FC Bayern München in der Krise: Diese vier Baustellen muss Julian Nagelsmann jetzt beheben

Tim Ursinus
19. September 202211:20
SPOXgetty
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In der Champions League befindet sich der FC Bayern zwar voll auf Kurs, doch in der Bundesliga läuft es derzeit alles andere als rund. Trainer Julian Nagelsmann muss in der anstehenden Länderspielpause einige Hausaufgaben bewältigen. Die vier größten Baustellen des FCB.

Nach der 0:1-Pleite gegen den FC Augsburg und den zuvor drei Remis in Serie ist Bayern in der Bundesliga seit vier Spielen sieglos. Das gab es seit über 20 Jahren nicht mehr. Die Ausbeute von mageren zwölf Punkten aus sieben Spielen ist die schlechteste Bilanz zum Liga-Beginn seit zwölf Jahren.

Kommentar zum FC Bayern: Ratlosigkeit mit einem Hauch Schönrednerei

Der gute Start in der Champions League, wo man zuletzt einen glücklichen Sieg gegen den FC Barcelona einfuhr, täuscht keineswegs über die schwachen Leistungen in der Bundesliga hinweg: Die Diskrepanz zwischen den beiden Wettbewerben ist gewaltig. In der anstehenden Länderspielpause will - beziehungsweise: muss - sich Nagelsmann nun "Gedanken" machen und Lösungen finden. Laut Sport1 soll er einige Spieler vor dem traditionellen Wiesn-Besuch sogar zum Rapport gebeten haben. Vorstandschef Oliver Kahn kündigte indes eine 14-tägige Analyse an.

Mit Bayer Leverkusen (30. September) und Borussia Dortmund (8. Oktober) warten zwei Gegner, die es seiner Mannschaft gewiss nicht leichter machen werden als Borussia Mönchengladbach, Union Berlin, der VfB Stuttgart und der FCA. Ganz im Gegenteil. Diese vier großen Baustellen gilt es für Nagelsmann jetzt zu beheben, um den Negativtrend umzukehren.

FC Bayern: Fehlende Effizienz vor dem Tor

"Wir haben in der ersten und zweiten Halbzeit viele Chancen aus dem Stadion fließen lassen", sagte Nagelsmann sichtlich angefressen auf der Pressekonferenz in Augsburg und haderte mit den vielen Überzahlsituationen, die auch schon in den vergangenen Bundesligaspielen ungenutzt blieben und "laissez-faire" ausgespielt wurden.

Bei 19 Abschlüssen und einem Expected-Goals-Wert von 1,62 (xG, Quelle: Stats Perform) schafften es die Bayern in der Fuggerstadt sogar, erstmals seit 87 Spielen im deutschen Oberhaus ganz ohne Torerfolg zu bleiben - abgesehen davon, dass Augsburg einen höheren xG-Wert (1,78) hatte.

Schon bei den drei Unentschieden zuvor hatte es jeweils nicht oft genug im gegnerischen Kasten geklingelt. Beim 1:1 gegen Gladbach (xG-Wert von 2,82), beim 1:1 bei Union Berlin (xG-Wert von 1,51) und beim 2:2 gegen Stuttgart (xG-Wert von 2,2) ließ der deutsche Rekordmeister ebenfalls zahlreiche Hochkaräter versanden. Eine Vielzahl von Chancen, die in den vergangenen Jahren noch mit Robert Lewandowski deutlich häufiger in einem Torjubel mündeten.

Die Frage nach dem fehlenden Mittelstürmer muss sich Nagelsmann spätestens seit dem Remis gegen Gladbach gefallen lassen, als Yann Sommer trotz 20 Schüssen aufs Tor nicht mehr als einmal zu überwinden war. Nach dem Spiel gegen Augsburg gestand er: "Wir haben die klassische Neun mit Choupo-Moting heute von der Bank eingewechselt und einen anderen haben wir nicht."

Seine anschließenden Worte befeuerten die Debatte um einen fehlenden Lewandowski-Ersatz noch mehr. "Es ist doch eigentlich egal, was ich jetzt antworte. Wenn ich Nein sage, dann heißt es: 'Er erkennt das Problem nicht'. Wenn ich Ja sage, dann schreiben alle: 'Er vermisst Lewandowski'. Es ist doch wurst, was ich antworte", sagte er patzig.

Der Plan, den Abgang mit der hochkarätig besetzten Offensive im Kollektiv abzufangen, klingt zwar gut, ist aber bei weitem noch nicht ausgereift. Das Problem: Die Zeit ist längst reif dafür, dass die neue Spielweise verinnerlicht und ihr Potenzial ausgeschöpft wird.

FC Bayern: Julian Nagelsmann muss sein System finden

In den ersten drei Saisonspielen setzte Nagelsmann noch auf ein 4-2-2-2-System - und strich drei deutliche Siege ein (6:1 gegen Frankfurt, 2:0 gegen Wolfsburg und 7:0 gegen Bochum), ehe er - hinterher aus nicht ganz erklärlichen Gründen - auf ein 4-2-3-1 mit einer alleiniger Spitze umstellte. Auf der Neunerposition versuchten sich Sadio Mané und Thomas Müller, aber keiner der beiden wusste zu überzeugen.

Vermutlich kehrte Nagelsmann deshalb in Augsburg wieder zur alten Formation zurück. Müller durfte neben Jamal Musiala wieder hinter den Spitzen ran und setzte die Doppelspitze aus Mané und Leroy Sané mehrfach gut in Szene. Außerdem kombinierte sich das Offensiv-Quartett auch nach längeren Ballbesitzphasen zu einigen Eins-gegen-Eins-Situationen, in denen es aber an der letzten Konsequenz fehlte. Zwar erwischte FCA-Keeper Rafal Gikiewicz einen Sahnetag, von vielen hundertprozentigen Chancen kann aber auch nicht die Rede sein.

Aus den Situationen muss freilich mindestens ein Tor herausspringen. Es ist aber auffällig, dass keine Gelegenheiten entstehen, die selbst an den schwärzesten Tagen nicht vergeben werden können. Dass ein Spieler den Ball nur noch ins leere Tor schieben oder aus kurzer Distanz den Fuß hinhalten muss (in der Vergangenheit oft der Job von Lewandowski), ist eine Seltenheit geworden. Einfach gesagt: Die Qualität der Chancen hat abgenommen. Die derzeitige Spielweise ist dafür deutlich verkopfter - und offensichtlich noch zu komplex für die neu zusammengestellte Mannschaft. Auch war es bezeichnend, dass der bei einer Ecke vorgerückte Manuel Neuer in der Nachspielzeit die mit Abstand beste Chance auf das 1:1 hatte.

Zudem bringen Teams, die wie Augsburg ein hohes Pressing spielen und damit einhergehend viele Zweikämpfe führen, die Defensive in höchste Not. Damit hat Bayern "brutale Probleme", erkannte auch Salihamidzic. Hinzu kommt, dass die Viererkette aufgrund der ständigen Änderungen in der Zusammenstellung alles andere als eingespielt ist.

Nagelsmann ist also gut beraten, sich auf ein System festzulegen. Nur so können die viel zitierten Rädchen ineinandergreifen - und dann klappen womöglich auch wieder die einfachen Dinge.

FC Bayern: Die Ergebnisse seit den englischen Wochen

TerminWettbewerbGegnerOrtErgebnis
27. AugustBundesligaBorussia MönchengladbachHeim1:1
31. AugustDFB-PokalViktoria KölnAuswärts5:0
3. SeptemberBundesligaUnion BerlinAuswärts1:1
7. SeptemberChampions LeagueInter MailandAuswärts2:0
10. SeptemberBundesligaVfB StuttgartHeim2:2
13. SeptemberChampions LeagueFC BarcelonaHeim2:0
17. SeptemberBundesligaFC AugsburgAuswärts0:1

FC Bayern: Sadio Mané auf dem Weg zum Problemfall

Nach seinem guten Saisonstart (drei Tore in drei Spielen) präsentiert sich Mané seit Wochen als Fremdkörper in der Bayern-Offensive. Kaum einer ist unauffälliger als der Neuzugang. Seine wenigen guten Momente vertändelt er leichtfertig. Prädikat: Stets bemüht, aber glücklos - das beschreibt seine letzten Leistungen ziemlich genau.

Im ZDF-Sportstudio stärkte Müller seinem Kollegen zwar den Rücken ("Müssen dieses persönliche Fass nicht aufmachen") und verteilte die Schuld auf die Schultern aller Angreifer: "Jeder von uns hatte mindestens eine Situation, in der er treffen kann oder muss." Eine Erklärung für die Tatsache, dass Mané derzeit ein Schatten seiner selbst, ist das aber nicht.

Auch Nagelsmanns Versuche, ihn auf seiner Wohlfühlposition auf dem linken Flügel einzusetzen, brachten nicht die erhoffte Wende: kaum Dribblings, kaum Abschlüsse. An vorderster Front hängt der Senegalese völlig in der Luft. Die kritischen Stimmen über den vermeintlichen Königstransfer von Salihamidzic werden lauter - und Mané selbst gibt diesen Berechtigung.

"Null integriert", lautete das knallharte Urteil von Sky-Experte Didi Hamann schon vor der 0:1-Pleite. Er bemängelte Manés fehlende Bindung zum Spiel. Eine These, die in Augsburg noch mehr Futter bekommen sollte. Aus den eigenen Reihen wird Mané zudem seine "unterwürfige" Art (Zitat Nagelsmann) angekreidet.

Sadio Mané befindet sich derzeit in einer Schaffenskrise.imago images

So sympathisch wie das klingen mag, dem Angreifer würde ein bisschen mehr Überzeugung, was die eigene Klasse angeht, derzeit sicher nicht schaden. Von seiner Selbstverständlichkeit aus Liverpooler Tagen ist kaum noch etwas zu erkennen.

"Wir sprechen ihm zu und versuchen, ihn auf den richtigen Weg zu bringen", sagte Saliihamidzic und schob beinahe schon verzweifelt nach: "Auf dem Platz muss er das schon selbst machen. Im Training muss er sich sein Selbstbewusstsein zurückholen und dann wird das wieder." Worte, die an Sané aus der Vorsaison erinnern, als dieser selbst von den Bayern-Fans an den Pranger gestellt wurde und in Gesprächen wieder aufgebaut werden musste.

Klappt das nicht, könnte sich Mané zu einem Problemfall entwickeln. Von einem Fehlkauf ist er freilich noch weit entfernt. Das Trainerteam um Nagelsmann muss aber versuchen, den 30-Jährigen schleunigst wieder in die richtige Spur zu bringen und die aufkommende Debatte so im Keim zu ersticken. Andernfalls gerät möglicherweise auch der für seine Transferphase so gefeierte Salihamidzic wieder in die Kritik.

Julian Nagelsmann: Kadermanagement wirft Fragen auf

Schon gegen den VfB Stuttgart fiel Nagelsmann damit auf die Nase, dass er auf Spieler setzte, die offensichtlich weit von ihrer Normalform entfernt sind. Zuvor hatte es Berichte gegeben, wonach erste Profis mit ihrer geringen Spielzeit unzufrieden seien. Leon Goretzka brachte sich nach der Partie gegen Inter Mailand selbst für einen Startelfeinsatz ins Spiel und stand beim 2:2 gegen den VfB, ohne groß zu überzeugen, über die volle Distanz auf dem Platz. Serge Gnabry bestätigte ein weiteres Mal, dass er sich in einem Formtief befindet.

Der beste Mann auf dem Platz war hingegen der 17-jährige Mathys Tel. Wie schon bei seinen anderen Einsätzen belebte er das Angriffsspiel erheblich. Gleiches gilt für Ryan Gravenberch bei dessen insgesamt acht größtenteils kurzen Auftritten im FCB-Trikot. In Augsburg schmorten allerdings beide über 90 Minuten auf der Bank, während Stars wie Müller (SPOX-Note: 4) durchspielten oder ein nahezu unsichtbarer Eric Maxim Choupo-Moting eingewechselt wurde. Für Goretzka kam Marcel Sabitzer, der kaum Impulse setzte. Schon gegen Barça hatte er zu den schwächsten gehört.

Nagelsmann unterstrich damit erneut, dass das Leistungsprinzip wohl nicht entscheidend für seine Wahl der Aufstellung und seine Maßnahmen während eines Spiels sind. Auf seinen fünften Wechsel verzichtete er obendrein.

Das Kadermanagement des 35-Jährigen wirft also jede Menge Fragen auf, die in der Kabine angeblich bereits für Unruhe sorgen. Es braucht dringend ein Umdenken: Wer schlecht spielt, schaut eben zu Beginn oder für die gesamte Begegnung zu - egal, auf welchen Namen er hört oder was er in der Vergangenheit geleistet hat.

FC Bayern: Spielplan nach der Länderspielpause

DatumWettbewerbGegner (Ort)
30. SeptemberBundesligaBayer Leverkusen (H)
4. OktoberChampions LeagueViktoria Pilsen (H)
8. OktoberBundesligaBorussia Dortmund (A)
12. OktoberChampions LeagueViktoria Pilsen (A)
16. OktoberBundesligaSC Freiburg (H)