Mirko Slomka war Trainer beim FC Schalke 04, Hannover 96 und beim Hamburger SV. Vor rund einem Jahr wurde er beim Karlsruher SC entlassen.
Im Interview spricht Slomka über seine letzten Jobs, einen wilden Flug nach Buenos Aires, Fehler in der Rückschau und seinen Ruf.
SPOX: Herr Slomka, Anfang April 2017 wurden Sie nach nur drei Monaten Amtszeit vom Karlsruher SC freigestellt. Zuvor waren Sie über zwei Jahre lang ohne Job und haben unter anderem den Bootsführerschein gemacht. Was ist diesmal dran?
Mirko Slomka: Es geht in Phasen wie diesen ja immer um die Frage: Wie beschäftigt man sich, um Abstand zu gewinnen, aber auch sein Gehirn anzustrengen? Ich habe mich damals dazu entschieden, über sechs Wochen den Bootsführerschein zu machen. Nebenbei habe ich für Sky gearbeitet. Aktuell stehe ich als Experte im Radio bei amazon unter Vertrag und versuche eine Mischung hinzukriegen: einerseits Abstand, andererseits Fußball im Stadion, um den engen Kontakt nicht zu verlieren.
SPOX: Dazu machen Sie eine Elitetrainer-Fortbildung der DFB-Akademie über zehn Termine, die auch von Eintracht-Trainer Niko Kovac und Augsburgs Coach Manuel Baum besucht wird.
Slomka: Genau. Beim ersten Treffen ging es um eine ethnologische Thematik. Es kann ja sehr komplex sein, beispielsweise mit Südamerikanern, Asiaten oder Osteuropäern innerhalb einer Mannschaft zusammen zu arbeiten. Da ging es um die Einstellung und die Problematik der Umstellung für solche Spieler, aber auch um grundsätzliche Probleme, wie man als Trainer Menschen aus anderen Kulturkreisen begegnet, wie sie ticken, was sie beschäftigt. Der zweite Termin bestand aus dem Besuch eines Flugsimulators, um dessen Komplexität auf den Fußball umzumünzen: Wie handele, denke und entscheide ich in extremen Situationen?
spoxSPOX: Nachdem Sie beim Hamburger SV am 15. September 2014 entlassen wurden, sagten Sie, der Klub habe Sie ausgelaugt, so dass Sie nicht in der Lage waren, direkt wieder irgendwo einzusteigen. Was meinten Sie damit genau?
Slomka: Ich hatte zwei Wochen nach meiner Beurlaubung ein sehr attraktives Angebot aus dem Ausland vorliegen. Wir waren uns eigentlich schon einig. Ich schlief dann aber irgendwie schlecht und habe am nächsten Tag mit meiner Frau gesprochen. Dabei merkte ich, dass mir etwas fehlt, um gleich wieder neu einzusteigen. Ich fühlte mich noch nicht bereit. Deshalb meinte ich, der Job in Hamburg habe mich wohl mehr mitgenommen, als ich zunächst dachte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich beim HSV davon ausging, über eine längere Zeit eine Chance zu erhalten. Das Ende kam für mich zu schnell. Ich wollte diese Zeit zunächst gründlich aufarbeiten und etwas Abstand gewinnen, bevor ich beim nächsten Verein loslege.
SPOX: Hat der KSC Sie in dieser Hinsicht auch ausgelaugt?
Slomka: Nein, das war komplett anders. Die Entscheidung hing damit zusammen, dass ich Oliver Kreuzer sehr schätze und von ihm als Manager überzeugt bin. Ich habe mich von ihm auf den KSC einstimmen lassen. Dort bestand die Chance, gemeinsam etwas aufzubauen. Der Fokus für mich lag zunächst aber weniger auf der Mannschaft, sondern eher auf den vorgefundenen Bedingungen. Der Trainingsplatz war beispielsweise sehr schlecht. Ich hatte dort irgendwann auch den Eindruck, dass man meinen würde: Slomka kommt und alles wird gut. Das übertrug sich auf die Mannschaft. Es hat sehr lange gedauert, bis wir zusammengewachsen sind - letztlich zu lange.
SPOX: Bereuen Sie diese Entscheidung im Nachhinein?
Slomka: Ich würde nicht sagen, dass der KSC ein Fehler war. Die 2. Liga ist ein spannendes Produkt, so dass ich mein Engagement dort auch für die Zukunft als eine wichtige Erfahrung sehe. Auch wenn die Zusammenarbeit zwischen Oliver Kreuzer und mir sehr gut lief, war es in Summe sehr schwer.
SPOX: Inwiefern sind die Chancen gestiegen, dass Ihr nächster Job nicht in Deutschland sein wird?
Slomka: Ich befinde mich gerade in einer großen Gruppe von Trainerkollegen, die wie ich darauf warten, den richtigen Anruf zu bekommen. Ich sitze aber nicht zu Hause und hoffe auf Niederlagen von Kollegen. Die Bundesliga wäre der beste Job. Auch die englische Championship ist interessant. Ab und an war ich auch in Frankreich unterwegs. Dort gibt es schon in der 2. Liga so viele technisch hervorragend ausgebildete Spieler, das ist eigentlich unfassbar. Ich wünsche mir einen Verein, bei dem ich mich auf die Mannschaft fokussieren kann und der Klub mich dabei unterstützt.
SPOX: Einige deutsche Trainer meiden das Ausland zunächst, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Andere sehen es wie eine unterklassige deutsche Liga als Chance, um wieder auf sich aufmerksam zu machen. Welche Gedanken haben Sie sich gemacht, als Sie Angebote aus dem Ausland erhielten?
Slomka: Ich bekomme viele Anfragen aus dem Ausland oder auch mal von Nationalmannschaften. Der Umgang damit ist letztlich typenbedingt. Zudem denke ich, dass ich nicht in Vergessenheit geraten bin. Ich hatte zum Beispiel ein spannendes Angebot aus Australien. Der Manager des Vereins war zweimal bei mir in Hannover, obwohl ich ihm vor dem zweiten Besuch schon gesagt habe, dass ich nicht zusagen werde. Er wollte aber einfach dranbleiben, auch für die Zukunft.
SPOX: Kurz nach Ihrer Zeit als Cheftrainer auf Schalke wären Sie fast einmal Nationaltrainer von Österreich geworden. Wieso ist das damals an den Ablösemodalitäten gescheitert?
Slomka: Die Verhandlungen waren schon abgeschlossen, aber ich bekam von Schalke keine Freigabe. Das wäre eine interessante Aufgabe gewesen. Auch wenn ich Respekt vor der Arbeit als Nationaltrainer habe, ist das für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Ich würde es mir auch zutrauen.
SPOX: Auf Schalke haben Sie 109 Pflichtspiele gecoacht, in Hannover waren es 169. Beim HSV kamen Sie jedoch nur auf 19 Partien, in Karlsruhe auf zehn. Stehen Sie damit sinnbildlich für eine Fehlentwicklung im Fußball, bei der sich Entlassungen häufen und der Geduldsfaden der Klubs immer schneller reißt?
Slomka: Ich würde das nicht zwingend an den Zahlen festmachen. Dass die Halbwertszeit eines Trainers in der Bundesliga mittlerweile deutlich unter zwei Jahren liegt, wissen Sie so gut wie ich. Das hängt damit zusammen, dass die Leistungsdichte enger und der Druck massiver geworden ist. Wir Trainer müssen an unsere Kompetenz glauben, davon überzeugt sein und entsprechend auftreten - im Klub, vor einer Mannschaft, vor den Medien. So hat man in meinen Augen eine größere Chance, längerfristiger arbeiten zu können.
SPOX: Geht nicht viel mehr in einem Verein kaputt, wenn alle paar Monate ein neuer Trainer seine Ideen einbringt und sich der Klub letztlich ständig neu orientieren muss?
Slomka: Das will ich nicht abstreiten, aber wechseln Sie doch einmal die Perspektive. Wenn Sie Vereinsverantwortlicher wären, einen Trainer auswählen und ihn einstellen, würden Sie das nur ungern entscheiden wollen. Die Stimmen und Stimmungen kommen meist aus einer anderen Richtung. Am schlechtesten ist es, wenn sich die Mannschaft gegen den Trainer ausspricht. Dann als Verantwortlicher stark zu sein und dem Team zu sagen: Ihr macht genau das, womit euch der Trainer beauftragt, weil wir von ihm überzeugt sind und sich nur so der Erfolg einstellen wird - das kommt nur selten vor.
SPOX: Wie schwer ist es auf menschlicher und psychischer Ebene, mit dem Druck in diesem Vollzeitjob klar zu kommen?
Slomka: Es ist nicht einfach. Ich war in englischen Wochen teilweise über einen Monat lang nicht zu Hause. Da benötigt man ein unheimliches Verständnis seitens der Familie. Du wohnst meist alleine und stellst dir dann auch simple Fragen wie: Esse ich heute Abend in einem Restaurant oder bleibe ich in der Wohnung und koche mir selbst etwas? Du weißt aber, dass es nur um Fußball geht, wenn du raus gehst. Bleibst du allein zu Hause, kann es wiederum auch langweilig sein. Und am nächsten Tag stehen ja morgens schon wieder die nächsten Termine an.
SPOX: Die auch nicht immer gemütlich aus dem eigenen Büro heraus zu erledigen sind.
Slomka: Genau. Es geht immer um das eigene Zeitmanagement. Ich erinnere mich an eine Geschichte zu meiner Schalker Zeit. Wir wollten einen südamerikanischen Spieler holen und ich musste ihn unbedingt live vor Ort sehen, denn er war nicht ganz günstig. Wir spielten nachmittags in Mainz, anschließend bin ich von Frankfurt über Nacht nach Buenos Aires geflogen, habe mir dort am nächsten Tag drei Spiele angeschaut und bin abends wieder zurück. Das ging einfach nicht anders, ich war auch richtig heiß auf den Spieler. Leider ist es an der Ablösesumme von 6,5 Millionen Euro gescheitert - das war damals noch sehr viel Geld. (lacht)
SPOX: Wie sieht es mit dem Verfolgen von Eigeninteressen in der geringen Freizeit aus?
Slomka: Ich nahm mir beispielsweise immer vor, mindestens eine Nachrichtensendung am Tag zu schauen, damit man wenigstens einigermaßen Bescheid weiß, was abseits des grünen Rasens noch in der Welt passiert. Man braucht ein gewisses Programm, das für einen gut funktioniert. Bei mir war das vor allem der Sport. Ich bin viel geschwommen und war joggen. Das half mir abzuschalten und mich gleichzeitig wieder mit Energie aufzuladen. Andererseits: Wenn man sich Freiräume schafft, denkt man oft auch, dass dies eigentlich gute Gelegenheiten wären, sich mal mit dem Busfahrer, Zeugwart oder Koch zusammenzusetzen und über deren Befindlichkeiten zu sprechen.
SPOX: Jörg Schmadtke hat gesagt, ein Job als Verantwortlicher eines Bundesligaklubs ist Horror für die eigene Gesundheit. Können Sie das nachempfinden?
Slomka: Ja. Es kann passieren, dass man seine eigene Gesundheit hinten anstellt oder für eine zügige Besserung zu Medikamenten greift. Ich weiß noch, wie wir mittwochs vor meiner Entlassung auf Schalke in Barcelona gespielt haben und es mir die vorherige Nacht über ziemlich dreckig ging. Ich wollte das Spiel natürlich auf keinen Fall verpassen und habe mir ein paar Tabletten eingeworfen, doch das macht den nächsten Tag ja nicht grundlegend besser. Komischerweise war ich aber seltener krank, wenn ich gearbeitet habe. Es ist eher vorgekommen, dass dann in den paar Wochen Urlaub alles herauskam und der Körper gestreikt hat.
SPOX: Ralf Rangnick nennt nach seinem Burnout drei regelmäßige Mahlzeiten am Tag als die größte Veränderung.
Slomka: Häufig isst man tatsächlich mit dem Handy oder einer Zeitung an der Seite. Ich finde, dass man sich da wirklich schützen muss. Lieber eine halbe Stunde früher aufstehen, in Ruhe frühstücken und gedanklich durchgehen, was am heutigen Tag ansteht und besonders wichtig ist. Zeitmanagement eben, es braucht eine Struktur für den Tag.
SPOX: 2006 erreichten Sie mit Schalke das Halbfinale des UEFA-Cups, 2008 das Viertelfinale der Champions League, wurden fast Meister und 2011 führten Sie Hannover auf Platz vier und ins Viertelfinale der Europa League. Zuletzt war in Hamburg und Karlsruhe Abstiegskampf angesagt. Gibt es etwas, dass Sie heute rückblickend anders machen würden?
Slomka: Klar, hinterher ist man meistens schlauer. Dass ich etwa nicht länger in Hannover blieb, war meine eigene Schuld, da ich plötzlich anfing, mit anderen Klubs zu kokettieren. Das sind Lern- und Erfahrungsprozesse, die man einfach durchleben muss. Jetzt empfehle ich jedem jungen Trainer, sich auf den Auftrag im Hier und Jetzt zu konzentrieren, denn der ist immer am wichtigsten.
SPOX: Wie blicken Sie auf das Ende auf Schalke zurück?
Slomka: Die Entlassung kam für die Mannschaft und mich sehr überraschend. Ich wäre gerne noch länger geblieben. Das hat mich auch getroffen, denn wir waren alle gemeinsam auf einem sehr guten Weg. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass ich überwiegend gute Entscheidungen getroffen habe, was den Umgang mit meinen Mannschaften angeht. Es gibt aber Dinge, die ich heute mit meiner größeren Erfahrung anders machen würde.
SPOX: Welche?
Slomka: Es gibt Stimmen die sagen, wir hätten 2007 Meister werden müssen. In der Trainingswoche vor dem entscheidenden Spiel in Dortmund entschied ich mich, nicht öffentlich zu trainieren. Heute würde ich die Leute mitnehmen und lieber vor 10.000 Fans in der Arena trainieren, die uns richtig heiß machen. Das würde ich mittlerweile als Fehler bezeichnen, denn es ging zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um bestimmte Trainingsinhalte, sondern um Motivation, Emotion, Leidenschaft. Dieser Situation trauere ich bis heute etwas hinterher, denn ich wollte mit Schalke unbedingt die Schale holen.
SPOX: Inwiefern beschäftigt es Sie, dass Sie nach über zwei Jahren ohne Job nur drei Monate im Amt waren: Ist das schlecht für den eigenen Ruf?
Slomka: Das ist eine Interpretations- und Betrachtungsfrage. Man kann sagen, dass ich nicht nur das schöne Leben in der Bundesliga suche, sondern mir auch der Gang in die 2. Liga Freude an der Arbeit bereitet, obwohl dort vielleicht schwierige Bedingungen herrschen. Oder man sieht es ausschließlich negativ a la: Jetzt muss er schon 2. Liga machen. Davon lasse ich mich aber kein Stück beeindrucken.
SPOX: Grundsätzlich wird ja eher gerne negativ als positiv interpretiert. Hat das Ihrem Ruf in der Öffentlichkeit geschadet?
Slomka: Mit kritischer Berichterstattung müssen wir als Trainer in diesem Geschäft alle leben, das gehört dazu. Wer sich aber fundiert mit einer Person beschäftigt, bewertet das große Ganze. Da werden ebenso die positiven Aspekte und Leistungen einer gesamten Karriere nicht vergessen. Ich erfahre innerhalb der Branche eine hohe Wertschätzung, auch bei meinen ehemaligen Vereinen. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen sind mir auch sehr wichtig.
SPOX: Man beschrieb Sie schon als selbstbewusst, hinzu kommt noch der Ausspruch "Der nette Herr Slomka". Ärgert Sie es, dass die Worte "selbstbewusst" und "nett" so negativ konnotiert zu sein scheinen?
Slomka: Das sollte man alles nicht überbewerten und sich auch nicht ärgern. Den netten Herr Slomka gibt's bis heute noch, aber das ist auch gar nicht schlimm. (lacht) Das kommt noch von meinem ersten Jahr als Cheftrainer auf Schalke, als ich mich von den Spielern duzen ließ. Das war schwierig, denn ich war zuvor eben Assistent und der Großteil der Jungs hatte mich schon geduzt. Damals waren noch eher die härteren Trainer angesagt, so dass es für manche Medien offenbar besonders speziell gewesen sein muss, wenn sich ein Trainer duzen lässt. Das habe ich in der zweiten Saison in "Trainer" oder "Sie" geändert, weil es einfach auch eine gewisse Distanz beinhaltet.
SPOX: Glauben Sie, dass diese Attribute auch einer der Gründe gewesen sein könnte, weshalb sich manche Vereine gegen Sie entschieden haben?
Slomka: Nein. Ich habe in Hannover nach dem Tod von Robert Enke und auch in Hamburg den Klassenerhalt geschafft. Stressresistent bin ich auf jeden Fall. Auch in Karlsruhe hatte ich keine Angst, die Aufgabe nicht bewältigen zu können. Dort waren die Strömungen innerhalb des Vereins aber komplizierter als zum Beispiel beim HSV.
SPOX: Inwiefern?
Slomka: Der HSV ist wie ein schwer beweglicher Tanker, der im Hafen liegt: Alleine kriegt man das nicht hin, sondern braucht ganz viele Leute, die mit anpacken. Beim KSC waren Oliver Kreuzer und ich eher die Einzelkämpfer, die - um im Bild zu bleiben - das Boot justieren und neu ausrichten wollten. Es hatte aber Ecken und Kanten und es wurde aus verschiedenen Richtungen dagegen gerudert. Das hat es damals schwer gemacht, schnell voranzukommen.
SPOX: Es könnte sein, dass die 50+1-Regel gefallen ist oder zumindest modifiziert wurde, wenn Sie Ihren nächsten Verein übernehmen. Würden Sie das begrüßen?
Slomka: Ich finde, dass Martin Kind einen wesentlichen Aspekt angeregt hat, über den man diskutieren muss. Die meisten Vereine haben das auch wohlwollend kommentiert - auch solche, die zuvor meist dagegen waren. Die Vorsicht vor gewissen Investoren ist sicherlich angebracht, allerdings bin ich der Meinung, dass wir künftig die Möglichkeit schaffen sollten, uns zumindest ein bisschen zu öffnen. Ohne die Investitionen von Unternehmen, weniger von Einzelpersonen, werden wir in Deutschland die Top-Spieler möglicherweise nicht mehr bekommen.