Oliver Kahn gehörte in seiner aktiven Zeit zu den besten Torhütern der Welt und holte mit dem FC Bayern München viele große Titel, darunter 2001 die Champions League und den Weltpokal. Im Interview mit SPOX spricht der 40-Jährige über seine Nachfolger im DFB-Tor und Michael Rensing und äußert sich kritisch zur Aufweichung der 50+1-Regel.
SPOX: Herr Kahn, Sie sind als TV-Experte und mit der "Ich Schaffs-Tour" zurzeit viel unterwegs und ein sehr beschäftigter Mann. Wann wird man Sie wieder auf der großen Bühne Fußball-Bundesliga erleben?
Oliver Kahn: Es ist die Frage, ob man mich da überhaupt wieder sehen wird. Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich habe derzeit viel zu tun. Ich bin Länderspielexperte für das ZDF und habe meine Projekte in Asien. Dazu kommen Geschäfte mit Werbepartnern und mein soziales Engagement. Es macht mir alles sehr viel Spaß. Ich bin dabei, mich auf einem anderen Weg weiterzubilden, der nicht unbedingt etwas mit Fußball zu tun hat.
SPOX: Sie wären beinahe als Manager bei Schalke 04 gelandet. Sind Sie im Nachhinein froh, dass Sie die Verhandlungen abgebrochen haben, wenn Sie die finanzielle Lage auf Schalke sehen?
Kahn: Das hat nichts mit der finanziellen Situation von Schalke 04 zu tun. In mir ist einfach die Erkenntnis gereift, dass das viel zu früh gekommen wäre für mich. Ich glaube, man sollte Dinge nur dann tun, wenn man zu 100 Prozent von der Sache überzeugt ist und auch zu 100 Prozent motiviert ist. Gerade für mich, der sich in einer Übergangsphase in ein neues Leben befindet, wäre es die falsche Entscheidung gewesen, sich so früh festzulegen.
SPOX: Bleiben wir kurz bei finanziellen Angelegenheiten im Fußball. Wie beurteilen Sie den bevorstehenden 100-Millionen-Deal des FC Bayern München mit Audi? Uli Hoeneß kann sich vorstellen, dass die 50+1-Regel gelockert wird.
Kahn: Die 50+1-Regel zu lockern hat immer zwei Seiten. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass Investoren in den Fußball kommen und Vereine dadurch konkurrenzfähig zu Mannschaften aus England und Spanien werden. Die Frage ist nur, gibt es auch Investoren für Vereine, wie beispielsweise den VfL Bochum, die nicht oben mitspielen? Auf der anderen Seite ist es fraglich, ob wir in Deutschland wirklich Scheichs haben möchten, die Einfluss auf den Fußball nehmen und die Vereine in eine gewisse Richtung lenken. Die 50+1 Regel zu kippen, muss wirklich gut durchdacht und die Vor- und Nachteile abgewogen werden.
SPOX: Abwiegen müssen wird auch Michael Rensing seine Situation beim FC Bayern. Glauben Sie, dass er nach seiner erneuten Degradierung zur Nummer 2 endgültig in München gescheitert ist?
Kahn: Michael muss jetzt für sich ganz alleine entscheiden, wie es weitergeht. Ob er den Kampf noch mal annimmt und eine Chance für sich sieht, oder ob er woanders seine Chancen für besser hält, kann ich nicht beurteilen. Das muss er selbst entscheiden.
SPOX: Rene Adler, Robert Enke, Manuel Neuer oder Tim Wiese - welcher Kandidat für die Nummer 1 im DFB-Tor ist momentan der Konstanteste?
Kahn: Es ist momentan sehr schwierig und auch ungerecht, das zu beurteilen, weil sie alle in der Nationalmannschaft gute Leistungen gebracht haben. Ob es nun Neuer, Adler, Wiese oder Enke - der in der Nationalelf wirklich sehr konstant gespielt hat - wird, das ist eine sehr schwierige Entscheidung. Ich möchte die nicht treffen müssen, weil du am Ende einem weh tun musst.
SPOX: So wie vor der WM 2006, als Jürgen Klinsmann Ihnen mitteilte, dass Jens Lehmann im Tor stehen wird?
Kahn: Nein, das kann man nicht mit dem Duell zwischen Jens Lehmann und mir vergleichen. Im Vorfeld der WM 2006 gab es ja nur uns zwei Torhüter, um die es ging. Jetzt sind da drei oder vier Kandidaten, die um den Posten kämpfen. Aber ich denke - und der Bundestrainer hat es ja schon anklingen lassen - , dass die Nummer 1 für die WM in Südafrika spätestens im Januar oder im Februar feststehen wird.
SPOX: Mit Tim Wiese hat Stefan Effenberg einen der vier Kandidaten sogar als möglichen Bayern-Torhüter ins Gespräch gebracht. Er ist ja ähnlich positiv verrückt wie Sie es waren. Wäre Wiese der Richtige für den FC Bayern München?
Kahn: Es wird immer viel spekuliert, aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, an solchen Spekulationen beteilige ich mich nicht.
SPOX: Zu Ihrer Zeit gab es mit Peter Schmeichel, Edwin van der Sar, Fabien Barthez und Gianluigi Buffon viele Torhüter auf Weltklasseniveau. Van der Sar und Buffon sind noch immer aktiv. Wer kann ihnen derzeit das Wasser reichen?
Kahn: Es gibt genau vier Torhüter, die momentan absolut weltklasse sind und die auf höchstem Niveau konstant spielen. Das sind die angesprochenen Edwin van der Sar, der zurzeit leider verletzt ist, und Gianluigi Buffon. Dazu kommen noch Petr Cech und Iker Casillas.
SPOX: Wer wird diese Generation einmal beerben? Sehen Sie auch deutsche Torhüter auf dem Weg zur Weltspitze?
Kahn: Das ist schwierig, denn um diese Klasse zu erreichen, musst du eigentlich immer in der Champions League spielen und bei einem Spitzenverein wie Bayern München. Und auch dann musst du über einen mittelfristigen Zeitraum erst einmal konstant gute Leistungen abrufen. Genau das sehe ich momentan in Deutschland nicht. Wir haben in der Breite sehr gute Torhüter, aber wer von denen letztendlich den Sprung in die Weltklasse schafft und zu einem absoluten Topverein wechselt, das wird sich zeigen.
SPOX: Joachim Löw hat den Bayern-Youngstern Holger Badstuber und Thomas Müller die WM in Südafrika in Aussicht gestellt. Kommt das nicht zu früh?
Kahn: Das ist immer vom Charakter des Spielers abhängig, ob das zu früh kommt oder nicht. Ich persönlich bin kein Freund davon, Spieler in die Nationalmannschaft zu berufen, die gerade mal ein halbes Jahr auf professioneller Ebene Fußball gespielt haben. Aber es gibt auch immer wieder Ausnahmen. Der junge Pele etwa war mit 17 Jahren schon weltklasse und hat das auch auf höchstem Niveau umsetzen können. Das ist immer eine individuelle Sache.
Oliver Kahn im Steckbrief