Newcastle United: Wie lange ist die Vernunft noch sexy für die Saudis?

Fatih Demireli
04. Juli 202214:57
SPOXgetty
Werbung

Newcastle United hat den reichsten Investor der Welt, doch die sportliche Führung setzt auf nachhaltige Arbeit und hat nun den Mann geholt, der für den Aufschwung des englischen Fußballs in den letzten Jahren verantwortlich ist. Dan Ashworth soll Newcastle United neu erfinden, doch die Geldgeber aus Saudi-Arabien bauen ihre Macht immer mehr aus und könnten bald Ergebnisse fordern.

Dan Ashworth liebt Fußball. Wenn er sich vom Fußball erholen will, guckt er Fußball. Es kommt auch vor, dass er in einem Stadion sitzt und auf seinem Handy noch ein anderes Spiel verfolgt. In der Times erzählte er mal, dass er bei einem Scouting-Einsatz in einem deutschen Stadion laut gejubelt habe, weil Peter Odemwingie - ein Neuzugang von West Bromwich Albion, den er damals eintütete - zeitgleich gerade das 1:0 gegen Sunderland erzielt hatte.

"Ich stand auf und schrie 'Yes!' Die Menschen um mich herum müssen gedacht haben, dass ich verrückt geworden bin", erinnert sich Ashworth. Fußballverrückt ist er, das kann man so festhalten. Im Juni sah er sich das U21-EM-Qualifikationsspiel zwischen Wales und Niederlande an. Wobei, das ergab sogar Sinn.

Sohn Zac ist neuerdings ein Teil der walisischen Juniorenauswahl, kam gegen die Jong Oranje aber nicht zum Einsatz. Für Papa Dan nicht weiter schlimm, da er ein Fußballspiel gucken durfte und zum anderen nebenbei noch den Spieler beobachten konnte, den er bald als Neuzugang von Newcastle United vorstellen durfte: Sven Botman.

Dem OSC Lille hat Newcastle 37 Millionen Euro überwiesen und wird noch etwas nachschieben, wenn gewisse Bonusklauseln erfüllt werden. Ein letztes Mal überzeugt werden musste Ashworth von Botman nicht - er weiß schon längst, dass der Defensivkünstler ein hochkarätiger Spieler ist, für den es sich lohnt, viel Geld auszugeben.

Newcastle United: Fans fordern Neymar, Ronaldo und Co.

Bei den Anhängern von Newcastle United kam der Transfer Botmans gut an. Seit Wochen meckerten sie in den sozialen Medien, warum der Klub nicht endlich auf dem Transfermarkt zuschlägt und warum sich keines dieser Gerüchte um Neymar, Ronaldo, Robert Lewandowski und Co. endlich bewahrheitet.

Für sie ist die Rechnung einfach: Seit der Übernahme des Klubs im Oktober 2021 durch den Saudi Arabia Public Investment Fund, dessen Vermögen auf über 430 Milliarden Euro taxiert wird, hat der Klub den mit Abstand reichsten Investor der Welt. Sprich: Wenn so viel Geld da ist, muss ja auch viel Geld fließen.

Auch wenn der englische Gossip oft vermuten lässt, dass Newcastle an den ganz großen Deals arbeitet und bald einen Star nach dem anderen in den Nordosten Englands holt, schaut die Strategie der sportlichen Führung anders aus. Allein schon die Bestimmung des Sportdirektors lässt erkennen, wohin es gehen soll.

Newcastle verpflichtete etwa keinen Leonardo wie PSG, der aufgrund seiner illustren Vita, seinem Netzwerk aus vielen Top-Stationen wie Milan, Inter, PSG und Co. und seiner Sprachtalente einen präsentablen Frühstücksdirektor darstellte. Die neue Führung legte sich bereits früh auf den fußballverrückten Zeitgenossen Dan Ashworth fest und nahm es sogar in Kauf, sechs Monate lang auf ihn zu warten, weil er von Brighton & Hove Albion die sofortige Freigabe nicht bekam und sich selbst die Premier League querstellte.

Neuer Boss: Dan Ashworth erschuf die "England DNA"

Die Geduld brachte man auf, weil Ashworth ein Experte dafür ist, als Entwicklungshelfer nachhaltig zu wirken und Ergebnisse zu erzielen. Nachdem er bei West Bromwich mit einer starken Kaderplanung Achtungserfolge erzielte, wurde er 2013 vom englischen Verband als Leiter für Entwicklung verpflichtet.

In seinem stillen Kämmerlein erarbeitete sich Ashworth einen großartigen Ruf in der Szene. An der nachweislichen Entwicklung des englischen Fußballs in den letzten Jahren sowohl im Senioren- als auch im Juniorenbereich hatte er großen Einfluss.

Als der englische Verband das neue Konzept "England DNA" ins Leben rief, stellte man es unter seine Leitung. Es sollte definiert werden, wie englische Nationalmannschaften spielen sollen. Dabei wurden auch alte Traditionen aufgebrochen und Ashworth hatte keinen falschen Stolz, als er offen zugab, dass man sich die Gegebenheiten in sechs europäischen und zwei südamerikanischen Fußball-Ländern anschauen wird.

Wie bilden sie aus? Wie fördern sie die Jugend? Wie sieht ihre taktische Entwicklung aus? Ashworth sah sich alles an und kam zum Ergebnis, dass man einen eigenen Stil entwickeln muss - und dass möglichst alle Altersklassen das gleiche System spielen. "Das, was sich für die Spieler ändern soll, soll nur die Trikotgröße sein", sagte er damals.

"Alles, was wir getan haben, war darauf ausgerichtet, Fußball-England glauben zu lassen, dass man gewinnen kann", erzählte Ashworth bei The Coaches' Voice. "Die Idee war, eine englische DNA zu schaffen."

Training, Spielgeschehen, Belastung, medizinische Betreuung, Ernährung - alles wurde auf den Kopf gestellt und auf eine englische Art und Weise definiert. Das Ergebnis auf Senioren-Ebene: WM-Halbfinale 2018, EM-Finale 2020, ein deutlich größerer Spielerpool bis in die Jugendklassen.

SPOXimago images

Newcastle United hat kein eigenes Fitnessstudio

Nun soll Ashworth auch aus Newcastle United eine Eliteeinrichtung machen, doch vor dem 51-Jährigen steht unfassbar viel Arbeit. Die Infrastruktur beim Traditionsklub hat gelinde ausgedrückt kein Premier-League-Format. Die Spieler gehen in ein Fitnessstudio in der Nachbarschaft, wenn eine Einheit ansteht, weil man selbst keines hat. Selbst Kühlbecken, die längst überall gängig sind und in die Spieler für eine bessere Regeneration steigen, fehlen.

Ashworth muss also an der Basis anfangen und die Möglichkeiten, die der Klub nun hat, auch für die Infrastruktur nutzen. Trainer Eddie Howe soll beim Antrittsbesuch in Saudi-Arabien schon im Winter die Mängel deutlich angesprochen und die Verbesserung der Umstände als wichtigsten Schritt dargestellt haben. Howe fand Gehör und schon damals wurden die Vorbereitungen getroffen. Vor allem die bürokratischen Schritte.

Denn der Klub hat inzwischen eine Genehmigung bekommen, dass man das Trainingszentrum in Benton auch ausbauen darf. Das schien lange gar nicht so klar, weil 25 Auflagen erfüllt werden mussten, bevor es grünes Licht gab. So musste auch gewährleistet sein, dass man außerhalb der Brutzeit der Vögel zwischen März und August baut. Nun sollen bis zum Saisonstart im August viele Maßnahmen schon umgesetzt werden.

"Er wird es schaffen, dass sich alles verändern wird", sagt David Faulkner, der bei den Olympischen Spielen 1988 Hockey-Gold mit Großbritannien gewann und mit Ashworth bei der FA eng zusammenarbeitete. Faulkner, der für die Frauen-Abteilung zuständig war, weiß, wovon er spricht: "Er wird sich alle Bereiche ansehen. Der St. George's Park (Englands Trainingszentrum, Anm. d. Red.) trägt vollkommen die Handschrift von Dan: Die Qualität der Anlage, die Qualität des Fitnessstudios, die Qualität der Fachleute, die dort arbeiten und die Spieler unterstützen."

Die fixen Transfers von Newcastle United im Überblick

ZugängeAbgänge
Sven Botman (OSC Lille, 37 Mio. EuroFreddie Woodmann (Preston NE, ablösefrei)
Nick Pope (Burnley, 15 Mio. Euro)Isaac Hayden (Norwich City, Leihe)
Matt Targett (A Villa, 17,5 Mio. Euro)

Newcastle United: Kein Nachgeben beim BVB-Wunschspieler

Ashworth arbeitete damals tatsächlich an den kleinsten Details und auch in Newcastle erkannte er, dass es in Benton kaum Bereiche gibt, in denen sich die Spieler außerhalb des Trainings austauschen können. Daher wurde nun offenbar auch der Ausbau eines Freizeitbereichs in Auftrag gegeben - auch der Speisesaal wird vergrößert.

In Newcastle wird es nun wichtig sein, dass sich die Spieler unterhalten und kennenlernen können, denn das Mannschaftsbild verändert sich. Zwar wurden in Botman, in Torhüter Nick Pope, der von Absteiger Burnley für rund 15 Millionen Euro kam, und Matt Targett (17,5 Millionen Euro von Aston Villa) erst drei Spieler im Sommer verpflichtet, aber dabei wird es nicht bleiben.

Verstärkt werden soll noch die Offensive, nachdem Newcastle nun über zwei Transferperioden vor allem das Gesicht der wackeligen Defensive veränderte. Dass Ashworth diesen Weg mit Pope und Botman fortgesetzt hat, spricht auch durchaus für die sportliche Vernunft, die es in Newcastle (noch) gibt. Es wurden keine Stars verpflichtet, um der Welt zu zeigen, wie ernst sie es meinen und vor allem wie viel Kohle man hat, sondern zunächst das Fundament gestärkt.

Auch beim Transfer von Hugo Ekitike, an dem auch Borussia Dortmund lange Zeit interessiert war, will Newcastle nicht jeden Wunsch der anderen beiden Seiten erfüllen. Eine Einigung mit Stade Reims soll es längst geben, aber da die Berater des Spielers zu hohe Forderungen haben, befasst sich Newcastle inzwischen mit Alternativen. Es ist keine Was-kostet-die-Welt-Mentalität zu spüren.

Sportswashing in Newcastle: Der Vorwurf bleibt bestehen

Spannend wird dennoch zu beobachten sein, wie lange die saudischen Investoren, die mit ihrem Anteil von 80 Prozent das Sagen haben, diese Vernunft sexy finden. Der Vorwurf von Sportswashing stand schon, als der Deal in der 1,5 Jahre andauernden Verhandlungsphase noch gar nicht unterzeichnet wurde. Der Vorwurf bleibt bestehen.

Es geht um den Versuch, mit Hilfe des Sports das eigene (ramponierte) Ansehen aufzupolieren. So wie es Katar schon seit Jahren im Fußball aber auch in vielen anderen Sportarten macht. So wie es die Vereinigten Arabischen Emirate bei Manchester City probieren. Nun also Saudi-Arabien in Newcastle. Die Kosten dafür nehmen sie gerne in Kauf.

Auch wenn der Aufschrei in vielen Teilen der Welt nach wie vor groß ist, dass man von Ländern finanziert wird, die Menschenrechte nachhaltig verletzen, in denen Frauen nachweislich benachteiligt werden und Homosexuelle gar keine Rechte haben, setzen sie ihr teures Spiel fort. Paris Saint-Germain ist längst zu einer Trendmarke im Sport geworden.

Auch in England hieß es, dass es Ablehnung von Seiten vieler Newcastle-Fans gibt. Wo diese Anhänger sind, weiß man bis heute nicht. So ist es offenbar auch kein Problem, dass das Ausweichtrikot Newcastles verblüffende Ähnlichkeit zum Nationaltrikot von Saudi-Arabien hat. Offenbar verkauft sich das grün-weiße Trikot sogar schon richtig gut.

Newcastle United: Dient Manchester City als Beispiel?

Und die Macht der Saudis wird immer größer. Auch wenn Amanda Staveley, Mehrdad Ghodoussi und Jamie Reuben, die 20 Prozent der Anteile halten, die Gesichter für die Öffentlichkeit sind und den vernünftigen Part der Führung spielen, gibt es keine größere Entscheidung ohne das Okay aus Saudi-Arabien. Vor allem Yasir Al-Rumayyan, dem Vorsitzenden des Fonds, hinter dem das Investment steckt, hat den Hut auf. Im Mai wurde nun sein Landsmann Majed Al Sorour in den Vorstand Newcastles berufen.

Al Sorour ist Geschäftsführer des saudischen Golfverbands und hatte einen entscheidenden Einfluss an der Gründung von LIV Golf, der neuen Golfserie, die den etablierten Touren in den USA und Europa gehörig Konkurrenz macht und die Golf-Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Eine Art Super League im Golf.

Die Golf-Stars, die sich dem Geld aus der Wüste gefügig machen, wurden von der PGA Tour in den USA ausgeschlossen. Von der DP World Tour wurden Martin Kaymer und Co. ebenfalls für große Turniere wie die Scottish Open gesperrt und mit Geldstrafen belegt - es ist ein richtiger "Golf-Krieg" entbrannt. Und Sportswashing geht also weiter.

Kurze Zeit nach Al Sorours Ernennung verkündete Newcastle United auch einen Sponsoren-Deal mit noon.com. Eine Art Amazon der Region. Das Unternehmen hat nicht nur seinen Sitz in der saudischen Hauptstadt Riad - der wichtigste Investor ist - genau - der Saudi Arabia Public Investment Fund. Es scheint wie der Versuch, über Umwege noch mehr Geld in den Klub zu pumpen. Für den Fond ist es lediglich eine Umbuchung.

Geld, das auf Dauer ansehnlich Erfolge bringen soll und ob Dan Ashworth, Eddie Howe und Co. wirklich Gehör finden, wenn sie in ein paar Monaten von nachhaltiger Entwicklung sprechen und zeigen, wie toll der Freizeitbereich im umgebauten Trainingszentrum geworden ist, damit sich die Spieler besser kennenlernen, wird man sehen.

Vielleicht nimmt man sich ein Beispiel an Manchester City, bei der die handelnden Personen im Hintergrund tatsächlich viel Zeit bekamen und aus dem Klub gemeinsam mit dem FC Liverpool zur größten Nummer der Premier League gemacht haben.

Schon in der vergangenen Rückserie holte Newcastle United unter Eddie Howe 38 Punkte und landete damit auf Platz drei der Rückrunden-Tabelle hinter Liverpool und ManCity. Ein Achtungserfolg für einen Fast-Absteiger, mit dem keiner gerechnet hatte. Irgendwann wird es aber mehr brauchen, dass nicht nur Ashworth, sondern auch die saudischen Bosse "Yes!" schreien.