Joshua Kimmich hatte "Ängste und Bedenken" - jetzt will sich der Profi von Bayern München doch impfen lassen.
Joshua Kimmich spricht mit fester Stimme, doch durch seine glasigen Augen lässt er einen tiefen Blick in eine verwundete Seele zu. Das Virus, viel mehr aber noch die Kritik an seiner Impfskepsis haben deutliche Spuren hinterlassen beim Münchner. Jetzt ist er endlich bereit für den kleinen Pieks mit der großen Wirkung - und schlägt zurück.
"Natürlich wäre es besser gewesen, mich früher impfen zu lassen - aus mehreren Gründen", gibt der gerade erst von COVID-19 genesene Nationalspieler im ZDF-Interview zu. Einmal, weil er dann womöglich von einer Infektion verschont geblieben wäre. Dann wegen seines "schlechten Gewissens" gegenüber der Familie und den Bayern-Kollegen. Aber vor allem auch wegen des ganzen Wirbels um seine Person. "Da wurden einige Grenzen überschritten", klagt er. "Es war nicht nur sachliche Kritik dabei. Ich bin auch nur ein Mensch, der Ängste hat."
Sachliche Kritik an seiner Skepsis müsse und könne er "aushalten". Nicht aber, dass "man fast aus allen Richtungen mit dem Finger zeigt und urteilt". Dass in seinem Heimatdorf bei Eltern, Onkeln und Tanten geklingelt würde, um sie zu befragen. Oder dass die Presse "bei der Beerdigung meines Opas vor Ort war".
Hinter ihm liege "eine sehr, sehr schwierige Zeit", sagt der 26-Jährige über die sieben Wochen seit seinem ersten und bislang letzten Auftritt zum Thema, bei dem er seine abwartende Haltung zu erklären gesucht hatte. Es sei ihm schwer gefallen, "mit meinen Ängsten und Bedenken umzugehen".
Lauterbach reagiert auf Kimmich-Entscheidung
Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte via Twitter Kimmichs Sinneswandel. "Die Entscheidung für die Impfung von Joshua Kimmich verdient Respekt. Er war nie ein Querdenker und hat nur zu lange gezögert. So geht es leider vielen, auf den Intensivstationen bereuen viele ihr Zögern. Die Zögernden müssen wir gezielter ansprechen", schrieb Kimmich.
Vielleicht, sinniert Kimmich, "musste ich das erst durchleben, was ich jetzt durchlebt habe". Der Ärger und die Wut, die dem wohl prominentesten Skeptiker des Landes entgegenschlug. Die wochenlange Quarantäne, wegen der ein schon ausgemachter Impftermin noch mal verschoben werden musste. Und schließlich die Corona-Erkrankung.
All das sei "nicht spurlos" an Kimmich vorbeigegangen, meint Trainer Julian Nagelsmann. Doch er verspricht: "Er kommt stark zurück, da könnt ihr euch drauf verlassen. Es wird alles gut."
Die eigentliche Erkrankung sei "relativ mild" verlaufen, berichtet Kimmich. Wegen Flüssigkeit in der Lunge muss er aber bis Januar pausieren. Sonst bestünde "die Gefahr, dass das aufs Herz geht und man längere Folgen davonträgt". Dabei hatte er doch gerade wegen "möglicher Langzeitfolgen" bei der Impfung gezögert.
Er sei dem Irrglauben aufgesessen, sich schützen zu können, sagt Kimmich, wenn er nur alle Maßnahmen einhalte. Weil er als Profi häufig getestet wurde, habe er keine Gefahr für andere gesehen. "Im Endeffekt habe ich zu spüren bekommen, dass man es eben nicht durch eigenes Verhalten beeinflussen kann, ob man mit dem Virus in Kontakt kommt." Nun will er sich "impfen lassen, wenn es dann empfohlen und der Zeitpunkt da ist".
gettyKimmich kann Gehaltskürzung nachvollziehen
Seine Mitspieler habe er wegen seiner Zurückhaltung "im Stich gelassen", bekennt er: "Ich war derjenige, der zu Hause saß, der diese Highlight-Spiele verpasst hat, der der Mannschaft nicht helfen konnte." Bis zum Jahreswechsel wird er acht Spiele verpasst haben. Das, sagt er reuig, "wäre mit einer Impfung nicht passiert".
Dass ihm die Bosse während der Quarantäne das Gehalt kürzten, kann er "absolut nachvollziehen und verstehen". Ebenso "jegliche sachliche Kritik". Er hatte aber das Gefühl, dass sich einige auf seine Kosten "profilieren wollten" und habe sich gefragt: "Wie sollen wir miteinander umgehen?"
So jedenfalls nicht, meint er. "Wir sprechen immer von Respekt, Toleranz, Offenheit - das sind Werte, die mir in meiner Diskussion extrem gefehlt haben." Kimmich appelliert, den Leuten zuzuhören, Sorgen ernstzunehmen. Mit Druck erreiche man nichts - höchstens eine "noch größere Spaltung der Gesellschaft".