"Vielleicht ruft Manchester United nie mehr an"

Jochen Rabe
03. Februar 201711:18
Lukas Hradecky ist einer der stärksten Keeper der Bundesligagetty
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Lukas Hradecky ist einer der stärksten Torhüter der Bundesliga und ein Garant für die erfolgreiche Saison von Eintracht Frankfurt. Im Interview spricht der Finne unter anderem über ein Angebot von Manchester United, die kulturellen Vorzüge Deutschlands und den multinationalen Eintracht-Kader.

SPOX: Herr Hradecky, Sie sind im finnischen Turku aufgewachsen. Dort ist Eishockey und nicht Fußball Sportart Nummer eins. Haben Sie selbst auch einmal den Puck gejagt?

Lukas Hradecky: Auf jeden Fall. Jedes Kind in Finnland spielt in seiner Freizeit Eishockey, das bietet sich aufgrund der Kälte einfach an.

SPOX: Ihr Vater zog einst wegen des Volleyballs gemeinsam mit der Familie von der Slowakei nach Finnland. Wie kam es vor diesem Hintergrund in Ihrer Kindheit dazu, dass Sie sich für den Fußball entschieden?

Hradecky: Ich habe viel Sport gemacht, Eishockey gespielt und Pesäpallo, eine finnische Form des Baseballs. Aber am meisten Spaß hatte ich immer beim Fußballspielen. Vielleicht war es ein bisschen Zufall oder Schicksal, dass der Fußballverein nah bei unserem Zuhause war. Dadurch habe ich mich dort früh angemeldet und war in einer Mannschaft. Auch mit meinen kleinen Brüdern habe ich immer gekickt.

SPOX: Hat sich von Anfang an abgezeichnet, dass Sie einmal Torhüter sein würden?

Hradecky: Als Kind probiert man alle Positionen aus. Da habe ich auch im Feld gespielt. Es war aber schon immer so, dass ich mich freiwillig gemeldet habe, wenn der Torwart ausgefallen ist. Irgendwann bin ich im Tor geblieben. Die Position hat mich schon immer fasziniert.

SPOX: Was reizt Sie an dieser Rolle?

Hradecky: Ich mag es nicht so gerne zu laufen. (lacht) Das war noch nie mein Fall, das konnten andere immer besser als ich. Im Ernst: Ich denke, dass ich als Torwart meine Stärken am besten einbringen kann, um der Mannschaft zu helfen.

Lukas Hradecky ist einer der stärksten Keeper der BundesligagettySPOX: Ihre beiden Brüder Matej und Tomas sind ebenfalls Fußballer, aber keiner der beiden ist Torhüter. Beide spielen im Mittelfeld. Hat das mit frühkindlicher Prägung zu tun?

Hradecky: Ganz bestimmt spielt das mit rein. Als die beiden angefangen haben, Fußball zu spielen, stand ich bereits im Tor. Wenn wir zusammen gekickt haben, haben sie natürlich immer versucht, mir die Bälle reinzuschießen. Damals haben sie das nicht so oft geschafft, heute hätten sie vielleicht bessere Chancen. (lacht)

SPOX: Matej und Tomas spielen in Finnland bei SJK. Wie eng ist Ihr Kontakt zu den beiden?

Hradecky: Sehr eng. Das ist mit der heutigen Technologie zum Glück ohne großen Aufwand möglich. Wir haben eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe mit der Familie und schreiben einander jeden Tag.

SPOX: Haben Sie überhaupt regelmäßig die Möglichkeit, die beiden spielen zu sehen?

Hradecky: Ich versuche, mir so viele Spiele von ihnen anzusehen, wie ich kann. Manchmal spielen wir parallel, dann geht es natürlich nicht. Aber die Saison in Finnland fängt im April an und endet im Oktober. Das heißt, wenn ich Sommerpause habe, kann ich nach Hause fliegen und mir ihre Spiele live ansehen.

SPOX: Wie beurteilen Sie die sportliche Entwicklung der beiden? Trauen Sie ihnen den Sprung in eine der großen europäischen Ligen zu?

Hradecky: Sie sind beide gute Mittelfeldspieler mit einer starken Ballbehandlung und einem sehr präzisen Passspiel. Der jüngste, Matej, ist wahrscheinlich der talentierteste von uns allen und er ist erst 21. Ich traue ihm auf jeden Fall zu, sich noch weiterzuentwickeln - vielleicht nicht direkt in Spanien, England oder Deutschland. Aber er wird bestimmt eines Tages den nächsten Schritt in eine etwas bessere Liga machen, zum Beispiel nach Dänemark, wohin ich damals gewechselt bin.

SPOX: In jungen Jahren hatten Sie ein Angebot von Manchester United. Wie kam es damals zum Kontakt?

Hradecky: Ich war gerade erster Torhüter bei Esbjerg geworden. Da haben sie angerufen und mich eingeladen. Ich habe mir das Angebot angehört, aber mich dann entschieden, dass das nicht der richtige Schritt für mich ist. Ich wäre ja nicht erster Torwart geworden, sondern vielleicht die Nummer vier oder fünf.

SPOX: Ist das so einfach, einem der größten Klubs der Welt abzusagen? Spielt die Frage, ob man so eine Chance je wieder bekommen wird, in den Überlegungen eine Rolle?

Hradecky: Das war schon schwierig, das gebe ich zu. Aber mir war auch bewusst, dass ich noch kein gestandener Torwart war. Ich hatte gerade einmal ein paar Spiele in der dänischen Liga gemacht und war noch jung. Natürlich hatte ich große Ziele, aber dieser Schritt war in dem Moment einfach zu groß. Mein Vater hat mir dabei auch sehr geholfen.

SPOX: Inwiefern?

Hradecky: Er hat mich in der Entscheidung unterstützt, nicht dorthin zu wechseln, und mir geraten, kleinere Schritte zu machen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Jetzt bin ich 27. Vielleicht ruft Manchester United nie mehr an, aber ich bin Stammtorhüter in der Bundesliga und wenn ich zurückblicke, denke ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

SPOX: Sie sind erst einmal in der dänischen Liga geblieben. Wie schätzen Sie das Niveau dort im Vergleich zu Finnland ein?

Hradecky: Es war schon ein großer Unterschied, in Dänemark spielen einige richtig gute Mannschaften. Natürlich ist das Niveau nicht so hoch wie in Deutschland, aber beispielsweise die Kopenhagener Derbys zwischen Bröndby und dem FC sind meistens richtig gut. Für mich war Dänemark definitiv ein Schritt nach vorne.

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SPOX: Ihr Werdegang sah im Sommer 2013 nach dreieinhalb Jahren bei Esbjerg den Wechsel zu Bröndby vor. Dort haben Sie in der Saison 2014/2015 15 Mal zu Null gespielt. Das hat Sie einerseits wieder in die Notizbücher der internationalen Klubs gebracht und Ihnen andererseits den Spitznamen "Mr. Clean Sheet" eingebracht. Andere Medien bezeichnen Sie gerne als "Die Spinne". Welchen dieser beiden Spitznamen mögen Sie eigentlich lieber?

Hradecky: Am besten wäre natürlich eine Kombination aus beidem. (lacht) Beide Spitznamen passen gut zu meiner Rolle. "Die Spinne" bedeutet vielleicht, dass ich lange Arme und Beine habe, was als Torwart ja durchaus ein Vorteil ist. Wenn ich so darüber nachdenke, gefällt mir das am meisten.

SPOX: Durch Ihre starken Leistungen kamen im Sommer 2015 die Anfragen, unter anderem die von Eintracht Frankfurt. Was ging durch Ihren Kopf, als Sie das Angebot aus der Bundesliga bekamen?

Hradecky: Für mich war es ein Traum und auch ein Ziel. In den letzten Jahren in Dänemark habe ich immer wieder darüber nachgedacht, etwas Größeres zu probieren. Als die Anfrage der Eintracht kam, habe ich keine Sekunde nachdenken müssen. Natürlich mussten die Vereine einige Dinge miteinander klären, aber für mich war es eine einfache Entscheidung. Jetzt spiele ich in einer der besten Ligen der Welt und könnte nicht glücklicher sein. Hoffentlich bleibe ich gesund und kann noch zehn Jahre Bundesliga spielen.

SPOX: Obwohl Sie erst anderthalb Jahre in Deutschland spielen, ist Ihr Deutsch sehr gut. Hatten Sie bereits zuvor Unterricht oder sind Sie einfach ein Sprachgenie?

Hradecky: Vielen Dank für das Kompliment. Ich habe tatsächlich in der Schule schon Deutsch gelernt. Und ich habe auch immer im Hinterkopf gehabt, dass ich eines Tages nach Deutschland wechseln möchte. (lacht) Nein, ich hatte schon immer ein gutes Sprachgefühl. Wenn ich erst einmal vor Ort bin, mache ich schnell Fortschritte. Ich kann auch Dänisch. Die Sprache zu beherrschen, hilft sehr dabei, sich in die Mannschaft zu integrieren und sich an die neue Kultur zu gewöhnen.

SPOX: Die Kultur ist, speziell auf den Fußball bezogen, in Deutschland eine ganz andere, als Sie sie zuvor in Dänemark und Finnland erlebt haben. Wie groß war für Sie die Umstellung in der öffentlichen Wahrnehmung des Fußballs?

Hradecky: Ich habe schon einen großen Unterschied erlebt, als ich von Finnland nach Dänemark gewechselt bin. Dort ist Fußball die Nummer eins. Aber Deutschland ist noch einmal eine Nummer größer. Wenn man hier in den vollen Stadien spielt und die Emotionen der Fans erlebt - darauf kann man sich nicht vorbereiten, das sprengt alle Vorstellungen.

SPOX: Gab es Situationen, in denen Sie sich etwas mehr Anonymität gewünscht hätten?

Hradecky: Eigentlich nicht. Es war schon bei Bröndby so, dass mich viele Leute kannten. Hier in Frankfurt kann man ganz ruhig in der Stadt spazieren gehen. Natürlich sprechen einen immer mal wieder Menschen an. Aber ich finde das schön, wenn sich die Leute so für den Fußball interessieren. Ich versuche immer, freundlich zu sein und mit den Fans ein paar Minuten zu reden. Damit habe ich überhaupt keine Probleme.

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SPOX: Zur Gewöhnung an die neue Kultur gehörte auch, dass Sie es anfangs vermissten, regelmäßig in die finnische Sauna zu gehen. Hat sich das mittlerweile geändert?

Hradecky: Wir haben im Stadion eine renovierte Sauna bekommen. So kann ich immer schwitzen gehen, wenn ich Lust darauf habe.

SPOX: Und tun Sie das auch täglich?

Hradecky: Nicht täglich, aber zweimal die Woche Sauna ist Pflicht.

SPOX: Sie schwitzen nicht nur gerne in der Sauna. Sie mögen es auch, sich ab und an einmal etwas zu gönnen, essen gerne Süßigkeiten, trinken gerne Bier. Wie gefällt Ihnen die deutsche Bierkultur?

Hradecky: In Finnland gibt es nicht so eine große Bierkultur wie in Deutschland. Aber mir liegt das sehr nahe. Ich bin in der Slowakei geboren und kenne diese Kultur. Wenn man sich dort mit einem Freund trifft, geht man keinen Kaffee trinken, sondern ein Bier. Das ist hier ähnlich. Das gefällt mir, ich liebe das deutsche Weißbier. Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich ein großer Kenner bin, aber ab und zu ein Bier nach dem Spiel - das ist wunderbar. Umso mehr, wenn man gewonnen hat.

SPOX: Das mit dem Gewinnen klappt in dieser Saison deutlich häufiger als in der vergangenen. Dabei gab es noch im Sommer kritische Stimmen wegen der Kaderzusammenstellung, da Sie viele unterschiedliche Nationalitäten im Team haben...

Hradecky: Viele haben gesagt, das sei eine Schwäche. Ich sehe das anders, für mich ist das ein Vorteil. Auf dem Platz sprechen alle die gleiche Sprache. Natürlich ist es immer wichtig, wenn die Neuen Deutsch lernen. Aber während des Spiels ist es durch die Zuschauer so laut, dass man ohnehin nur kurze Kommandos gibt. Da kommuniziert man eher mit Körpersprache, Blicken und Gesten. Es geht darum, wie gut man aufeinander abgestimmt ist und wie gut man sich kennt, nicht wie gut man die gleiche Sprache spricht.

SPOX: Sind die multikulturellen Einflüsse auch für die Atmosphäre in der Mannschaft von Vorteil?

SPOXHradecky: Auf jeden Fall. Man kann sich über so viele verschiedene Dinge unterhalten. Darüber, was man in einigen Ländern isst, was man dort in seiner Freizeit macht. Das bereichert jeden persönlich und auch das Mannschaftsgefüge. Wir haben schon über so viele skurrile Geschichten aus den verschiedensten Ländern gelacht. Das ist großartig.

SPOX: Als Außenstehender hat man bei der Eintracht ohnehin das Gefühl, dass die Mannschaft noch enger zusammensteht als in der Vorsaison. Sorgt auch ein Fall wie der Ihres wieder genesenen Teamkollegen Marco Russ für ein noch größeres Zusammenrücken in Mannschaft und Verein?

Hradecky: Das hat auf jeden Fall viel bewirkt. Wir haben immer hinter Marco gestanden. Er hat seine Krankheit bekämpft und zum Glück besiegt. So etwas setzt alles im Leben in Perspektive. Man lernt zu schätzen, was man macht. Wir haben als Fußballer die beste Arbeit, die man überhaupt haben kann. Das hat jeder für sich noch einmal neu gemerkt und das hat uns sicher auch als Mannschaft näher zusammengebracht.

Lukas Hradecky im Steckbrief