Niklas Süle wechselt vom FC Bayern zu Borussia Dortmund: Der Transfer aus drei Perspektiven

Christian Guinin
08. Februar 202209:04
Niklas Süle wechselt im Sommer nach Dortmund.imago images
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Im kommenden Sommer wird Niklas Süle den FC Bayern verlassen und sich Liga-Konkurrent Borussia Dortmund anschließen. Warum hat sich der Innenverteidiger zu diesem Schritt entschieden? Was bedeutet das für den BVB? Und wie geht der FC Bayern mit diesem Abgang um? Der Süle-Wechsel aus drei Perspektiven.

Niklas Süle: Die Perspektive des BVB

Für die Dortmunder darf die Verpflichtung des 26-Jährigen als echter Transfercoup bezeichnet werden. Mit Süle stößt ein mehr als solider Innenverteidiger zu den Schwarz-Gelben, der sich im besten Fußball-Alter befindet und noch einige Jahre auf höchstem Niveau performen kann.

Auch bei den Bayern gehörte er in dieser Spielzeit meist zum Stammpersonal, lediglich Ende November musste er wegen einer Corona-Erkrankung etwas kürzer treten. Abgesehen davon liest sich die Statistik des 26-Jährigen ordentlich: In 30 möglichen Pflichtspielen 2021/22 stand Süle 26-mal auf dem Platz. Dabei stach er auch teils namhafte Konkurrenten wie Dayot Upamecano oder Lucas Hernandez aus, für die die Bayern zwischen 2019 und 2021 über 120 Millionen Euro auf den Tisch gelegt hatten.

"Wir freuen uns, dass wir in Niklas Süle einen deutschen Nationalspieler ablösefrei verpflichten und für vier Jahre an uns binden konnten", kommentierte BVB-Lizenzspielerleiter Sebastian Kehl die Verpflichtung. "Niklas hat uns in den persönlichen Gesprächen gezeigt, dass er große Lust auf Borussia Dortmund hat. Er verfügt über viel Erfahrung, Ruhe im Aufbauspiel und über die nötige Physis, um ab dem Sommer gemeinsam mit uns den nächsten Schritt zu gehen."

Süle soll in Dortmund - wahlweise neben Mats Hummels, den er bereits aus der gemeinsamen Zeit bei den Bayern zwischen 2017 und 2019 kennt, oder Manuel Akanji - die hier und da schwächelnde BVB-Hintermannschaft auf Vordermann bringen. In der laufenden Spielzeit ist die Defensive das große Problem der Schwarz-Gelben: In 21 Bundesliga-Partien kassierte man stolze 36 Gegentore, nur Greuther Fürth, der VfB Stuttgart, Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach sind diesbezüglich schlechter.

Süle: BVB erlaubt sich Seitenhieb

Ein weiterer Pluspunkt: Der Nationalspieler ist ablösefrei, reißt also kein allzu großes Loch in die, durch das Coronavirus und fehlenden Zuschauereinnahmen, strapazierte BVB-Kasse. Lediglich den Gehaltsforderungen werden die Dortmunder nachkommen müssen. Bei den Schwarz-Gelben wird Süle ohne Frage in einer Riege mit Marco Reus (ca. 12 Mio. Euro jährlich) und Mats Hummels (ca. 10 Mio. Euro jährlich) zu den Top-Verdiener des Klubs gehören.

Leisten kann sich der BVB das durch den sich anbahnenden Abgang von Axel Witsel, dessen Vertrag im Sommer ausläuft und der in den Planungen von BVB-Coach Rose keine Rolle mehr spielt. Der Belgier kassiert bei den Dortmundern ein Salär von etwa 8 Millionen Euro pro Jahr, damit soll künftig das Süle-Gehalt finanziert werden.

Neben Witsel könnte auch Akanji den Klub verlassen. Derzeit mehren sich die Gerüchte, dass der Schweizer seinen Vertrag (2023) nicht erfüllt und den Verein verlassen könnte. Leihgabe Marin Pongracic wird wohl zum VfL Wolfsburg zurückkehren. Seit seinem denkwürdigen Interview ist er nahezu außen vor.

Doch nicht nur aus sportlicher Sicht ist Süle für den BVB ein Top-Transfer. Er ist auch eine Ansage an den FC Bayern, in den kommenden Jahren Paroli bieten zu wollen. Wechsel von Top-Spielern aus Dortmund zum FCB gab es in den vergangenen Jahren zuhauf (Lewandowski, Hummels, Götze, etc.), der Süle-Transfer stellt in dieser Hinsicht also ein gewisses Novum da. Frei nach dem Motto: Wir wollen mehr als nur die zweite Geige im deutschen Fußball sein.

Demensprechend konnten sich die Dortmunder mutmaßlich auch einen kleinen Seitenhieb in Richtung München nicht verkneifen. "In der aktuellen Saison ist er bei seinem Klub der Abwehrspieler mit den meisten Einsätzen in der Bundesliga (19)", betonte man in der Pressemitteilung.

Niklas Süle: Die Perspektive der Bayern

Mit dem Abgang von Süle verlieren die Münchner zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit einen ihrer Defensiv-Stars ablösefrei an einen anderen Klub. Ähnlich wie bei David Alaba, der sich im vergangenen Sommer seinen Traum vom Engagement bei Real Madrid verwirklichte, hätten die Bayern auch mit dem Nationalspieler gerne über 2022 hinaus verlängert, letztlich lehnte der Spieler die Angebote zur Vertragsverlängerung aber allesamt ab.

Nach Darstellung des deutschen Rekordmeisters hätten die gescheiterten Gespräche vor allem an Differenzen über das finanzielle Paket gelegen. Sprich: Süle wollte mehr Geld, welches die Bayern nicht bereit waren zu zahlen. "Es gibt bestimmte Limitierungen, über die wir nicht hinweggehen wollen. Wir haben nicht nur Verantwortung für den sportlichen, sondern auch den wirtschaftlichen Bereich", sagte Bayern-Boss Oliver Kahn zuletzt. Dem Vernehmen nach soll die Grenze bei 10 Millionen Euro gelegen haben, dieses Angebot stimmte Süle aber offenbar nicht zufrieden.

Süle-Berater Volker Struth stellte das im Sport1-Doppelpass allerdings etwas anders dar: "Wir haben nie verhandelt. Es gab eine mündliche Richtung, es gab einen Ansatz. Wir haben uns getroffen, haben darüber geredet und ich habe damals signalisiert, dass der Spieler in Gedanken ist, ob er grundsätzlich verlängern möchte. Da ging es gar nicht ums Geld."

Trainer Julian Nagelsmann ließ zuletzt immer wieder durchblicken, dass er Süle gerne behalten hätte, auch Manuel Neuer brach am vergangenen Wochenende beim 3:2-Sieg gegen RB Leipzig eine Lanze für seinen Teamkollegen. "Uns alle nervt, dass der Niklas geht, er wird uns fehlen", so Neuer.

Süle: Wird Chelseas Christensen der Nachfolger?

Dennoch: So gerne man den Vertrag unter den gegebenen Umständen verlängert hätte, so sehr ist ein Abgang Süles sportlich kompensierbar. Mit Dayot Upamecano, Lucas Hernandez und Benjamin Pavard steht mehr als gleichwertiger Ersatz bereits im Kader, zudem werden die Bayern im kommenden Sommer aller Voraussicht nach auf dem Transfermarkt aktiv werden.

Nach Informationen von SPOX und GOAL bemühen sich die Bayern bereits um einen Transfer von Andreas Christensen. Der Innenverteidiger steht noch bis zum Saisonende beim FC Chelsea unter Vertrag, dann ist auch er ablösefrei.

Bei der Münchner Führung steht der 25-jährige dem Vernehmen nach hoch im Kurs. Außerdem soll er laut Bild-Infos nicht viel mehr verlangen als das, was die Bayern Süle bereit gewesen wären zu zahlen: 10 Millionen Euro jährlich.

Niklas Süle: Die Perspektive des Spielers

Entgegen der Darstellung der Bayern, wonach es bei den gescheiterten Verhandlungen primär ums Geld gegangen wäre, behauptete Süle-Berater Volker Struth, dass dem Nationalspieler beim FCB vor allem die Wertschätzung seiner Person gefehlt habe. "Es ist bei Niklas das Thema, dass er sich nicht genügend wertgeschätzt fühlt, verriet Struth.

Vor allem Aussagen, wie sie Bayerns Ex-Vorstands-Boss Karl-Heinz Rummenigge kürzlich tätigte, hätten den Ausschlag hin zu einem Wechsel gegeben. Rummenigge hatte dem Innenverteidiger in einem Sky-Interview vorgeworfen, dass er sich in seiner Zeit bei den Münchnern "auf seiner Position nie richtig durchgesetzt" habe. Für ihn sei Süle deshalb lediglich ein "brauchbarer Spieler". Wenn man die besten Spieler der Mannschaft aufstellen würde, so der frühere Bayern-Boss weiter, wäre "Niklas Süle im Moment nicht dabei".

Zudem hätte sich Süle laut Struth vor allem während seines schweren Kreuzbandrisses zwischen Oktober 2019 und April 2020 mehr Rückendeckung der Bayern-Bosse in Form eines neuen Vertragsangebot gewünscht. Auch bei der Diskussion um seinen Fitnesszustand hätte sich der 26-Jährige vom Verein allein gelassen gefühlt.

Diese Art von fehlender Wertschätzung wird es beim BVB für Süle aller Voraussicht nach nicht geben. Das habe er "von der ersten Kontaktaufnahme an sofort gespürt, dass die Verantwortlichen des Vereins ganz große Lust darauf haben, mit mir zu arbeiten", sagte der Verteidiger der Bild-Zeitung. Bei den Dortmundern würde Süle wohl sofort zum engeren Kreis der Stammspieler aufsteigen und neben Mats Hummels oder Manuel Akanji das neue Herz der schwarz-gelben Defensive bilden.

Könnte der Nachfolger von Niklas Süle beim FCB werden: Chelseas Andreas Christensen.getty

Süle: Wertschätzung wichtiger als Titel

Diese Aussicht auf einen unumstrittenen Stammplatz sowie die nötige Wertschätzung innerhalb des Vereins scheinen dem 26-Jährigen insgesamt wichtiger gewesen zu sein, wie auch Berater Struth unterstrich: Süle hatte demnach wohl auch "andere Optionen, auch welche, bei denen er mehr Geld verdient hätte. Aber er hat sich sehr zeitnah nach der ersten Kontaktaufnahme für diesen Verein entschieden", sagte Struth der Bild. Nach Informationen des italienischen Transferexperten Fabrizio Romano handelte es sich dabei um drei konkrete Angebote aus der Serie A und Premier League. "Es hat mir imponiert, wie konsequent er mit dieser Entscheidung umgegangen ist", führte Struth weiter aus.

Dennoch: Süle hatte zuvor auch mal mit einem Wechsel ins Ausland geliebäugelt. Nach Informationen von Sport1 machten aber weder der FC Chelsea noch der FC Barcelona wirklich ernsthafte Anstalten, eine Verpflichtung Süles zu forcieren. Dagegen habe Süle ein Angebot des neureichen Scheich-Klubs Newcastle United nicht interessant genug gefunden.

Aus rein sportlicher Sicht ist der Wechsel nach Dortmund - das muss man klar festhalten - ein Rückschritt. Zwar würde der Innenverteidiger mit regelmäßigen Einsätzen auf Top-Niveau wieder in den Fokus der Nationalmannschaft rücken (dort hatten während der EM Antonio Rüdiger und Matthias Ginter den Vorzug bekommen), in Sachen Titel sähe es mit dem BVB aber düster aus.

Abgesehen von zwei Triumphen im DFB Pokal 2017 und 2021 wartet Dortmund seit der Double-Saison von 2012 auf den ganz großen Coup. In der Meisterschaft haben die Bayern seit fast mittlerweile zehn Jahren die Oberhand, im internationalen Geschäft kam der BVB zuletzt nicht mehr über das Champions-League-Viertelfinale hinaus.

Das alles scheint in Süles Entscheidung aber keine Rolle gespielt zu haben. "Ich hatte das Gefühl, als Mensch und als Fußballer gewollt zu werden", gab es vom 26-Jährigen noch einen kleinen Seitenhieb gegen seinen Noch-Arbeitgeber. "Die Art und Weise, wie sie sich um mich bemüht haben, hat mir imponiert, so dass ich schnell wusste, wo ich künftig spielen werde."