Mit dem 18 Jahre alten Innenverteidiger Ozan Kabak von Galatasaray hat der VfB Stuttgart ein europäisches Toptalent für sich gewinnen können. Dass Kabak aber ausgerechnet zum abstiegsbedrohten VfB wechselt, wirft Fragen auf - zumal der FC Bayern nun doch nicht involviert sein soll.SPOX erklärt, warum der Wechsel dennoch ein guter Schritt für Kabak sein könnte.
Ein bisschen stolz schien Stuttgarts Sportvorstand Michael Reschke schon, als er im Interview auf der Homepage des VfB erklärte, wie man den in ganz Europa umworbenen Ozan Kabak ins beschauliche Ländle gelockt hatte.
"Es gab in der Tat Interessenten der Top Ten aus Europa", gab er zu, "weil der Junge einfach eine besondere Qualität hat." Im Zuge des immer hitziger werdenden Wintertransferfensters waren in den letzten Wochen Namen wie Borussia Dortmund, der FC Arsenal und Manchester United genannt worden. Auch die AS Rom und der FC Watford umgarnten Berichten zufolge den Teenager.
Wie hochkarätig die Konkurrenz letzten Endes genau war: Den VfB hätte man sicher nicht zuvorderst auf der Rechnung gehabt, wenn es darum geht, das größte Abwehrtalent der Türkei zu verpflichten. Man sei früh interessiert gewesen, schilderte Reschke, habe Kabak eine sinnvolle Perspektive aufzeigen können - "und ihn sicherlich auch emotional gefangen."
VfB Stuttgart bezahlt Rekordablöse für Ozan Kabak - ohne die Bayern
Es ist ein echter Coup für die abstiegsbedrohten Schwaben. Dafür griff man so tief in den Geldbeutel wie noch nie, bezahlte eine Rekordablöse von mindestens elf Millionen Euro. Und machte Kabak zum insgesamt viertteuersten Transfer eines Türken ins Ausland.
"Ganz allein" habe man den Wechsel wirtschaftlich gestemmt, betonte Reschke, und zeigte sich erbost über Meldungen, wonach die Stuttgarter den Zuschlag allein deshalb erhalten hätten, weil der FC Bayern im Hintergrund seine Finger im Spiel gehabt habe, in ähnlicher Manier wie - womöglich - beim Transfer von Serge Gnabry: Der war zunächst für wenig Geld von Arsenal zu Werder Bremen und wenig später für nicht viel mehr Geld zu den Bayern gewechselt.
"Ich kann unseren Fans versichern, dass das vollkommener Blödsinn ist", sagte Reschke mit Nachdruck, so wie er es auch schon gegenüber Bild und Sport Bild dementiert hatte: "Ich weiß nicht, warum solche Fehl-Informationen verbreitet werden." Die Berichte gehörten "total ins Reich der Fabeln." Kabak gehöre einzig und allein dem VfB.
Dass die Meldungen, ob nun Fabel oder nicht, so plausibel klangen, wird sicherlich auch damit zu tun haben, dass der Wechsel die eine oder andere Frage aufwirft. Eine sportliche Verbesserung für Kabak ist die Station Stuttgart derzeit nämlich nicht.
Der Spieler Ozan Kabak: zweikampfstark und mit Übersicht
Als Elfjähriger hatte Kabak seine Karriere in der Galatasaray Youth Academy begonnen und sich durch die Jugendmannschaften - und Jugendnationalmannschaften - gespielt. Im Mai des vergangenen Jahres debütierte er unter Trainer Fatih Terim, im Herbst spielte er sich in der ersten Mannschaft fest und verdrängte in der Innenverteidigung den erfahrenen Brasilianer Maicon.
Seitdem hat Kabak in insgesamt 17 Pflichtspielen, davon vier in der Champions League über die volle Distanz, gezeigt, warum die festgeschriebene Ablöse von gerade mal siebeneinhalb Millionen Euro so viele Klubs auf den Plan rufen sollte: Der gelernte Innenverteidiger überzeugte mit gutem Stellungsspiel, Ruhe am Ball und einer ausgeprägten Abgeklärtheit.
Körperlich ist er für seine 18 Jahre extrem weit, 1,85 Meter groß, mit breiten Schultern und gutem Kopfballspiel. "Er kann jetzt schon auf Bundesliga-Niveau spielen, da haben wir überhaupt keinen Zweifel", sagte Reschke. "Er ist ein sehr starker Zweikämpfer und im Abwehrbereich auf Ballgewinn aus."
Gerade in der Rückwärtsbewegung machte Kabak bei Gala eine gute Figur: Er ist einer der Sorte Abwehrspieler, deren Oberkörper fast immer kerzengerade zu bleiben scheint - und diesen Oberkörper weiß er schon jetzt sehr gut einzusetzen.
Auffällig oft geht er im Sprintduell mit gegnerischen Angreifern als Sieger hervor, weil er einen guten, flüssigen Antritt hat und es versteht, seinen Körper zwischen Ball und Gegner zu bringen und ersteren abzulaufen. Kommt er einmal zu spät, ist er sich nicht zu schade dafür, auch einmal zur Grätsche zu greifen.
Kabak-Wechsel sorgt für Trauer bei Galatasaray-Fans
Es ist diese Mischung aus körperlichen Anlagen und gutem Spielverständnis, gepaart mit technisch sauberem Passspiel, was zum Stammplatz beim türkischen Meister führte - und die VfB-Scouts auf den Plan rief. Und bei den Gala-Anhängern in den sozialen Medien für Trauer sorgt.
Zwar kann der hochverschuldete Klub die VfB-Millionen sehr gut brauchen, doch noch vor wenigen Wochen schloss der Klub einen Abgang im Winter kategorisch aus. Stattdessen wolle man den Vertrag verlängern und die Ausstiegsklausel so eliminieren. Diese Klausel hat Stuttgart deutlich überboten, wenn auch kaum ein Drittel der Summe ausgegeben wurde, welche die Schwaben für den im Sommer zum FC Bayern wechselnden Benjamin Pavard kassieren (35 Millonen).
Aber diese Summe hätten andere Klubs ebenfalls mit Leichtigkeit stemmen können, gerade solche aus der Premier League. Warum also der VfB Stuttgart?
Kabak-Wechsel: keine sportliche Verbesserung
Es ist kein Wechsel, bei dem sich Kabak sportlich verbessert. Zwar steht Gala nach großen Problemen in der Hinrunde derzeit nur auf dem fünften Tabellenplatz, doch den europäischen Wettbewerb sollte man auch dieses Jahr wieder erreichen. In den letzten Monaten spielte Kabak so Champions League, als Tabellendritter der Gruppenphase ist man nun in der Europa League vertreten.
Vom internationalen Geschäft ist der VfB fast weiter entfernt als vom Bosporus selbst, es droht sogar die zweite Liga. Für die gilt Kabaks Vertrag, der bis 2024 gültig ist, ebenfalls.
Es ist auch kein Wechsel für mehr Spielzeit: Unter Terim, bei dem sich Kabak nach dem Wechsel mit blumigen Worten bedankte, war er gesetzt und spielte die letzten zehn Ligaspiele ausnahmslos durch. In Stuttgart wird er sich erst einmal durchsetzen müssen, die Konkurrenz auf der favorisierten rechten Innenverteidiger-Position ist zahlreich. Sechs zentrale Verteidiger stehen derzeit im Kader, der Abstiegskampf erlaubt keine Fehler.
Der VfB Stuttgart als Zwischenstation für Ozan Kabak
Sinn macht der Wechsel nur als sorgfältig geplante Karriere-Zwischenstation. Die Stürmer, auf die Kabak treffen wird, haben ein deutlich höheres Niveau als in der Süper Lig, die Intensität der Spiele wird angesichts der sportlichen Situation enorm hoch sein. "Ich bin auf dem Platz ein Kämpfer", kündigte der Teenager bereits an - eine Eigenschaft, die in den kommenden Monaten gefragt sein wird.
Gleichzeitig ist es ein Sprung, den Kabak schaffen kann. Wo andere Talente zu früh in die begehrte Premier League wechseln und dort ausbrennen, macht er erst einmal einen Zwischenschritt. Kann er in der Bundesliga mithalten, wird der nächste folgen, selbst wenn der Verein absteigen sollte. Kommt die Bundesliga zu früh, ergäbe die 2. Liga Sinn, andernfalls kann ihn der VfB mit Gewinn wieder verkaufen.
Auch die Akklimatisierung an das europäische Festland sollte in Stuttgart leichter fallen als in vielen anderen Vereinen. Mit Berkay Özcan gibt es einen Landsmann im Kader, dazu kommt Halil Altintop im Trainerstab. Kabak soll in der Schule obendrein mehrere Jahre deutsch gelernt haben. Und er hat gesehen, welche Entwicklung Benjamin Pavard in Stuttgart genommen hat.
Wem das als Grund für den Wechsel zum VfB nicht reicht, darf weiter an der heimlichen Absprache mit dem FC Bayern festhalten. Dafür gesorgt, dass an dieser doch etwas dran sein könnte, hat Reschke höchstselbst. Nachdem er in der Vergangenheit mehrfach bei Unwahrheiten erwischt worden war, kündigte er an, vom Recht, "die Wahrheit zu beugen", weiter Gebrauch zu machen, sollte es im Sinne des Vereins sein.
Das wäre es in diesem Fall durchaus ...