Das Halbjahr Heynckes

Florian Bogner
16. Dezember 201122:56
Das erste Halbjahr nach Jupp Heynckes' Rückkehr als Bayern-Trainer neigt sich dem EndeGetty
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Das Jahr 2011 neigt sich dem Ende zu - Zeit für eine erste Betrachtung der dritten Amtszeit von Jupp Heynckes beim FC Bayern München. Was sagte der Coach nach den Niederlagen? Wie ging er mit Lob um, wie reagierte er auf den Schweinsteiger-Ausfall? Heynckes' Wirken in einer Chronologie.

Jupp Heynckes fühlt sich als Trainer des FC Bayern wieder pudelwohl. Es wirkt bisweilen sogar so, als sei der 66-Jährige schon viel länger zurück an der Säbener Straße als nur sechs Monate. Der Coach sprüht vor Energie und Tatendrang, hat immer noch Freude an seinem Job.

Sich selbst nimmt Heynckes dabei nicht mehr so wichtig. "Ich war früher manchmal brüsk, zu rigoros", sagte er vor kurzem. "Ich bin heute großzügiger, da hat mir das Ausland gut getan."

Aus Niederlagen lernen, Spieler stärken

Der FC Bayern hat in der Hinrunde weitgehend überzeugt. Allerdings musste der FCB nach dem Ausfall von Bastian Schweinsteiger auch ein kleines Tal durchschreiten. "Nach zehn Spieltagen waren wir schon fast Meister, drei, vier Spiele später waren wir angeblich schon wieder auf dem absteigenden Ast", sagte Heynckes am Donnerstag und lachte dabei. Er weiß es einzuschätzen.

Niederlagen, wie die in Hannover, hätten der Mannschaft sogar gut getan: "Ich denke, dass die Spieler daraus gelernt haben. Wenn wir gewinnen, wird sowieso immer nur gelobt. Nach Niederlagen kann ich aber ein bisschen kritischer sein. Das ist vor allem für die jungen Spieler wichtig."

Was man bereits sagen kann: Unter dem Coach haben sich Spieler wie David Alaba und vor allem Toni Kroos enorm weiterentwickelt. Heynckes gibt das Lob gerne weiter. "Ich habe mit 21 Jahren jedenfalls nicht so guten Fußball gespielt wie Toni - und Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge auch nicht. Toni ist mental sehr stark. Jetzt hat er auch physisch deutlich zugelegt. Er hat Power."

Ribery profitiert von Heynckes

Der Trainer stellt klare Regeln auf (z.B.: "Ich will beim FC Bayern, dass wir zusammen frühstücken. Es nimmt sich jeder das Frühstück selbst am Büfett und räumt dann auch wieder ab"), spricht aber mehr mit den Spielern als Louis van Gaal und gibt hin und wieder auch die einfühlsame Vaterfigur, wovon Spieler wie Franck Ribery profitieren.

Als seine Hauptaufgabe hat sich Heynckes einer besseren Harmonie zwischen Defensive und Offensive gewidmet. "Natürlich will ich lieber hoch und schön gewinnen, aber das 1:0, das 2:1 gehört dazu", sagte er zu Beginn seiner dritten Amtszeit in München.

Wie sich Heynckes bisher schlug, was seine Spieler sagten - die Chronologie

Wie sich Heynckes bisher schlug, was seine Spieler sagten - die Chronologie:

27. Juni: Trainingsauftakt. Heynckes übernimmt zum dritten Mal beim FCB das Ruder und sagt: " Ich fühle mich hier sauwohl. Es ist so, als wäre ich nach Hause gekommen." Seine erste Message: "Ich habe in den Gesprächen mit dem Vorstand mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass der FC Bayern eine bessere Balance braucht." Taktisch kündigt er an, sowohl einem 4-3-3 als auch einem System "mit zwei Mittelstürmern" eine Chance zu geben. Beim ersten Training begrüßt der FCB die Neuzugänge Manuel Neuer, Rafinha und Stürmer Nils Petersen.

2. Juli: Bayern feiert in der Allianz Arena die offizielle Saisoneröffnung. Die Nationalspieler sind erstmals dabei, Manuel Neuer erntet Beifall. Nur vereinzelt sind Pfiffe zu hören. "Er ist unser Wunschtrainer. Jupp ist der richtige Mann am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt", sagt Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge.

3. bis 9. Juli: Der FCB absolviert sein Sommertrainingslager zum zweiten Mal in Folge am Gardasee. Heynckes leitet die Spieler an, ohne oberlehrerhaft zu wirken, führt viele Einzelgespräche und lobt überschwänglich. Daniel Van Buyten, Anatolij Tymoschtschuk, David Alaba, Toni Kroos und Petersen stechen hervor. Heynckes verspricht: "Für mich ist Leistung für die Nominierung entscheidend, nicht der Status" und sagt in Richtung Franck Ribery: "Er muss sich wie jeder andere auch integrieren."

17. Juli: Bayern stellt Jerome Boateng (Heynckes: "Mein Wunschspieler") und Takashi Usami ("Ein guter Junge") vor, Arturo Vidal kommt nicht. Der Chilene unterschreibt lieber bei Juventus Turin, was Heynckes kränkt. Bayern schließt die Einkaufstour damit ab.

7. August: Erster Frust. Der Liga-Auftakt geht mit 0:1 gegen Borussia Mönchengladbach in die Hose, Neuer nimmt das kuriose Gegentor auf seine Kappe. Franz Beckenbauer sieht schwarz, rügt die Heynckes-Truppe und meint: "Wer weiß, für was diese Niederlage gut war. Wobei ich das Gute im Moment eigentlich nicht sehe..."Heynckes bemängelt fehlendes Tempo, fehlende Härte und zu wenige Sprits: "Wir hätten den Sieg erzwingen müssen. Man muss die Gier haben, das Spiel zu gewinnen."

23. August: CL-Quali geschafft, der FC Zürich (2:0, 1:0) war zwei Nummern zu klein für den FC Bayern. Nach dem Hinspiel wird berichtet, dass Uli Hoeneß zur Halbzeit in der Kabine war. Der Präsident soll der Mannschaft Dampf gemacht haben. Heynckes dementiert später: "Ich würde es niemals zulassen, dass der Präsident in der Halbzeit zur Mannschaft spricht."

27. August: Bayern kommt nach dem Ausrutscher gegen Gladbach besser in Tritt, steht nach einem 3:0 in Kaiserslautern erstmals an der Tabellenspitze.

12. September: Heynckes formuliert vor dem CL-Start gegen den FC Villarreal in einem "Kicker"-Interview Ansprüche: "Der FC Bayern sollte jedes Jahr ein, zwei absolute Topspieler holen." Die Bosse lassen die Forderung unkommentiert.

20. September: Die gemietete Villa von Abwehrspieler Breno brennt ab. Die Polizei nimmt den Brasilianer später wegen Verdunklungsgefahr fest, Breno verbringt mehrere Tage in Untersuchungshaft. Heynckes ist betroffen: "Es war für uns ein großer Schock. Aber der Junge hat anscheinend persönliche Probleme gehabt, die auch unbemerkt blieben, weil er seine normale Reha gemacht hat." Der FCB setzt sich in den Wochen danach sehr für Breno ein und hinterlegt schließlich Kaution. Am 6. Oktober kommt Breno frei.

21. September: Uli Hoeneß adelt Heynckes: "Er hat einen Vertrag über zwei Jahre, und wenn er so weitermacht, wird er noch lange hier arbeiten".

24. September: Es läuft. In der Liga streichen die Münchner mit dem 3:0 gegen Bayer Leverkusen den fünften Zu-Null-Sieg in Folge ein. Rudi Völler schwenkt die weiße Fahne, stellt den FCB auf eine Stufe mit Barca und Real Madrid. Thomas Müller sagt: "Hinten stehen wir beängstigend gut." Mit einer höheren Verteidigung, einem aggressiven Spiel gegen den Ball und schnellem Umschaltverhalten klappt's beim FC Bayern auch ohne den seit dem 3. Spieltag verletzten Arjen Robben sehr gut.

27. September: 2:0 Villarreal, 2:0 ManCity. Die Bayern legen auch in der Königsklasse einen Traumstart hin. Toni Kroos ist aus dem offensiven Mittelfeld schon nicht mehr wegzudenken, Franck Ribery kommt langsam in Top-Form und Mario Gomez trifft, wie er will.

29. September: Der nächste Gratulant für Heynckes steht an. "Heynckes ist ein Glücksfall und der perfekte Trainer für den FC Bayern. Na klar ist es vorstellbar, dass Heynckes länger bleibt. Wieso nicht?", sagt Sportdirektor Christian Nerlinger.

1. Oktober: Etwas ausgelaugt vom City-Spiel holt der FCB in Hoffenheim nur ein 0:0. Vom Boulevard wird Heynckes ein Problem mit Arjen Robben nachgesagt. Der ist aber vor allem mit Schmerzen aufgrund eines Leistenbruchs beschäftigt, der ihn bald darauf wieder zu einer längeren Pause zwingt. Heynckes wird in der Mixed-Zone deutlich: "Glauben Sie mir, da ist nichts!" Ob Bayern Robben überhaupt noch brauche, fragt ein Journalist. Rummenigge antwortet patzig: "So etwas kann nur von jemandem kommen, der keine Ahnung hat!"

14. Oktober: Auch Rummenigge erklärt nun, dass man an einer längeren Zusammenarbeit mit Heynckes übers Vertragsende 2013 hinaus interessiert sei. Akuten Handlungsbedarf sieht er aber nicht: "Wir werden diese Gespräche führen, wenn beide Seiten der Meinung sind, dass der Zeitpunkt dafür gekommen ist."

Wie sich Heynckes bisher schlug, was seine Spieler sagten - die Chronologie Teil 2

18. Oktober: Die Bayern bestehen im San Paolo, bringen aus Neapel ein 1:1 mit. Manuel Neuer muss zwar erstmals seit langem wieder hinter sich greifen (Eigentor Badstuber), stellt aber wettbewerbsübergreifend mit 1146 Minuten ohne Gegentor einen neuen Klubrekord auf.

20. Oktober: Uli Hoeneß tritt mal wieder aufs Gas. Der FCB-Präsident sagt in einem Interview: "Bei Jürgen Klinsmann haben wir für zigtausend Euro Computer gekauft. Da hat er den Profis in epischer Breite gezeigt, wie wir spielen wollen. Wohlgemerkt: wollen!" Heynckes habe dagegen "einen Flipchart und fünf Eddingstifte. Da kostet einer 2,50 Euro. Und da malt er auf die Tafel die Aufstellung des Gegners und sagt ein paar Takte dazu. Mit Heynckes gewinnen wir Spiele für 12,50 Euro, und bei Klinsmann haben wir viel Geld ausgegeben und wenig Erfolg gehabt." Touche.

23. Oktober: Bayern gerät erstmals seit Saisonstart wieder in Rückstand, verliert 1:2 in Hannover. Boateng fliegt nach einer Schubserei vom Platz. Heynckes ist mit der Leistung dennoch zufriedener "als bei manchen 7:0- oder 5:0-Spiel". Kurz zuvor hatte er seine Forderung nach weiteren Stars erneuert: "Wir müssen die Mannschaft nicht nur ergänzen, sondern weiter verstärken! Klar ist: Der FC Bayern sollte für jede Saison zwei absolute Top-Stars verpflichten."

26. Oktober: Im Pokal wird der FC Ingostadt von einer B-Elf mit 6:0 weggeputzt. David Alaba spielt klasse, Takashi Usami läuft erstmals in der Allianz Arena auf und besorgt als Joker gleich ein Tor. Heynckes, der ansonsten nicht so viel rotieren lässt wie in Leverkusen, wird bestätigt und wiederholt sein Wechselspiel später im unbedeutenden letzten CL-Gruppenspiel gegen Manchester City (0:2).

31. Oktober: Oliver Kahn schreibt in seinem Blog auf "eurosport.yahoo.de": "Ich gehe davon aus, dass sich in der Tabelle bis zum 34. Spieltag keine gewaltigen Veränderungen mehr ergeben werden und der FCB mit zehn Punkten Vorsprung deutscher Meister wird." Abwarten, Oliver.

1. November: Nach zahlreichen Lobesarien (Hoeneß: "Er erhebt Fußball zur Kunst") wiegelt Heynckes ab. "Wenn ich solche Worte höre, fühle ich mich zurückversetzt in meine Zeit als Spieler mit Borussia Mönchengladbach. Da haben wir große Zeiten erlebt, wo wir manchmal Fußball zelebriert haben. Aber das sind meine Spieler, meine Mannschaft und unser Betreuerteam, die optimal zusammenarbeiten. Ich bin nur ein Teil des Ganzen, mehr nicht", sagt der Coach.

2. November: Der 3:2-Erfolg gegen den SSC Neapel gerät zum Pyrrhus-Sieg, weil sich Bastian Schweinsteiger im Luftkampf mit Gökhan Inler das Schlüsselbein bricht. Nach der Szene weicht merklich Luft aus dem Stadion, die Mitspieler sprechen hinterher von einem "Schockzustand". Ohne seinen Steuermann spielt der FCB fortan unausgeglichen und hat die nächsten Spiele arge Probleme, die rechte Balance zu finden.

18. November: Der FCB verlebt eine äußerst ruhige Jahreshauptversammlung mit viel Applaus für die bisherigen Leistungen. Rummenigge stellt klar, dass man bezüglich einer Vertragsverlängerung mit Heynckes erstmal die gesamte Saison abwarten will: "Jupp will im Moment keinen Vertrag verlängern - nicht, weil er aufhören will am 30. Juni 2013, sondern weil er die Ziele, die wir alle anstreben, erstmal einfahren möchte. Dann werden wir uns im Sommer 2012 hinsetzen und schauen, wie es aussieht."

19. November: Im Spitzenspiel setzt es eine empfindliche 0:1-Heimniederlage gegen ein nicht berauschendes, aber defensiv sehr diszipliniertes Borussia Dortmund. Wieder fehlt den Münchnern nach einem Rückstand die zündende Idee. Immerhin ist Arjen Robben zurück in der Startelf, ihm mangelt es aber noch an Spielpraxis.

22. November: Mit einem 3:1 gegen Villarreal macht der FCB den Gruppensieg in der Champions League perfekt. Die richtige Mischung hat Heynckes aber immer noch nicht gefunden, in der Mittelfeldzentrale wird jedenfalls fleißig durchrotiert: Mal spielt Alaba den offensiveren Part auf der Sechs, mal Kroos.

27. November: Bayern verliert die Tabellenführung mit einem 2:3 in Mainz nach exakt drei Monaten wieder. Nutznießer: Dortmund. Nach drei Niederlagen in fünf Spielen kommt erstmals deutlichere Kritik auf. "Wir haben einen negativen Trend", sagt Christian Nerlinger. Man habe teilweise "grundlegende Eigenschaften vermissen lassen". Daniel van Buyten findet bei SPOX ungewöhnlich harte Worte: "Am Anfang der Saison sind wir mehr gelaufen, manchmal sogar umsonst. Aber wir sind gelaufen. Wir müssen dem Gegner auch mal wehtun, indem wir mehr in die Tiefe gehen und die Laufwege machen. Wir sind viel zu brav. Wir müssen wieder mehr als Team auftreten, im Endeffekt müssen wir wieder richtig professionell auftreten. Momentan ist alles ein bisschen so wie letzte Saison."

3. Dezember: Eine starke zweite Halbzeit reicht zu einem 4:1 über Verfolger Werder Bremen - und zur Rückkehr an die Tabellenspitze. Arjen Robben trifft doppelt vom Elfmeterpunkt und befindet sich damit endlich wieder überm Berg. Der vergrippte Heynckes sieht gegen Werder ein Team, "das intakt ist und zusammenhält. Der eine ist für den anderen da. Das gibt mir nicht nur Optimismus für die nähere Zukunft, sondern das zeigt mir, dass es in Mainz ein Ausrutscher war."

5. Dezember: In Berlin kommen Gerüchte auf, Markus Babbel könnte Heynckes ab 2013 als Bayern-Coach beerben. Hoeneß reagiert belustigt, sagt: "Totaler Blödsinn. Sie können sicher sein, dass wir den Jupp Heynckes nicht zum Frühstücksdirektor machen werden. Er hat einen Vertrag bis Juni 2013, und über den werden wir sicher keine Sekunde nachdenken." Thema gegessen.

9. Dezember: Danijel Pranjic und Ivica Olic kommen unter Heynckes kaum zum Einsatz. Wechsel im Winter stehen zur Debatte, der Coach will aber niemanden abgeben. "Ich lasse nicht zu, dass Olic geht", sagte er: "Ich glaube, er findet wieder zurück zu alter Stärke." Unter Heynckes müssen sich alle fügen, der Trainer erklärt jedem Spieler aber auch ruhig und besonnen, was er denkt.

15. Dezember: Zwei Spiele gegen den 1. FC Köln und im Pokal beim VfL Bochum stehen noch aus. Heynckes will erst danach sein Halbjahresfazit ziehen, sagt aber: "Wenn wir beide Spiele gewinnen, dann freue ich mich auf die Winterpause. Und auf Weihnachten." Für die Rückrunde kündigt der Coach indes schon mal an: "Wenn Bastian Schweinsteiger zur Verfügung steht und sich Robben Spiel für Spiel seiner Normalform annähert, haben wir eine Truppe, die auf ganz hohem Niveau Fußball spielen kann - und solche Teams sind dann meistens auch sehr erfolgreich."

16. Dezember: Heynckes gewinnt mit dem FC Bayern die Herbstmeisterschaft: 3:0-Sieg über den 1. FC Köln, obwohl die Münchner wegen Franck Riberys Gelb-Roter Karte fast eine Stunde in Unterzahl waren. Heynckes missfallen solche Disziplinlosigkeiten - aber wie immer verzichtete er öffentlich auf eine Abmahnung. Typisch für den Stil des Bayern-Trainers.

Jupp Heynckes im Steckbrief