In der vergangenen und aktuellen Transferperiode hat sich Julian Weigl mit einem Abgang von Borussia Dortmund beschäftigt, weil seine Aktien zuletzt stark gesunken waren. In den ersten drei Pflichtspielen der neuen Saison stand er nun jeweils 90 Minuten auf dem Platz - in neuer Rolle, auf angestammter Position.
Es ist ein Phänomen, das nicht nur, aber sehr häufig im Sport vorkommt: bestimmte Verhaltensweisen, die wiederkehrend zum Vorschein kommen. Die einen nennen Aberglauben als Grund, für andere sind es einfach Ticks, die sie sich im Laufe der Zeit angewöhnt haben.
Auch in der Mannschaft von Borussia Dortmund ist das zu beobachten. Keeper Roman Bürki lässt sich beispielsweise während der Seitenwahl immer den Ball in die Hand drücken, um diesen mehrfach auf den Boden springen zu lassen und ein Gefühl für ihn zu bekommen. Marco Reus zupft sich während der Partien regelmäßig das Trikot über die Hüfte und Julian Weigl kreuzt mit Ball am Fuß die Finger seiner linken Hand derart erstaunlich übereinander, dass man denken könnte, er habe mehr als fünf davon.
Weigls Tick ließ sich in der vergangenen Saison allerdings nur selten beobachten. Der Umbruch, den der BVB unter dem neuen Trainer Lucien Favre initiierte, spülte ihn immer weiter ins Aus. In Weigls Hoheitsgebiet im defensiven Mittelfeld übernahmen die Neuzugänge Axel Witsel und Thomas Delaney das Ruder und versinnbildlichten mit ihren jeweiligen Spielweisen das Mehr an Mentalität, das die Dortmunder ihrem Kader hinzufügen wollten.
Weigls Ich-will-weg nach einem frustrierenden halben Jahr
Die Mentalität von Weigl war dagegen kaum noch gefragt. Lediglich vier Startelfeinsätze, dafür acht Bankplätze kamen für den einstigen Dauerspieler zusammen, vier Mal stand er gar nicht erst im Kader. Und als Weigl wie im Topspiel gegen den FC Bayern mal wieder im defensiven Mittelfeld ran durfte, fehlten ihm augenscheinlich Rhythmus und Wettkampfhärte. Schon zur Pause nahm ihn Favre damals runter.
"Dass ich unter Tuchel gut funktionieren kann, ist kein Geheimnis. Ich habe den BVB-Verantwortlichen meine Gedanken mitgeteilt", sagte Weigl dann zu Jahresbeginn in der Sport Bild. Ein nicht besonders verklausuliertes Ich-will-weg nach einem frustrierenden halben Jahr.
Das Interesse von Paris Saint-Germain und Weigls größtem Förderer Thomas Tuchel war in der Winterpause real, doch der BVB legte ein Veto ein. Und tat dies aus nachvollziehbaren Beweggründen, schließlich wäre Weigl im Falle einer Verletzung von Witsel oder Delaney Favres erste Ersatzoption gewesen.
Weigls Wendepunkt: Vier-Augen-Gespräch mit Favre
Letztlich kam Weigl in der Rückserie dann doch zu seinen Einsätzen, nämlich ganzen 13 über 90 Minuten, allerdings aufgrund von Verletzungen als Innenverteidiger. Dort machte er seine Sache überraschend gut, mit und auch gegen den Ball. Weigls Spielintelligenz und Antizipation halfen ihm, sich in der neuen Rolle schnell zurecht zu finden.
Damit abfinden, künftig als Notnagel auf nicht bevorzugtem Terrain eingesetzt zu werden, konnte sich der EM-Fahrer von 2016 freilich nicht. Auch im aktuell noch geöffneten Transferfenster liebäugelte Weigl mit einem Wechsel, zu den interessierten Parisern gesellten sich weitere Klubs aus dem Ausland.
Für den entscheidenden Wendepunkt sorgte dann ausgerechnet derjenige, der zuvor für Weigls Degradierung verantwortlich war: Trainer Favre. Der Schweizer schnappte sich den 23-Jährigen im Trainingslager in Bad Ragaz zum Vier-Augen-Gespräch und versicherte Weigl, dass er ihn längst nicht abgeschrieben habe und ihn künftig wieder in seiner präferierten Rolle einsetzen wolle.
Zorc über Weigl: "Richtiger Biss und nötige körperliche Schärfe"
Zudem legte der BVB seine Verweigerungshaltung ohnehin nicht ab und öffnete die Tür für einen möglichen Transfer nicht einen Spalt. Das lag auch an der veränderten Situation in der Innenverteidigung nach dem Abgang von Ömer Toprak. Nach seinen überzeugenden Auftritten in der Vorsaison gilt Weigl dort mittlerweile als echte und vor allem verlässliche Alternative.
Nimmt man nun die drei bislang absolvierten Pflichtspiele der Borussia in dieser Saison, dann hat der Klub in der Personalie Weigl die richtige Entscheidung getroffen. Favre setzte Weigl dreimal in Serie über 90 Minuten an der Seite von Witsel ein und er spielte so, wie man es aus der Zeit unter Tuchel kannte: präzise, dominant, schnörkel- und tadellos. Willkommen zurück in der Zukunft!
Allerdings hat Favre Weigl eine leicht veränderte Rolle zugedacht und ihn nun etwas offensiver positioniert. Für Sportdirektor Michael Zorc spielt Weigl aktuell "eher als Achter denn als Sechser" und verfügt für diese Aufgabe über "den richtigen Biss und die nötige körperliche Schärfe".
Weigl vor Delaney? Zorc antwortet
Man sieht Weigl nun häufiger in Strafraumnähe, gegen Augsburg schoss er bereits nach zehn Minuten sehenswert aufs Tor. Seine Bewegungen und Blicke sind jetzt mehr nach vorne gerichtet, er erkennt die Läufe der Offensivspieler besser und setzt sie mit genauen Pässen bisweilen gut ein. Gewissermaßen spiegelt Weigls Spiel nun deutlicher Favres Ballbesitzphilosophie wider, die Adaption scheint gelungen.
"Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich lieber dort spiele. Es war wichtig für mich, dass ich jetzt auf meine angestammte Position zurückkehre", sagt Weigl. "Ich konnte mich zeigen, ich konnte mich auf dieser Position beweisen. Ich denke, das funktioniert bislang ganz gut."
Leidtragender dieser Entwicklung ist Delaney, der in dieser Spielzeit noch nie in der Startelf stand. "In solchen Kategorien denken wir nicht", hält Zorc dagegen, als er darauf angesprochen wurde, ob Weigl nun die Nase vor Delaney hat. "Julian hat eine super Vorbereitung gemacht, hat sein Spiel auch ein wenig geändert, ist ein bisschen offensiver in Verbindung mit Axel Witsel. Momentan passt das sehr gut."
Dieses "momentan" so weit wie möglich in die Zukunft zu tragen, wird Weigls vorrangige Aufgabe in den kommenden Wochen sein. Interessant wird unabhängig von seiner aktuellen Form, wie Favre aufstellen wird, wenn der BVB auf dominantere Teams trifft, die spielstark und im Mittelfeld körperbetont agieren. Dann könnten die Zweikampfstärke und physische Präsenz von Delaney schnell wieder gefragt sein. Oder aber er baut auf Julian Brandt, der noch viel eher ein dynamischer Achter ist als Weigl.
Julian Weigl: Seine gesamten Leistungsdaten beim BVB
Einsätze | Tore | Vorlagen | |
Bundesliga | 104 | 2 | 0 |
Champions League | 18 | 1 | 0 |
Europa League | 18 | 0 | 1 |
DFB-Pokal | 12 | 0 | 0 |