Kenan Kocak machte gemeinsam mit Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco vor Jahren den Trainerschein und ist mit seinen Klassenfreunden von damals noch eng verbunden. Im Interview mit SPOX und GOAL kritisiert Kocak den FC Bayern für den Umgang mit dem jungen Trainer. Eine Lanze bricht er für Nuri Sahin, den er als BVB-Trainer sieht.
Kocak, der mit Stefan Kuntz für die Nationalmannschaft der Türkei arbeitet und in Deutschland zuletzt für Hannover 96 tätig war, spricht auch über seinen engen Vertrauten Hansi Flick sowie Jupp Heynckes und eine mögliche Rückkehr nach Deutschland.
Herr Kocak, zwei Kollegen aus Ihrem Trainer-Lehrgang haben die Saison mit Julian Nagelsmann als Meister und Domenico Tedesco als Pokalsieger beendet. Bei der 2016er Generation muss der DFB damals in Hennef besonders gut ausgebildet haben, oder?
Kenan Kocak: (lacht) Ja, das sieht wohl so aus. Es sind ja nicht nur Julian oder Dome, die ihren Weg gemacht haben. Ich denke da an Pellegrino Matarazzo, der beim VfB Stuttgart einen großartigen Job macht, an Alexander Blessin, der in der Serie A gelandet ist. Aber auch an viele andere, die sich im Fußball erfolgreich eingefunden haben. Das ist schön zu sehen, wenn man sieht, wie positiv sich die Kollegen entwickeln.
Sie selbst waren während der zehnmonatigen Ausbildung Trainer bei Waldhof Mannheim, mussten aber dennoch eine Hospitanz beim SV Darmstadt 98 machen, weil es die Regel so vorschreibt. Wie haben Sie das bewerkstelligt?
Kocak: Ich war auch noch sportlicher Leiter in Mannheim als einziger hauptamtlicher Angestellter. Waldhof ist nicht irgendein Verein, sondern mit sehr viel Tradition verbunden und die Verantwortung war entsprechend sehr groß. Aber die Mannschaft und der Klub haben super mitgezogen und wir haben es gemeinsam geschafft. Auch dank Führungsspielern wie Hanno Balitsch oder Michael Fink.
"Gearbeitet" hat damals auch Nagelsmann, der über die TSG Hoffenheim und RB Leipzig beim FC Bayern gelandet ist. Was war er für ein Klassenkamerad?
Kocak: Ein sehr aufgeschlossener und freundlicher. Julian ist sich treu geblieben. Er war schon damals so wie er sich heute gibt. Er verstellt sich nicht, weil es die Umstände so wollen. Deswegen ist er auch so authentisch und kommt gut an.
Kocak über Kritik an Nagelsmann: "Dafür habe ich kein Verständnis"
Glauben Sie, dass die harte Saison in München ihm den größten Lerneffekt beschert hat? Am Ende konnte er sich nicht mal richtig über die Meisterschaft freuen.
Kocak: Und das ist Wahnsinn! Was soll Julian denn sonst noch alles machen? Er beginnt die Saison mit dem Verlust der beiden besten Abwehrspieler der letzten Jahre. Dazu die schwierige Vorbereitung nach der Europameisterschaft. Während der Saison musste er unzählige Themen managen und sich ständig äußern, obwohl es vielleicht gar nicht sein Aufgabenbereich war und am Ende reden die Experten von einer 3 oder einer 3- als Saisonnote. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.
gettyHat man ihn allein gelassen?
Kocak: Ich will das aus der Ferne gar nicht beurteilen, aber ich glaube nicht, dass sich Julian in seiner Karriere so viel über vereinspolitische Themen äußern musste wie bisher. Auch wenn er seit Jahren schon dabei ist, darf man nicht vergessen, dass Julian erst 34 Jahre alt ist und Unterstützung bei einem so großen Klub, wie es der FC Bayern ist, braucht. Das, was er in seiner ersten Saison erlebt hat, wird ihn aber weiter stärken. Und das wird auch dem FC Bayern zugutekommen, dass er diese Erfahrungen gemacht hat.
Sie haben in Deutschland zuletzt Hannover 96 trainiert und sind jetzt mit Stefan Kuntz bei der türkischen Nationalmannschaft. Das sind auch Umgebungen, in denen es nicht immer ruhig zugeht und der Medienfokus sehr groß ist. Gibt es dafür ein Rezept, da möglichst unbeschadet durchzukommen?
Kocak: Ruhe bewahren, sich auf die Arbeit konzentrieren und sich nicht vom Wesentlichen ablenken lassen. Ich würde das auch nicht unbedingt als Nachteil sehen, wenn man in diesen emotionalen Umfeldern arbeitet. Wenn es gut läuft, können sie dich auch tragen. Als Trainer ist es wichtig, da die richtige Balance zu finden und die Mannschaft darauf vorzubereiten, sich nicht von äußeren Einflüssen beeinflussen zu lassen.
Die Stationen von Kenan Kocak als Trainer
Zeitraum | Klub/Verband |
2010 - 2013 | VfR Mannheim |
2013 - 2016 | Waldhof Mannheim |
2016 - 2018 | SV Sandhausen |
2019 - 2021 | Hannover 96 |
seit 09/2021 | Türkei |
Kocak über Mentor Heynckes: "Tauschen uns regelmäßig aus"
Sie zählen Jupp Heynckes zu Ihren Mentoren. Sie hatten damals nach Ihrer Hannover-Zeit gesagt, dass er Ihre Entscheidung unterstützt, Ihr Engagement bei 96 nicht fortzusetzen. Wie rege ist der Kontakt zu Heynckes?
Kocak: Grundsätzlich halte ich es für richtig, wenn man als Trainer seinen eigenen Weg geht und seine eigenen Erfahrungen macht. Ob gut oder schlecht. Sie helfen dir immer weiter. Aber wenn man die Möglichkeit hat, sich regelmäßig mit einer Größe wie Jupp Heynckes auszutauschen, der in seiner Karriere einfach schon alles erreicht hat, wäre es nicht klug, die Augen und Ohren zu verschließen. Er ist in der Tat ein wichtiger Mentor, der immer ein offenes Ohr für mich hat. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Ich besuche ihn, wenn es die Zeit zulässt und dann redet man über Gott und die Welt.
Und über Fußball.
Kocak: Natürlich.
Was kann man von einem Jupp Heynckes lernen?
Kocak: Er ist der beste Beweis, dass es nicht reicht, sich nur mit Fußball auszukennen, um ein Top-Trainer zu sein, sondern dass auch menschliche Werte eine erhebliche Rolle spielen. Das Thema kommt doch immer wieder auf, dass einfach mehr dazu gehört und die Trainerausbildung hat da auch in den letzten Jahren neue Schwerpunkte gesetzt. Schauen Sie doch, wie Jupp Heynckes beispielsweise beim FC Bayern nicht zuletzt durch zwischenmenschliche Einwirkung Erfolg hatte. Das ist kein Zufall, wenn sich jeder Spieler positiv über ihn äußert.
Sehen Sie Parallelen zu Hansi Flick?
Kocak: Ja, auf jeden Fall.
In sozialen Medien sieht man, dass Sie auch mit dem Bundestrainer im Austausch sind. Ist er Ihnen nicht böse, dass Sie Ihm Salih Özcan weggenommen haben?
Kocak: (lacht) Nein, unserem Verhältnis hat das keinen Schaden zugefügt.
Zu Özcan kommen wir gleich, aber können Sie uns kurz erklären, über was gesprochen wird, wenn Hansi Flick, Bülent Ceylan und Kenan Kocak frühstücken?
Kocak: Es wird auf jeden Fall viel gelacht. Wir kommen ja alle ungefähr aus derselben Ecke und da wird natürlich nicht nur über Fußball gesprochen, sondern auch über die Heimat.
Was trauen Sie Flick bei der WM 2022 in Katar zu?
Kocak: Hansi hat seit seiner Ankunft sehr viel bewegt und die Bilanz in der WM-Qualifikation spricht ja für sich. Deutschland gehört zu den Favoriten, auch weil Hansi neue Spieler in die Mannschaft integrieren konnte, die ihren Beitrag leisten werden. Ich freue mich sehr für ihn, dass er die Anerkennung bekommt, die er verdient. Es war nicht selbstverständlich, was er beim FC Bayern geschafft hat und es ist auch nicht selbstverständlich, in der Nationalmannschaft die Wende so schnell und sauber hinzubekommen. Das verdient wirklich Anerkennung.
Flick ist mit Deutschland dabei, die Türkei hat dagegen die Teilnahme an der WM verpasst. Gegen Portugal gab es ein bitteres Aus in den Playoffs, Burak Yilmaz verschoss kurz vor Schluss einen Elfmeter, der zum Ausgleich geführt hätte. Ist das Aus schon verarbeitet?
Kocak: Wir müssen es verarbeiten. Uns bleibt keine andere Wahl, den Schalter sofort umzulegen und das nächste Turnier anzugehen. Es ist traurig, dass eine Fußball-Nation wie die Türkei seit 2002 keine Weltmeisterschaft mehr gespielt hat. Das heißt, dass die Fehler nicht erst seit gestern gemacht werden. Wir müssen es hinbekommen, dass die Türkei möglichst bei allen großen Turnieren dabei ist.
gettyKenan Kocak: "Wir müssen die Energie noch besser nutzen"
Salopp gefragt: Was ist denn das Problem?
Kocak: Es ist ein unfassbares Potenzial da. Die Türkei ist ein junges Land mit einer großen Fußball-Begeisterung. Ich reise durch das ganze Land, um überall Spiele und Spieler zu verfolgen. Die Menschen freuen sich, wenn jemand von der Nationalmannschaft da ist. Man spürt überall die Energie. Wir müssen sie aber noch besser nutzen.
Hamit Altintop, der nun alle Nationalmannschaften verantwortet, arbeitet aktiv an der Verbesserung der Trainer- und Spielerausbildung, hat dafür auch Unterstützung aus Deutschland geholt mit Bernhard Peters. Auch Sie und Stefan Kuntz sieht man bei den Lehrgängen. Wie sehen die Erwartungen aus?
Kocak: Es ist richtig, dass gewährleistet werden muss, dass die Jugendlichen die beste Ausbildung bekommen, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Wir müssen daher erstmal den Trainern die bestmögliche Ausbildung bieten, um dann ihr Wissen weiterzugeben. Wir müssen langfristig denken und handeln. Nur so funktioniert es.
Bekommt man die Zeit dafür?
Kocak: Das darf nicht die Frage sein. Man muss die Zeit geben, sonst wird die Türkei nur temporäre Erfolge im Fußball feiern. Vereine und Verband müssen an einem Strang ziehen und das Potenzial endlich mal ausschöpfen.
Um dann wieder auf Salih Özcan zu kommen: Muss die Türkei da hinkommen, dass man nicht mehr bei anderen Verbänden scouten muss, um Spieler für die Nationalmannschaft zu überzeugen?
Kocak: Das Scouting ist doch völlig normal und überall gängig. Richtig ist, dass wir hier selbst unsere Spieler ausbilden müssen. Wenn aber ein Spieler wie Salih Özcan sich dafür entscheidet, für die Türkei zu spielen, weil er der Überzeugung ist und nicht, weil wir ihn überreden mussten, dann ist er eine Verstärkung.
Einflüsse aus Deutschland hat man ja nun auch auf Trainerebene. Das geht bei Ihnen los, mit Stefan Kuntz weiter, aber dann ist da auch Nuri Sahin. Er hat als Trainer die meisten Punkte in der Geschichte Antalyaspors geholt und 16-mal in Folge nicht verloren.
Kocak: Und dafür verdient er ein dickes Lob! Ich weiß, wie methodisch Nuri arbeitet und dass dieser Erfolg kein Zufall ist. Er hat schon als Spieler wie ein Trainer gedacht und sich darauf vorbereitet. Man kann auch seine Handschrift lesen, wenn Antalyaspor spielt und das ist für einen Trainer eine große Anerkennung. Er wird seinen Weg machen. Genauso wie auch Emre Belözoglu, den ich als Spieler schon sehr geschätzt habe, aber nun leistet er auch als Trainer hervorragende Arbeit bei Basaksehir oder schon letztes Jahr bei Fenerbahce. Nuri oder Emre verschließen ihre Augen nicht. Sie wissen, was in der Welt passiert. Sie handeln akribisch und fortschrittlich und werden dafür belohnt. Sie werden ihren Weg machen.
imago imagesSahin zum BVB? Kocak: "Daran führt wahrscheinlich kein Weg vorbei"
Trauen Sie Sahin zu, eines Tages den Trainerjob beim BVB zu übernehmen?
Kocak: Der BVB ist sein Verein. Wenn er diesen Weg weitergeht, führt daran wahrscheinlich kein Weg vorbei, dass Nuri eines Tages dort Trainer wird. Es würde mich für ihn freuen.
Was ist mit Ihnen? Es gab in der vergangenen Saison ein Angebot von Fenerbahce, wie man aus den türkischen Medien hörte. Ein Veto von Altintop soll den Wechsel damals verhindert haben. Planen Sie die Rückkehr zum Vereinsfußball?
Kocak: Ich kann natürlich keine Spekulationen kommentieren. Fakt ist: Wir haben bei der Nationalmannschaft sehr viel zu tun und es ist auch wichtig zu sagen, dass das hier eine Herzensangelegenheit ist. Uns liegt viel daran, das vorhandene Potenzial auszuschöpfen und den türkischen Fußball nach vorne zu bringen. Klar ist aber auch, dass ich mit Leib und Seele Trainer bin und irgendwann sicherlich die Zeit kommen wird, in der ich wieder einen Job als Cheftrainer angehen werde.
Wäre eine Rückkehr nach Deutschland denkbar?
Kocak: Ich habe in Deutschland das Fußballspielen gelernt, in Deutschland den Trainerjob gelernt und habe als Trainer den deutschen Einfluss, ich habe in Deutschland erfolgreich gearbeitet und meine Familie lebt in Deutschland. Ich glaube, die Antwort ist eindeutig.
Das Trainerkarussell dreht sich in der Bundesliga schnell. Was würde denn Jupp Heynckes sagen, wenn Sie ihn anrufen und fragen, ob Sie Ihr Projekt in der Türkei weitermachen sollen oder in die Bundesliga kommen sollen?
Kocak: Sie können ihn ja mal anrufen und fragen. (lacht)