Markus Rejek von Arminia Bielefeld im Interview: "Deshalb war 1860 München für mich reizvoller als Bayern"

Jochen Tittmar
22. Oktober 202110:30
Markus Rejek im Januar 2014 bei seiner Vorstellung als Geschäftsführer von 1860 München.imago images
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Markus Rejek arbeitete viele Jahre in zweiter Reihe bei Borussia Dortmund. In der erfolgreichen Zeit unter Jürgen Klopp war er federführend an der Entstehung des BVB-Markenclaims "Echte Liebe" beteiligt. Anschließend war Rejek zweieinhalb Jahre kaufmännischer Geschäftsführer bei 1860 München. Seit 2017 ist der 53-Jährige in gleicher Funktion bei Arminia Bielefeld.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht Rejek über ein Vier-Augen-Gespräch mit BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, eine spezielle Schulung mit Klopp und die Gründe für sein Ende in Dortmund.

Rejek erzählt zudem von seinem Zwist mit Löwen-Investor Hasan Ismaik und erklärt, woran das System Profifußball krankt.

Herr Rejek, Ihr Wikipedia-Eintrag besteht aus ganzen neun Sätzen. Dort beginnt Ihr Leben 1999, als Sie für den Sportrechtevermarkter Sportfive im Einsatz waren und Borussia Dortmund betreuten. Was ist denn zuvor in den 31 Jahren Ihres Lebens passiert?

Markus Rejek: Ich bin als Kind des Ruhrgebiets mit dem Fußball groß geworden. Das erste Spiel, an das ich mich erinnern kann, war das Pokalfinale 1973 zwischen Gladbach und Köln, bei dem sich Günter Netzer selbst eingewechselt hat. Ich habe selbst im Verein gespielt und bin dann mit zwölf Jahren zum Handball gewechselt.

Stand damit schon früh fest, dass Sie beruflich etwas mit Sport machen wollten?

Rejek: Ja. Nach dem Abitur habe ich in Köln Sport und Germanistik studiert. Meine Ausrichtung war Sportökonomie oder Sportjournalismus, das wollte ich mir offenhalten. Nach einer Kreuzbandverletzung musste ich das Sportstudium abbrechen und habe Kommunikationswissenschaften, Marketing und Psychologie studiert. In der Zeit hatte ich das Glück, parallel neben dem Studium als Projektleiter in einer Sportmarketing-Agentur in Essen arbeiten zu können. Ich habe dort von Anfang an viel Verantwortung übernehmen dürfen. Nebenbei habe ich noch diverse Praktika beim Radio und Fernsehen gemacht. Das war ein spannendes Leben.

Wie sind Sie dann über Sportfive zum BVB gekommen?

Rejek: Im Mai 1996 habe ich vom Sofa aus die Meisterfeier von Borussia Dortmund am Fernseher verfolgt und mir gesagt: In ein paar Jahren willst Du dabei sein und helfen, den Verein mitzugestalten. Im Frühjahr 1999 hörte ich dann, dass der Sportrechtevermarkter UFA Sports - heute Sportfive - mit dem BVB über einen Gesamtvermarktungsvertrag verhandelt und für ein Team in Dortmund Mitarbeiter sucht. Borussia war mein Lieblingsverein und im Juni 1999 gehörte ich zum Gründungsteam beim BVB.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar mit Bielefelds kaufmännischem Geschäftsführer Markus Rejek.spox

2008 wechselten Sie von Sportfive direkt zum BVB. Wie kam das zustande?

Rejek: Gefühlt habe ich nicht bei Sportfive gearbeitet, sondern eigentlich immer beim BVB. Der Verein hatte zu dieser Zeit kein eigenes Marketing. Ich habe diese Aufgabe schon früh in meiner Tätigkeit mit übernommen. Als 2007 die Sanierung des Vereins nach der schweren Finanzkrise weitestgehend abgeschlossen war, wollte sich der Verein weiterentwickeln und die Themen Marke und Identität voranbringen. Das war für mich ein Herzensprojekt. Ich habe meinen Hut in den Ring geworfen und bin schließlich vom Agenturteam zum Verein gewechselt. Mein erster Auftrag bestand darin, den Marken- und Identitätsprozess vorzubereiten und durchzuführen. Ab 2010 war ich dann Marketingleiter.

Wie deutlich war es denn für Sie, dass der Borussia damals eine Identität fehlte?

Rejek: "Beim BVB fehlte ein Bewusstsein für Identität"

Rejek: Die Identität war natürlich immer schon da und naturgegeben - sie war nur nicht definiert und es fehlte komplett ein Bewusstsein dafür. Schon 2003 bin ich mit einem Marketingkonzept auf Manager Michael Meier zugegangen. Damals konnte ich noch nicht ahnen, wie tief der Verein in den roten Zahlen steckte. Für derartige Konzepte bestand kein Sinn. Es brauchte zu der Zeit vor allem die sportlichen Erfolge, um die Finanzprobleme zu heilen. Nach der wirtschaftlichen Konsolidierung war die Situation eine andere und die Sicht frei für einen neuen Weg. Gerade bei einem Verein mit einer so großen Strahlkraft und Fan-Gemeinschaft ist das Wissen um die eigene Identität aus meiner Sicht eines der wichtigsten Führungsinstrumente.

Alte Bekannte: Markus Rejek mit den Dortmundern Carsten Cramer (M.) und Michael Zorc.imago images

Am Ende des Prozesses stand mit Hilfe der Düsseldorfer Agentur XEO der Slogan "Echte Liebe", der noch heute benutzt wird.

Rejek: Ja, ich kann mich gut an ein Vier-Augen-Gespräch mit Hans-Joachim Watzke erinnern. Er hat damals hinterfragt: Brauchen wir so etwas überhaupt, ist das für einen Fußballverein notwendig? Diese Frage war auch berechtigt. Ich konnte ihn aber trotzdem überzeugen. Ich hatte drei Vorschläge dabei. Die Echte Liebe hatten wir bereits 2009 bei der Kampagne zum 100-jährigen Vereinsjubiläum verwendet. Das wurde von den Fans sehr gut angenommen.

Wie lauteten denn die beiden anderen Vorschläge?

Rejek: Ich weiß sie noch, aber sag sie nicht. (lacht) Nur so viel: Man hat meist einen Favoriten und packt dann noch zwei Alternativen dazu, die idealerweise abgelehnt werden, damit es am Ende der Favorit wird. Und der war zweifelsfrei die Echte Liebe, weil das - wie Jürgen Klopp sagen würde - wie Arsch auf Eimer passte.

Sie sollen auch dafür verantwortlich sein, dass Klopp damals eine Mütze mit der Aufschrift "Pöhler" spazieren trug. Stimmt das?

Rejek: Nein, dafür war jemand anderes aus dem nahen Umfeld des BVB verantwortlich. Es fügte sich aber hervorragend ins Thema Identität ein und Kloppo konnte sich sehr damit identifizieren. Wir hatten damals eine Identitätsschulung für alle Mitarbeiter. Als letztes war Kloppo dran, in der Mannschaftskabine unter sechs Augen. Dem brauchtest du die Präsentation gar nicht zu zeigen. Er hat im Grunde immer die nächste Seite antizipiert, weil er die Identität von Borussia Dortmund selbst verkörpert und vorgelebt hat. Es war, als wäre die Identität des BVB und vieles von Jürgens Charakter eins gewesen.

Das dürfte zugleich einer der Gründe dafür sein, weshalb sich der Klub nie vollständig von Klopps Ära emanzipieren konnte.

Rejek: Ich glaube, es ist für den BVB nach wie vor schwer, komplett loszulassen. Ich kann mir auch keine bessere Geschichte oder schönere Zeit vorstellen als besonders die Phase zwischen 2009 und 2013. Die Mannschaft und ihre Spielweise passten ideal, der BVB wurde europaweit anerkannt und geschätzt. Der BVB war der erste deutsche Verein auf dem Cover des Fußballmagazins FourFourTwo. Das war damals wie ein Ritterschlag. Und alles war verbunden mit dem Gesicht von Jürgen Klopp.

Abgesehen von der Schulung: Wie viel hatten Sie in Ihrer Funktion mit Klopp zu tun, wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Rejek: Nicht viel, aber immer mal wieder. Er ist kein Mensch, der sich verstellt. Wenn er in einen Raum kommt, füllt er ihn mit seiner Ausstrahlung aus. Es gibt auch Momente, da geht man besser vor ihm in Deckung. Er hat die Kraft, einen ganzen Verein komplett mitzureißen. Das ist ihm bislang überall gelungen.

Sie wurden 2012 zusammen mit Marketing-Vorstand Carsten Cramer mit dem Marken-Award-Sonderpreis "Beste Sportmarke" ausgezeichnet, ein Jahr später kam der 1. Platz beim Marketingpreis des Sports hinzu. Von wie viel Leichtigkeit war damals angesichts des sportlichen Höhenflugs auch Ihr Job umgeben?

Rejek: Die Ergebnisse auf dem Platz sind der Kern eines Fußballvereins und stets maßgeblich für alles. Wenn es dem Sport gutgeht, geht es allen und allem anderen auch gut. Ist das nicht der Fall, kannst du mit den noch so besten Konzepten und Ideen ankommen. Ich hatte später das andere Extrem mit dem TSV 1860 München: Da stand ich nach vielen verlorenen Heimspielen mit den Sponsoren beisammen und musste erklären, warum wieder nicht gewonnen wurde. Und wenn du das nicht erklären konntest, musstest du dir den Frust anhören. Dann bist du nach Hause gefahren und hast dich manchmal gefragt: Warum machst du diesen Job hier eigentlich?

Markus Rejek im Januar 2014 bei seiner Vorstellung als Geschäftsführer von 1860 München.imago images

Rejek über das BVB-Aus: "In einer Art Käfig gefangen"

Warum hörten Sie Ende September 2013 eigentlich in Dortmund auf?

Rejek: Das war im Grunde viel zu spät. Der BVB war meine große Leidenschaft, aber irgendwann ist man auch in einer Art Käfig gefangen. Für meine persönliche Entwicklung hätte ich schon viel früher gehen müssen. Es gab im Verein kein Weiterkommen für mich, dazu hatte ich meine großen Herzensaufgaben und - ziele vor allem mit dem Identitätsprozess abgeschlossen.

Das heißt, es gab keine weiteren Aufstiegsmöglichkeiten für Sie?

Rejek: Ich habe gespürt, dass ich noch mehr will: mehr gestalten, mehr Verantwortung übernehmen. Das war in der Hierarchie beim BVB irgendwann nicht mehr möglich.

Was hat der Verein unternommen, um Sie zu halten?

Rejek: Der BVB kam mir sehr entgegen und gab mir die Zeit, um mich neu zu orientieren. Ich war dann auf dem Weg zu einer Agentur nach Hamburg, als mich auf einmal ein Anruf eines Headhunters erreichte. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, in München zu arbeiten.

Also haben Sie gar nicht mit dem deutlich öffentlicheren Jobprofil geliebäugelt, so wie Sie es dann ab Februar 2014 als kaufmännischer Geschäftsführer bei 1860 München ausübten?

Rejek: Ich habe mit einer neuen Herausforderung geliebäugelt. Ich wollte raus aus der Komfortzone Ruhrgebiet, etwas anders kennenlernen und das kalte Wasser spüren. Das war bei den Löwen eiskalt.

Zuvor lebten Sie bis auf die Zeit in Dresden ausschließlich in Westdeutschland. Wie groß war der Kulturschock in München?

Rejek: München hatte ich in der Tat nicht auf dem Schirm. Aber Sechzig als Münchner Verein passte zu meinem Wertesystem als Ruhrpottler sehr gut. Ich bin mit offenen Augen, Ohren und Herzen nach München gekommen. Eine neue Kultur und neue Identitäten kennen zu lernen, finde ich spannend. Das hat mich bisher in meinem Leben immer angetrieben - die Neugier auf das Neue.

Als Sie sich zum ersten Mal den Medien vorstellten, sagten Sie den markanten Satz: "1860 hat aufgrund seiner Historie mehr Sex als die Bayern." Wie meinten Sie das?

Rejek: Das war klassisch aus dem Zusammenhang gerissen. Dadurch habe ich aber gelernt, wie groß in einer Stadt mit fünf Tageszeitungen der Kampf um die beste Geschichte ist und die eigene Arbeit dadurch nicht unbedingt leichter gemacht wird.

Wie ist es richtig?

Rejek: Ich habe zwei Stunden mit der Presse gesprochen und irgendwann in diesem Gespräch erwähnt, dass ich gar nicht so recht wüsste, was ich bei Bayern München gestalten sollte, weil der Verein schon so erfolgreich und in allen Belangen bestens aufgestellt ist. Was kann man da verbessern? Die Aufgabe bei 1860 war für mich daher viel spannender und mit viel mehr Leidenschaft verbunden, weil das Leiden bei diesem Verein auch dazugehört. Deshalb hat Sechzig damals für mich mehr Reiz gehabt als ein Verein, der jedes Jahr Deutscher Meister wird.

Wie sind Sie dort neben den Feldern Marketing und Vertrieb mit dem neu zu verantwortenden Bereich Finanzen klargekommen?

Rejek: Das musste ich mir anarbeiten und war learning by doing. Grundsätzlich versuche ich, viele solcher Themen mit sozialer Empathie zu vermenschlichen. Ich würde mich als Dirigent eines Orchesters bezeichnen. Ich kann vielleicht ein bisschen trommeln, aber ich bin nicht der Experte. Deshalb ist es wichtig, dass man für die einzelnen Bereiche den besten Trommler oder Geiger findet.

Hat Sie der Ruf von 1860 als Chaos-Klub, der von den finanziellen Hilfen des Investors Hasan Ismaik abhängig war, nicht abgeschreckt? Immerhin gab es dort in rund zwölf Jahren vor Ihnen bereits elf Geschäftsführer.

Rejek: Darüber habe ich gar nicht so viel nachgedacht. Nach den Gesprächen mit Präsident Gerhard Mayrhofer und Noor Basha und mit der Idee, die dahinterstand, war und bin ich nach wie vor überzeugt, dass es hätte funktionieren können - aber nicht in der Konstellation und Konstruktion.

Wie meinen Sie das?

Rejek: Verglichen mit anderen Vereinssatzungen ist die Satzung des TSV 1860 München aus meiner Sicht schwierig. Sie kann im schlechtesten Fall sogar ein Erfolgsverhinderer sein. Man findet keinen Konsens, sondern ist quasi die ganze Zeit mit Politik beschäftigt. Zu viele Personen für die Gremien-Positionen. Satzungen in einem Verein sind wichtig und können einen Unterschied ausmachen.

Markus Rejek zusammen mit 1860-Investor Hasan Ismaik.imago images

Rejek über sein Treffen mit Hasan Ismaik

Sie flogen auch nach Abu Dhabi, um sich mit Ismaik zu treffen. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Rejek: Das erste Kennenlerngespräch dauerte dort nur 20 Minuten. Ich habe über den Tag mehr mit seinem Bruder gesprochen. Hasan ist eine interessante und spannende Persönlichkeit, die viel zu erzählen hat.

Hatten Sie den Eindruck, Ismaik hat Ahnung vom Fußball?

Rejek: Nein, den Eindruck hatte ich nie. Ich glaube am Ende ist die Geschichte mit Hasan Ismaik und 1860 ein großes Missverständnis. Ich habe in meiner Zeit bei Sechzig nie verstanden, was seine Motivation ist, außer vielleicht berühmt zu werden. Er hatte viele Berater an seiner Seite, die es gut meinten - leider nur mit sich selbst und nicht mit Hasan und 1860. Hätte man das Geld, was Hasan bislang investiert hat, strategisch und planvoll eingesetzt, wäre der TSV ähnlich wie Union Berlin in einem Vier- bis Fünfjahresplan in die Bundesliga aufgestiegen.

Wenn Sie heute auf Ihren Start in München zurückblicken - welche Fehler haben Sie gemacht?

Rejek: Mit meiner Erfahrung von heute lässt sich das einfacher sagen: Ich hätte noch viel mehr die Führung übernehmen müssen in dem Konstrukt der beiden Gesellschafter. Ich hätte Hasan deutlicher warnen sollen vor einigen sogenannten Beratern. Das Problem war allerdings, dass schon vor meiner Zeit einiges ausprobiert wurde. Kein Weg führte zu den gewünschten Ergebnissen. Wir hatten also nicht viele "Schüsse" frei. Das Experiment mit den Spielern aus Spanien, welches von Gerhard Poschner vorangetrieben wurde, ging schief. Damit war das Anfangsvertrauen aufgebraucht. Wenn man aber bedenkt, dass Ian Ayre, der damals vom FC Liverpool als Geschäftsführer an die Grünwalder Straße wechselte, nach nur wenigen Wochen hingeschmissen hat, kann man sich vorstellen, dass ein konstruktives Miteinander kaum möglich war.

Öffentlich eskaliert ist es zwischen Ismaik und Ihnen bei einem Fantreffen Mitte 2016, wo Ismaik Ihre Entlassung forderte. Wie haben Sie das aufgenommen?

Rejek: Das kam aus dem Nichts. Ich hatte ein paar Tage zuvor noch mit Hasan telefoniert. Dann kam es zu dieser inszenierten Veranstaltung. Ich habe mich anschließend in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung dagegen gewehrt. Mir war klar, dass das Majestätsbeleidigung war und keiner im Verein die Kraft hatte, die schützende Hand über mich zu halten. Es war am Ende ein Kampf gegen Windmühlen. Auf der einen Seite der Gesellschafter, bei dem Motivation und Strategie nicht klar waren. Auf der anderen stand der Kampf des e.V. mit mehreren von dieser fast ausweglosen Konstellation zermürbten Präsidenten.

Was haben Sie aus der Zeit bei Sechzig und der Zusammenarbeit mit einem Investor konkret gelernt?

Rejek: Vor allem Menschenführung, sich in Verhandlungen hartnäckig zu zeigen und seine Sache mit Konsequenz zu verfolgen. Ich habe viele Negativbeispiele kennenlernen dürfen, wie es nicht funktioniert, wenn man keinem Plan oder zu vielen Ratgebern folgt. Man muss als Verein, von den Mitarbeitern bis zur Führung, zwingend eine Einheit bilden. Ich würde behaupten: Ohne die Station in München und meine Erfahrungen daraus wäre es mir in Bielefeld nicht gelungen, die notwendige Sanierung und Restrukturierung in der Form durchzuführen.

Es dauerte über ein Jahr, ehe Sie sich im Oktober 2017 der Arminia anschlossen, erneut als kaufmännischer Geschäftsführer. Was taten Sie in der Zwischenzeit?

Rejek: Ich hatte mich als Berater selbständig gemacht und mit meiner Sichtweise auf den Sport sowie meinen Erfahrungen ein Netzwerk gegründet, um verschiedene Beratungstätigkeiten für Vereine, Unternehmen und Verbände anzubieten. Das lief ordentlich an, aber die Quintessenz war: Ich bin nicht dafür gemacht, allein zu arbeiten. Ich brauche ein Team und führe auch zu gerne ein Team.

Auch in Bielefeld mussten Sie vom Fleck weg extreme Situationen meistern. Der Verein war zu Ihrem Dienstantritt wirtschaftlich am Boden und konnte nur durch das sogenannte "Bündnis Ostwestfalen" und weitere regionale Hilfe innerhalb eines Jahres fast 30 Millionen Euro an Verbindlichkeiten abbauen. Dazu drohte der Sturz in die 3. Liga. Welche Aussagekraft hat es im heutigen sportlichen Wettbewerb, dass der DSC nun das zweite Jahr in der Bundesliga spielt?

Rejek: Was Arminia Bielefeld in den beiden vergangenen Jahren widerfahren ist, grenzt tatsächlich an ein Märchen oder ein kleines Fußballwunder.

Inwiefern?

Rejek: In diesem System, das sich in den letzten 15, 20 Jahren aufgebaut hat, ist es als normaler Zweitligist nahezu unmöglich, länger als ein Jahr in der Bundesliga zu überleben. Ein zweites oder gar drittes Jahr, wie es derzeit Union Berlin vormacht, ist mehr als außergewöhnlich. Das funktioniert in meinen Augen nur mit einem unfassbar großen Risiko oder in einem Konstrukt wie bei Leipzig. Das System lässt es eigentlich nicht mehr zu.

Wie krank ist dieses System, wenn Geschichten wie die der Arminia innerhalb derselben Liga auf andere Konstrukte wie die Werksklubs Leverkusen und Wolfsburg oder die alimentierten Vereine Hoffenheim und Leipzig treffen, die wohl niemals um die Existenz bangen müssen?

Rejek: Es ist kein ehrliches System und es verhindert den ursprünglichen Gedanken vom sportlichen Wettbewerb. Natürlich ist es ein anderes Arbeiten, wenn du mit den Mitteln von Arminia wirtschaftest, als bei einem Konstrukt, bei dem ein Konzern dahintersteht und Gewinne wie Verluste gleichermaßen ausgeglichen werden.

Rejek über Arminia: "Möbel teilweise zusammengeschnorrt"

Welche Rolle kann ein Verein wie Bielefeld innerhalb dieser Gemengelage spielen?

Rejek: Auch um nicht irgendwann die Sinnfrage zu stellen, ist es wirklich wichtig, dass wir auf uns schauen und uns nicht mit anderen vergleichen. Wir sind so glücklich darüber, nach den vielen Jahren des Notstands und der elf Jahre andauernden Finanzkrise nun etwas gestalten zu können. Wir können uns weiterhin nicht alles leisten. Bei uns auf der Geschäftsstelle sind die Möbel teilweise noch zusammengeschnorrt. Das sieht nicht aus wie bei Schöner Wohnen, aber es macht gerade einfach irre Spaß, Teil der Geschichte zu sein und nach vorne zu arbeiten.

Was ist Ihnen dabei für den Verein wichtig?

Rejek: Ich möchte nicht sagen, dass wir alle Fußballromantiker sind. Für uns ist der Begriff Fußballkultur aber ganz entscheidend. Das manifestiert sich zum Beispiel am Stadion, das noch eines der wenigen ist, das mitten in der Stadt liegt. Es ist über die Jahre gewachsen und hat deshalb so viel Charme. Wir haben in unserer Region die Aufgabe, der emotionale Motor und Identitätsanker zu sein. Bei uns darf man auch mal tanzen und schreien. Diese Verantwortung müssen wir auch in Zukunft sicherstellen. Wir dürfen kein Kunstkonstrukt, sondern müssen der Verein der Ostwestfalen sein. Für Arminia muss immer der Mensch wichtiger sein als der Kommerz. Das ist für uns ein entscheidender Faktor unserer Fußballkultur.

Und in der Bundesliga spielen?

Rejek: Das Leben von Arminia Bielefeld und unser Glück hängen nicht davon ab, ob wir in der Bundesliga oder 2. Liga spielen. Wir wünschen es uns und wir werden alles dafür tun, dieses System zu knacken, um auf den Zug aufzuspringen, in dem Mainz, Augsburg oder Freiburg seit Jahren erfolgreich sitzen. Normalerweise ist das nicht mehr möglich. Vielleicht ergibt sich durch die besonderen Umstände der Pandemie eine winzige Chance.

Bilden bei Arminia Bielefeld ein erfolgreiches Duo: Markus Rejek und Geschäftsführer Sport Samir Arabi.imago images

Zusammen mit Mainz, Stuttgart und Jahn Regensburg erstellte die Arminia im Oktober 2020 ein sogenanntes Impulspapier, um im Rahmen der künftigen Verteilung der TV-Gelder bis 2025 Diskussionen anzustoßen, die sich um die Zukunftsfähigkeit des Profifußballs drehen. Ist die Bundesliga für Sie langweilig geworden?

Rejek: Oben an der Spitze finde ich sie sehr langweilig, das ist sicherlich eine der langweiligsten Situationen im europäischen Vergleich. Für uns ganz unten ist es wie auch in der 2. Liga gewiss nicht langweilig. Es geht dabei aber nicht um uns, sondern um das Gesamtgefüge. Die sogenannte Champions-League-Reform zeigt doch die Problematik gut auf.

Weil?

Rejek: Ich glaube, aus Fan-Sicht ist die Reform alles andere als der Schritt in die richtige Richtung. Durch die Diskussion um die Super League wurde sie aber komplett in den Hintergrund gerückt. Man hat fast den Eindruck, die Champions League sei zum Traditionscup mutiert. Wie verrückt ist das denn? Am Ende folgt diese Neuerung lediglich den rein ökonomischen Interessen. Die Schere zwischen den Vereinen wird noch weiter auseinandergehen. Deshalb werden von uns nicht nur Impulspapiere kommen, sondern wir werden weiterhin als Verein eine Haltung vertreten und das Thema Fußballkultur in den Mittelpunkt stellen.