Fußballschule in Abidjan: Geburt einer Legende

Stefan Moser
18. November 200916:32
Die halbe Mannschaft der Elfenbeinküste entstammt dem Fußball-Internat in AbidjanGetty
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In Gelsenkirchen empfing die deutsche Nationalmannschaft die Elfenbeinküste zum letzten Testspiel im Jahr 2009. Damit gastierte eine der inzwischen stärksten Mannschaften Afrikas in der Arena auf Schalke. Der Aufstieg der Ivorer begann mit einem legendären Spiel.

Am Morgen des 7. Februars 1999 sorgte ein einfacher Spielberichtsbogen für einen handfesten Skandal. Doch in der brütenden Hitze des Nachmittags wurde schließlich eine moderne Fußballlegende geboren.

Es ist der Tag des afrikanischen Supercups, ASEC Abidjan empfängt den haushohen Favoriten Esperance Tunis. Soweit nichts wirklich Ungewöhnliches. Bis bekannt wird, dass der exzentrische ASEC-Präsident mal wieder seinem Ruf gerecht wird: Roger Ouegnin schickt nicht die erste Mannschaft ins Spiel, sondern eine Gruppe von 17- und 18-Jährigen.

Fünf Jahre zuvor hatte der schillernde Chef des größten und populärsten Klubs der Elfenbeinküste seine Vision einer Jugendakademie Wirklichkeit werden lassen. Unter der Schirmherrschaft des ehemaligen französischen Nationalspielers Jean-Marc Guillou entstand in Abidjan eine der größten Fußballschulen Afrikas.

"Das ist eine Schande!"

Und nun sollte der erste Jahrgang plötzlich um einen Titel spielen. Ausgerechnet gegen Esperance - immerhin der "FC Bayern Tunesiens". Die ASEC-Fans reagierten fassungslos und wütend. Auch der Gegner fühlte sich beleidigt. "Es ist eine Schande, dass wir gegen Kinder spielen müssen", echauffierte sich Tunis-Präsident Slim Chiboub kurz vor dem Anpfiff.

Wenige Minuten später lag sein Team dann schon mit 0:1 zurück. Die Teenager-Truppe überrumpelte die gestandenen Profis mit unerschrockenem Offensivfußball, technischer Überlegenheit und taktischer Disziplin. Erst kurz vor Schluss konnten die Tunesier dank eines umstrittenen Elfmeters ausgleichen.

Der Wendepunkt vieler Karrieren

Doch in der Verlängerung traf der eingewechselte Aruna Dindane endgültig zum Sieg für die Akademie-Zöglinge. Eine Legende war geboren: Für viele Afrikaner beginnt an diesem Tag der Aufstieg der Elfenbeinküste zur stärksten Fußballnation des Kontinents.

Für die Spieler jedenfalls war der 7. Februar in der Tat der Wendepunkt ihrer Karriere. Denn wenig später spielten die meisten von ihnen für viel Geld im Ausland. Neben Dindane setzten sich unter anderem Didier Zokora, Gilles Yapi Yapo und Kolo Toure bei europäischen Topteams durch.

"Viele verdanken ihren Weg der Akademie"

Und kaum einer dieser Absolventen lässt eine Gelegenheit aus, sich bei Jean-Marc Guillou, dem Gründer und Trainer der Fußballschule, zu bedanken. "Wir haben im Moment unsere Goldene Generation des Fußballs", sagt etwa der heutige ManCity-Star Kolo Toure, "und viele verdanken ihren Weg der Akademie in Abidjan."

Tatsächlich riss der Strom der Talente aus dem Internat nicht ab. Mehr als die Hälfte des aktuellen Kaders der Nationalmannschaft wurde von Guillou entdeckt und ausgebildet. Neben den Helden von 1999 noch weitere bekannte Namen wie Yaya Toure, Kolos Bruder, der beim FC Barcelona sein Geld verdient; oder Salomon Kalou (FC Chelsea), Emmanuel Eboue (FC Arsenal) und Arthur Boka (VfB Stuttgart).

Monsieur Guillou beschimpft die Trainer

Monsieur Guillou ist sich dieser Leistung übrigens durchaus bewusst, er spricht gerne und oft darüber. Vor allem, wenn er die Unfähigkeit des jeweiligen Nationaltrainers beklagt. So sei Vahid Halilhodzic derzeit der "inkompetenteste Trainer, den die Ivorer je hatten". Er hat sich zwar gerade erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Landes für eine WM qualifiziert, "aber das doch nur aufgrund der individuellen Extraklasse der einzelnen Spieler." In Klammern: Die ich ausgebildet und entdeckt habe.

Immer wieder veranstaltete Guillou dafür Talentwettbewerbe, auch in den ärmsten Gegenden von Abidjan, pickte sich die vielversprechendsten Talente heraus und holte sie in seine Akademie. "Als Straßenfußballer waren sie die besten", sagt der heute 63-Jährige, "alles, was sie für ihr späteres Leben als Profifußballer brauchen, lernen sie in der Akademie."

Französische Spielkultur und Disziplin

Fußballerisch baute er dabei vor allem auf die französische Kurzpasskultur und individuelle Technikschulung. Menschlich verlangte er vor allem "Fairness, Ehrlichkeit, gegenseitigen Respekt und Disziplin".

Zweimal täglich müssen die Eleven zum Training - und zwischendurch die Schulbank drücken. Mathematik steht auf dem Lehrplan und vor allem die Sprachen: Französisch und Englisch. Guillous einfaches Argument: "Wer später einen Vertrag unterschreibt, muss schließlich wissen, was drin steckt."

Ein zynischer Markt

Denn letztlich ist die Akademie auch ein Geschäftsmodell. Die größten Talente des Landes werden gesammelt und ausgebildet - um sie später gewinnbringend ins Ausland zu verkaufen. Natürlich profitieren Männer wie Guillou, der übrigens auch Schulen in Bangkok und Madagaskar betreibt, dabei auch von der Armut und Unerfahrenheit der Bevölkerung; und natürlich ist die Idee dieses Marktes im Kern zynisch.

Immerhin aber bemüht sich der Franzose um seriöse Beziehungen. Wo gerade junge Talente aus Afrika immer noch über dubiose Vermittler und dunkle Kanäle nach Europa kommen und dort nicht selten stranden und alleine gelassen werden, verfügt Guillou über ein professionelles und gut organisiertes Netzwerk, in dem die Spieler betreut und integriert werden.

Der enge Kontakt mit Arsene Wenger

So kooperiert die Fußballschule in Abidjan mit etlichen Profivereinen, vor allem in Frankreich und Belgien. Der SK Beveren, wo Guillou mittlerweile Manager ist, zum Beispiel hatte teilweise bis zu zehn Ivorer im Kader. Und wer sich dort durchsetzt, darf von einer Karriere bei den großen europäischen Klubs träumen.

Arthur Boka, Yaya Toure und Emmanuel Eboue etwa gingen genau diesen Weg.

Dass Letztgenannter (wie zuvor schon Kolo Toure) beim FC Arsenal landete, ist ebenfalls kein Zufall.

Auch zu seinem Landsmann Arsene Wenger pflegt Guillou seit Jahren einen engen Kontakt.

Kolo Toure im Steckbrief