Der Exzess kennt Grenzen?

Stefan Moser
24. September 201304:04
Englands Meister Manchester City votierte gegen Schuldenbremse und Salary CapImago
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Die Premier League hat sich selbst finanzielle Beschränkungen auferlegt, um die Inflation von Transfersummen und Spielergehältern einzudämmen. Dass die Verantwortlichen nun von "Nachhaltigkeit" sprechen, ist angesichts der Zahlen dennoch absurd. Die wichtigsten Hintergründe zu Schuldenbremse und Gehaltsobergrenze in England.

Was ist passiert? Mit einer knappen Mehrheit beschlossen die 20 Premier-League-Klubs, sich selbst verbindliche finanzielle Spielregeln aufzuerlegen. Nach langen Verhandlungen einigte man sich im Februar auf zwei Kernpunkte: eine Schuldenbremse sowie eine Gehaltsobergrenze (Salary Cap). Die Schuldenbremse verbietet den Klubs, innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten Verluste von mehr als 122 Millionen Euro anzuhäufen; ausgenommen sind Ausgaben für Nachwuchsförderung und Stadion. Der erste Drei-Jahres-Zyklus beginnt mit der kommenden Saison. Die Salary Cap greift für Vereine, deren jährliche Gehaltskosten 61 Millionen Euro übersteigen. Wer über dieser Grenze liegt, darf seinen Spieleretat bis 2016 nur um jährlich 4,6 Millionen Euro erhöhen. Gehälter für Management und Trainerstab sind nicht von der Regelung betroffen.

Wer ist betroffen? Der Wert für die Schuldenbremse ist überdurchschnittlich hoch angesetzt. In den vergangenen drei Jahren haben nur Manchester City, Chelsea, Liverpool und Aston Villa die Grenze von 122 Millionen Euro Verlust durchbrochen. Die 61-Millionen-Marke für die Gehaltsobergrenze wurde in der vergangenen Saison dagegen von 13 der 20 Klubs überschritten. Den höchsten Gehaltsetat hatte zum achten Mal in Folge der FC Chelsea mit 220 Millionen Euro vor Manchester City (202 Mio.); die niedrigsten Personalkosten wies Blackpool mit 29 Millionen Euro aus.

Die Notwendigkeit der Regulierung: Seit der Öffnung für Investoren haben betriebswirtschaftliche Grundkategorien in der Premier League zusehends ihre Gültigkeit verloren. Rentabilität und Kostendeckung spielen keine Rolle mehr, sobald vor allem private Geldgeber jeden Verlust umstandslos aus der eigenen Tasche begleichen. Es kam zu einem finanziellen Exzess, der selbst in einer neoliberalen Wirklichkeit noch absurd wirkt. Spielergehälter und Transfersummen treiben unkontrollierte Stilblüten, wie den 46-Millionen-Euro-Wechsel von Andy Carroll zum FC Liverpool im Januar 2011. Trotz Rekordeinnahmen machten die Klubs der Premier League allein im letzten Jahr einen Verlust von 420 Millionen Euro.

Die offizielle Begründung: Nach dem neuen Beschluss kreisten die Aussagen der Verantwortlichen entsprechend um den Begriff der wirtschaftlichen "Nachhaltigkeit" - der angesichts der fraglichen Zahlen allerdings zur modischen Worthülse verkommt. Um die unabhängige Zukunftsfähigkeit der Vereine ernsthaft zu gewährleisten und der Gefahr vorzubeugen, dass Klubs nach dem Rückzug eines Investors finanziell kollabieren, reichen die Beschränkungen kaum aus.

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Symbol zwischen Moral und Marketing: Der Maßlosigkeit überhaupt Grenzen zu stecken, hat zumindest eine symbolische Kraft - und damit womöglich einen Marketing-Effekt für das Produkt Premier League. Gerade in England wird die Entfremdung zwischen Fans und ihren mit Gewalt frisierten Vereinen immer deutlicher spürbar. Angesichts von Finanz- und Staatsschuldenkrise ist die Beschränkung von finanziellen Exzessen deshalb wohl auch ein Zeichen zur rechten Zeit.

Die Sache mit den Fernsehgeldern: Die Erfahrung der letzten 20 Jahre hat gezeigt, dass sich die Spielergehälter in England ziemlich exakt an den Fernsehgeldern orientieren. 1992 spülte der erste TV-Deal der Premier League gut 132 Millionen Euro in Kassen der Klubs. Deren Gehaltsetat pendelte sich daraufhin bei 131 Millionen ein. Der aktuelle Drei-Jahres-Vertrag beläuft sich auf 1,6 Milliarden Euro. 1,7 Milliarden bezahlten die Vereine in der letzten Saison an Gehältern. Für die kommende Spielzeit tritt ein neuer Deal in Kraft, der auf mindestens 5,8 Milliarden Euro geschätzt wird. Um entsprechende Forderungen von Spielern und Agenten zu begrenzen, können sich die Vereine nun immerhin auf die Salary Cap berufen. Und damit mehr Geld für sich und ihre Investoren behalten.

Financial Fairplay: Zur Saison 2013/14 werden die Regelungen relevant, die die UEFA 2009 unter dem Schlagwort Financial Fairplay verabschiedet hat. Das Konstrukt beinhaltet ein Break-Even-Modell als Zulassungsvoraussetzung für UEFA-Wettbewerbe. Heißt vereinfacht: Grundsätzlich dürfen Vereine nur so viel Geld ausgeben, wie sie auch tatsächlich eingenommen haben, andernfalls droht ihnen der Ausschluss aus dem Europacup. Die Ausnahme: Investoren und Geldgeber können weiterhin die Verluste ausgleichen, allerdings nur bis zu einer Grenze von 45 Millionen Euro innerhalb der ersten drei Jahre. Danach wird diese Grenze neu verhandelt. Zugleich hat die UEFA die neue "Finanzkontrollkammer für Klubs" eingerichtet, die unter anderem die Liquidität der Vereine überwacht - und bereits erste Sanktionen verhängt hat. Aufgrund überfälliger Verbindlichkeiten wurden durchaus prominente Klubs wie der FC Malaga, Partizan Belgrad, Hajduk Split oder Rapid Bukarest von UEFA-Wettbewerben ausgeschlossen. Sollte der Verband auch in der Forderung nach einem "ausgeglichen" Haushalt eine harte Linie beibehalten, bleibt englischen Klubs mit internationalen Ambitionen gar keine andere Wahl, als sich selbst eine Schuldenbremse aufzuerlegen.

Sanktionen in der Premier League: Noch müssen die neuen Beschlüsse erst in eine juristisch wasserdichte Form gegossen werden. Dabei geht es auch darum, mögliche Konflikte mit dem europäischen Arbeitsrecht auszuräumen. Das fertige Papier soll im April verabschiedet werden, erst dann wird auch ein konkreter "Strafenkatalog" enthalten sein. Premier-League-Vorstand Richard Scudamore sprach aber bereits von "harten Sanktionen - inklusive Punktabzug".

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Folgen der Schuldenbremse: Einen Klub aus dem Mittelfeld innerhalb kurzer Zeit zum Champions-League-Sieger aufzupumpen, wird aufgrund der Schuldenbremse nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Ein zweites Chelsea, wo Roman Abramowitsch mittlerweile weit über eine Milliarde Euro verheizt hat, ist kaum denkbar. Auch Manchester City wird zwar seine Transferpolitik anpassen müssen, insgesamt bleibt aber weiterhin genügend Spielraum, in dem sich Investoren austoben können. Immerhin blieben fast alle Klubs bislang auch ohne Schuldenbremse unter der Grenze von 122 Millionen Euro in drei Jahren.

Folgen der Salary Cap: Die Obergrenze kann die Inflation der Gehälter verlangsamen, die Entwicklung der Spieletats wird von den Fernsehgeldern abgekoppelt. Das aktuelle Niveau ist aber ausreichend hoch, um im europäischen Vergleich weiterhin Spitzengehälter zu bezahlen; ein "Exodus der Stars" ist damit nicht zu befürchten. Die meisten Experten gehen allerdings davon aus, dass der Transfermarkt insgesamt noch belebter wird, wenn die Vereine zur besseren Kostenkontrolle auf kürzere Vertragslaufzeiten drängen. Außerdem könnte der Gesamtetat stärker zu einem strategischen Faktor auf dem Transfermarkt werden. Ein vereinfachtes Beispiel: Ein Verein muss zwei Spieler aus der mittleren Gehaltsklasse abgeben, um einen Topstar zu verpflichten, der sonst die Grenze sprengen würde - eine schlechte Basis in Verhandlungen um die Ablösesummen für die zwei, die gehen sollen.

Möglicher "Missbrauch": Die Salary Cap bietet vor allem Vereinen aus dem sportlichen und finanziellen Mittelfeld weitere strategische Möglichkeiten, die ursprünglich nicht im Sinne der Erfinder waren. So könnte ein Klub seinen Spieleretat etwa absichtlich unter die 61-Millionen-Grenze sacken lassen, um in der nächsten Transferperiode ungehindert mit horrenden Gehältern zu locken. Sofern die Schuldenbremse die Ablösesummen drückt, wäre das zumindest im Gedankenexperiment ein strategischer Vorteil.

Wer ist dafür, wer dagegen: Das Abstimmungsergebnis wurde nicht explizit veröffentlicht, mittlerweile gilt aber als gesichert, das 13 Klubs für die neue Regelung stimmten und sechs dagegen. Nur weil sich der FC Reading enthielt, reichte es am Ende gerade noch für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Dagegen votierten Manchester City, Aston Villa, Fulham, West Brom, Swansea und Southampton. Alle aus unterschiedlichen Gründen. Nur bei Aston Villa und Manchester City liegen sie auf der Hand.

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