BVB verpasst wohl die Champions League: Eine kommentierende Analyse zu Borussia Dortmund

Jochen Tittmar
05. April 202100:28
Der BVB hat gegen Frankfurt verloren.getty
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Nach der 1:2-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die kommende Champions-League-Saison erstmals seit 2015 ohne Beteiligung von Borussia Dortmund stattfinden wird. Eine kommentierende Analyse zu den Brennpunkten beim BVB. (Hier geht es zu den Spiel-Highlights)

BVB-Trainerwechsel verpufft - die Mannschaft ist zu schwach

Würde man die Fernsehbilder dieser Saison zusammenschneiden, die BVB-Sportdirektor Michael Zorc enttäuscht auf seinem Platz auf der Bank zeigen, hätte man mittlerweile ein ordentliches Potpourri an Szenen beisammen. Auch am Samstag bei der bitteren Pleite gegen Frankfurt sah man ihn hadern. Anschließend sagte er: "Wir haben uns das heute ganz anders vorgestellt. Ich habe eine bessere Leistung erwartet, als wir am Ende gebracht haben. Wir müssen eingestehen, dass die Leistung nicht so war, dass wir das Spiel hätten gewinnen müssen."

Dem Sportdirektor ist nicht zu widersprechen. Man konnte von der zweitteuersten Mannschaft der Liga schon häufiger in dieser Saison eine bessere Leistung erwarten, eigentlich ziemlich häufig sogar. Es liegt freilich eindeutig auch in Zorcs Verantwortungsbereich, dass man einen guten Monat vor Saisonende konstatieren muss: Das Team der Borussia ist zu schwach, um sich für die Champions League zu qualifizieren.

Dortmund steht mit zehn Niederlagen nach 27 Spielen da, beinahe 40 Prozent aller Begegnungen gingen verloren. Man muss nun nicht auf die direkte Konkurrenz aus Wolfsburg und Frankfurt schauen (je drei Pleiten), um festzuhalten, dass es mit einer derartigen Bilanz nicht für die Königsklasse reicht. In zehn Partien der Rückrunde holte man nur magere 14 Punkte.

BVB-Kader ist unausgegoren zusammengestellt

Damit ist der Trainerwechsel zu Edin Terzic endgültig verpufft, der zwar ergebnistechnisch ein kurzes Zwischenhoch mit nur einer Niederlage aus acht Pflichtspielen und dem Einzug ins Champions-League-Viertelfinale verbuchte. Einen fußballerischen Umschwung bekam er aber nicht hin. Tabellarisch hat dies die Auswirkung, dass Dortmund jetzt einen um fünf Punkte größeren Rückstand auf CL-Rang vier aufweist als bei der Entlassung von Lucien Favre im Dezember.

Dass auch Terzic nicht mehr aus der Truppe herausholen kann wie zuletzt Favre, lenkt den Fokus auf den Kader und somit wieder auf Zorc. Der BVB-Kader spiegelt die Wankelmütigkeit vieler Dortmunder Auftritte wider, denn er ist unausgegoren zusammengestellt.

Gerade gegen Mannschaften, die eine stabile oder erfolgreiche Saison spielen, zeigt sich, dass der BVB weniger Team als vielmehr eine Ansammlung potentiell guter Einzelspieler ist, der eine gemeinsame Struktur fehlt. Die Westfalen glänzen meist dann, wenn sich die hohe individuelle Qualität einzelner Spieler durchschlägt. Gemeinsam erarbeitete Teamerfolge, in der alle Mannschaftsteile harmonisch aufeinander abgestimmt sind und ein klarer Plan in Ballbesitz zu erkennen ist, sind eher Ausnahme statt Regelfall.

Formschwankungen durchziehen Dortmunds Saison

Zudem haben es weder Favre noch Terzic in der laufenden Spielzeit geschafft, die vielen Formschwankungen gerade der routinierten Akteure in den Griff zu bekommen. Dazu gesellen sich die in einem physisch ohnehin extrem anspruchsvollen Jahr absehbaren Leistungseinbrüche der zahlreichen Youngster, die in ihrem jungen Alter natürlich noch keine Konstanz über mehr als 30 Pflichtspiele auf den Rasen bekommen.

Und so kommt dann sehr viel Ungutes zusammen: Der BVB tauschte neben dem Trainer auch die langjährige Nummer eins im Tor aus, es fehlt ein zweiter stabiler Innenverteidiger neben Mats Hummels, die rechten und linken Außenverteidigerpositionen sind zu schlecht besetzt, Kapitän Marco Reus steht neben sich, es fehlt seit längerer Zeit ein zweiter Stürmer von Format und die Bank ist zu dünn und jung besetzt, um besonders in kritischen Situationen hilfreiche Impulse zu liefern.

Beim "Endspiel" um die Königsklasse versuchte man mit den Einwechslungen von Ansgar Knauff (zweites Bundesligaspiel), des bislang wenig produktiven Reinier und eines Giovanni Reyna in der Formkrise, den Sieg zu erreichen. Ein kreativer Spieler wie Julian Brandt stellte offensichtlich keine Option dar, neben ihm auf der Bank saßen drei gelernte Rechtsverteidiger. Neben dem desillusionierten Zorc wäre das ein weiteres geeignetes Sinnbild der Dortmunder Saison.

BVB-Torjäger Erling Haaland ist bei internationalen Topklubs sehr begehrt.getty

BVB: Die kommenden Partien von Borussia Dortmund

TerminWettbewerbGegnerHeim/Auswärts
06.04.2021Champions LeagueManchester CityA
10.04.2021BundesligaVfB StuttgartA
14.04.2021Champions LeagueManchester CityH
18.04.2021BundesligaWerder BremenH
21.04.2021Bundesliga1. FC Union BerlinH

BVB und die Auswirkungen der "Katastrophe"

Das Zitat hätte es zur Einschätzung der Lage nicht gebraucht, aus dem Mund von Hummels klingt es jedoch erfrischend ungeschönt: "Das Verpassen der Champions League wäre sportlich wie finanziell eine Katastrophe", sagte der Innenverteidiger am Samstag.

Sollte die CL erstmals seit 2015 ohne den BVB ausgetragen werden, muss der Gürtel enger geschnallt werden - auch wenn man von einem GAU noch deutlich entfernt ist. Die nächsten beiden Spielzeiten seien unabhängig vom Erreichen der Königsklasse bereits durchfinanziert, sagte Präsident Reinhard Rauball kürzlich.

Die Reserven werden aber weiter schmelzen. Schon im vergangenen Jahr wies Dortmund einen Verlust von 43,5 Millionen Euro aus. Die Prognose vom vergangenen September, wonach nun weitere 70 bis 75 Millionen hinzukommen werden, muss mit Vorsicht genossen werden.

Noch nicht miteingerechnet sind darin nämlich die 10,5 Millionen, die der BVB durch den Einzug ins Viertelfinale der Champions League bekommt. Auch das Abschneiden im DFB-Pokal, wo das Endspiel winkt, spült weiteres Geld in die Kassen. Problematisch ist allerdings, dass der Ausfall an Zuschauereinnahmen in der wahrscheinlich gesamten zweiten Saisonhälfte noch nicht in die damalige Prognose eingeflossen ist. Nicht unmöglich daher, dass Dortmund höhere Verluste als diese 75 Millionen ins Haus stehen werden.

BVB nahm Kredite für bis zu 120 Millionen Euro auf

Daher nahm der Verein "für zwei Jahre Kreditlinien bis zu 120 Millionen Euro" auf, wie Dortmunds Finanzgeschäftsführer Thomas Treß den Ruhr Nachrichten sagte. Zum Jahresende 2020 wurden davon 28 Millionen abgerufen. "Diese Summe wird weiter steigen, solang sich die Verlust-Situation fortsetzt", erklärte Treß.

Und sie wird sich fortsetzen, denn dass in den restlichen sechs Heimspielen Zuschauer zugelassen werden, dürfte als ausgeschlossen gelten. Rechnet man die rund drei bis vier Millionen Euro Verlust jedes Geister-Heimspiels mit ein, kämen alleine aus dieser Säule weitere mindestens 20 Millionen Euro hinzu.

Die Säule Sport würde mit einer Qualifikation zur Europa League, wenn also der aktuelle Rang fünf gehalten wird, ungefähr 30 Millionen Euro im Vergleich zur CL verlieren. Einfach auszurechnen daher, wie hier kompensiert werden kann.

Nur für Haaland und Sancho bekäme man wirklich viel Geld

Es passt ins Bild, sowohl in das sportliche wie auch finanzielle, dass die Vertreter von Erling Haaland in der vergangenen Woche schon einmal mit ihrer Europatournee begonnen haben. Im bestätigten Gespräch mit der BVB-Vereinsführung dürfte vorab der Mindestpreis festgelegt worden sein, für den Dortmund seinen enorm begehrten Torjäger bereits ein Jahr bevor eine Ausstiegsklausel im bis 2024 datierten Vertrag greift, gehen lassen würde. Und der liegt bei weit über 100 Millionen Euro.

Für Haaland würde Dortmund neben einem Verkauf von Jadon Sancho das meiste Geld bekommen. Bei vielen anderen Wackelkandidaten wie Brandt, Manuel Akanji, Mahmoud Dahoud oder Nico Schulz bekäme man zwar gewiss auch ein hübsches Sümmchen zusammen, aufgrund der schwachen Saison nicht nur dieser Spieler werden sich die wirklich werthaltigen Angebote aber in argen Grenzen halten. Zumal das Wissen der Konkurrenz um Dortmunds Situation auch ein Nachteil in Verhandlungen ist.

BVB benötigt Identität, Handschrift und neuen Geist

Wählt man einen optimistischeren Blick, ließe sich behaupten, dass die anstehenden Umwälzungen im Kader und der geringere finanzielle Spielraum den Boden für einen echten Neustart unter dem kommenden Trainer Marco Rose bereiten könnten - inklusive angepasster Erwartungshaltung.

Was das "neue" Dortmund vor allem braucht, ist neben einer übergeordneten sportlichen Identität und klaren fußballerischen Handschrift ein Geist, den im aktuellen Kader nur Spieler wie Haaland, Hummels und Emre Can verkörpern: einer der Wille, Aggressivität, Leidenschaft ausströmt.

Bekäme der BVB diese nicht unerheblichen Baustellen im kommenden Sommer so gut es geht geschlossen und hätte man sich wie 2015 vom Handelsblatt berichtet auch diesmal mit einer speziellen Versicherung gegen Einnahmeverluste in der CL abgesichert, ist der Blick nach vorne schon gar nicht mehr so düster. Doch auch hier müsste man Optimist sein.

BVB und die restliche Saison: Wie geht es jetzt weiter?

Es sind noch garantierte zehn Partien, die die Borussia bis zum Saisonschluss Ende Mai absolvieren muss - ein mögliches Pokalfinale und Weiterkommen in der Königsklasse nicht berücksichtigt.

Wichtiger ist zunächst jedoch der Alltag in der Liga. Vor allem da damit zu rechnen ist, dass Dortmund im CL-Viertelfinale gegen das bärenstarke Manchester City keine Chance haben wird.

Mit Leverkusen, Gladbach und womöglich auch Union Berlin sind drei weitere Teams im Kampf um den Einzug in die Europa League im Rennen. Das Restprogramm der Westfalen ist nicht ohne: Es geht noch nach Stuttgart, Wolfsburg und Mainz, zu Hause empfängt man Bremen, Union, Leipzig und Bayer.

In der Hinrunde kam man in diesen sieben Begegnungen auf zehn Punkte. Mit einer solchen Bilanz könnte es ziemlich eng werden, wenngleich auf die Werkself ähnlich anspruchsvolle Partien warten.

Die Saison des BVB ist bereits ein Armutszeugnis

Greifbar ist dank des Halbfinalgegners Holstein Kiel besonders der Titel im Pokal, es wäre der erste seit vier Jahren. Mit einem erfolgreichen Endspiel in Berlin, das an einem Donnerstag zwischen dem 32. und 33. Spieltag ausgetragen wird, könnte die Borussia die Wunden der Saison aber höchstens kurzzeitig überdecken - heilen würde es sie nicht.

Dafür hätte man durch das Verpassen der CL und die eventuellen Abgänge von Leistungsträgern zu viel Prestige verloren. Gerade im in den vergangenen Jahren immer wichtiger gewordenen internationalen Kontext.

Dortmund muss sich vielmehr für den Saisonendspurt noch einmal richtig gerade machen, damit das Jahr nicht noch ernüchternder und nur in den Europa-Conference-League-Play-offs oder schlimmer endet. Die schwankenden Leistungen der Mannschaft lassen ein solches Szenario nicht als unmöglich erscheinen.

Was jetzt schon klar ist: Bedenkt man speziell im Vergleich zu den Mannschaften, die in der Tabelle um den BVB herum platziert sind, wie groß Dortmunds finanzieller Vorsprung ihnen gegenüber ist, ist diese Spielzeit nichts als ein Armutszeugnis.

BVB und der Kampf um Europa: Die Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
4.Eintracht Frankfurt2755:371850
5.Borussia Dortmund2755:391643
6.Bayer Leverkusen2745:321343
7.Borussia M'gladbach2746:41539
8.1. FC Union Berlin2640:32838
9.SC Freiburg2740:41-137
10.VfB Stuttgart2647:41636