Borussia Dortmund siegt zum Auftakt der Champions-League-Saison mit 2:1 bei Besiktas. Ein Sorgenkind steigert sich immer mehr, Matchwinner Jude Bellingham verschiebt weiter seine Grenzen. Die Beziehung zwischen dem BVB und dem Strafraum bleibt jedoch kompliziert.
BVB-Rechtsverteidiger Thomas Meunier steigert sich
"Ich bin mir sicher, dass ich in der Zukunft deutlich besser sein werde", sagte Thomas Meunier Ende Mai im Interview mit SPOX und Goal - und für den Moment hat der Belgier Recht behalten.
Eine Leistungssteigerung war angesichts seiner enorm schwachen Vorsaison gewiss keine große Kunst, doch sie ist da und tut dem BVB gut, da die Rechtsverteidigerposition nicht üppig besetzt ist und zuvor Felix Passlack keinen sicheren Eindruck hinterließ.
Dass Meunier, der bereits während der Europameisterschaft mit Belgien ein anderes Gesicht zeigte als in Dortmund, derzeit ordentliche Vorstellungen abliefert, ist nach seiner Covid19-Erkrankung zudem keine Selbstverständlichkeit. Auch den Länderspiel-Dreierpack mit der Nationalelf verpasste er kürzlich wegen muskulärer Probleme.
Es war gegen Besiktas daher erst sein drittes Saisonspiel, alle drei über 90 Minuten und nun schon mit dem zweiten Assist in Folge. Hätte Jude Bellinghams Treffer zum 2:1 in Leverkusen gezählt, Meunier wäre gar an einem weiteren Treffer federführend beteiligt gewesen.
BVB-Rechtsverteidiger Meunier: Die Richtung stimmt
Defensiv hat sich der 30-Jährige auch stabilisiert. In Istanbul führte er die meisten Zweikämpfe aller Spieler (17) und war dazu mit Besiktas' Welinton derjenige mit den meisten Balleroberungen (13). Leichte Wackler sind bei ihm zwar nicht ausgeschlossen und auch weiterhin ein Thema, doch man sieht in seinen Aktionen nun eine größere Konsequenz.
Mit Ball am Fuß schimmert zudem immer wieder sein Stürmer-Gen durch. Diese Position spielte er in den Anfängen seiner Karriere. Gerade in der Schlussphase am Bosporus war es Meunier, der am fittesten wirkte und mit viel Power einen starken Solo-Lauf startete, der beinahe mit einem Tor gekrönt wurde (90.).
Noch ist es deutlich zu früh, um bei Meunier Entwarnung zu geben. "Es geht jetzt nochmal von vorne los, als hätte ich gerade erst in Dortmund unterschrieben", sagte er vor rund vier Monaten. Die Richtung stimmt derzeit.
BVB - Jude Bellingham verschiebt seine Grenzen immer weiter
Als Erling Haaland in den Katakomben des Vodafone Park ein Interview gab, wurde er plötzlich auf die Backe geknutscht - von Jude Bellingham, der sofort wieder verschwand. Haaland grinste und sagte: "Er ist gerade einmal 18, drei Jahre jünger als ich. Das ist verrückt. Er ist fantastisch. Mehr kann ich nicht sagen."
Tatsächlich ist es schwer in Worte zu fassen, welch überragende Entwicklung Istanbul-Matchwinner Bellingham im vergangenen Jahr genommen hat. Mit seinem Treffer zum 1:0, der einem irren lauten Stadion ordentlich Dezibel nahm, brach er den nächsten Rekord: Jünger als 18 Jahre und 78 Tage war in der Champions-League-Geschichte noch niemand, der in zwei Einsätzen in Folge traf.
Für den Engländer war die Partie gegen Besiktas bereits das 105. Spiel auf Profiebene, die Hälfte der Begegnungen absolvierte er für den BVB - das alles mit gerade einmal 18 Jahren. In dieser Saison scheint Bellingham seine Grenzen erneut ein Stückchen weiter nach oben zu verschieben.
Bislang steht er bei zwei Toren und drei Vorlagen - in Istanbul legte er das 2:0 vor - in sieben Pflichtspielen. Sein in Leverkusen aberkannter Treffer wurde bereits thematisiert, so stünde er bei drei Buden in Folge. Die eigene Treffsicherheit zu erhöhen gehörte zu einem der Punkte, in dem er sich im Vergleich zum Vorjahr verbessern musste.
Jude Bellingham nicht mehr aus dem BVB-Team wegzudenken
Dies geschieht nun, weil Bellingham stets in der Lage ist, in aussichtsreiche Positionen zu kommen. Das hat er vor allem seiner neuen Position unter Trainer Marco Rose als rechtes Glied der Mittelfeldraute zu verdanken, in den Halbräumen fühlt sich Bellingham sichtlich wohl.
Dazu wandelt der BVB-Spieler aus dem Bilderbuch zwischen den Strafräumen, haut sich mit viel Körperlichkeit in die Zweikämpfe und bleibt dabei stabil. Gegen Besiktas gewann er über 60 Prozent davon, nur Meunier führte ein direktes Duell mehr als er.
Erstaunlich und viel wert für die Mannschaft ist auch Bellinghams ausgeprägtes Selbstbewusstsein sowie die Intensität, mit der er seine Aktionen ausführt. Damit emotionalisiert er seine Mitspieler, auch lautstarkes Dirigieren gehört wie selbstverständlich zu seinem Portfolio.
"Es ist eine brillante Atmosphäre hier und ein Vergnügen, vor diesen Fans zu spielen. Das Einzige was ich will, ist Borussia Dortmund beim Siegen zu helfen", sagte er nach der Partie. Das spricht in diesem Alter für sich. Bellingham ist nicht mehr aus diesem Team wegzudenken.
Der BVB und der Strafraum - es ist kompliziert
Marco Rose nannte das, was der BVB in der Schlussphase in Istanbul ablieferte, die "obligatorische Nummer". Vollkommen unnötig war es nämlich, dass das Spiel noch einmal spannend wurde. Auch im siebten Pflichtspiel unter seiner Leitung kassierte die Borussia mindestens ein Gegentor.
Doch nicht nur durch den späten Anschlusstreffer wurde es für wenige Zeigerumdrehungen brisant. Denn ein Phänomen, das Rose offensichtlich geerbt hat und auch schon seit langer Zeit besteht, kam mal wieder zum Vorschein: Die komplizierte Beziehung zwischen Dortmund und dem Strafraum.
Genau genommen geht es um den Bereich rund um den Sechzehner, sagen wir bis 20 Meter vor dem Tor. Zwar hat die Borussia mit dem Toreschießen an sich kaum Probleme, in der Bundesliga traf man in den vergangenen 36 Partien immer. Doch Dortmund spielt es in aussichtsreichen Situationen oft und gerne zu kompliziert.
Bei Besiktas gab es in der zweiten Halbzeit mehrere Szenen, in denen der BVB das dritte Tor und sich damit einen angenehmen Abend machen muss. Zu häufig fehlt in diesen für den weiteren Spielverlauf zumindest theoretisch enorm wichtigen Situationen der Killerinstinkt. Erling Haaland oder Marco Reus, auch sie hätten im ersten Durchgang ihre Großchancen auf ein schnelles 2:0 nutzen müssen.
BVB rund um den Strafraum oft zu verschnörkelt
"Wir hätten viel früher ein drittes oder viertes Tor machen müssen, dann wäre es nicht so eng geworden", sagte auch Lizenzspielerchef Sebastian Kehl.
Der BVB verschnörkelt sich dann regelrecht und lässt selbst beste und eindeutige Schusspositionen aus. Da wird lieber noch einmal quergelegt oder auf den Ball gestiegen. An sich alles keine schlechten Ideen und auch immer in der Hoffnung ausgeführt, dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs zu erhöhen - doch es muss dann eben auch gutgehen. Passiert das nicht, hätte man besser geschossen und die offensichtliche Option eines Abschlusses gewählt.
Denn am Ende ist es freilich egal, ob Traumtor oder nur schnöder Abpraller. Am wichtigsten ist es, in den entscheidenden Momenten so abzuschließen, dass damit einer Partie die Luft genommen wird. Die auch in Istanbul erneut stark beanspruchten Dortmunder würden eine frühe Entscheidung des Spielverlaufs zu ihren Gunsten schon lange mit Kusshand nehmen.