Erkenntnisse zur BVB-Niederlage bei Union Berlin: Edin Terzics Dreierkette wird zum Rohrkrepierer

Stefan Petri
17. Oktober 202208:01
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Borussia Dortmund hat sich durch das 0:2 bei Union Berlin erst einmal aus der Bundesliga-Spitzengruppe verabschiedet. Dabei geht Edin Terzics Experiment mit einer Dreierkette vollkommen schief, die Probleme des BVB sind aber zahlreicher. Beim FCU fängt derweil das Träumen an. Die Erkenntnisse zum Spitzenspiel.

BVB: Edin Terzics Dreierkette wird zum Rohrkrepierer

Ein ganz besonderes Rezept hatte sich Edin Terzic überlegt, um An der Alten Försterei bestehen zu können: Die Dreierkette sollte es richten gegen die Doppelspitze Jordan Siebatcheu und Sheraldo Becker. Flugs errechneten findige DAZN-Redakteure noch vor dem Anpfiff, dass es sich um Terzics erste Dreierkette seit März 2021 handelte - gegen den FC Bayern (2:4).

Das zeigt gut auf, welchen Status die Eisernen mittlerweile bei der Konkurrenz genießen. Wie schwer sie gerade vor heimischem Publikum zu bespielen sind. Er wolle Überzahl schaffen gegen die beiden Stürmer, erklärte Terzic seine Entscheidung beim Streamingdienst - und erhoffte davon auch Impulse im Spiel nach vorn.

Zu sehen war davon auf dem Rasen über die ersten 45 Minuten fast nichts. Denn auch wenn sie von der Dortmunder Formation anfangs durchaus überrascht waren, wie Rani Khedira verriet, ließ sich deren Offensivspiel vergleichsweise leicht ersticken. Dafür genügten die eigenen Tugenden und ein simples Erfolgsrezept.

"Es war unser Ziel, das Zentrum dicht zu machen, dass die da nicht reinkommen", erklärte Doppeltorschütze Jannik Haberer. Also wurde die statische Dortmunder Doppelsechs zugestellt und der Ballträger in der hinteren Kette konsequent angelaufen. Das reichte über weite Strecken schon: Emre Can und Salih Özcan ließen sich viel zu selten zurückfallen, um im Spielaufbau zu helfen, vor ihnen hing Jude Bellingham in der Luft.

So blieb Dortmund zwar viel Ballbesitz, aber nur ein behäbiger Spielaufbau in die Breite - den Weg ins gegnerische Drittel fand der Ball in den ersten 35 Minuten fast gar nicht. Gefährliche Situationen habe man nicht zulassen wollen, bemerkte Haberer - "aber dass sie dann so wenige haben, davon konnte man nicht ausgehen."

BVB: Edin Terzic bemängelt individuelle Fehler

Als Terzic in der Pause reagierte - auch angesichts des 0:2-Zwischenstandes -, wieder auf das vertraute 4-2-3-1 umstellte und mit Marco Reus, Donyell Malen und Julian Brandt drei frische Kräfte für die Offensive brachte, dürfte ihm klar gewesen sein, was ihm im Falle einer Niederlage blühte. "Hypothetisch" seien Spekulationen über den Effekt seiner Umstellung, und "klar, dass die Frage jetzt gestellt wird" und man dieses Thema "nun nicht aufhalten" könne, bemerkte er dann am DAZN-Mikrofon. Auch wenn er es versuchte.

Recht hatte er mit der Anmerkung, dass die Gegentreffer nicht aus taktischen Unzulänglichkeiten resultierten, sondern aus individuellen Fehlern: Erst war Gregor Kobel auf dem seifigen Berliner Rasen bei einem Klärungsversuch ausgerutscht, dann spielte Karim Adeyemi den Ball per Hacke zum Gegner und ermöglichte so einen Unioner Gegenstoß.

Aber auch Terzic musste anerkennen, dass das neue System nicht das erhoffte Plus an Torchancen mit sich gebracht hatte. Und: "Wir hatten superviel Ballbesitz, meistens aber nur um die Mittellinie herum." Ähnlich sah es auch sein Keeper: "Nach der Systemumstellung hatten wir mehr Zugriff und waren auch gefährlicher", bilanzierte Kobel.

Deutlich flüssiger, wenn auch zunächst selten wirklich gefährlicher, präsentierte sich das Dortmunder Offensivspiel nach der Pause. Fraglich also, ob Terzic seine Dreierkette so schnell wieder aus der Mottenkiste holt.

BVB: Karim Adeyemi als Sinnbild der Krise

Allerdings wird er in selbiger weiter graben müssen. Denn spätestens nach der klaren Niederlage am Sonntag muss man beim BVB in der Liga von einer ausgewachsenen Krise sprechen: Vier Punkte holten die Schwarz-Gelben in den letzten fünf Spielen - und den gegen die Bayern ergatterte man erst in der 95. Minute. Ansonsten bleibt nur das knappe 1:0 gegen Abstiegskandidat Schalke 04.

Zwar sind bis auf Union immer noch alle vorderen Teams in Reichweite, selbst die Bayern sind nur drei Punkte weg. 16 Punkte nach zehn Spielen und eine negative Tordifferenz von 13:14 sollten aber zu denken geben. Das sind so viele Saisontore wie beim VfB Stuttgart, genau eines mehr als Hertha BSC und eines weniger als Bayer Leverkusen - also den Tabellenplätzen 14 bis 16. Es hakt im Dortmunder Offensivspiel an allen Ecken und Enden.

Verkörpert wird dieser Fakt nicht von einem einzelnen Spieler - siehe: Malen, Donyell. An diesem Abend war es vor allem Adeyemi, der das Dilemma im Sturm verdeutlichte. Dass man in Dortmund immer noch nach einer optimalen Rolle für den pfeilschnellen 20-Jährigen sucht, ist kein Geheimnis. Am besten aufgehoben wäre er womöglich als flexibler zweiter Stürmer neben einem klassischen Neuner wie Sébastien Haller, im 4-2-3-1 dagegen wird es für ihn schwer.

Gegen den FCU bot ihn Terzic erstmals als zentralen Stürmer neben Youssoufa Moukoko auf. Es blieb aber bei wenigen Kombinationen zwischen den beiden Jungstars, und angesichts der stotternden Offensive driftete Adeyemi auf der Suche nach dem Ball immer wieder auf den linken Flügel. Dort leistete er sich dann den fatalen Fehlpass, der zum 0:2 führte, war danach sichtlich verunsichert und blieb zur Pause in der Kabine.

Besonders bitter für Adeyemi: Per Hacke hatte er das Gegentor eingeleitet - nur wenige Tage, nachdem Mats Hummels den "sexy" Fußball seiner Teamkollegen öffentlich abgewatscht hatte. Vergleichsweise kurzangebunden reagierte er nach der Partie auf die obligatorische Nachfrage zur "Hacke-Spitze-Thematik": Nachvollziehen könne er die Kritik nicht - und schob den Schwarzen Peter weiter: "Wir haben eine andere Formation gespielt. Vielleicht lag es daran."

Als aufstrebender Nationalspieler hatte sich Adeyemi im Sommer für den BVB entschieden, dafür angeblich Hochkarätern wie dem FC Bayern und PSG abgesagt. Dass seine ersten Monate in Dortmund noch keine Erfolgsgeschichte darstellen, ist angesichts der nahenden WM gleich doppelt bitter: Im Juni und September hatte Hansi Flick auf ihn verzichtet. Sonderlich gut dürften seine Chancen auf eine WM-Teilnahme nicht mehr stehen.

Union Berlin: Auf dem Weg zum deutschen Leicester City?

So gedrückt die Stimmung beim BVB nach Spielende war, so euphorisch ging es bei Union Berlin zu. Siebter Sieg im zehnten Saisonspiel, mit nur sechs Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Vier Punkte Vorsprung auf Platz zwei, sechs auf die Europa-League-Plätze. "Wahnsinn. Wahnsinn. Was soll ich sonst sagen", jubelte Trainer Urs Fischer. Die Fans feierten schon, da war noch gar nicht abgepfiffen: "Deutscher Meister wird nur der FCU", schallte es in der 87. Minute über die Tribünen.

Locken lassen wollten sich die Protagonisten von derartigen "Träumereien" (Zitat Haberer) selbstverständlich nicht. Aber beim Anhang muss Träumen natürlich erlaubt sein: Wenn nicht jetzt, wann dann? Könnte Union Berlin tatsächlich zum "deutschen Leicester City" werden und wie die Foxes 2016 in England sensationell den Titel holen?

Angesichts dessen, was die Bayern in Normalform auf den Rasen bringen können, erscheint das natürlich utopisch. Aber in der aktuellen Form sollten die Eisernen bis zur vorgezogenen Winterpause mit dem Rekordmeister tabellarisch mit-, ja, ihn vielleicht sogar auf Distanz halten können. Selbst wenn das Restprogramm mit acht Spielen in vier Wochen knüppelhart daherkommt.

Aber danach ...? Wo andere Teams fast ihren kompletten Kader in die Wüste schicken, wird der FCU nur eine Handvoll Nationalspieler abstellen müssen. Auf die anderen warten über zwei Monate Pause - ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil.

Das allein macht Union natürlich nicht zum Meister, und selbst die Champions League wäre eine echte Sensation. Nur: Wenn man das Szenario für einen Sensationsmeister entwerfen müsste, dann würde es wohl so ähnlich aussehen. Die Bayern schauen nach zehn Titeln in Serie auf die Königsklasse, die restlichen Topklubs schwächeln. Und dann kommt auch noch eine WM mitten in der Saison daher und wirbelt alles durcheinander ...

Union Berlin: Das Restprogramm bis zur Winterpause

DatumGegnerWettbewerb
19. Oktober1. FC Heidenheim (H)DFB-Pokal
23. OktoberVfL Bochum (A)Bundesliga
27. OktoberSporting Braga (H)Europa League
30. OktoberBor. Mönchengladbach (H)Bundesliga
3. NovemberUnion Saint-Gilloise (A)Europa League
6. NovemberBayer Leverkusen (A)Bundesliga
9. NovemberFC Augsburg (H)Bundesliga
13. NovemberSC Freiburg (A)Bundesliga