"Wieso nicht der Klopp von Luzern?"

Jochen Tittmar
04. August 201510:55
Führte den FC Luzern im Vorjahr vom letzten Platz fast bis in die Europa League: Markus Babbelimago
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Nach fast zwei Jahren ohne Job heuerte Markus Babbel vergangenen Oktober beim FC Luzern in der Schweizer Super League an. Im Interview spricht der Ex-Coach von Stuttgart, Hertha BSC und Hoffenheim über die Gründe für seine längere Auszeit und erklärt weshalb er froh war, bei der TSG entlassen worden zu sein. Sonst mit dabei: Die Toten Hosen, russische Zweitligisten und die Aufklärung der Tattoo-Affäre.

SPOX: Herr Babbel, Sie sind ein guter Freund von Jens Jeremies. Von ihm geisterte vor ein paar Wochen ein Bild in den Medien herum, das ihn oben ohne bei einem Konzert der Toten Hosen in Argentinien zeigte. Sind Sie da als Rockmusikfan nicht neidisch?

Markus Babbel: Nein. Ich hoffe aber, dass die Hosen noch lange genug durchhalten, damit ich irgendwann auch einmal einen solchen Trip auf einen anderen Kontinent mitmachen kann. Da soll es brutal gut abgehen. Ich bin ja mit Jerry und Sänger Campino sehr gut befreundet, sie haben mir schon davon erzählt. Es hatte wohl gefühlte 70 Grad in diesem Club. Dann wäre ich auch ohne T-Shirt aufgelaufen.

SPOX: Immerhin waren Sie 2012 bei einem Hosen-Konzert im Keller von Jeremies in München dabei. Wie lief das denn genau ab?

Babbel: Ich kannte die Location, da wir dort schon ein paar Mal Jerrys Geburtstag gefeiert haben. Ich stand damals noch in Hoffenheim unter Vertrag. Am selben Tag hatten wir ein Heimspiel gegen Nürnberg und für den nächsten Tag kein Training angesetzt. Ich bin dann nach dem Spiel direkt nach München gefahren und gegen 21.30 Uhr angekommen. Es war sehr nett, dass sie noch auf mich gewartet haben.

SPOX: Sie kamen als Letzter?

Babbel: Ja. (lacht) Kaum war ich da, ging es direkt los. In diesem Keller herrschten übrigens auch gleich gefühlte 70 Grad.

SPOX: Und es ging brutal ab?

Babbel: Logo! Die Musik und Stimmung so hautnah zu erleben, war schon sensationell, ein sehr besonderer Abend. Sie haben eineinhalb Stunden gespielt und alle Hits durchgejagt. Im Anschluss haben wir uns noch eine Weile zusammengesetzt und gequatscht. Es war beeindruckend zu beobachten, wie die Kumpels aus Jerrys Heimat abgegangen sind. Wenn die eines konnten, dann richtig feiern. Mich aber hatte der Spieltag so geschlaucht, dass ich irgendwann einfach kaputt war und schlafen gehen musste.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf sich in Luzern mit Coach Markus Babbelspox

SPOX: Wie sieht es denn in Sachen Konzerten in Luzern aus, Sie sind ja jetzt schon ein knappes Jahr dort?

Babbel: Meine Lebensgefährtin und ich waren beim Blue Balls Festival hier in der Stadt, da haben die Söhne Mannheims gespielt. Sie kommt aus Mannheim und ist natürlich glühender Fan. Da bin ich dann halt mitgegangen, auch wenn das nicht ganz so mein Ding ist. (lacht) Am Tag darauf war ich bei David Gray, den ich aus meiner Zeit in Liverpool kenne und für einen großartigen Künstler halte. Das waren bislang die Highlights.

SPOX: Wie lief es während der beinahe zwei Jahre ohne Job ab: Haben Sie sich da auch mit Hilfe der Musik abgelenkt oder sind Sie dem Fußball treu geblieben?

Babbel: Mal so und mal so. Ich muss aber vor allem sagen: Diese Pause war wirklich Gold wert.

SPOX: Weshalb?

Babbel: Ich hatte keinen Bock mehr auf Fußball, als ich in Hoffenheim entlassen worden bin. Das kann ich jetzt ganz offen sagen. Mir wurde sehr schnell klar, dass ich nach der Zeit in Berlin einfach zu früh wieder angefangen habe. Ich nahm mir nicht die Zeit, um alles zu verarbeiten und die Akkus wieder aufzuladen. Es lagen damals ja nur zwei Monate dazwischen, das war definitiv zu kurz.

SPOX: Vor Ihrem Engagement in Luzern waren Sie Trainer in Stuttgart, bei Hertha BSC und in Hoffenheim. Zwischen diesen drei Stationen hatten Sie nie eine längere Auszeit.

Babbel: Es war teilweise auch sehr anstrengend. Nach Hoffenheim war ich kaputt. Ich hatte dort zwischenzeitlich auch die sportliche Leitung übernommen und war sechs Monate lang Trainer und Manager in Personalunion. Das war einfach zu viel. Die Tage waren zu oft zu lang. Ich kam nicht mehr zur Ruhe und konnte mich nicht mehr erholen. Ich habe gemerkt, dass ich kein Typ dafür bin, um auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Ich muss mich auf eine Sache hundertprozentig konzentrieren können.

SPOX: Haben Sie den enormen Verschleiß damals schon an sich bemerkt oder ist man dafür zu sehr im Tunnel?

Babbel: Es vor allem rechtzeitig zu bemerken, ist sicherlich schwierig. Man ist in diesem pausenlosen Rad gefangen, in dem die Zeit extrem schnell flöten geht. Ich habe schon darauf gedrängt, dass wieder ein Manager eingestellt wird, weil ich ziemlich viel Substanz verloren habe. Ich ging auf dem Zahnfleisch und hatte auch keine Lösung mehr parat. Ich war dann ehrlich gesagt heilfroh, als der Anruf kam und mir mitgeteilt wurde, dass ich freigestellt sei.

SPOX: Wie sind Sie dann vorgegangen, wenn die Lust auf Fußball in diesem Moment eher gering war?

Babbel: Ich habe zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht und die Dinge mit etwas Abstand und in Ruhe reflektiert. Deshalb kann ich jetzt auch für mich sagen, dass das eine sehr lehrreiche Zeit war - wenn auch nicht von Erfolg gekrönt. Ich habe mir dann relativ lange keine Fußballspiele mehr angeschaut, weil ich einfach keinen Spaß daran hatte. Je länger ich davon abschalten konnte, desto mehr wirkte es befreiend auf mich. Langsam aber sicher kam die Motivation wieder zurück. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich umgeschaut und Dinge unternommen, die ich zuvor so nie machen konnte.

SPOX: Zum Beispiel Trainingseinheiten bei Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt beobachten oder an Kursen zum Thema Menschenführung teilnehmen.

Babbel: Genau. Die Fohlen waren damals nicht weit von mir entfernt im Trainingslager in Rottach-Egern. Frankfurt ist in der Nähe meiner Lebensgefährtin, daher habe ich Armin Veh angerufen und bin dort eine Woche lang vorbeigegangen. Als ich im Urlaub war, habe ich zufällig jemanden kennen gelernt, der diese Seminare leitet. Er hat mir das schmackhaft gemacht, so dass ich es mir einmal angeschaut habe. Da waren Chefs von kleinen Firmen oder Abteilungsleiter aus größeren Unternehmen mit dabei. Das war enorm hilfreich und hat großen Spaß gemacht.

SPOX: Das hört sich so an, als ob auch diese Zeit zügig für Sie vorüber ging.

Babbel: Ja, es ging wahnsinnig schnell. Ich habe nebenbei noch viel Sport getrieben, bin in Heidelberg und Mannheim zwei Halbmarathons gelaufen. Andererseits bin ich auch ein Meister im Auf-der-Couch-liegen. Das kann ich auch mal ein, zwei Tage lang tun, ohne dass mir langweilig wird oder ich gleich ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich musste die Zeit definitiv nicht irgendwie totschlagen.

SPOX: Hatten Sie zwischenzeitlich Angebote, über die Sie nachgedacht haben?

Babbel: Es kamen immer mal wieder Anfragen herein. Wenn in dieser Form an einen gedacht wird, dann freut man sich auch. Da war jedoch nichts dabei, auf das ich richtig heiß gewesen wäre. Ein russischer Zweitligist, der gerade abgestiegen ist und mithilfe eines reichen Oligarchen sofort wieder hoch will - das muss man schon mögen. (lacht)

SPOX: Sie haben dann den FCL als Tabellenletzten übernommen - sicherlich kein einfacher Wiedereinstieg. Wie wichtig war es Ihnen dabei auch, nach fast zwei Jahren Pause endlich wieder auf den Zug aufspringen zu können?

Babbel: Man macht sich mit der Zeit natürlich auch in dieser Hinsicht seine Gedanken. Die Vereine, die einem so richtig gefallen würden, sind häufig alle besetzt. Es ist in Deutschland wahnsinnig schwer, in die 1. oder 2. Bundesliga hinein zu kommen. Dann überlegt man: Was käme sonst noch in Frage? Das war für mich vor allem der deutschsprachige Raum oder England.

SPOX: Es ist dann die Schweiz geworden. Dort hat der FC Luzern nicht gerade das Image, für Ruhe und Geduld bekannt zu sein. Es ist vielmehr ein sehr lebhafter und emotionaler Verein.

Babbel: Das wusste ich auch. Als ich angerufen wurde, habe ich mir die Sache ganz neutral angeschaut und festgestellt, dass es sich nicht schlecht anhört. Auch nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen war mein Gefühl gut, dazu habe ich mir noch Feedback von außen eingeholt. Das war überall positiv: Die Menschen hier sind fußballverrückt, mit dem Klub ist etwas möglich und die Stadt ist auch schön. Ich bereue die Entscheidung in keiner Weise, weil ich den Fußball hier auch aus einem anderen Blickwinkel sehen kann.

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SPOX: Wie meinen Sie das?

Babbel: Man muss natürlich auch hier in erster Linie Resultate liefern und bekommt sein Fett weg, wenn das nicht gelingt. Dafür hat man aber unter der Woche viel mehr Ruhe, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wenn ich sehe, wie zunehmend hektisch es in der Bundesliga zugeht und wie schnell dort gegen die Trainer geschossen wird, dann geht es hier deutlich angenehmer zur Sache.

Super League: Die Tabelle im Überblick

SPOX: Das hat wohl auch damit zu tun, dass der Fußball in der Schweiz nicht diesen exponierten Stellenwert innerhalb der Gesellschaft einnimmt wie in Deutschland. Ist das hier noch die Art von Entschleunigung, der so mancher Fußballromantiker hinterhertrauert?

Babbel: Es ist Back to the roots, ganz eindeutig. Es herrscht ein Stück weit Normalität, die andernorts häufig vollkommen verloren gegangen ist. Schauen Sie sich die Gehälter meiner und vergleichbarer Spieler in Deutschland an - da stimmt das Verhältnis überhaupt nicht mehr. Dazu ist es angenehm, dass man hier mit relativ wenig Aufwand eine Top-Mannschaft zusammenstellen und viel erreichen kann. Wir verfolgen beim FCL den Ansatz der Talentförderung und müssen uns zwei Mal überlegen, ob wir 300.000 Euro in einen Spieler investieren. Sie sehen, in welch gemäßigten Dimensionen man sich hier bewegt - und das gefällt mir.

SPOX: Geht Ihnen der Wahnsinn, der in den europäischen Top-Ligen in Sachen Gehaltsstrukturen oder Ablösesummen Einzug erhalten hat, gegen den Strich?

Babbel: Ich bin der Meinung, dass ein Top-Spieler viel kosten und viel verdienen darf. Ich tue mich vor allem mit dieser Vielzahl an durchschnittlichen Spielern schwer, die definitiv zu viel verdienen. Wegen der Stars kommen die Zuschauer in die Stadien, weil sie außergewöhnliche Leistungen bringen. Der Durchschnittskicker hält da sportlich kein bisschen mit, liegt beim Gehalt aber nur knapp darunter - das ist mir ein Dorn im Auge. Wenn ich einem 18-Jährigen, der noch nichts geleistet hat, ein Millionengehalt bezahlen muss, damit er bleibt, dann tut das dem Fußball nicht gut. Leider wird sich diese ganze Entwicklung aber wohl nicht aufhalten lassen, sondern stattdessen immer rasanter voranschreiten.

SPOX: Damit einhergehend hat sich auch die Dauer von Traineranstellungen verändert. Sie sagen, es wäre für Sie ein großer Traum, wenn Sie mal zehn Jahre am Stück für einen Verein arbeiten könnten. Das ist doch mittlerweile vollkommen unrealistisch, oder?

Babbel: Ich weiß es nicht. Letztlich ist vor allem das Verhalten des Präsidiums im Misserfolgsfall wichtig. Es darf die Überzeugung, die es zuvor vom Trainer hatte, einfach auch in einer solchen Phase nicht verlieren. Dabei hilft es sicherlich, bereits eine zwischenmenschliche Basis entwickelt zu haben, die das Band in solchen Situationen dann stärkt. Nur so wird es in meinen Augen künftig möglich sein, dass eine solche Dauer vorkommen kann. Thomas Schaaf in Bremen oder auch Jürgen Klopp in Dortmund sind solche Ausnahmen, die gibt es ja zum Glück immer mal. Wieso also nicht der Klopp von Luzern werden wollen? (lacht)

SPOX: Man kann es auch an Ihrer eigenen Trainer-Vita ablesen: Weder in Stuttgart, noch in Berlin oder Hoffenheim sind Sie in die dritte Saison gegangen. Das Ende bei der Hertha war das unrühmlichste und wurde als Schlammschlacht bezeichnet. Wie denken Sie heute darüber? SPOX

Babbel: Über Berlin darf ich nicht mehr reden. Sonst sind sie wieder beleidigt.

SPOX: Wie unangenehm aber war es für Sie, die ständigen Nachfragen zu Ihrer möglichen Vertragsverlängerung ertragen zu müssen?

Babbel: Das war für mich natürlich sehr unangenehm und es ist sehr schade, wie es auseinander gegangen ist. Ich weiß aber wiederum nicht, wie ich es anders hätte lösen können - außer gleich öffentlich zu sagen, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern werde. Was nach den Erfolgen, die wir zuvor gemeinsam erzielen konnten, auf einmal daraus geworden ist, bleibt extrem bedauerlich. Wenn man sich die aktuelle Geschichte um Peter Niemeyer vergegenwärtigt (der Ex-Kapitän wurde aussortiert und durfte am Training nicht mehr teilnehmen, Anm. d. Red.), sieht man allerdings, dass ich kein Einzelfall bin.

SPOX: Gab es zwischenzeitlich eine Aussprache mit Manager Michael Preetz?

Babbel: Nein, dazu habe ich kein persönliches Bedürfnis. Es ist gut so, wie es ist.

SPOX: Als Sie kurz darauf in Hoffenheim unterschrieben, befand sich der Klub ein bisschen auf der Suche nach sich selbst. Waren Sie damals einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?

Babbel: Letztlich würde ich sagen: Ich habe Hoffenheim nie richtig verstanden. Wir dachten damals, dass man vom Image der grauen Maus wegkommen müsse und haben solche Charaktere wie Tim Wiese, Eugen Polanski oder Matthieu Delpierre in den Verein geholt. Das war im Nachhinein gesehen eine völlig falsche Entscheidung.

SPOX: Inwiefern?

Babbel: Hoffenheim ist so, wie es ist - und das ist auch gut so. Es war einfach ein Missverständnis. Wir sind falsch gelegen und haben Spieler in Positionen gebracht, die sie nicht bestätigen konnten. Es wirkte dann nach außen so, als ob der Verein seine Identität verloren hätte. Hoffenheim hat nicht zu mir und ich habe nicht zu Hoffenheim gepasst.

SPOX: Hegen Sie einen Groll dem Verein gegenüber?

Babbel: Um Gottes Willen, auf keinen Fall. Die Philosophie, die aktuell verfolgt wird, ist ja wieder diejenige, mit der man auch in die Bundesliga gestartet ist. Ich freue mich, dass sie dank des Kurswechsels wieder in der Spur sind und durch die Länge der Teilnahme an der Bundesliga gewisse Sympathien zurückgewonnen haben. Es kommen gute junge Talente nach und sie liefern attraktive Spiele ab. Markus Gisdol und Alexander Rosen machen dort einen exzellenten Job.

SPOX: Das Hoffenheim-Wappen haben Sie sich aber nicht tätowieren lassen.

Babbel: Nein. Ich habe ja schon einmal betont, dass es mir einfach nicht so gut gefällt. Ich habe aber eine andere Erinnerung an diese Zeit unter der Haut.

SPOX: Wie sieht es mit dem FC Luzern aus? Der Schweizer Boulevard berichtete, dass Sie in einem Tattoo-Studio aufkreuzten, aber nicht bezahlen wollten.

Babbel: Man hat sich dafür mittlerweile öffentlich bei mir entschuldigt. Das war natürlich Blödsinn und letztlich wohl eine Verwechslung. Das Luzern-Tattoo ist mittlerweile drauf.

SPOX: Und bezahlt?

Babbel: Selbstverständlich. Ich bin ganz normal in ein Tattoo-Studio bei mir in der Straße gegangen, habe ein Vorab-Gespräch geführt, mir einen Termin geben lassen und eine Anzahlung geleistet. Dann kam ich wieder und habe mir das Ding stechen lassen. Schön, dass ich das hier einmal klarstellen konnte. (lacht)

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