Nach dem unerwarteten Ausscheiden in der Champions League wächst der Druck beim FC Bayern München. Neben Hasan Salihamidzic steht vor allem Vorstandsboss Oliver Kahn wegen mangelnder Führung und fehlender Kommunikation in der Kritik. Die Fußball-Kolumne.
Im Gegensatz zu vielen Anhängern des FC Bayern schien Oliver Kahn das bittere Aus in der Champions League nicht groß aus der Ruhe gebracht zu haben.
Jedenfalls sorgte sein beinahe teilnahmslos wirkendes Auftreten nach dem 1:1 am Dienstagabend bei vielen Beobachtern für Kopfschütteln. Man werde angesichts des nicht eingeplanten K.o. gegen Underdog Villarreal "nicht in Tränen ausbrechen", hatte der Vorstandsboss des deutschen Rekordmeisters erklärt.
Auch am Tag danach hatte man nicht den Eindruck, als habe die peinliche Pleite gegen den Tabellensiebten der Primera Division für eine schlaflose Nacht bei ihm gesorgt.
Während Trainer Julian Nagelsmann nach einer kurzen Nacht schon ab 8.45 Uhr wieder an der Säbener Straße weilte, genoss Kahn erst knapp eine Stunde später das Frühstück gemeinsam mit seiner Ehefrau im Lieblingscafe im Nobel-Vorort Grünwald, wie die Bild recherchierte.
spox"Dieses Trio trägt die Verantwortung"
Sollte der einstige Titan dort zur Lektüre gegriffen haben, wird er allerdings wenig Erbauliches gelesen haben - über seinen Verein, aber auch und vor allem über sich. "Kahn, Salihamidzic, Nagelsmann - dieses Trio trägt die Verantwortung, dieses Trio macht zu viele Fehler. Die Schonfrist ist für alle abgelaufen!", schrieb die Bild, die wie üblich nach einem frühen Bayern-Aus ordentlich draufschlug.
Doch besser wurde es auch in anderen Medien nicht. "Seine Vorfahren Hoeneß und Rummenigge werden genau hinhören, wie sich ihr Nachfolger in seiner ersten Prüfung verhält: ob er imstande ist, dem Verein wieder eine Richtung zu geben. Daran konnte man zuletzt zweifeln", meinte die Süddeutsche Zeitung über Kahns bisherige Performance.
Noch härter fiel das Urteil zweier ehemaliger Mitspieler des früheren FCB-Torhüters aus, die als Experten schon seit längerem als Chefkritiker ihres Ex-Klub auftreten. "Oliver Kahn hat als Spieler Klartext geredet. Es wäre schön, wenn er dahin zurückkehren würde", forderte Lothar Matthäus im kicker.
Hamann: "Das größte Problem ist die Führungsschwäche"
Noch einen Schritt weiter ging Dietmar Hamann. "Das größte Problem ist die Führungsschwäche. Keiner übernimmt Verantwortung, und genauso spielen sie auch Fußball", erklärte der Sky-Experte. "Die Selbstfindungsphase muss endlich abgeschlossen sein. Oliver Kahn muss sich zu gewissen Themen zu Wort melden und verbal Akzente setzen."
Diese Meinung teilen auch andere Kenner, die im vertraulichen Gespräch sogar noch weit deutlicher werden. Dabei geht es auch, aber nicht nur um das sehr zurückhaltende Auftreten des Vorstandsvorsitzenden in der Öffentlichkeit. "Der schweigende Kahn", titelte vor wenigen Wochen die Sportbild und thematisierte darin unter anderem dessen Fehlen bei der Abschiedsfeier des ehemaligen DFL-Geschäftsführers Christian Seifert.
Bei den Versammlungen der 36 Erst- und Zweitligisten schickte Kahn bereits häufiger andere Vorstandskollegen vor, beim DFB-Bundestag glänzte er im Gegensatz zu zahlreichen Bundesliga-Bossen wie Rudi Völler, Fredi Bobic, Oliver Mintzlaff, Alexander Wehrle oder Christian Heidel mit Abwesenheit.
FC Bayern: Kahns Unnahbarkeit sorgt für Verdruss
Auch bei einigen Bayern-Mitarbeitern soll die Unnahbarkeit für Verdruss und schlechte Stimmung auf der Geschäftsstelle sorgen. Kahn umgebe sich nur mit einem kleinen Kreis von Vertrauten, die Türen seien im Gegensatz zu den Zeiten von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nicht mehr offen, und manchmal wisse man gar nicht, wann und wie lange der Chef überhaupt im Hause sei, ist immer wieder zu hören.
Die mangelnde Präsenz betrifft offenbar auch die Mannschaft. "Von einem sich kümmernden Kahn ist bisher auffallend wenig bekannt geworden, stattdessen ist aus betroffenen Kreisen von einer gewissen Sprachlosigkeit zwischen der neuen Führung und dem Fußballpersonal zu hören", analysierte die SZ, deren Informationen sich mit den Aussagen aus Spieler- und Beraterkreisen decken.
Zusammengefasst fehlt den Kahn-Kritikern, deren Zahl erwartbar nach dem Aus gegen Villarreal deutlich zugenommen hat, Führung, Kommunikation und Orientierung. "Die Hoffnung war, dass er nach den Jahren in der Warteschleife mit einem klaren Konzept kommt. Doch das ist bisher nicht der Fall", meint ein Insider. "Die klare Linie fehlt."
Uli Hoeneß offenbar nicht zufrieden mit seinen Nachfolgern
Immer wieder wird in dem Zusammenhang auf einen älteren Mann am Tegernsee verwiesen, der dem Vernehmen nach höchst unglücklich auf die aktuellen Entwicklungen bei seinem Herzensverein schaut: Uli Hoeneß soll angeblich alles andere als zufrieden mit seinen Nachfolgern in der Bayern-Führung sein. Bestätigen wird das natürlich niemand, doch auch so ist die Unruhe bereits groß genug.
"Dieses Aus wird und muss Nachwirkungen haben, die einer Zeitenwende gleichkommen könnten. Will der FC Bayern auch künftig im Konzert der Großen Europas mitmischen, bedarf es Veränderungen und einer schonungslosen Analyse. Ein 'Weiter so' kann es nicht geben", schrieb der kicker.
Auch viele langjährige Beobachter ziehen Parallelen zu den großen Niederlagen in der Bayern-Historie, die häufig zu äußerst einschneidenden Maßnahmen geführt haben. Etwa zur Trennung vom damaligen Hoeneß-Nachfolger Christian Nerlinger nach den drei verpassten Titeln 2012. Müssen die aktuellen Nachfolger von Hoeneß und Rummenigge nun ebenfalls bangen? Unwahrscheinlich, aber ungemütlich dürfte es schon werden.
Salihamidzic: Verlängerung abhängig von Transfererfolgen?
Etwa für Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der vermehrt sachlich und leider zu häufig auch sehr unsachlich für seine verfehlte Transferpolitik kritisiert wird. Angeblich galt die vorzeitige Verlängerung seines 2023 auslaufenden Vertrags schon in diesem Sommer als Formsache. Nun aber machen Kenner dies ganz wesentlich vom Verlauf der nächsten Transferperiode abhängig.
Nachdem Niklas Süle und voraussichtlich auch Corentin Tolisso die Bayern im Sommer ebenso ablösefrei verlassen werden wie im Vorjahr schon David Alaba und Jerome Boateng, könnten weitere Leistungsträger vor dem Absprung stehen.
Kolportiert wird, dass sowohl die Routiniers Robert Lewandowski, Manuel Neuer und Thomas Müller als auch Serge Gnabry, deren Verträge allesamt in einem Jahr auslaufen, teilweise deutlich längere und höher dotierte Verträge verlangen als die Münchner sich leisten können oder wollen.
Bayerns schwierige Verhandlungsposition: Es fehlen Millionen
Ablöse wäre aber nur noch nach dieser Saison zu erzielen, danach würden die abgezockten Berater und deren Spieler die eingesparten Millionensummen selbst kassieren. Entsprechend schwierig ist die Verhandlungsposition für Salihamidzic, zumal ja laut Aussagen aller Offiziellen durch die Corona-Auswirkungen zig Millionen in der Kasse fehlen. Auch, weil einige Deals des Sportchefs in der jüngeren Vergangenheit, etwa mit Lucas Hernandez, das Gehaltsgefüge im Kader durcheinander gebracht haben.
Umso bitterer sind da die rund 15 Millionen Euro Mindereinnahmen durch dass verpasste Champions-League-Halbfinale. "Es geht um so vieles, um finanzielle Einnahmen, um das Image, um Gespräche mit Spielern wegen Vertragsverlängerungen, und, und, und. Da kommt so eine Niederlage zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt", klagte Kahns Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge in der Bild.
Denn trotz allem verlangt Nagelsmann recht deutlich, dass der Kader nach dem Aderlass der jüngeren Vergangenheit wieder aufgerüstet werden muss. "Wichtig ist, dass man immer auf der einen Seite das reinsteckt, was auf der anderen Seite rauskommen soll. Und wenn der Anspruch der gleiche ist, dann werden wir, wie alle europäischen Topteams, uns auch auf dem Markt umschauen müssen", sagte der Chefcoach.
Neuzugänge: Kommen auch Schlotterbeck und Adeyemi?
Relativ weit sind die Bayern offenbar mit den beiden Ajax-Talenten Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui, laut kicker sind zudem die Nationalspieler Nico Schlotterbeck und Karim Adeyemi ein Thema. Die spannende Frage wird sein, ob Nagelsmann das reicht, gerade wenn einer der genannten Leistungsträger wie Lewandowski oder Gnabry den Klub verlassen sollte.
Ansonsten könnte eine erneute Zerreißprobe zwischen Trainer und Sportchef wie schon bei Hansi Flick und Salihamidzic drohen. Schon jetzt soll das anfangs gute Verhältnis zwischen Nagelsmann und seinem direkten Vorgesetzten arg gelitten haben.
Kahn jedenfalls schien nach seinem ausgiebigen Frühstück am Mittwoch den Ernst der Lage erkannt zu haben. Beinahe zeitgleich mit seiner Ankunft an der Säbener Straße twitterte er um 10.39 Uhr, man müsse nun aus dem K.o. in der Königsklasse "die richtigen Schlüsse" ziehen, "um die Weichen für die kommende Saison zu stellen".
"Versuch vom sonstigen Scheitern abzulenken"
Sein Statement vom Vorabend über die "großartige Möglichkeit" der zehnten Meisterschaft in Folge, über die so mancher ebenfalls den Kopf geschüttelt hatte, wiederholte der 52-Jährige wohlweislich nicht. Aussagen, die etwa der Sender ntv auch angesichts der peinlichen 0:5-Pokalklatsche in der 2. Runde in Mönchengladbach als "Versuch, vom sonstigen Scheitern abzulenken" bezeichnete.
Schließlich ist bezogen auf die Ambitionen des FC Bayern nach wie vor die Aussage des Ehrenpräsidenten Hoeneß gültig: "Auf die Dauer ist ein Titel schon ein bisschen wenig für uns."
Die Fußball-Kolumne macht Oster-Pause. Die nächste Ausgabe erscheint in zwei Wochen