Jürgen Klopp hat er seinen Sprung in die Bundesliga zu verdanken: DAZN-Experte Ralph Gunesch spricht vor dem Champions-League-Finale zwischen dem FC Liverpool und Tottenham Hotspur (Sa., 21 Uhr LIVE auf DAZN) im Interview mit SPOX und Goal über seinen ehemaligen Trainer und dessen Heldenstatus in Liverpool.
Zudem erklärt Gunesch, weshalb er "den allergrößten Respekt" vor Danny Rose hat, schätzt das Risiko Harry Kane ein und gibt einen Tipp fürs Finale ab.
Herr Gunesch, Sie sind England-Experte. Seit drei Jahren analysieren Sie Spiele bei DAZN. Was war Ihr bisheriges Highlight?
Ralph Gunesch: Der Aufstieg von Huddersfield 2017. Weil ich zu Collin Quaner und Elias Kachunga (beide stiegen als Spieler mit Huddersfield auf, Anm. d. Red.) einen persönlichen Draht habe. Ich erinnere mich außerdem an ein unfassbar verrücktes Arsenal-United-Spiel vor zwei Jahren, ein völlig wahnsinniges Fußballspiel ohne taktische Fesseln. Oder solche Gigantenduelle wie Liverpool gegen Manchester City.
Diese Gigantenduelle waren nur ein Teil des fantastischen Titelrennens in der abgelaufenen Premier-League-Saison. Am Ende setzte sich City durch. Spielt Liverpools verpassteMeisterschaft eine Rolle im CL-Finale?
Gunesch: Ich glaube nicht. Die Jungs hatten danach fünf Tage frei. Dann ging es ins Trainingslager nach Marbella. Es blieb genug Zeit, um sich aufs Finale vorzubereiten. Das ist verdaut, die Enttäuschung ist verflogen.
DAZNRalph Gunesch: "Alisson ist ein überragender Fußballer"
Aus Enttäuschung kann Trotz entstehen.
Gunesch: Das stimmt. Aber wenn etwas für die Motivation eine Rolle spielt, dann eher das verlorene Finale gegen Real Madrid.
Inwiefern hat sich Liverpool im Vergleich zum Vorjahr verbessert?
Gunesch: Die Reds sind deutlich effizienter geworden. Dazu kennen sie die Finalsituation nun bereits. Und: Liverpool hat sowohl in der Defensive als auch auf der Torhüterposition einen großen Schritt nach vorne gemacht.
Was macht Alisson so besonders?
Gunesch: Er ist ein überragender Fußballer, er hat einen wahnsinnig guten Abschlag. Dazu kommt seine unheimliche Präsenz im Tor. Er ist ein wichtiger Bestandteil der Achse mit Virgil van Dijk, die sich bis nach vorne durchzieht.
Ralph Gunesch: Das spricht für Tottenham Hotspur
Liverpool hat die beiden Ligaduelle gegen Tottenham jeweils mit 2:1 gewonnen. Die Spurs haben nur 6 der letzten 17 Spiele gewonnen. Das Momentum ist auf Seiten der Reds. Was spricht für das Team von Mauricio Pochettino?
Gunesch: Pochettino hatte mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen: Keine Transfers, große Verletzungssorgen, dadurch wenig Breite im Team. Dann bricht Kane weg, kurzzeitig auch Son. Sie gewinnen trotzdem. Kane fällt erneut aus, dafür trifft Son. Plötzlich erzielt Lucas Moura, der lange Zeit weg vom Fenster war, einen Hattrick in Amsterdam. Pochettino schafft es immer wieder, die Mannschaft so einzustellen, dass sie gerade in den wichtigen Spielen da ist und an sich glaubt. Tottenham ist vielleicht minimaler Außenseiter, aber brandgefährlich.
gettyKane steht im Finale wieder zur Verfügung.
Gunesch: Wenn er nicht einhundert Prozent fit ist, muss er nicht spielen. Dafür haben die Anderen das zu gut gemacht. Sie sind ja auch ohne ihn ins Finale gekommen. Insofern halte ich das für ein Risiko. Klar, er würde vielleicht allein aufgrund seines Namens verursachen, dass bei Liverpool Respekt herrscht. Aber nur ein fitter Kane bringt dir was.
Zwischen dem letzten Premier-League-Spieltag und dem Finale in Madrid liegen drei Wochen. Besteht die Gefahr, dass man das Spiel zu verkopft und verkrampft angeht?
Gunesch: Die Teams werden nicht jeden Tag eine Stunde Videositzung gehabt haben. Nach so einer langen Saison gilt es, auch abzuschalten und eine richtige Balance zu finden. Ich denke, die Teams haben dabei genügend Geschick, sodass einfach nur große Lust auf dieses Spiel da ist.
Ein Champions-League-Finale ist für viele Spieler einmalig. Was kann man als Profi vor solch einem entscheidenden Spiel machen, um dem Druck standzuhalten?
Gunesch: Es gibt kein Rezept. Jeder Spieler muss selbst herausfinden, wie er damit umgeht. Früher warst du dabei auf dich allein gestellt. Es war wichtig, dass ein Umdenken stattfindet. Mittlerweile hat sich sehr viel verändert. Vereine und auch Spieler selbst haben Psychologen und Mentaltrainer. Auch die Cheftrainer reagieren deutlich sensibler und empathischer.
Die psychische Gesundheit spielt eine immer größere Rolle im Sport. Dennoch wirkt es noch wie ein Tabu-Thema. Einer der wenigen aktiven Spieler, die offen darüber sprechen, ist Danny Rose.
Gunesch: Ich bin ein großer Fan von ihm - von seinem Spiel, aber auch von ihm als Person. Er hatte einige richtig starke Jahre bei den Spurs. Dann kamen Verletzungen und die Depressionserkrankung hinzu. Ich habe allergrößten Respekt davor, dass er darüber so offen spricht. Ich kann das nur absolut unterstützen. Es ist enorm wichtig, zu beleuchten, dass in der "shiny" Profiwelt eben nicht immer alles perfekt ist. Davor kann ich nur meinen Hut ziehen.
Ralph Gunesch: "Man muss Klopp in einem Atemzug mit Guardiola nennen"
Die Titel-Sehnsucht ist in beiden Lagern enorm groß, auf Seiten der Spurs wahrscheinlich noch größer. Am Ende werden Fußball-Herzen bluten.
Gunesch: Leider, ja. Ich bin auch abgestiegen und habe das Pokalfinale in Berlin knapp verpasst. Das ist extrem hart. Aber Mitleid bringt dir in solchen Momenten nichts. Auch Verlieren gehört zur Entwicklung. Jürgen Klopp hat etwas Gutes gesagt: 'Wenn es jemanden braucht, der es auch ein siebtes Mal versucht - ich bin's.'
Wie ordnen Sie Jürgen Klopp in der Trainer-Weltelite ein?
Gunesch: Jürgen Klopp ist einer der größten Namen, die es im Weltfußball aktuell gibt. Man muss ihn in einem Atemzug mit Pep Guardiola nennen. Klopp hat Liverpool vielleicht nicht revolutioniert, aber wieder auf ein ganz hohes Niveau gehoben.
gettyKann eine Niederlage an seinem Heldenstatus kratzen?
Gunesch: Nein. Ich war zwei Mal in diesem Jahr in Liverpool und habe mich mit vielen Leuten dort unterhalten. Die haben gesagt, er sei schon jetzt einer der größten Trainer der Vereinsgeschichte.
Er hat noch keinen Titel mit Liverpool gewonnen.
Gunesch: Aber er hat Liverpool wieder in eine glorreiche Zeit zurückgeführt - auch ohne Titel. Natürlich lechzen alle danach. Aber allein die veränderte Wahrnehmung des Klubs, wie er die Menschen mitnimmt und seine Entscheidungen erklärt, das hatten die Reds lange nicht mehr.
gettyRalph Gunesch gibt seinen Tipp ab
Wem drücken Sie im Finale die Daumen?
Gunesch: Ich sehe das neutral. Auf der einen Seite habe ich Jürgen Klopp viel zu verdanken. Er hat mich in Mainz zum Erstligaspieler gemacht. Auf der anderen Seite respektiere ich die Entwicklung und Arbeitsweise von Tottenham.
Zum Abschluss: Wie lautet Ihr Tipp?
Gunesch: Ich tue mir schwer mit dem Tipp. Wenn ich mich festlegen müsste, sage ich 51:49 für Liverpool. Also in Prozent, nicht als Ergebnis. (lacht) Einfach deswegen, weil sie letztes Jahr schon im Finale standen.