Julian Nagelsmann erklärte auf der Pressekonferenz vor dem Duell mit Viktoria Pilsen in der Champions League, warum Ryan Gravenberch noch nicht mehr Minuten beim FC Bayern München gesammelt habe. Trotz seiner Ausführungen gibt es auch viel Unverständnis für die Situation des niederländischen Top-Talents - unter anderem vom Spieler selbst. Wie es zu dieser Situation kam und warum sich jetzt eine Chance für den 20-Jährigen bieten könnte.
Nicht Matthijs de Ligt, nicht Sadio Mané - der Neuzugang beim FC Bayern München, der viele in der Sommervorbereitung am meisten überzeugte, war Ryan Gravenberch. Aktuell stehen jedoch nur 227 Pflichtspielminuten auf seinem Konto. 80 davon im DFB-Pokal gegen Viktoria Köln - seinem einzigen Startelfeinsatz.
Im Umfeld des FC Bayern wurde es unruhig. Nicht nur wegen der Krise, sondern auch, weil die jungen Spieler keine echten Chancen bekommen haben. Insbesondere bei Gravenberch überrascht es, dass er nicht noch mehr Gelegenheiten bekam. Er selbst zeigte sich öffentlich bereits enttäuscht, Julian Nagelsmann sieht die Situation des 20-Jährigen aber entspannt.
Doch was ist passiert, dass der Niederländer nach der offenbar starken Vorbereitung so gar keine Rolle im Kader des FC Bayern spielt?
FC Bayern: Ryan Gravenberch kam als Wunschspieler
Der Rekordmeister verhandelte lange mit Ajax, um den Mittelfeldspieler an die Säbener Straße zu lotsen. Am Ende einigten sich beide Parteien auf eine Ablösesumme von 18,5 Millionen Euro exklusive einiger Bonuszahlungen, die in Zukunft fällig werden könnten. Das berichteten mehrere Medien übereinstimmend.
Dass die Münchner sich so sehr um das Talent bemühten, unterstreicht, dass seine Verpflichtung in der Kaderplanung hohe Priorität hatte. Immer wieder wurde medial vom "Wunschspieler" des FC Bayern berichtet.
In der Vorbereitung hinterließ er dann Eindruck. Nach dem 5:3-Sieg gegen RB Leipzig im Supercup lobte Joshua Kimmich: "Von Ryan bin ich ehrlich gesagt am meisten begeistert. Der verliert fast keinen Ball, der wird uns viel Freude bereiten."
FC Bayern: Guter Start für Ryan Gravenberch
Alles schien angerichtet für einen tollen Saisonstart. Gegen Leipzig spielte er immerhin 22 Minuten, zum Bundesliga-Auftakt in Frankfurt durfte er 33 Minuten ran. Hinzu kam, dass Leon Goretzka wegen einer Knie-OP ausfiel und sich Ende September auch noch mit dem Coronavirus infizierte. Die Chance für Gravenberch, sich zu zeigen.
Eigentlich tat er das auch. Wenn er spielte, überzeugte er mit der von Kimmich angesprochenen Ballsicherheit, kurzen Dribblings und präzisem Passspiel. Im Pokal deutete er seine Torgefährlichkeit an. Mit einem Tor und einem Assist war er einer der herausragenden Spieler - wenn auch "nur" gegen Viktoria Köln.
Doch für Gravenberch gab es ein großes Problem: Marcel Sabitzer bekam in den ersten Spielen der Saison den Vorzug und etablierte sich in Abwesenheit von Goretzka als stabile Absicherung für Kimmich.
FC Bayern: Ryan Gravenberch zieht gegen Marcel Sabitzer den Kürzeren
"Die Entwicklung von Marcel Sabitzer sehe ich sehr positiv, gerade auch in der Defensive", analysierte beispielsweise Kapitän Manuel Neuer vor dem Champions-League-Spiel gegen Inter Mailand: "Er versucht, alles abzuräumen. Er hat es sich verdient, dass er Spiele bekommt."
Nagelsmann hatte damals sogar ein Sonderlob für Sabitzer parat: "Gegen Union Berlin war er zuletzt unser bester Spieler auf dem Platz." Die Bayern sind trotz der Ergebniskrise defensiv etwas stabiler geworden. Einen großen Anteil daran hat der 28-Jährige.
Für Gravenberch kam die Leistungsexplosion von Sabitzer zum falschen Zeitpunkt. Er ist zudem ein offensiverer Spielertyp. Läuft er neben Kimmich auf, ist die Balance in der Rückwärtsbewegung eine andere.
FC Bayern: Julian Nagelsmann fordert Geduld
Für Julian Nagelsmann ist das ein ganz normaler Entwicklungsprozess. "Er hat wie jeder Spieler mein vollstes Vertrauen", sagte der 35-Jährige auf der Pressekonferenz vor dem Duell mit Viktoria Pilsen: "Aber ich sehe da immer das ganze Drama nicht." Er sei "der Letzte, der die besten Spieler nicht aufstellt".
Dementsprechend forderte der Trainer Geduld. Bei Gravenberch gehe es vor allem darum, "an welchen Stellschrauben er drehen muss, um stabiler in die Struktur zu passen".
Man müsse bei ihm, aber auch bei Spielern wie Mathys Tel das Alter sehen. Wichtig sei die Kommunikation, "dass der Spieler weiß, was verlangt wird, welche Bereiche er gut macht und welche er so verbessern muss, dass er mehr Spielzeit bekommt". Dennoch bringe Gravenberch "fußballerisch alles mit". Er habe "ein herausragendes Tempodribbling und wie er sich aus Drucksituationen mit dem Ball am Fuß befreien kann, das macht er besser als viele andere Spieler in Europa", so Nagelsmann.
FC Bayern: Gravenberch enttäuscht - große Chance gegen Pilsen?
Der Spieler selbst schien zu Beginn der Länderspielpause aber etwas ungeduldig zu werden. Bei ESPN antwortete er auf die Frage, ob er enttäuscht sei: "Ehrlich gesagt, ja das bin ich. Man möchte spielen, aber der Trainer wählt andere Spieler aus. Ich muss das akzeptieren, aber es ist schwierig."
Der Nationalspieler habe "auf mehr Minuten gehofft", wolle nun aber "ruhig bleiben". Wie der kicker berichtet, sollen Gravenberch die persönlichen Gespräche mit dem Trainer fehlen. Ein Kommunikationsproblem also? Dem widersprach Nagelsmann am Sonntag, indem er erklärte, Gravenberch wisse genau, wo er stehe.
Die Chance des Niederländers könnte jetzt dennoch kommen. Gegen Pilsen muss Bayern auf den mit dem Coronavirus infizierten Kimmich verzichten. "Es ist auf jeden Fall möglich, dass beide (Gravenberch und Goretzka, Anm. d. Red.) auf der Sechs spielen, auch wenn es beides eher Achter sind", deutete Nagelsmann an.
Aber es sei eben "Bayern München, einer der größten Klubs in Europa mit einem sehr guten Kader." Und offenbar haben Sabitzer und Goretzka aktuell vor allem taktisch und strukturell Vorteile gegenüber Gravenberch. Dass er bisher aber meist nur wenige Minuten am Ende einer Partie bekommt, überrascht angesichts der starken Vorbereitung dann dennoch.