aber legt er den Kurs fest. Und der sieht eben eher vorsichtig aus. Das birgt Konfliktpotential.
Wie ist das Verhältnis zu den Vorgesetzten?
Gleich am ersten Tag düpierte Mourinho Präsident Florentino Perez. Dem Boss schwebte eine pompöse Vorstellungszeremonie a la Cristiano Ronaldo vor. Mourinho winkte ab und setzte durch, im wenig glamourösen Pressesaal präsentiert zu werden. Perez war nicht zugegen, dafür aber Generaldirektor Jorge Valdano.
Ausgerechnet Valdano. Der Argentinier hatte Mourinho einst heftig kritisiert. Das Champions-League-Halbfinale 2007 zwischen dem FC Liverpool und Chelsea habe die hässliche Fratze des Fußballs gezeigt. "Wenn Chelsea und Liverpool Vorreiter des Fußballs der Zukunft sind, sollten wir der Schönheit und dem Ausdruck des Fußballs, den wir in den letzten 100 Jahren schätzen und lieben gelernt haben, Goodbye sagen", so Valdano damals.
Mourinho war damals Coach der Blues. Bei der Vorstellung des neuen Real-Trainers sagte Valdano: "Wir sind stolz, einen der prestigeträchtigsten Trainer der Welt bei uns zu haben."
Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass Valdano bis zuletzt an Manuel Pellegrini festhielt. Der Generaldirektor fürchtet um die Beschneidung seiner Kompetenzen. Mourinho engagiert sich mit Vorliebe über sein Amt als Trainer hinaus. Er spielt Manager und fordert das absolute Sagen in Sachen Spielertransfers. Er wird sich keine Stars vor die Nase setzen lassen, nur weil diese den Trikotverkauf ankurbeln.
Im August 2009 schickte Valdano Arjen Robben und Wesley Sneijder weg, obwohl Pellegrini gerne mit den Niederländern gearbeitet hätte. Mourinho dagegen ist kein Spielball der Bosse. Der Portugiese wird sich wehren, notfalls auch auf Kosten seines Jobs. Angeblich besitzt Mourinho eine Vertragsklausel, nach der er direkt an Perez berichtet und nicht an einen zwischengeschalteten Direktor.
Mourinho hat die Macht, Valdano das Nachsehen. Eigentlich ist die Notwendigkeit des Generaldirektors obsolet geworden.
Wie ist das Verhältnis zu den Medien?
Mourinho treibt das Spiel mit der Presse gerne auf die Spitze. Mourinho beleidigt keine Journalisten, aber er stellt ihre Inkompetenz mit Vorliebe anhand zynischer Kommentare heraus. Auf Kritik reagiert Mourinho dünnhäutig. Den Mailänder Journalisten gab er seit März nur noch in offiziellen Pressekonferenzen Auskunft.
Die Zusammenarbeit mit der nicht gerade zimperlichen spanischen Presse dürfte interessant werden.
Wie sieht der Kader 2010/11 aus?
Mourinho hält wenig von der von den Fans gewünschten "Espanolization" des Kaders. "Die Identität einer Mannschaft hängt nicht von der Nationalität der Spieler ab", sagte er am Montag in Madrid. Bei Inter stand unter Mourinho selten ein Italiener in der Startelf.
Bei den gehandelten Neuzugängen sind mit Jesus Navas (FC Sevilla) und David Silva (FC Valencia) aber immerhin zwei Spanier dabei. Mourinhos erklärter Wunschspieler ist Maicon. Der Coach würde den Rechtsverteidiger liebend gerne aus Mailand mitbringen. Sergio Ramos sieht Mourinho eher als Innenverteidiger.
Als Defensivpart zu Xabi Alonso hat Mourinho Daniele De Rossi vom AS Rom im Auge. Außerdem im Gespräch: Steven Gerrard (FC Liverpool), Angel Di Maria (Benfica Lissabon) und Aleksandar Kolarow (Lazio Rom), der als neuer Roberto Carlos gilt. Geld hat bei Neuverpflichtungen in Madrid selten eine Rolle gespielt. Mourinho wird Perez von seinen Wünschen unterrichten. Der Boss wird seinem Heilsbringer jeden Wunsch erfüllen (wollen).
Über Namen will Mourinho aber nicht sprechen: "Nennt man den Spieler einmal, kostet er eine Million. Nennt man ihn zehn Mal, kostet er zehn Millionen. Es geht nicht um Namen, sondern um die Frage: Welches Profil muss ein Spieler haben, um die Mannschaft weiterzubringen. Ich kann sagen, dass die Basis des Kaders gelegt ist und ich damit zufrieden bin. Große Transfers wird es nicht geben."
Christoph Metzelder und Guti werden den Verein verlassen. Als Streichkandidaten gelten Fernando Gago, Royston Drenthe, Mahamadou Diarra, Rafael van der Vaart und Karim Benzema.
Gonzalo Higuain hat seinen Vertrag bis 2016 verlängert.
Wie lauten Mourinhos Ziele?
La Decima steht über allem. "Der Verein und die Fans träumen vom zehnten Titel im Landesmeistercup. Das tue ich auch. Mit Porto und Inter habe ich jeweils in meiner zweiten Saison die Champions League gewonnen. Ich kann nichts versprechen, aber ich möchte es bei Real Madrid früher schaffen."
Zudem will Mourinho die Vormachtstellung in Spanien zurückerobern. "Ich habe keine Angst vor Barcelona. Das Wort Angst existiert nicht in meinem Wortschatz. Ich hätte kein Problem damit, am ersten Spieltag gegen Barcelona zu spielen. Mein erster Gegner als Chelsea-Coach war Manchester United, in der Serie A habe ich mit Inter am zweiten Spieltag gegen Milan gespielt."
Wo Mourinho ist, ist Erfolg, auch wenn er 2007 bei Chelsea rausflog. Seine Titelsammlung ist beeindruckend und sein Selbstvertrauen seit jeher enorm: "Ich denke nicht im Geringsten an eine Entlassung, sondern an Titel. Es ist das Größte, mit Real Titel zu gewinnen."
Wie reagiert die Konkurrenz?
Mit der branchenüblichen Gehässigkeit. Barca-Präsident Joan Laporta respektiert Mourinho und spricht von einem sehr guten Trainer. Das Trainer-wechsel-dich-Spielchen beim Erzfeind nimmt Laporta aber wiederholt zum Anlass, sich über die verzweifelten Versuche der Königlichen nach einer Identitätsfindung zu amüsieren.
"Real Madrid leidet an Barcelonitis. Wir sind in der komfortablen Situation, dass unser Modell funktioniert. Wir haben in den letzten zwei Jahren alles gewonnen. Real sucht fieberhaft nach Lösungen, unserem Erfolgsmodell entgegenzuwirken", sagte Laporta.
Fortsetzung folgt...
Der aktuelle Kader von Real Madrid