"Mein Charakter hat sich nicht geändert"

Jochen Tittmar
29. Juli 201023:33
Michael Zorc ist seit 1998 Manager von Borussia DortmundImago
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Borussia Dortmunds Michael Zorc ist der dienstälteste Manager der Bundesliga. Im SPOX-Interview spricht er über seine bisherige Karriere nach der Karriere, sagt, warum die Ausbildungsmöglichkeiten in England schlechter sind als in Deutschland und erklärt, was es mit der BVB-Akademie auf sich hat.

SPOX: Herr Zorc, Horst Heldt hat einmal geäußert, dass er sich viel von Uli Hoeneß abgeschaut hat. Wie ist es bei Ihnen, haben Sie ein Manager-Vorbild?

Michael Zorc: Nein. Es ist sicher richtig, dass man aus verschiedenen Situationen lernen kann. Wichtiger ist es allerdings, eigene Erfahrungswerte zu sammeln. Besonders in der schwierigen Zeit bei Borussia Dortmund hatte ich dazu reichlich Gelegenheit.

SPOX: Seit Jürgen Klopp da ist, fokussiert sich die Öffentlichkeit auf ihn. Sie traten immer mehr in den Hintergrund. Welche Rolle spielt das für die Qualität Ihrer Arbeit?

Zorc: Die aktuelle Rollenverteilung kommt hier jedem entgegen. Jürgen zieht viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und handhabt das überragend. Wir haben unsere Kompetenzbereiche gut aufeinander abgestimmt. Das gilt auch für Hans-Joachim Watzke, den Vorsitzenden der Geschäftsführung. Wir harmonieren sowohl arbeitstechnisch als auch zwischenmenschlich auf perfekte Art und Weise. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Hätten Sie sich diese "Ruhe" um die eigene Person schon früher gewünscht?

Zorc: Das ist kein Wunschkonzert. In der Phase zwischen 2004 und 2006, in der es darum ging, die Budgets extrem herunter zu fahren und gleichzeitig sportlich wettbewerbsfähig zu bleiben, war es deutlich schwieriger als jetzt, wo wir von einer soliden Basis aus arbeiten können.

SPOX: Sie sind momentan der dienstälteste Manager der Bundesliga...

Zorc: (unterbricht und lacht)...das habe ich auch mit Schrecken erfahren. Fahren Sie fort.

SPOX: ...und sind 1998 relativ nahtlos nach Ihrer aktiven Karriere ins Management des Vereins eingestiegen. Würden Sie dies wieder so schnell tun?

Zorc: Ich muss dazu sagen, dass meine Arbeit anfangs mehr assistierend und hineinschnuppernd war. Rückblickend betrachtet wäre es aus persönlichen Gründen vielleicht sinnvoll gewesen, eine Auszeit von einigen Monaten zu nehmen, um auch externe Erfahrungen zu sammeln. Das hatte sich damals aber eben so ergeben und ist nun auch nichts, was ich als grundlegend falsch betrachte.

SPOX: Inwiefern hat sich Ihre Arbeit generell mit den Jahren verändert?

Zorc: Sie hängt von der jeweiligen Situation und Positionierung des Vereins ab. Während der Zeit großer wirtschaftlicher Probleme war der Schwerpunkt in der Kaderplanung ein anderer als heute, auch wenn - nicht zuletzt durch die Erfolge in den neunziger Jahren und Anfang des Jahrtausends - die Erwartungshaltung in Dortmund immer hoch ist. Entscheidend ist, dass wir heute einen anderen Weg gehen müssen als Vereine wie Stuttgart, Hamburg, Wolfsburg, Leverkusen oder Bremen, deren wirtschaftliche Rahmenbedingungen sich gänzlich von unseren unterscheiden. Vor diesem Hintergrund ist es uns in den letzten zwei, drei Jahren dennoch sehr gut gelungen, eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen.

SPOX: Vor einigen Jahren standen Sie sehr in der Kritik. Im Gegensatz zu damals schlagen nun auch Ihre Transfers ein und Sie stehen in der Öffentlichkeit in einem ganz anderen Licht da. Wieso ist da ein solch großer Unterschied auszumachen?

Zorc: In meinem Beruf definiert man sich in erster Linie über seine Aufgabe. Und da ist es eben wesentlich schwieriger, das Budget zu halbieren und dennoch sportlichen Erfolg zu haben und der Erwartungshaltung halbwegs gerecht zu werden, als sich von einer klar definierten Basis aus nach vorne zu entwickeln. Wir sind jetzt dabei, auf einer gesunden und soliden Grundlage ein Team aufzubauen, das mittelfristig wieder höheren Ansprüchen genügt. Dabei setzen wir auf junge und entwicklungsfähige Spieler. Drei unserer vier aktuellen Neuzugänge sind 21 Jahre alt. Dazu kommen Spieler wie Mario Götze aus dem Jugendbereich, die nun sehr nah an die Profimannschaft herangerückt sind. Dieser Weg, den wir sehr konsequent gehen, hebt uns sicherlich auch von anderen Vereinen ab und gibt uns auf der anderen Seite - wenn man die Ergebnisse der letzten beiden Spielzeiten sieht - auch recht.

SPOX: Im Grunde erwartete man ja von Ihnen, dass Sie den sportlichen Erfolg der Ära Niebaum/Meier mit deutlichen geringeren Mitteln zurück kaufen.

Zorc: Das ist Ihre Interpretation. Tatsache ist: Wir wurden sehr lange als Klub wahrgenommen, der in die Champions League gehört. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen waren aber nicht mehr da.

SPOX: Gab es in dieser Zeit auch mal eine Phase, in der Sie an Rücktritt gedacht haben?

Zorc: Mein Charakter hat sich nicht geändert. Ich war schon als Spieler jemand, der nicht aufgegeben hat. Ich war immer davon überzeugt, meine Aufgabe bei Borussia Dortmund erfolgreich zu meistern.

SPOX: Ist das momentan also Ihre bislang schönste Zeit als BVB-Manager?

Zorc: (überlegt lange) Sagen wir es so: Ich fühle mich in der jetzigen Phase mit der aktuellen personellen Konstellation sehr wohl. Wir haben alle das Gefühl, dass wir noch nicht am Ende des Weges sind und gemeinsam die Dinge so gestalten können, dass wir uns nachhaltig im oberen Tabellendrittel festsetzen können.

SPOX: Sie sind bei den BVB-Fans eine Ikone. Hand aufs Herz: War es leichter, Susi Zorc zu sein und die vollen Sympathien des Umfeldes zu spüren als Michael Zorc, Manager von Borussia Dortmund, der kritisch beäugt wird, wenn seine Transfers floppen?

Zorc: Rückblickend wird jeder ehemalige Spieler seine aktive Zeit als die schönste seiner Karriere bezeichnen. Das ist völlig normal. Aber es ist eine lohnenswerte Aufgabe und eine Herausforderung, in verantwortlicher Position die Geschicke im sportlichen Bereich bei Borussia Dortmund mitzugestalten. Dazu brauchst du nicht unbedingt den öffentlichen Applaus.

Im zweiten Teil des Interviews spricht Michael Zorc über die BVB-Neuzugänge und erklärt, was es mit der BVB-Akademie auf sich hat

SPOX: Lassen Sie uns in die Gegenwart schwenken und über Personalien reden: Mohamed Zidan darf Ägypten derzeit nicht verlassen, da er dort seinen Wehrdienst antreten muss. Sie sagten, dass man bis Ende August eine Lösung anstrebt. Wie kann man sich die Verhandlungen diesbezüglich vorstellen?

Zorc: Diese Gespräche werden vom Spieler selbst in Ägypten geführt. Wir sind immer auf dem Laufenden und gehen davon aus, dass Mohamed Ende August wieder bei uns ist.

SPOX: War die Thematik nicht absehbar?

Zorc: Nein, das hat uns schon etwas überrascht und war in dieser Form nicht absehbar. Die Gespräche laufen. Wir werden da eine Lösung finden. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Antonio da Silva trainiert aktuell beim BVB mit. Sie sagten, dass es "momentan kein Thema" sei, ihn zu verpflichten. Könnte in diese Personalie Bewegung kommen, wenn man einen der Spieler abgibt, die man ziehen lassen würde?

Zorc: Unsere Situation ist klar: Wir können nur dann noch Spieler verpflichten, wenn auf der Abgabeseite etwas passiert.

SPOX: Neuzugang Shinji Kagawa sagte bereits, dass er den japanischen Stil in Dortmund einführen möchte. Was meint er denn damit?

Zorc: Ich weiß nicht, ob er das wirklich so gesagt hat. Das hat der Boulevard eben daraus gemacht. Fakt ist: Wir haben Kagawa sehr lange beobachtet. Er ist ein Riesentalent und bringt technisch und spielerisch unglaublich viel mit. Wie bei jedem Japaner, der in die Bundesliga wechselt, ist die Frage, wie er mit der deutlich körperbetonteren und robusteren Spielweise zu Recht kommt und umgeht. Unsere bisherigen Eindrücke sind aber richtig gut, und wir denken, dass er uns mit seiner Art, Fußball zu spielen, weiterhilft.

SPOX: Wenn ein Japaner in die Bundesliga wechselt, vermutet man auch immer Marketinggründe, die dahinter stecken könnten. Inwiefern hat das bei diesem Transfer eine Rolle gespielt?

Zorc: Null Komma Null. Wir haben zwar schon ein gesteigertes Interesse aus Japan wahrgenommen, aber entscheidend ist, dass die wirtschaftlichen Begleitumstände für diesen Transfer für uns in Ordnung waren. Wir haben lediglich eine kleine Ausbildungsentschädigung entrichtet. Das wirtschaftliche Risiko geht gegen Null. Kagawa war ein sehr gefragter Mann in der japanischen Liga. Wir wollen ihn sportlich weiterentwickeln.

SPOX: Der Transfer von Robert Lewandowski zog sich lange hin und wurde von Hans-Joachim Watzke bereits als der schwierigste Transfer aller Zeiten betitelt. Wieso hat sich der Wechsel so in die Länge gezogen, obwohl mit dem Spieler längst Einigung bestand?

Zorc: Die Vorstellungen von Lech Posen waren anfangs so, dass wir sie nicht erfüllen konnten und wollten. Robert hat sich allerdings vom ersten Tag an klar zu Borussia Dortmund bekannt. Das hat uns geholfen, den Transfer zu einem vernünftigen Preis zu realisieren.

SPOX: Mit Torhüter Mitchell Langerak und Kagawa haben Sie zwei unbekannte Talente aus für fußballerische Verhältnisse exotischen Ländern wie Australien und Japan verpflichtet. Wie kommt man denn auf solche Spieler?

Zorc: Wir haben auf unser über die Jahre weltweit aufgebautes Netzwerk zurückgegriffen und sind in diesen beiden Fällen ganz gezielten Hinweisen nachgegangen.

SPOX: Ganz gezielt wird auch bei der BVB-Akademie, die Mitte Juli 2009 vorgestellt wurde, vorgegangen. Wer hatte denn die Idee dazu?

Zorc: Wir haben das Konzept gemeinsam mit Jürgen Klopp und unserem Scouting- und Nachwuchsbereich entwickelt. Unser Weg ist es, nicht nur junge Spieler zu verpflichten, sondern sie auch auszubilden. Zweifellos kann beim Übergang vom Junioren- zum Seniorenbereich eine Menge Sinnvolles getan werden. Die Lücke, die beispielsweise entsteht, wenn die Schulbelastung wegfällt, wollen wir ausfüllen. Da ist einmal Training am Tag oft zu wenig. Wir wollen unser Angebot erweitern, um eine umfassend bessere Ausbildung der Spieler zu gewährleisten.

SPOX: Hat die Idee der BVB-Akademie auch damit zu tun, dass zuletzt junge Talente wie Christopher Buchtmann, Tolgay Arslan oder Marc-Andre Kruska den Verein verlassen haben?

Zorc: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Buchtmann ist mit 15 zu Liverpool gewechselt und mittlerweile wieder zurück in der Bundesliga. Daran sieht man, dass die Ausbildungsmöglichkeiten in England im Vergleich zu unseren Topklubs aus meiner Sicht eher schlechter als besser sind. Kruska ist von uns ganz normal gegen Ablösesumme nach Cottbus transferiert worden. Bei Arslan lief der Vertrag aus und er ist nach Hamburg gewechselt. Jetzt hat ihn der HSV in die zweite Liga ausgeliehen.

SPOX: Im vergangenen Jahr hat man Damien Le Tallec verpflichtet. Er ist kein Talent aus den eigenen Reihen. Ist das nicht das falsche Zeichen an den eigenen Nachwuchs?

Zorc: Ich verstehe, was Sie meinen, aber Damien ist ablösefrei zu uns gewechselt. Wir müssen verschiedene Wege gehen, um die bestmögliche Lösung für Borussia Dortmund zu erreichen. Wenn ich ein Talent in Frankreich entdecke, das alle Jugendnationalmannschaften durchlaufen hat, dann gehört ein solcher Transfer zu meinen Aufgaben.

SPOX: Wie sieht ein Tag eines Spielers in der Akademie aus?

Zorc: Die Kurse haben zwar schon begonnen, aber wir sind noch dabei, die Infrastruktur auszubauen. Die Inhalte sehen so aus, dass es für die Top-Talente zusätzliches, individuelles Training gibt, wenn in ihrer jeweiligen Mannschaft nur einmal am Tag trainiert wird. Dort wird dann in unterschiedlichen Bereichen trainiert, beispielsweise: der typische Rechtsfuß trainiert seinen linken Fuß, der kopfballschwache Spieler verbessert sein Kopfballspiel. Darüber hinaus geht es auch darum, theoretische Kenntnisse zu vermitteln. Man analysiert das eigene oder andere Spiele. Kurz gesagt: Wir wollen, dass sich die jungen Spieler intensiver mit Fußball beschäftigen.

SPOX: Auch für die Profis könnte die kommende Saison intensiv werden: Zusammen mit der Europa League und dem DFB-Pokal könnten bis Weihnachten 28 Pflichtspiele anstehen. Diese Konstellation ist für den BVB und die jungen Spieler recht neu. Inwiefern könnte die postulierte Weiterentwicklung der Mannschaft dadurch beeinträchtigt werden?

Zorc: Wir wollen uns dieser willkommenen, aber auch großen Herausforderung stellen. Das erste übergeordnete Ziel ist, die Playoff-Spiele zur Europa League erfolgreich zu gestalten. Wir wollen in die Gruppenphase. Das wäre für uns sowohl sportlich als auch wirtschaftlich der nächste Schritt. Wir haben den Kader darauf ausgerichtet, der Doppelbelastung standzuhalten. Gleichwohl wird es spannend zu beobachten sein, wie schnell die Jungs diese neuen Erfahrungswerte verarbeiten und letztlich auf dem Platz umsetzen. Ich traue es ihnen zu.

SPOX: Dortmund hat in der vergangenen Saison einige wichtige Matches nicht gewinnen können, beispielsweise in der Endphase in Mainz oder gegen Hoffenheim und Wolfsburg. Gerade im Hinblick auf die K.o.-Spiele, die auf die Mannschaft warten: Was fehlt dem Team in dieser Hinsicht?

Zorc: Ganz einfach: Erfahrungswerte. Wir haben in der vergangenen Saison in sehr vielen Spielen geführt, aber am Ende nicht gewonnen. Das ist einfach fehlende Erfahrung. Zum Glück entwickelt sich jeder einzelne Spieler, aber auch die Mannschaft als Einheit weiter. Diese Entwicklung würden mehrere internationale Spiele natürlich noch beschleunigen.

Borussia Dortmund in der Sommerpause

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